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Großstadt

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14.11.2001
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Großstadt

15.50 Uhr. Ich komme zurueck von den Wochenendeinkaeufen, betrete unser Haus. Im Treppenhaus riecht es wieder nach einem extrem exotischen Essen, aber das nehme ich nur am Rande wahr, denn die zwei aelteren in unserem Hause wohnenden Damen liefern sich schon seit Monaten einen erbitterten Wettkampf, wer das intensiver riechende Mahl zubereiten kann. Bis heute war ich der Meinung, daß es unentschieden steht... Aber diese sueß-saure Fischzubereitung, die die Frau Krahe jetzt auf die Weltbevoelkerung loslaesst, scheint alles vorher Dagewesene zu toppen. Mit einem bitteren Schmunzeln auf den Lippen schliesse ich meine Wohnungstuer auf, stelle meine Einkaeufe auf den Eßtisch und fuettere den CD-Player mit etwas chilliger House-Musik. Anschließend erhitze ich etwas Margarine in einer Pfanne und platziere dort zehn saftige Captain Iglo Fischstäbchen.

Etwa acht Minuten später befindet sich mein ausgewogenes Mittagessen auf einem Teller just vor mir. Das Mahl moege beginnen, denke ich bei mir, als ich laute, fremde, aufgeregte Stimmen im Hausflur hoere. Neugierig stehe ich von meinem Ikea-Stuhl auf und gehe zur Wohnungstuer, um einen Blick durch den Spion zu werfen. Was ist das? o. ae. werde ich gedacht haben, als ein Mann in einem Taucheranzug inkl. Maske und Sauerstoffflasche die Treppe an meiner Tuer vorbei nach oben zuruecklegt. Zwei weitere Maenner im Handwerker-Blaumann folgen ihm. Draussen ertoent eine Polizeisirene. Durch das Fenster direkt neben meinem Bett kann ich feststellen, daß vor dem Haus ein Feuerwehr-Wagen und zwei Notaertzte versammelt sind. Und gerade haelt eine Polizeistreife. Ich oeffne das Fenster, um mein Blickfeld zu vergroessern. Dabei faellt mir auf, daß ein paar Schaulustige und manch ein Bewohner des gegenueber liegenden Hauses mich angaffen. Was wissen diese Leute, was ich nicht weiss? Da niemand Anstalten macht, mir irgendetwas mitzuteilen, verlasse ich meinen Fensterplatz und eile, meine Wohnungstuer zu öffnen.

Das haette ich mal besser gelassen. Mir stroemt ein Gestank entgegen, als waere der suess-saure Fisch persoenlich von den Toten auferstanden und zu mir geschwommen. Das Treppenhaus ist voller Sanitaeter, Feuerwehrleute und Zivis. Eine Polizistin blickt mich vorwurfsvoll an 'Wann haben Sie die Frau Krahe das letzte Mal gesehen?' Keine Ahnung. 'Und wie lange ist dieser extrem intensive Verwesungsgeruch in der Luft?' Die Blicke der Anwesenden bohren sich in mich. Ist Dir wohl absolut scheißegal, was mit der alten Frau da oben passiert, was? scheinen sie alle zu sagen. Ich antworte, dass ich den Geruch fuer ein missratenes Mittagessen gehalten habe. Dann muss ich lachen. Zugegeben etwas unpassend, aber ich habe so eine angeborene Eigenschaft, immer dann lachen zu muessen, wenn es am wenigsten angebracht ist. Zwar meine ich, auch auf den ernsten Gesichtszuegen eines Zivis ein kurzes Schmunzeln zu erkennen, aber ansonsten war da wohl niemand ausser mir, der das irgendwie komisch fand.

Seit zwei Stunden nun sitze ich hier in meiner Wohnung und traue mich nicht mehr, die Wohnungstuer aufzumachen. Ich halte alle Fenster und Tueren geoeffnet und trotzdem stinkt das auch in meinem Zimmer wie in der Gruft. Ich will nicht wissen, wie lange die arme Frau schon da oben gelegen hat...

Abschließend bietet sich mir noch ein sehr kontraeres, aber irgendwie auch versoehnliches Bild: An dem mittlerweile vor dem Haus wartenden Leichenwagen faehrt hupenderweise eine Hochzeitsgesellschaft vorbei.

 

Mahlzeit!

Ja, ist gut. So wie es eben ist. Auch die Sprache gefällt mir.

Heiko

 

Und die Moral von der Geschicht? Wir kümmern uns genug um unseren Nächsten nicht? Geht es da jetzt um Individuation und Anonymität. Dieses Loslachenmüssen wenn es absolut unangemessen ist kenne ich. Manche sagen, das wäre Hysterie. Die alte Frau in meinem Haus lebt aber noch und lässt mindestens zweimal in der Woche ihre Schlüssel außen an der Wohnungstür stecken. Insofern.
Der Schluss verzerrt den Text etwas.

 

ja, der schluß passt nicht zum rest der geschichte. das liegt daran, dass auch diese story (mit ausnahme des namens der verstorbenen) authentisch ist. ich hatte in erwaegung gezogen, die letzten zwei saetze wegzulassen, habe mich dann aber dagegen entschieden.

[Beitrag editiert von: Bender am 05.12.2001 um 17:42]

 

Dann schreibst Du wohl in erster Linie für Dich selbst, wenn Du die Textsorte zwischenrein wechseln lässt? Der Schluss gibt dem Ganzen einen tagebuchartigen Touch. Aber andererseits nicht uninteressant, zufällige Beobachtungen in Beziehung zueinander zu setzen. Wie wunderbar sind diese Wesen, die, was nicht deutbar, dennoch deuten, was nie geschrieben wurde, lesen.

 

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