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Großreinemachen

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12.09.2004
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Großreinemachen

Heute ist Großreinemachen. Handschuhe übergestülpt, Putzlappen und Eimer geschnappt und hinauf ins Dachgeschoss. Es ist September und draußen wechseln Regen und Wind sich ab wie die Blätter ihre Farbe. Aber als ich die Tür zum Dachboden öffne, schwemmt mir dieser vertraute Geruch entgegen. Er riecht noch immer so wie damals. Unser Dachboden. Als er noch nicht ausgebaut und Platz war für eine Kinderschaukel und hinter jeder Ecke Gefahren lauerten – Mäuse und Spinnweben. Was haben wir auf dem Boden herum geturnt. Manchmal kamen die Nachbarskinder und wir haben Hörspiele aufgenommen und mit Anne hab ich eine Band gegründet. Lieder mit Titeln wie "Zittremmidi". Beim Abendbrot haben wir die Kassetten dann immer mit voller Lautstärke vorgespielt und waren begeistert.

Tief durchatmen. Ich kratze mir am Kopf und schaue auf die eng gestellten Schränke und Kisten im dämmrigen Licht. Es raschelt. Eine Maus, denke ich und taste mich zum Lichtschalter. Geschafft. Ich atme auf.
Vor mir auf der grünen Truhe, in der ich früher in der alten Wohnung immer meine Puppensachen aufbewahrt habe, sitzt Donnie, das Känguruh. Hallo, sage ich, lange nicht gesehen. Meine Schuld war es ja wohl nicht, höre ich flapsig Donnie, das Känguruh sagen. Donnie, das Känguruh, mein Gott, das ist mindestens sieben Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Nicht, dass es nicht da war. Ja, ich weiß, was du sagen willst, es tut dir leid, dass du mich so lange nicht besucht hast, aber ständig an mich gedacht, da kann ich ganz sicher sein. Ist doch so, oder? Als ob Donnie, das Känguruh meine Gedanken gelesen hätte. Fast genauso gespenstisch wie damals durchbohrt es mich mit tiefschwarzen Känguruhaugen. Wo hast du gesteckt die ganze Zeit, ich sitze hier auf deiner grünen Puppenkiste und sehe die Jahre spurlos an mir vorbeiziehen. Frage mich, was du so treibst, wie es dir geht, ob du mich wirklich nicht brauchst.
Als du gegangen bist, hast du geschrien, obwohl die Tür mit lautem Knall zu war, musste ich mir meine Ohren zuhalten, hast du geschrien "Verpiss dich, du Scheißvieh, hau endlich ab! Ich brauche dich nicht, deine scheiß verdammt altklugen Ratschläge, dein kuschelweiches Känguruhfell! Lass mich verdammt nochmal in Frieden!" Da hab ich einen leisen, weinerlichen Unterron gehört damals, oder etwa nicht?
Donnie, das Känguruh hat mich wieder in seinem Bann. Sieben Jahre lang vermutete ich zwar hinter jeder zweiten grün bemalten Holzwand ein Känguruh, aber ich konnte sicher sein, dass mein Känguruh auf meinem Dachboden weinte und jammerte und meinen Verlust beklagte. Ich war der Sieger in unserer gescheiterten Beziehung. Und jetzt das. Fünf Sätze und mein Kinderfreund ist wieder so lebendig wie eh und je. Es kämpft in mir. Ich muss an die aufregenden Dinge denken, die wir miteinander erlebt haben.

Nein, jetzt fängt es an zu erzählen von den Kindertagen, in denen es oft nur Donnie, das Känguruh und mich gab. Alle wurden immer ganz schweigsam, wenn ich von Donnie erzählte, davon, was wir oben alles erlebt hatten. Manchmal ist Donnie auch mit mir in die Schule gekommen. Wenn wir es uns dann in einer schönen Ecke gemütlich gemacht hatten, konnte ich nie verstehen, dass die anderen Kinder nicht kamen. Wie ich immer Geschichten erzählt habe und weißt du noch, wie wir immer auf dem Hügel hinter dem Gashaus in den Grashalmen nach Marienkäfern und Mücken gefischt haben. Und im Bach tauchten wir nach goldenen Fischen. Du hast mir immer Himbeersirup auf dem kleinen Puppenlöffel gebracht, wenn ich schlechte Laune bekam. Donnie erzählt und erzählt und wir werden noch einmal miteinander erwachsen. So wie damals. Ganz aufgeregt warst du, oder, als du den Liebesbrief hochgebracht hast. Wir haben die Zeilen immer und immer wieder gelesen. Du hast mich gefragt, was ich denke über Paul und ob ihr auf dem Luftballonfest zusammen Eisessen gehen sollt. Ach, Donnies rollende Stimme und seine seichten Sätze. Die Hitze auf dem Dachboden, die Dichte der Erinnerung. Mir fallen die Augen zu und ich lehne mich an den Balken, an dem die Kinderschaukel hing. Donnie, das Känguruh wiegt mich in einen leichten, dösigen Schlummer.

Wir reisen wieder zusammen. Tauchen nach goldenen Fischen und gehen Kirschen pflücken auf blumig duftenden Wiesen. Jagen den Wind und fangen ihn mit unseren Händen ein. Meine geschlossene Faust halte ich Donnie, dem Känguruh vor die Nase: "Hier, riech mal, das ist unser Leben, eingefangen. Schön, oder ..."

"Paula ... hey ... hallo, mit wem redest du denn? Hier ist niemand. So richtig weit bist du noch nicht. Komm, ich helf dir, morgen kommen die Sperrmüllcontainer. Na, bist du bereit? Komm, hier ist ein Schluck Wasser, mein Gott, es ist aber wirklich schwül hier."
Donnie, das Känguruh winkt mir zwinkernd zu. Halb versteckt hinter der Grünen Puppenkiste. "Leb wohl!" sagen seine lachenden Lippen.

 

Hallo Zazie

... und willkommen auf KG.de :)

Mein erster optischer Eindruck von deinem Text war: Boah, was fürn monolithischer Block!
Da musst du unbedingt Absätze und Freizeilen einbauen (hinter Sinnabschnitten), weil sich das sonst am Bildschirm echt bescheuert liest.
Das nur mal als kleinen Editiertipp :D

Jetzt zum Inhalt:
Ich bin erfreut zu sehen, dass ein so junges hiesiges Mitglied bereits einen so ausgefeilten Schreibstil an den Tag legt. Großes Lob. Vermutlich ist das nicht deine erste Schreiberfahrung, nur deine erste mit diesem Forum hier, vermute ich mal.

In einer scheinbar ganz alltäglichen Haushaltssituation verfällt dein Prot beim Anblick alter Jugendsrelikte den Erinnerungen an ihre Kindheitstage. Sehr emotional und einfühlsam betrachtest du die ganze Szene, wobei es immer erfrischend kitschfrei und unschwülstig bleibt (ein Fehler der leider recht offt begangen wird, wie ich finde).
Das ganze steigert sich noch, als sich dein Prot plötzlich in einem Gespräch mit einem alten Stofftier wiederfindet.

Ab da schlägt meines Erachtens nach die Stimmung sogar ein wenig um. Mir wird fast unheimlich zumute, wenn das Kanguru, dem Kind vorwirft, es nicht besucht zu haben. Die eingestreute und nicht weiter erklärte Rückblende an ihren letztes gemeinsames Gespräch verstärkt diesen Effekt sogar noch. Ich als Leser muss mich plötzlich fragen, was da passiert sein könnte, das die Reaktion des Kindes begründet.

Ich bekomme weiter eine Ahnung, wenn auch die Umgebung des Kindes mit seinem innig geliebten Kanguru scheinbar unschuldig naiv näher erläutert wird. Die Menschen um sie herum hatten offensichtlich ähnlich unheimliche Gefühle.

Und schlagartig löst du die ganze Atmosphäre auf: Jemand kommt herein und unterbricht die Wiedervereinigung des Prots mit ihrem Stofftier und alles ist zu Ende.

Ich hab mich an der Stelle etwas fragend zurückgelassen gefühlt. Was war nun so außergewöhnlich an dieser Kind-Spielzeug-beziehung, dass alle um sie herum komisch angeguckt haben? Was war geschehen, dass sie sich so plötzlich aufgelöst hat? Usw.
Aber es ist dein gutes Recht, diese Dinge nicht zu klären, wenn du nicht willst.

Insgesamt, hat mir die Geschichte aufgrund ihrer atmosphärischen Dichte und dem angenehmen Stil recht gut gefallen. Ich freue mich schon auf weitere Werke von Dir :)


mfg
Hagen

 

Hallo Hagen,

da bedanke ich mich doch einmal ganz brav. Für dein Lob und deine Hinweise.

Scheint ein Fimmel von mir zu sein - riesen monolithische Blöcke zu fabrizieren, denn, ja, das ist nicht meine "Erste".

Mmh, Donnie. Ich war/bin mir unsicher, ob es ein Stofftier ist, was, ich weiß, "kuschelweiches Känguruhfell" andeuten kann. Ich glaube, es geht beides. Also auch die Variante des Hirngespinstes von Paula. Das würde, meine ich wohl auch eher die Reaktionen des Umfelds erklären. Donnie und Paula sind, in welcher physisch/psychischen Form auch immer, herangewachsen, als ein Paar, was die intimen, schönen, seltsamen Dinge tun konnte, von denen erzählt wird. Donnie hat beim aus den Kinderschuhen-Herauswachsen zugeschaut und mitgemacht. Irgendwann ist Paula so "erwachsen" geworden, dass sie Donnie nicht mehr brauchte. Als sie es wiedertrifft (als Erwachsene, auf dem Dachboden, der mir da schon wichtig erscheint), denkt sie an ihre Kindheit zurück. Aber ihr altes Leben ist nicht mehr da - sie ist erwachsen, hat eine eigene Familie, kann Abschied nehmen, was Donnie weiß - "Jetzt ist sie soweit, ich kann gehen"

Mmh, hoffentlich hab ich jetzt nicht zuviel erklärt.

Ja, danke, Hagen, vielleicht kannst du manches besser verstehen.

Dann werd ich mal an weiteren Werken basteln :)
Zazie

 

Hallo Zazie

Du hast einen wunderschönen Schreibstil. :)
Deine Geschichte hat mich in ihren Bann gezogen.
Alles in Deiner Geschichte wirkt so echt, als würde ich als stummer Zeuge irgendwo auf dem Dachboden sitzen und unerlaubter Weise die beiden beobachten und belauschen.
Über eines bin ich mir noch nicht im Klaren: Ob es Donnie wirklich gibt.
Hat mir sehr gefallen und freue mich auf weitere Geschichten aus Deiner Feder :thumbsup: .

Liebe Grüße, Susie

 

Danke Susie :),

da freu ich mich aber, dass dir meine Geschichte gefallen hat.

Mmh, ich glaube, dass Donnie nur ein "Kopftier" ist. Oben habe ich ja versucht, das Hagen zu erklären. Letztlich überlasse ich aber doch gern dem Leser die Entscheidung und lasse ihm die Möglichkeit, seine eigene (mögliche) Erinnerung an einen Kinderfreund auf Donnie abzubilden. Wenn er denn mag :)

Danke, freu mich wirklich!

LG Zazie

 

Hallo Angua,
schön, das ist doch fein, dass es dir gefallen hat, nein wirklich, da kann ich mich im Großreinemachen-Thread kurz zurücklehnen :)
Danke, auch, dass du nochmla vorbeigekommen bist.
Zazie

 

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