Was ist neu

Green Room

Mitglied
Beitritt
21.06.2005
Beiträge
30
Zuletzt bearbeitet:

Green Room

Green Room

for Chris, Mike, Trejo, Lennard… 27th "Wolfhound" Brig, 25th Light Inf Div


Aufgeheizte Luft flimmerte über Palmen und hellem, feinem Sand. Fröhliche Stimmen durchschnitten die Mittagsruhe; zwischen Kinderlachen und der donnernden Brandung konnte man hier und da Techno aus einem Ghettoblaster dröhnen hören – doch der sonst so durchdringende Bass klang dünn und schwach gegen die ausgelassenen Stimmen.
Sand kitzelte zwischen meinen Zehen. Barfuß schlenderte ich auf dem flachen Damm entlang und genoss die Hitze von unten und von oben. Zwischen den Palmen auf dem Damm und den tiefblauen, imposant anrollenden Pazifikwellen wirkte der Strand wie ein Feldlager: Strandkörbe, Sonnenschirme, Badetücher in organisiertem Chaos. Darauf leicht bekleidete Körper in allen Farbtönungen. Milchweiß, Dunkelbraun und selbst von hier oben schmerzhaft intensives Rot.
Ein angenehm lauer Wind strich über mein nassgespritzes Trägertop. Das Wasser war viel zu wild für ein erfrischendes Bad. Aber hier oben auf dem Damm bewegten sich Palmwedel und die strömende Luft trug den charakteristischen Geruch nach Meersalz und Kokosmilch mit sich. Genießerisch schloss ich meine Augen und zählte Lichtpunkte. Rote. Gelbe... Weiße. Als ich die Lider wieder hob, blieben für einen winzigen Moment nur undeutliche Schemen.
Weiße Funken in dickem, olivgrünem Stoff. Sie verschwimmen, werden zu weißlicher, blasser Leere. Staubige Leere, deren Glühen auf der Haut brennt und getrocknetes Salz aus den Augenbrauen rieseln lässt. Gelbgraue Schatten zwischen ausgebleichten Zelten...
Unwillig runzelte ich die Stirn, konzentrierte mich auf den kitschig blauen Pazifik. Es wirkte – seine satte Farbe vertrieb die alten, blassen Bilder aus meinem Kopf.
Trotz der Menschenmassen fühlte ich mich plötzlich einsam. Ein altbekannter Feind, der in meinem Herzen nur schlummerte und so oft aus dem Hinterhalt über mich her fiel, dass seine plötzlichen Attacken nicht mehr schreckten. Manchmal überkam er mich im Büro und dann verbiss ich mich bis spät abends in meine Arbeit. Oft schlich er sich zu mir unter die Bettdecke und lies mich nächtelang mit aufgerissenen Augen wach liegen, gegen die kahle Zimmerdecke starrend. Aber hier war sein Bohren und Nagen nebensächlich, fast schon lächerlich.
Mit lässigem Fingerspiel setzte ich meine Sonnenbrille auf und schlenderte weiter in Richtung Strandbar. Eine Holzhütte, deren Dach nur mit getrockneten Palmwedeln gedeckt war. Über dem grob gezimmerten Tresen ein sternförmiges, knallbuntes Schild und daneben, direkt in der Mitte: das unvermeidliche Haifischmaul, bleiche Knochen auf dunkel gebeizter Holzverkleidung. Einfach nur kitschig.
Im Schatten der Palmen lungerten einige junge, ansehendlich gebaute Männer herum, farbige Cocktails schlürfend und die sich nebenbei locker mit unverständlichen Wortfetzen bewarfen. Mexikanische Musik klang von irgendwo aus der Hütte.
Langsam näherte ich mich der Strandbar und versuchte, mit zusammengekniffenen Augen die Preisliste auf dem Sternschild zu entziffern.
Die Kerle musterten mich mit scharfen, wölfischen Blicken. Ich kannte diese Blicke, hatte sie an einem anderen Ort schon oft genug erlebt, nur viel drängender und gefährlicher. Nicht so verspielt.
Einer der Gruppe lehnte überaus lässig am Tresen, blickte mich unverhohlen neugierig an. Etwas an seinem muskulösen, braungebrannten Körper kam mir seltsam vertraut vor. Vielleicht lag es an der kurzgeschorenen Streichholzfrisur oder seinem durchdringenden, zu den geschmeidigen Bewegungen passenden Raubtierblick. Anderswo hatte ich diese jungen, durchtrainierten Körper zuhauf gesehen.
Weit weg, inmitten von Sand und Staub und flirrender Hitze. Unbeschwertheit, sich in Angst und stumpfe Gleichgültigkeit wandelnd. Von Narben übersähte Körper; Hände, die hart und grob geworden waren. Und der misstrauische, prüfende Blick eines gejagten Wolfes in den Augen...
Einige Schritte weit entfernt blieb ich stehen, ein wenig unschlüssig. Spannung knisterte in der warmen Luft wie zwischen zwei magnetischen Polen.
Ein paar Herzschläge lang rührte sich niemand. Aber dann versiegte das Knistern und die Männer wandten sich wieder einander zu, jetzt scheinbar uninteressiert.
Ich lauschte ihren kräftigen Stimmen und schloss anhand der Wortbrocken, eine Gruppe leidenschaftlicher Surfer vor mir zu haben. Mein Englisch war nicht gerade rekordverdächtig, aber für ihre flachsigen Bemerkungen reichte es durchaus.
Nichts wirklich interessantes.
Bis plötzlich diese magische Wortkonstellation zwischen uns schwebte und ich erstarrte, ein elektrisierendes Kribbeln im Magen. Atemlosigkeit stahl jeden klaren Gedanken.
Green Room…
Und dann begann sich in meinem Kopf etwas zu drehen. Nahm Gestalt an. Schlich sich hinter meine geschlossenen Lider und ergriff Besitz von mir, viel heftiger als je zuvor und dieses Mal würde ich es nicht wieder in seinen Käfig zurück zwingen können.

Schrille, farbenfrohe Bilder. So hatte ich die letzten Jahre in Erinnerung und diese Bilder wichen einer verblassten, staubigen Leinwand. Verblassten sogar selbst und nach Tagen, Wochen gab es um mich herum nur noch weißlichen Sand und weißlichen Himmel und gleißend helles Sonnenlicht.
Wir fuhren oft hinaus. Weiß wurde zu staubgrau und von ockerfarbenen Lehmhütten bröckelte Schmutz. Selbst die dünnen, gebleichten Hemden fühlten sich unter der erbarmungslosen Sonne an wie Winterkittel, ich glaubte manchmal sogar die Konturen des roten Kreuzes in meinen Rücken einbrennen zu fühlen. Dabei war es doch nicht mal schwarz.
Vor einem Jahr noch hatte die Welt aus saftigem Grün und Gewitterwolken am Himmel bestanden. Weiß war nur das Papier des Abschlusszeugnisses gewesen und ebenso das unbeschriebene Blatt in meinem Kopf, auf dem ich mit unsicherer Hand einen Lageplan zu zeichnen begann, einen Lageplan für nichts weniger als meine eigene Zukunft.
Die Hitze schien sich zwischen den Zelten zu konzentrieren, versuchte den Sand noch mehr auszudörren. Ich trat langsam in diesen Backofen aus flirrender Luft und unsichtbaren, in der Nase juckenden Staubpartikeln, schlenderte fast ziellos zwischen den von keinem Lufthauch bewegten Zeltbahnen hindurch. Sie hingen schlaff und müde herab und sahen genauso aus wie ich mich seit Tagen fühlte.
Das große Schleppdach aus Wellblech und Zeltstoff warf einen hart umrissenen Schatten auf die Reihe an Reihe gestapelten Aluminiumkisten. Auch hier konnte man diesen scharfen Jodgeruch wahrnehmen, der sich stellenweise mit Diesel, Schweiß und Toilettenreiniger vermengte. In den Städten roch es überall so. Nach Urin. Vergorenem Abwasser. Manchmal auch nach verwesenden Leichen.
Ich mochte diesen Ort, zwischen zerschrammten Transportkisten und Containern, von denen in der unbarmherzigen Trockenheit die Farbe abblätterte. Eine kleine Oase der Stille, eine Quelle der Verlassenheit inmitten dieses nimmermüden Bienenstocks.
Der Schatten unter dem Schleppdach gaukelte die Illusion erquickender Kühle vor und zwischen dem reflektierenden Sand, dem Weiß an Weiß zwischen Himmel und Wüste glich er einer Zuflucht bietender Höhle. Selten verirrte sich jemand hier her.
Man konnte ihn auch aus wenigen Schritten Entfernung nicht wahrnehmen und erst als er mit der flachen Hand gegen eine Kiste klopfte, wurde ich seiner Anwesenheit bewusst. Ein warmes Gefühl beschwichtigte den Schreck über das ungewohnte Geräusch.
Mit vorsichtigen Bewegungen wagte sich Josh aus seiner Deckung heraus und trat neben mich, lächelte schüchtern. Ich reichte ihm nur bis knapp über die Schulter und doch wanderten seine Blicke unruhig umher, streiften mich mit einer unerklärlichen Scheu. Nervös klopften seine kurz geschnittenen Fingernägel auf dem Kolben des Sturmgewehrs herum und zwischen den schmalen, staubbedeckten Lippen blitzten gespenstisch weiße Zähne.
In dem Moment wusste ich nicht, wer von uns mehr Angst hatte. Angst voreinander oder vielleicht vor der ganzen, surreal wirkenden Situation.
Jedenfalls stand ich nun in meiner verschwitzten Rot-Kreuz-Bluse zwischen Kisten voll Hilfslieferungen und profilierte mich mit einem Englisch, dem jegliche Schulnorm entfloh. So war es natürlich nie in meinen Vorstellungen abgelaufen, auch nicht, als ich mit einigen anderen die Papiere für das Projekt "Aufbauhilfe Irak" unterzeichnet hatte. Natürlich nahmen sie das Ersuchen dankend an, erfahrene Hilfskräfte wurden gebraucht und ich hatte mit dem Abschluss meiner Schule für den Zeitraum keinerlei weiteren Verpflichtungen nachzugehen. Wollte Abstand von meinen Eltern und der ganzen vertrauten Welt – und diesen hatte ich jetzt mehr als genug bekommen.
Wir waren im hinteren Teil von Camp Thunder im Westen Bagdads untergebracht. In einer kleinen Stadt aus Gruppenzelten und Wohncontainern innerhalb des großen Militärlagers. Mit Klimaanlagen und Internetcafés.
Sergeant Joshua Pallentine teilte dieses Schicksal mit uns, nur hausten er und seine Jungs in einem anderen Bereich und nahmen auch ganz andere Aufgaben wahr – wovon die sicherlich geladene Colt M16A2 im Kaliber 5.56x45 Milimeter sprach, an der er sich regelrecht festklammerte. Waffen hatten hier etwas Allgegenwärtiges an sich und mit der Zeit legte man sich unweigerlich ein mehr oder minder solides Grundwissen über die Bewaffnung der jeweiligen Gastgeber zu. Und auch wenn ein als Staubschutz über die Mündung gezogenes Kondom und das seltsam anmutende Gehabe der Soldaten ungewollte Komik beinhaltete, herrschte gnadenlos ernste Stimmung im Lager.
Ganz zu Anfang waren wir noch nahe des Baghdad International Airports in einem leerstehenden Hotel einquartiert woren. Susanne, Daniela und ich konnten die Einschusslöcher in der Rückwand unseres spartanischen Zimmers zählen. Fünfzehn Löcher im Verputz. Dagegen stellte sich Camp Thunder regelrecht luxuriös dar, auch wenn es nur ein kurzes Stück von Abu Ghraib weg lag und die Fahrt entlang der hohen, staubigen Gefängnismauern jedes Mal ein beklemmendes Gefühl auslöste.
Und aus irgendeinem Grund schien ich die selbe Wirkung auf den ansonsten so furchtlosen Soldaten zu haben. Schweigend standen wir nebeneinander, sogar ziemlich dicht beisammen. Schauten hinaus in den gleißend weißes Licht reflektierenden Sand und auf einen verbeulten Ambulanzlaster, in dessen Schatten sich militärisches Sanitätspersonal drängte, rauchend und scherzend.
Josh atmete hörbar ein. Dann reichte er mir seine nur noch halb gefüllte Flasche Gatorade.
"Thank you.." flüsterte die rauhe Stimme.
Mein fragender Blick blieb unbeantwortet, während ich die Plastikflasche ansetzte und ihren abgestandenen, brühwarmen Inhalt in einem Zug leerte. Er lächelte jetzt etwas sicherer, nahm sein Sturmgewehr vor die Brust und setzte sich mit einer offensichtlich gewollt lässig wirkenden Bewegung auf den Deckel der vordersten Kiste – ungeachtet ihrer sicherlich schmerzhaft heißen Oberfläche. Staub rieselte aus seinen kurzrasierten Streichholzhaaren. Der selbe Staub, der mir zwischen den Zähnen knirschte und den ich abends aus meiner Unterhose schütteln musste.
Lange hatte es gebraucht um an ihn heran zu kommen. Während die anderen Soldaten unverhohlen gierig zu uns hinüber starrten oder sich mit oftmals obszönen Ausbrüchen Luft machten, zog sich dieser attraktive Sergeant in der testosterongeschwängerten Atmosphäre stets zurück, hüllte sich in schiere Unsichtbarkeit.
Wochenlang hatte ein schüchternes, kaum merkbares Lächeln jeden Gruß und jedes Wort ersetzt.
Jetzt stand ich da, wusste nicht wohin, eine von der Hitze verformte Plastikflasche in der Hand, während mich der Amerikaner schweigend musterte. Seine großen, rauchblauen Augen waren zur Ruhe gekommen. Hielten ihre Blicke regungslos auf mir und ich fühlte dieses verräterische Kribbeln aufsteigen.
Daniela, die mit mir im selben Wohncontainer untergebracht war, hatte als Erste die ungestüme Schroffheit und Gier der ausgehungerten Männer erfahren. Und wie sie eben so war, hatte sie es in vollen Zügen genossen. Mir waren sie allesamt zu wild und deshalb hielt ich Abstand, beobachtete sie aus der Ferne. Und dabei war mir dieser schüchterne Junge aufgefallen, der sich so gekonnt jedem Kontakt zu entziehen vermochte.
Josh schwieg noch immer. Er hielt den Lauf seines Sturmgewehrs gesenkt, die fast schon bedrohliche Abwehrhaltung mit dem Gewehr vor der Brust hatte er aufgegeben. Ich betrachtete das ausgewaschene Namensschild über der linken Brusttasche und den gelbschwarzen Wolfskopf der 27sten Infanteriebrigade auf seiner Schulter. Die feinen, dichten Härchen an den kräftigen Armen waren hell gebleicht und aus dieser geringen Entfernung konnte man sogar all die winzigen Narben und Flecken auf tief gebräunter Haut erkennen.
Der scheue Abstand schmolz so leise und weich wie Wachs in der Sonne.
Ich konnte mich der einzelnen Bewegungen nicht mehr entsinnen, nur noch wie meine Wange sich an seinen samtweichen Hals schmiegte und er gleichzeitig mit einem sehnsüchtigen Seufzer die Arme um mich schloss. Er zitterte leicht, das an den Gurten herab baumelnde Sturmgewehr klopfte gleichmäßig, fast schon beruhigend gegen meine Seite. Unter dem rauen Uniformstoff fühlte sich der Körper fest und hart an, ein verwirrender Kontrast zu der weichen Haut an seinem Hals, seinem Gesicht, an den sehnigen Armen.
Zaghaft schob sich die Hand unter den Saum meiner Bluse. Ich nahm sie erst wahr, als er eine verwischte Linie an meinem Rückgrat hinauf zeichnete und dann dort verharrte, wo eigentlich die Schnalle meines BHs hätte sein sollen. Ein warmes Gefühl floss von da aus in meinen Magen, verschleierte mir den Blick – Lichtfunken und Zeltplane, Sand und Aluminium vermischten sich zu einem sanften, gestaltlosen Leuchten.
Wir standen lange so da, regten uns nicht. Jeder genoss nur die Nähe des anderen und versuchte die Wüste, all die Schmerzen und Angst um sich herum zu vergessen. Meine Hände ruhten auf seinem Rücken, eng an die warme Haut gedrückt. Tief unter der jetzt entspannten Muskulatur konnte ich den beruhigend gleichmäßigen Herzschlag spüren.

Schatten umhüllte uns, besänftigte die schmerzhaft sengende Hitze. Hüllte uns in ein weiches Tuch, durch das für einen winzigen Herzschlag nur Stille atmete.
"You are my Green Room..." wisperte seine heisere Stimme in diese Leere hinein und ich hielt den Atem zurück, als hätte ich Angst, sein Entweichen würde mich noch tiefer in das pulsierende Leuchten hinab stürzen lassen. Seidig und kühl an meinen Körper geschmiegte Haut übertrug ein leises Zittern, lies mein Herz vibrieren. Ein wohliger Schauder prickelte über meinen Rücken, intensivierte das Brennen der Sonnenglut. Schatten. Schimmer. Ein lustvolles Erbeben.
Langsam, langsam nur beruhigte sich der rasende Puls und eine tiefe, angenehm dunkle Entspannung saugte das pochende Licht in sich auf.
Mit seinem Schwinden fand ich mich im warmen Sand wieder, durch die notdürftig geflickte Zeltplane blinkten weiße Funken. Wie ein olivgrüner Himmel, mit vielen Handvoll winziger Sonnen geschmückt. Sie zeichneten helle Punkte auf gebräunte Haut, ihr Abbild tanzte mit deren stetigem Zittern, glitt über weiche, noch immer aufgerichtete Härchen.
Ich rollte mich ein wenig zur Seite und betrachtete den verschwitzten, von Lust und Erregung geröteten Körper neben mir, das Spiel der kräftigen Muskeln; während Josh nur ruhig im Sand lag und sein Atem immer leiser wurde.
Dann drückte er sich plötzlich hoch, mit der fließenden Bewegung einer Raubkatze, löste sich ganz von mir. Ich blieb liegen und genoss den Anblick des athletisch gebauten Mannes, der sich mit einer fast schon verschämten Handbewegung den anklebenden Sand von Schultern und Brust strich. Raue, vernarbte Hände auf sonnenverbrannter Haut.
Josh griff nach seinem Unterhemd, schüttelte es sorgfältig aus, entzog seinen attraktiven Oberkörper meinen sichtlich noch immer gierigen Blicken. Brauner Stoff auf brauner Haut. Wortlos zwängte er sich zurück in seine standardisierte Uniform, mit jedem Kleidungsstück rückte die Welt um mich herum etwas näher. Verbeulte Aluminiumkisten. Schlapp und reglos herabhängende Zeltplanen. Und dazwischen, noch immer nackt im allgegenwärtigen Sand liegend.. mein erschöpfter Körper. Das warme, glückliche Gefühl im Herzen blieb.
Der Soldat schnürte mit festen, routinierten Bewegungen seine gelben Wüstenstiefel, noch immer wortlos. Mit der schweren Kevlarweste und den Knieschonern sah er nicht mehr jung und unbeholfen aus - eher gedrungen, breitschultrig. Fast schon roboterhaft.
Nur das Gesicht blieb jung, weich, auf eine anziehende Art verträumt. Und der warme Schimmer in den rauchblauen, von dunkleren Partikeln gesprenkelten Augen, der blieb auch.
"Hey..", sagte ich leise und Josh hielt unvermittelt inne, das Sturmgewehr im Arm. Dann kniete er sich neben mir nieder, nahm meine Hand. Seine aufgesprungenen Lippen strichen darüber, verharrten auf ihr. Tränen glitzerten in den sonst so ernsten, unnahbaren Augen. "Sorry... I'm so sorry..."
Ich schloss meine Lider, presste sie fest zusammen. Hoffte damit, diesen Moment noch ein wenig länger halten zu können. Diesen Moment, und diesen Mann. Wollte ihn fragen, was "Green Room" bedeute. Wollte ihn noch ein wenig länger bei mir haben. Nur ein wenig.
Schwere Tritte entfernten sich, versandeten irgendwo im Nichts. Nur die Lichtfunken blieben. Auf dem Sand. Auf meiner zerknäulten Kleidung. Auf mir.

Vielleicht verabscheute er lange Abschiede genauso wie ich. Vielleicht hatte er aber auch geahnt, dass nach diesem süß schmeckenden Tag kein weiterer Morgen mehr folgen sollte. Zumindest nicht für uns.
Die Sonne hielt sich noch hinter dem Horizont versteckt, bläulicher Schimmer zeichnete Konturen in das tiefe, undurchdringliche Nachtschwarz der Wüste. Wir verluden Kisten. Fluchend, übermüdet. Stotternde Motoren durchschnitten die Stille des Morgens, eine Staubwolke schwebte gleich Seidenschleiern in unbewegter Luft.
Scheinwerferlicht illuminierte sie, geisterhaftes Leuchten glomm aus den vielen Milliarden Sandpartikeln. Eine Wolke aus winzigen, silberblauen Funken.
Ich hielt inne, beobachtete die lange Kolonne von Hummvees. Gedimmtes, gelbliches Licht erhellte die Fahrerkabinen. Gelbgraue Silhouetten bewegten sich auf den Ladeflächen. Einer der Soldaten winkte mir zu. Eine gedrungene, roboterhafte Gestalt. Eine von vielen. Wortlos winkte ich zurück und Sergeant Pallentine verschwand wieder in dieser schimmernden Staubwolke, duckte sich hinter die mit Sandsäcken ausgelegte Seitenwand seines Fahrzeuges. Tiefes, ratterndes Motorendröhnen setzte sich noch eine ganze Weile fort, bis auch der letzte Hummvee in der beginnenden Morgendämmerung verschwunden war.
Green Room.
Die Wortkonstellation sollte mir nicht wieder aus dem Kopf gehen.
Tage verstrichen. Weiße, flirrende Tage.
Konvoys kamen und gingen, Schweiß trocknete auf unserer Kleidung, in unseren Haaren. Niemand winkte mir von der Ladefläche aus zu, als die dick mit Staub bedeckten Hummvees sich durch hartgepressten Lehm zurück ins Lager quälten. Niemand stand auf. Niemand lachte. Gelbgraue Gestalten verharrten auf der Ladefläche und starrten vor sich hin, die Sturmgewehre auf dem Schoß.
Unsere Tage flossen weiter. Unaufhaltsam.
Oft saß ich auf einer der fast unerträglich heißen Aluminiumkisten und zählte Lichtpunkte, obwohl sich mir jeder einzelne schon längst unauslöschbar ins Gedächtnis eingebrannt hatte. Zählte sie immer wieder von neuem. Lauschte den Stiefeln im heißen Sand.
"I'm so sorry..."
Der Amerikaner biss sich auf die spröden Lippen. Seine Blicke hafteten irgendwo am Sand zu meinen Füßen. Stummes Flehen lag in den scharfen, rauen Gesichtszügen, Flehen darum nicht weiter zu fragen. Ich wollte nur eine Frage beantwortet haben. Aber er wandte sich mit traurigem Kopfschütteln ab und ging einfach fort.
Green Room.
Es sollte lange dauern, bis mir jemand eine Antwort geben wollte.
Länger als der Staub auf meinem Kittel und zwischen meinen Zähnen blieb. Farben und Regen und Kühle kehrte zurück, wuschen den Staub ab. Aber die Frage konnte mir niemand aus dem Gedächtnis waschen.
Ich fand einen Grünen Raum in einem netten, kleinen Motel irgendwo in Florida. Ich hörte einen Zirkusartigsten davon sprechen, sich in seinem Green Room auf den Auftritt vorzubereiten.
Aber eine Antwort fand ich erst, als die Erinnerung an Weiß, Staubgrau und diese großen, rauchblauen Augen schon langsam verblassen wollte.


Irgendwo in Kalifornien, an diesem überfüllten Strand. Als ich mit einem dieser tief gebräunten Surfer an der Strandbar stand und mir erklären lies, wie man in einem Wellentunnel reitet – in einem Sog aus Wasser, aus Lärm und Adrenalin... in einem süchtig machenden Wirbel aus der Gewalt des Ozeans und dem menschlichen Überlebenswillen, der eine in der Seele gut verborgene Türe öffnet: der Durchschlupf in den Green Room... eine Türe, die jeder für sich allein finden muss und die manchmal über Leben und Tod entscheiden kann.
Die dunklen Augen zwinkerten mir schelmisch zu. Aber für einen leisen Moment starrten sie ins Leere und ganz tief in ihnen schien etwas aufzuglimmen. Eine alte, sicher schon verblassende Erinnerung.
Und als ich das Tattoo mit dem Emblem der 27sten Infanteriebrigade auf seinem Oberarm wahrnahm, wusste ich, dass Josh nicht hätte sterben müssen.


© by Armalite
"Dogshit Mountain" June-08,2006 .

 

Hallo Armalite,

den Aufbau der Geschichte finde ich wirklich prima. Deine Prot. befindet sich im Urlaubsparadies - alles könnte super sein, ist es auch irgendwie.
Aber dann wird sie wieder von ihrer Erinnerung eingeholt - Kleinigkeiten genügen und sie befindet sich wieder in der Vergangenheit.
Schließlich der Schwenk direkt in die Vergangenheit -> hier hätte ich persönlich wohl das Präsens bevorzugt, damit man sich als Leser noch direkter im Geschehen befindet. Die Szene bietet sich dafür an, finde ich. Allerdings ist das nur Geschmackssache.
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass noch früher klar wird, wo sich deine Protagonistin befindet. Vielleicht indem du einfach ein "Irak" über die kursive Szene setzt. Mich hat das irgendwie irritiert und zuerst hab ich mir einen völlig anderen Schauplatz vorgestellt.
Ja, die Liebesszene ist zart geschrieben und das auch gut zu dieser Geschichte gepasst, vor allem charakterisiert sie auch irgendwie deine Protagonisten - das sagt ja einiges über sie aus, dass sie nicht einfach wild übereinander herfallen.
Den letzten Satz habe ich nicht ganz verstanden, ehrlich gesagt. Dient er nur der Information, dass Josh tot ist? Wenn ja, so würde ich auf ihn verzichten. Dass wird ja aus dem Zusammenhang klar.
Aber was meinst du damit, dass er nicht hätte sterben müssen? Dass er seinen "Green Room" nicht gefunden hat?

Stilistisch ist mir aufgefallen, dass du sehr viele Adjektive verwendest. Das wirkt manchmal etwas überladen und manche Szenen würden meines Erachtens stärker wirken, wenn du dich in dieser Hinsicht etwas zurücknimmst.
Sehr gerne gelesen.

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo Armalite,

Ich kann mich hinsichtlich deines Stils Bella nicht anschließen. Denn du schreibst echt hervorragend. Du bist stilsicher und schwankst nicht in einen modernen schlichten Stil über. Das hat mir sehr gefallen. Und gerade Romantik-Geschichten, so finde ich, brauchen diesen, mit Adjektiven aufgepumpten, Schreibstil.
Vom Inhalt her, fand ich den Irak-Schauplatz sehr gut gewählt. Dieser Ort hat schon im Voraus etwas dramatisches an sich.

Das Ende allerdings hab ich jetzt, genau wie Bella, auch nicht verstanden. Sieht sie ihn jetzt wieder oder ist er tot und sie sieht nur jemanden, der das gleiche Tatoo hat oder wie oder wer oder watt?

Aber trotzdem, eine sehr schöne, anrührende Geschichte. Gerne gelesen.

Gruß
Bantam

 

Huuuhu ihr beiden!

Erstmal vielen Dank für die schnellen Kritiken - und ohhhh, :shy: *knallrotanlauf* ehrlich gesagt war ich jetzt nicht auf die positiven Inhalte vorbereitet. Mit der Geschichte lag irgendwie eine chronische Unzufriedenheit bei, darum habe ich mich auch lange nicht so recht getraut, sie zu hier preiszugeben.

Wegen dem Päsens - irgendwie kam ich damit etwas in Konflikte, dass die Prot sich auch während der Flashbacks recht wohl darüber bewusst war, alte Erinnerungen zu betrachten.
Es gibt ja auch die Flashbacks, bei denen man plötzlich und mit allen Sinnen in diese meist schrecklichen Erinnerungen zurück geworfen wird - und von denen wollte ich mich irgendwie distanzieren.

Die relativ späte Standortbenennung liegt vielleicht daran, dass ich Leser lieber unvoreingenommen an Bilder heranführe.
Bin mir jetzt etwas unsicher. Ist das gut oder schlecht bei Geschichten?
Mir war so, als wenn ich nun mit "Irak, Bagdad im Jahre... etc" als Einwurf den Flashback begonnen hätte, so ziemlich jeder erstmal die Bilder aus den Medien am inneren Auge vorbeirauschen gehabt hätte, anstelle die durchaus etwas "anderen" Bilder auf sich wirken zu lassen.

Ahrg. Dass der Schuss eventuell etwas missverständlich rüberkommt, habe ich schon befürchtet.
Mit dem letzten Satz soll die Prot nach all den sanften Erinnerungen einen fiesen Realitätsschub bekommen (im Grunde genommen hat sie ja nirgendwo direkt ausgesprochen, dass Josh gestorben sein könnte). Da sucht sie so lange nach der Bedeutung für die Worte, die er ihr da so zuhaucht, und im Grunde genommen hat er ihr nur gesagt, dass er sich mit der Hingabe an sie selbst umbringt.
Das kann ihr aber auch nur jemand so deutlich machen, der beides erlebt hat - auch wenn der vielleicht nicht genau weiß, was hinter der Frage steckt.
Nicht nur der Surfer befindet sich während dem Wellenritt in einem Moment der höchsten Konzentration und muss völlig für diesen Moment leben, um da heil raus zu kommen - auch dem Soldaten geht es so im Gefecht, und wer weiß, vielleicht ist die scheue Zurückhaltung von Josh nur eine Art Selbstschutz gewesen, weil er sich dessen von Anfang an bewusst war? ;)


Mhhhhh!

Bella, könntest du vielleicht und eventuell an einem direkten Beispiel festmachen, wie es mit weniger Adjektiven noch besser wirkt?
Eigentlich wollte ich ja zuerst eine KG für Horror abschließen. Da ich mir meines Adjektiv-Wahns durch vorherige Kritiken aber bewusst bin, erschien mir die Romantikrubik passender, bis ich vielleicht endlich mal eine vertretbare Linie finde. Hatte hier schon viel reduziert, und irgendwie komme ich jetzt echt auf keinen grünen Zweig mehr.
Wär deshalb echt super, wenn du mir ein Beispiel bringen könntest. Möchte schließlich auch irgendwann demnächst auch mal wieder etwas mehr Blut fließen lassen.. *kicher*

Danke nochmal. An Beide.


mfg,
H21

 

Hallo Armalite,

um erst einmal zu den Adjektiven zu kommen, habe ich mir jetzt mal einen Absatz herausgegriffen:

Schrille, farbenfrohe Bilder. So hatte ich die letzten Jahre in Erinnerung und diese Bilder wichen einer verblassten, staubigen Leinwand. Verblassten sogar selbst und nach Tagen, Wochen gab es um mich herum nur noch weißlichen Sand und weißlichen Himmel und gleißend helles Sonnenlicht.
Wir fuhren oft hinaus. Weiß wurde zu staubgrau und von ockerfarbenen Lehmhütten bröckelte Schmutz. Selbst die dünnen, gebleichten Hemden fühlten sich unter der erbarmungslosen Sonne an wie Winterkittel, ich glaubte manchmal sogar die Konturen des großen, roten Kreuzes in meinen Rücken einbrennen zu fühlen. Dabei war es doch nicht mal schwarz.
Vor einem Jahr noch hatte die Welt aus saftigem Grün und Gewitterwolken am Himmel bestanden. Weiß war nur das Papier des Abschlusszeugnisses gewesen und ebenso das unbeschriebene Blatt in meinem Kopf, auf dem ich mit unsicherer Hand einen Lageplan zu zeichnen begann, einen Lageplan für nichts weniger als meine eigene Zukunft.

Du siehst wie viel ich hier markiert habe. Kann sein, dass ich sogar noch das eine oder andere übersehen habe.
Das wirkt einfach überladen, als hätte man eine riesige, süße Sahnetorte gegessen - die schmeckt nicht unbedingt schlecht, aber danach hat man erst einmal genug davon.
Was du - meiner Meinung nach - unbedingt vermeiden solltest sind solle gedoppelten Adjektive wie z. B. in meinem Beispiel bei "dünnen, gebleichten Hemden" oder der "verblassten, staubigen Leinwand".
Manchmal habe ich den Eindruck, dass du so viele Adjektive verwendest, weil du dem Leser nicht zutraust sich selbst ein Bild oder eine Sache vorstellen zu können. Ein Beispiel in diesem Fall wäre die erbarmungslose Sonne - ich denke, dass den meisten Lesern klar sein dürfte, dass die Sonne im Irak ganz schön heftig sein dürfte.
Vielleicht solltest du wirklich Adjektiv für Adjektiv prüfen und ich fragen, ob das wirklich wichtig ist. Und manchmal solltest du dem Leser einfach ein bisschen mehr zutrauen.
Diesen Absatz habe ich jetzt übrigens nicht speziell ausgewählt, er war einfach der erste, der mir in die Hände geraten ist.

Deine Entscheidung bzgl. Präsens bzw. Nicht-Präsens verstehe ich natürlich. Das war ja auch nur so ein Gedanke von mir. Ich persönlich hätte vermutlich in der Gegenwartsform geschrieben, aber das ist ja wirklich Geschmackssache.

Aber was den Schlusssatz angeht, so bin ich jetzt noch verwirrter - ich dachte irgendwie der GreenRoom wäre etwas positives. Irgendein "Ort" in dem man quasi noch halt findet. *verwirrt*
Könntest du mir das jetzt bitte nochmal erklären. Was genau ist dieser GreenRoom? Sorry, dass ich mich jetzt so dämlich anstelle, aber ich raff es gerade wirklich nicht.

Lieben Gruß, Bella

 

Huuhu, Bella!

Mit den Adjektiven muss ich wirklich mal nachdenken. Allerdings weniger bei dieser Geschichte als wie bei der folgenden (ein bisschen geht es mir wie Bantam, mir sind aufgepumpte Geschichten bei Romantik lieber, weil es da ja wesentlich weniger bloße Handlung zu beschreiben gibt).
Kann das aber nachvollziehen, wobei mir speziell diese Geschichte fürchterlich "leer" vorkommt, nimmt man die einfach so raus. Grad weil viele dieser Adjektive dazu dienen, Kontraste deutlicher zu zeichnen, als man sie an sich wahrnimmt.

Wobei ich das "große, rote Kreuz" wirklich korrigieren muss. Das ätzt.


Naja, zu dem Schluss:

Der "Green Room" ist eigentlich nicht wirklich positiv, sondern genau dieser Zustand, den Adrenalinjunkies in Extremsportarten immer wieder suchen und den beispielsweise Soldaten durch die Art ihrer Arbeit immer wieder erleben müssen - und vor allem, überleben müssen.
Jetzt stell dir mal vor, da geht ein Soldat in den Einsatz, der sich nicht zu 120% auf seine vor ihm liegende Aufgabe konzentrieren kann, weil er sich grad am selben Tag das erste Mal im Leben so vollends einer Frau hingeben hat, dass es plötzlich den selben Stellenwert hat wie das, was er sonst nur im Gefecht erlebt.
Die Überlebenschancen sind dann gleich null, vor allem in einem Einsatzgebiet wie dem Irak.
Und so junge Kerle kriegen das nicht immer gebacken, einfach den Kopf auszuschalten.
Leider passiert das auch oft genug im realen Leben..

Hoffentlich ist es jetzt ein wenig klarer.


mfg,
H21

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom