Großstadterlebnisse. Ein Tag im Leben von A.
Eine zum schieren Aufspringen überladene Blase weckt meinen supersüßen Schlaf. Ohnehin wurde er in der letzten Stunde ständig davon seicht und peinlich berührt. Jetzt ist es aber nicht mehr zum aushalten und ich tipple langsam ins Bad ein Füßchen vor das andere. Die Wohnung gehört übrigens einem guten Freund. Wir kennen uns seit etwa acht Monaten. Haben uns damals im Internet auf einer der Börsen für Partner kennengelernt. Natürlich habe ich gleich nach dem ersten Treffen bei ihm geschlafen. Wenn ich jemanden mag, dann mach ich das. Er war aber viel zu liebevoll beim Sex. Auch bei den folgenden Malen. Das hat mir nicht so gut gefallen. Aber wir verstehen uns trotzdem super und kuscheln auch immer noch gern. Ist mir egal, was die Spießer denken. Außerdem ist das hier in der Großstadt auch egal. Die Leute sind viel toleranter als bei mir in der Provinz. Das ist auch einer der Gründe, warum ich da weg und etwas neues beginnen will. Bald passiert das. So viele Pläne schwirren in mir und müssen raus raus raus. Ich freue mich, endlich da weg zu kommen. Von den Leuten, die mich nicht verstehen. Nicht verstehen können mit ihren frisierten kleinbürgerlichen Köpfchen. Ich passe da einfach nicht hin. Hier sind meine Freunde. Meine Welt. Die Partys. Die Clubs. Die Bars. Die Männer. Die Freaks. DIE Stadt. Und ich im Moment mittendrin.
Das Gestern rauscht noch einmal an mir vorbei, als ich auf dem Töpfchen bin. Beim Muschiabtrocknen überkommt es mich und ich werde mir schnell den ersten Orgasmus des Tages verschaffen. Hmmmmm. Ich zucke hin und her und reibe hoch und runter. Die Ränder der Brille sind schön hart und kompromisslos. Niemand der nachgibt. Jemand der es mir richtig besorgt. Und der Punkt rückt näher. Mein Keuchen und Wimmern wird unkontrollierbar. So versaut normal. Ein strobokopisches Unwetter im Unterbauch. Unendlich verkrampft lehne ich mich eine Weile zurück und bin für diesen Moment ausgelöscht. Nie gewesen. Niemals werdend. Ahhhhhhhh, wie ich diese verwünschte Sensibilität an einem verkaterten Morgen liebe. Und überhaupt bin ich ein sehr sensibler Mensch. Ich kann mich sehr gut in andere Leute einfühlen. Ihren winzigen Kern verinnerlichen. Sie zu ihren Problemen führen und lösen. Meine Freunde fragen mich nach Rat. Aber oft habe ich auch mal Kummer. Und dann kriege ich das Gefühl, es ist niemand für mich da. Und ich bin ganz allein auf der Welt. Weil mich keiner verstehen kann. Nicht mal ich selbst. Das ist auch schwierig. Ich bin nämlich krank. Ja, bin ich. Seelisch krank. Und deswegen mache ich Dinge, die ich eigentlich gar nicht will. Das passiert mir oft. Vor allem, wenn ich etwas getrunken habe. Und ich bereue diese Dinge dann so sehr. Verkrieche mich dann in mir selbst. Und wehre jeden ab, der mir zu nahe kommen will.
Nach der entspannenden Dusche und all dem anderen morgendlichen Tand stelle ich fest, dass es wieder später Nachmittag ist. Sollte ich mich vielleicht schon bei ihm melden? Er - das ist wieder jemand, den ich in der betreffenden Börse kennengelernt hab. Ich fand ihn unheimlich süß, komisch und unschuldig. Seine Augen haben beim ersten Treffen so sehr geblitzt. Mich so gespannt. Aufgezogen. Ist nicht das erste Mal, dass mir das passiert. Aber trotzdem weckt es das Fieber in mir - die schönste Unausgeglichenheit. Das passiert aber nicht mit jedem. Dazu muss er schon etwas Besonderes haben. Auch wenn der jetzige gar nicht mehr speziell ist, jetzt wo ich ihn besser kenne. Er ist nicht das, was ich mir vorstelle als Freund. Er macht nicht mal etwas Besonderes. Was solls, hab sowieso keinen Bock rauszugehen. Außerdem macht es ihn fertig, wenn er auf mich wartet. Er muss mich richtig wollen. Und ich hab die Kontrolle. Die hab ich immer. Sitzt zwischen meinen Augen.
Ich tauche ab ins Web. Und schau mich nach mehr um. Mehr Leben. Mehr Fieber. Ich suche. Nach dem etwas, auf das jeder wartet. Ich muss die Zeit hier in der Stadt ausnutzen und alles mitnehmen. Da ist ja schon einer für morgen Nachmittag. Er hat was, auch wenn seine Art ein wenig plump ist. Zumindest etwas sichere Spannung für morgen. Damit hab ich aber echt genug geplant für heute und kann mich dem heutigen Plan hingeben. Essen mit ihm. Bei dem ich zu Besuch bin. Halbwegs romantisch und wir reden über morgen. Auch über denjenigen, den ich heute sitzen lasse. Ich mag ihn schon. Aber warum sollte ich mich festlegen. Ich bin immer noch jung und hab soviel vor mir. Ich bin auch nicht für so was Festes gemacht. Und Erwartungen sowieso nicht. Die kann ich nur enttäuschen. Und das kann ich wirklich gut. Unser Gespräch ist jedenfalls interessanter als die der Nachbartische. Da haben sich doch ein paar Spießer unter die Stadt gemischt.
Das Essen runden wir mit ein paar Drinks ab und dann zieht es uns raus. Wir drehen auf und lachen viel. Da sind die Anderen. Trinken. Tanzen. Spaß. Und wir bereden die tiefsten Themen mit Flügeln an unseren Schultern. WIR sind etwas besonderes, das ist klar. Und ich der Mittelpunkt. Es fühlt sich supergut an. Jeder mag mich, wie ich bin. Wirklich bin. Aber da ist etwas, was stört. ER steht da drüben an der Wand. Der Typ, der eigentlich nicht interessant ist. Was will er hier? Mir den Abend versauen? Mir nach spionieren? Mein Freund sagt, dass der wohl eine Klatsche hat, so eine Nummer abzuziehen. Ganz meine Meinung. Und auch, was die Anderen sagen, macht Sinn. Ich bin auf 180 und will ihn zur Rede stellen. Ich bin richtig sauer und kann mich kaum beherrschen, als ich durch die Leute dränge. Er lächelt. Wie kann er jetzt verdammt nochmal lächeln?
Ich wache bei Jemandem auf. Ich frage mich, was gestern passiert ist. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke. Ich habe geschrien. Und ihn geschubst. Wut sprühte aus meinen Augen und spritzte aus meinem Mund. Er wusste gar nicht, was los war. Aber es war schon zu spät. Dann habe ich weiter gefeiert. Wie lange nicht mehr. Mit einem verdammten Grund dazu. Den Abend wollte ich mir nicht verderben lassen. Deswegen bin ich wohl auch in diesem Bett gelandet. Mit diesem Fremden. Unsicher und sehr sehr leise schleiche ich mich weg. Draußen kann ich endlich weinen. Zusammenbrechen auf dem kalten Bürgersteig tut gut. Ich fühle den Schmerz der Welt. Sehe meine Illusionen und weiß, dass ich nie hierher ziehen werde. Dass ich in der Provinz bleibe. Ein normales Leben zu führen versuche. Ich nicht so besonders bin, wie ich denke. Ich Probleme habe. Mit Vorstellungen und Erwartungen.
Was ist mit Deinen Vorstellungen? Deinen Erwartungen? Die von und an die Anderen hast Du mit der Zeit aufgegeben. Was ist mit denen für Dich?