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Großreinemachen
Heute ist Großreinemachen. Handschuhe übergestülpt, Putzlappen und Eimer geschnappt und hinauf ins Dachgeschoss. Es ist September und draußen wechseln Regen und Wind sich ab wie die Blätter ihre Farbe. Aber als ich die Tür zum Dachboden öffne, schwemmt mir dieser vertraute Geruch entgegen. Er riecht noch immer so wie damals. Unser Dachboden. Als er noch nicht ausgebaut und Platz war für eine Kinderschaukel und hinter jeder Ecke Gefahren lauerten – Mäuse und Spinnweben. Was haben wir auf dem Boden herum geturnt. Manchmal kamen die Nachbarskinder und wir haben Hörspiele aufgenommen und mit Anne hab ich eine Band gegründet. Lieder mit Titeln wie "Zittremmidi". Beim Abendbrot haben wir die Kassetten dann immer mit voller Lautstärke vorgespielt und waren begeistert.
Tief durchatmen. Ich kratze mir am Kopf und schaue auf die eng gestellten Schränke und Kisten im dämmrigen Licht. Es raschelt. Eine Maus, denke ich und taste mich zum Lichtschalter. Geschafft. Ich atme auf.
Vor mir auf der grünen Truhe, in der ich früher in der alten Wohnung immer meine Puppensachen aufbewahrt habe, sitzt Donnie, das Känguruh. Hallo, sage ich, lange nicht gesehen. Meine Schuld war es ja wohl nicht, höre ich flapsig Donnie, das Känguruh sagen. Donnie, das Känguruh, mein Gott, das ist mindestens sieben Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Nicht, dass es nicht da war. Ja, ich weiß, was du sagen willst, es tut dir leid, dass du mich so lange nicht besucht hast, aber ständig an mich gedacht, da kann ich ganz sicher sein. Ist doch so, oder? Als ob Donnie, das Känguruh meine Gedanken gelesen hätte. Fast genauso gespenstisch wie damals durchbohrt es mich mit tiefschwarzen Känguruhaugen. Wo hast du gesteckt die ganze Zeit, ich sitze hier auf deiner grünen Puppenkiste und sehe die Jahre spurlos an mir vorbeiziehen. Frage mich, was du so treibst, wie es dir geht, ob du mich wirklich nicht brauchst.
Als du gegangen bist, hast du geschrien, obwohl die Tür mit lautem Knall zu war, musste ich mir meine Ohren zuhalten, hast du geschrien "Verpiss dich, du Scheißvieh, hau endlich ab! Ich brauche dich nicht, deine scheiß verdammt altklugen Ratschläge, dein kuschelweiches Känguruhfell! Lass mich verdammt nochmal in Frieden!" Da hab ich einen leisen, weinerlichen Unterron gehört damals, oder etwa nicht?
Donnie, das Känguruh hat mich wieder in seinem Bann. Sieben Jahre lang vermutete ich zwar hinter jeder zweiten grün bemalten Holzwand ein Känguruh, aber ich konnte sicher sein, dass mein Känguruh auf meinem Dachboden weinte und jammerte und meinen Verlust beklagte. Ich war der Sieger in unserer gescheiterten Beziehung. Und jetzt das. Fünf Sätze und mein Kinderfreund ist wieder so lebendig wie eh und je. Es kämpft in mir. Ich muss an die aufregenden Dinge denken, die wir miteinander erlebt haben.
Nein, jetzt fängt es an zu erzählen von den Kindertagen, in denen es oft nur Donnie, das Känguruh und mich gab. Alle wurden immer ganz schweigsam, wenn ich von Donnie erzählte, davon, was wir oben alles erlebt hatten. Manchmal ist Donnie auch mit mir in die Schule gekommen. Wenn wir es uns dann in einer schönen Ecke gemütlich gemacht hatten, konnte ich nie verstehen, dass die anderen Kinder nicht kamen. Wie ich immer Geschichten erzählt habe und weißt du noch, wie wir immer auf dem Hügel hinter dem Gashaus in den Grashalmen nach Marienkäfern und Mücken gefischt haben. Und im Bach tauchten wir nach goldenen Fischen. Du hast mir immer Himbeersirup auf dem kleinen Puppenlöffel gebracht, wenn ich schlechte Laune bekam. Donnie erzählt und erzählt und wir werden noch einmal miteinander erwachsen. So wie damals. Ganz aufgeregt warst du, oder, als du den Liebesbrief hochgebracht hast. Wir haben die Zeilen immer und immer wieder gelesen. Du hast mich gefragt, was ich denke über Paul und ob ihr auf dem Luftballonfest zusammen Eisessen gehen sollt. Ach, Donnies rollende Stimme und seine seichten Sätze. Die Hitze auf dem Dachboden, die Dichte der Erinnerung. Mir fallen die Augen zu und ich lehne mich an den Balken, an dem die Kinderschaukel hing. Donnie, das Känguruh wiegt mich in einen leichten, dösigen Schlummer.
Wir reisen wieder zusammen. Tauchen nach goldenen Fischen und gehen Kirschen pflücken auf blumig duftenden Wiesen. Jagen den Wind und fangen ihn mit unseren Händen ein. Meine geschlossene Faust halte ich Donnie, dem Känguruh vor die Nase: "Hier, riech mal, das ist unser Leben, eingefangen. Schön, oder ..."
"Paula ... hey ... hallo, mit wem redest du denn? Hier ist niemand. So richtig weit bist du noch nicht. Komm, ich helf dir, morgen kommen die Sperrmüllcontainer. Na, bist du bereit? Komm, hier ist ein Schluck Wasser, mein Gott, es ist aber wirklich schwül hier."
Donnie, das Känguruh winkt mir zwinkernd zu. Halb versteckt hinter der Grünen Puppenkiste. "Leb wohl!" sagen seine lachenden Lippen.