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Großinvestorin
Ich hatte kürzlich Gelegenheit für unsere Zeitung die bekannte Großinvestorin Frau von … zu interviewen. Wir schlenderten eine belebte Straße entlang, und ich sagte zu ihr. „Vielen Dank, dass sie sich zum Interview bereitfinden. Was ist der Grund?“
Sie darauf:
„Ich scheine in einem bestimmten Forum bei jemandem den Eindruck erweckt zu haben, eine, auf gut deutsch gesagt, arme Schluckerin zu sein. So möchte ich auf diesem Wege manches geraderücken. Wenn ich seine Adresse rauskriege, kauf ich sein Haus auf und verdopple die Miete. Und zwar jedes Jahr. Für mich arbeitet eine Anwaltskanzlei in New York. Der Urgroßvater des Begründers ist in die Analen eingegangen, weil es ihm gelungen ist, eine Mafiagröße freizukriegen, obwohl 30 Augenzeugen bei dem Mord danebenstanden.“
Ich: „Man behauptet, sie als Großinvestorin hatten auch ihre Finger im Spiel beim Abriss der Habersaathstraße* in Mitte. Das ist das von Aktivisten für Obdachlose besetztes Haus.“
Frau von … antwortet darauf:
„Das Haus habe ich plattmachen lassen. Jetzt bildeten sich alle ein, ich errichte an derselben Stelle in bester Wohnlage ein neues mit teuren Eigentumswohnungen. Da habe ich euch alle an der Nase rumgeführt. Ich ließ stattdessen den Platz asphaltieren. In dessen Mitte steht eine hohe Säule. Oben befindet sich eine Figur aus massivem Gold. Ihr Gesicht ist meinem nachempfunden. Diese Statue hat mittlerweile Kultstatus. Neben der Goldelse auf der Siegessäule gehört die Goldfrieda jetzt zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt und Busse mit Besuchern halten dort.“
Ich:
„Und die Figur ist wirklich aus massivem Gold?“
Frau von …
„Na, klar. Ich bin aber nicht so dumm, dass ich sie mir stehlen lasse, wie es mit der 100 kg Goldmünze im Bodemuseum geschah. Dort oben kommt man bloß mit dem Hubschrauber rauf. Kein noch so geschicktes Clanmitglied kann die Säule erklimmen. Und wenn sie es mit dem Helikopter versuchen, hört man es meilenweit.
Vielleicht ist mal jemand zum Ersten Mai in Kreuzberg gewesen, wenn die Hubschrauber da unterwegs sind. Da fliegen einem die Trommelfelle raus. Ne, wegen der goldenen Statue mache ich mir gar keine Sorgen.“
Ich:
„Die Leute aus dem Viertel dachten ja auch, dass sie aus der Umgebung der Säule einen grünen Platz machen würden. Stattdessen haben sie alles pflastern lassen.“
Interviewpartnerin
Ja, und ich lege Wert darauf, dass über jeden Grashalm, der sich frech zwischen den Platten durchwagt, sofort Wegerain gekippt wird. Das Gelände ist umzäunt und wird abends abgeschlossen.
Ich
„Die Figur hielt ursprünglich eine Kugel in der Hand ihres erhobenen Arms. Jetzt nur noch eine Halbkugel.“
Großinvestorin
Die obere der beiden Halbkugeln, die wohl nicht fest genug miteinander verbunden waren, löste sich während eines Sturms und fiel runter. In die verbleibende Hälfte nistete sich ein Storchenpärchen ein.
Sofort wollte ich es entfernen lassen. Aber meine Sekretärin riet mir ab. „Schauen sie mal in die Nachrichten. Auf allen Sendern wird über die Störche berichtet. Von den umliegenden Häusern sind Kameras auf das Nest gerichtet. Das ist die beste Werbung für unsere Firma. Das gibt uns einen grünen Anstrich.“ Und dann ergänzt Frau von... noch: „Und seit die Störche dort oben nisten, sind die auch die Rufe nach Abriss der Säule verstummt.“
Ich fragte:
„Was sollte denn die Kugel, die deine, denn wir waren inzwischen beim Du, aber ich verwende trotzdem weiterhin das Sie, Statue in der Hand hält, eigentlich symbolisieren?“.
Frau von …
„Nicht mehr und nicht weniger als die Erdkugel, antwortet mir bescheiden die Großinvestorin. Ich habe mich von der Freiheitsstatue und von der von Galileo Galilei, die Fritz Cremer gemacht hat, inspirieren lassen.“
Ich fragte sie:
„Wie kommen sie eigentlich zu ihrem Beruf Frau von …? Das Großinvestorische ist ihnen, die aus der DDR stammt, bestimmt nicht in die Wiege gelegt worden.“
Sie antwortete:
„Das können sie laut sagen. Ich habe klein anfangen. Von meiner Tätigkeit als Paketsortiererin auf dem Ostbahnhof existieren Fotos auf unserer Webseite. Ebenfalls Fotos davon, wie ich durch das Portal des Sozialamtes am Bersarinplatz schreite.“
Reporter
„Was gab den Ausschlag für den plötzlichen Wechsel in ihrer Situation. Auf ihrer Webseite steht, dass das Jobcenter ihnen einen IT-Kurs finanzierte, wobei sie Interesse am Handel mit Immobilien entwickelten und heute achtzehn Wohnhäuser besitzen. Was das für ein Kurs war, wollen jetzt bestimmt viele wissen.“
Frau von …
„Ich gebe zu, diese Darstellung ist etwas geschönt. Für die achtzehn Häuser musste ich schon meine weiblichen Reize in die Waagschale werfen. Ich erlernte eigentlich bei der Maßnahme vom Jobcenter nur, wie man Schreiben am Computer abfasst. Deshalb meldete ich mich auf eine Annonce, bei der jemand gesucht wurde, der die Memoiren eines älteren Herrn nach Diktat in den Computer tippt. Jeden Tag für zwei Stunden. Bald wurden er, der gerade seine siebte Scheidung hinter sich hatte, und ich ein Paar.
Unsere Herzen fanden ausgerechnet zu dem Zeitpunkt zusammen, als er mir ins Laptop diktierte: „Als die Mannschaften im Sport gewählt wurden, stand ich immer noch als Letzter in der Reihe.“ Da konnte ich es mir nicht verkneifen, auszurufen: „Genauso ging es mir doch auch“. Sofort stellte sich ein Band zwischen uns her, aus dem mehr wurde. So wurde ich, Frieda Kreuz, Frau von ...“
Reporter
„Stimmt es das sie 41 waren und ihr Mann 89, als sie sich verliebten?“
Frau von …
„Sie brauchen das Wort gar nicht so spöttisch auszusprechen. Wir liebten uns nämlich wirklich. Als er mit 95 von mir ging, habe ich sehr getrauert.“ „Du bist aus meinem Schrott und Korn gemacht, Mädel“, sagte er öfter zu mir, denn er, der fast ein halbes Jahrhundert älter war als ich, bezeichnete mich immer als Mädchen.
Er vererbte mir auch sechzehn von seinen siebenundzwanzig Häusern, eigentlich achtzehn, weil es mir gelang seinem spielsüchtigem Urenkel zwei Häuser für `nen Appel und `nen Ei abzukaufen.
Heute lebt er in der Karibik, auf einer Insel, die er sich gekauft hat. Inzwischen ist er von seiner Sucht geheilt, und wir beide planen, seine und die umliegenden Inseln in ein Urlauberparadies zu verwandeln. Die Lemuren und die Riesenschmetterlinge, und was da so alles fleucht und kreucht, sollen sich warm anziehen. Jetzt kommen wir. Die Start-und Landebahn für unseren geplanten Flughafen braucht Platz.“
Wir gehen an einem Mann vorbei, der auf der Straße sitzt. Die Großinvestorin wirft eine fünfzig Euro-Schein in seinen Hut. Ihre Sekretärin, die hinter uns geht, filmt alles. „Das Foto ist für unsere Webseite“, sagt sie. Was mich verwundert, ist, dass sie zurückgeht, und den fünfzig Euro-Schein mit einem Zehner vertauscht. „Wir haben das mit dem Herrn so abgemacht und noch eine Flasche Wodka draufgelegt“, sagt sie. Frieda, die Großinvestorin nimmt ihrer Sekretärin den Fünfzig-Euro-Schein wieder aus der Hand und legt ihn in den Hut zurück. " Was soll´s. Ich habe gerade die Nachricht aufs Handy bekommen, dass es uns gelungen ist, aus einer Konkursmasse noch ein neunzehntes Haus zu kaufen. Außerdem habe ich gegenüber diesem Herrn ein schlechtes Gewissen."
Die Großinvestorin zu mir: Wenn er wüsste, dass er auf der Straße ist, weil ich sein früheres Haus aufgekauft habe. Wir versuchten alles, um die alten Mieter loszuwerden. Einer meiner Rechtsverdreher entdeckte irgendeine Kleinigkeit, die gegen ihn vorlag. Ich kann ihnen hier gar nicht im Einzelnen sagen, was das war.
Das bauschten wir auf, und raus war er, der mit dem Juristendeutsch nicht klarkam. Danach lebte er eine Weile auf der Straße, und jetzt hat er wieder eine bescheidenen Wohnung in einem Haus, das der Kirche gehört. Er weiß aber nicht, dass ich schon meine Fühler nach diesem Haus ausgestreckt habe. Bald gehört es mir, und die Leute sind wieder draußen.
Reporter: „Ich wünsche noch viel Glück bei ihrem großinquisitorischen, Entschuldigung, ich habe mich versprochen, großinvestorischen Treiben.“
*Das Haus steht immer noch.