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- 17.12.2008
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Großstadtgeflüster
Grosstadtgeflüster
„Manchnmal wäre es am besten, die Welt wäre blau“
Die Fahrradkette scheppert, das tut sie immer an Tagen wie diesem, an denen es so windig ist, dann bläst der Wind gegen die Kette, sodass diese gegen das Aluminium Schutzblech klackert; wenn ich langsam fahre, gegen den Wind, oder bergauf -anders fahre ich nie langsam-, ergibt sich aus dem Scheppern der Kette dem Knacken der Pedalen und dem Quietschen der Zahnräder und meines Sattels der immer abwechselnd während des Tretens von meinem Hintern nach links oder rechts unten gedrückt wird -weil ich immer mein komplettes Gewicht in eine Richtung verlagern muss- fast so etwas wie eine rhythmische Abfolge, ein Klangarrangement tongebender Velozipenteile, aber nur bei Wind, und wenn ich es nicht eilig habe, was leider so furchtbar selten vorkommt, sodass mir die musikalischen Fähigkeiten meines für diese Stadt so charakteristischen Fortbewegungsmittel oft im Verborgenen bleiben, es sei denn an genau dieser Stelle am Schlossgarten, wenn man aus der Gartenstraße kommt, direkt auf die Lambertikirche zufahrend, muss man, wenn man schnell fährt, im Stand das Rad bei jedem Tritt am Lenker immer abwechselnd nach links oder rechts reißend, kurz bevor man rechts auf den Innenstadtring abbiegt einmal stark bremsen, einerseits weil die Kurve so scharf ist, und andererseits, weil man sonst Gefahr liefe die Fußgänger, die von links kommend mit ihren Galeria Kaufhof Tüten bepackt die Ampel überqueren anzufahren, um sich dann von einer behüteten Rentnerin mit Regenschirm -obwohl es überhaupt nicht regnet, aber man kann ja nie wissen- wüst beschimpfen zu lassen, allein des Vergehens wegen unter 25 zu sein, behütete Rentnerinnen mit Regenschirm schimpfen selten auf Leute über 25 egal wie sie Fahrrad fahren; nach der Kurve steigt die Straße etwas an, nicht viel so ein,zwei Grad vielleicht, für Oldenburg ist das viel, wenn es hier nicht so flach wäre, würden wahrscheinlich auch nicht so viele Leute Fahrrad fahren, in Friesland, das wo ich aufgewachsen bin ist es noch flacher, ich erinnere mich daran, wie ich als kleines Kind gerade aus dem Wanderurlaub im schweizer Lötschental zurückgekehrt auf die Idee kam ein Gipfelkreuz auf den Deich zu setzten, „die Kreuze markieren den höchsten Punkt“ hatte mein Vater gesagt, als er mich auf seinen Schultern den Gipfel hinauftrug und auf meine Frage antwortete, währen ich mit meinen damals noch so kleinen Kinderhänden auf sein Haar klopfte, das immer dünner zu werden schien, „die Kreuze mit Jesus sind dafür da, dass Leute sich davor hocken und auf bessere Zeiten warten, aber die ohne Jesus markieren den höchsten Punkt“ leider gab es den auf dem Deich nicht, der ist oben genauso flach, wie das Marschland davor und dahinter, ich konnte mein Kreuz also nicht aufstellen, so gesehen ist eine Steigung von schätzungsweise einem Grad doch schon eine ganze Menge, und da ich eh oftmals sehr kaputt bin vom vielen Schnellfahren vorher, fahre ich hier meist eher langsam, im Sitzen, ohne den Lenker ständig mit den Händen nach links und recht zu drücken, dafür aber den Sattel mit meinem Gesäß, sodass diese Quietschen entsteht, und das Knacken der Pedalen, und heute scheppert die Kette auch wieder, was sich daraus ergibt ist dann ein knackquietschknackquietschknackschepperknack....
wenn du es hören könntest Carlotta, diesen Rhythmus, der sich so behäbig über die Straße ergiest, vielleicht wäre dann alles ein Stück weit wieder besser nicht viel aber ein klein wenig, ich weiß nicht warum dich die Geräusche meines kaputten Fahrrads aufmuntern sollten aber vielleicht erinnerst du dich ja dann wieder, vielleicht erinnerst du dich wieder an die Tage an denen alles gut war, an denen wir zusammen über das alte Kopfsteinpflaster in der Elisabethstraße gefahren sind, aus dessen Ritzen das Unkraut quoll, als wolle die -aus dieser mehr oder weniger urbanen Landschaft vertriebene- Vegetation sich ihren Weg zurück ans Licht bahnen, und unsere Räder klapperten so ungemein laut dabei, wir fuhren ja auch immer mit Absicht mitten auf der Straße, das ruckelte so schön, und die Räder waren so laut, dass wir uns anschreien mussten, wir liebten schreien doch so, weil alles was laut war gut war, damals.
Es geht wieder bergab ich hab die Steigung überwunden, das Klappern meines Fahrrads ist wieder leiser geworden, weil ich nicht mehr treten muss, aber trotzdem solltest du es hören können Carlotta; rote Ampel an der Elisabethstraße, ich muss halten, müsste halten tu´s aber nicht, rot ist nur eine Farbe, genauso wie Polizisten nur ein Haufen Menschen sind, die alle dieselben hässlichen staubfarbenen Klamotten tragen, ich muss trotzdem halten, die Ampel, welche den Übergang zum Anfang der Huntestraße „sichert“ ist auch rot, ich halte, der kurze Blick auf das Kopfsteinpflaster in der Elisabethstraße hat genügt um mich zu erinnern, was ich alles schnellstens wieder vergessen sollte, aber du, du solltest dich erinnern, unsere Räder Carlotta, grün ich fahre, fahre schneller, im stehen, den Lenker bei jedem Tritt abwechselnd nach links und nach rechts reißend, bloß nicht das Quietschen hören,
Huntestraßse, da steht das Caddilac, jenes Jugendzentrum dessen Name einem von jedem zweiten Flyer der in der Universität oder in den Innenstadtlokalen ausliegt und den zahlreichen Litfaßsäulen an der Donnerschweer angrinst „Afrikanische Tanznacht“ „Battle of the Bands Contest“ alle möglichen Contests an denen immer dieselben Bands mit einfallslosen Namen teilnehmen „Das ist gegen das System verstehst du?“ nein versteh ich nicht, genauso wenig wie den Rest der meist so zwischen vierzehn und sechzehn Jahre alten Jungs in Nirvana und Che Guevara T-shirts mit olivgrünen Bundeswehrparkern bei denen die Deutschlandfahne am Ärmel sauber abgetrennt , um 180 Grad gedreht und wieder drangenäht worden ist verstehe, wenn sie ungeschickt und zögerlich immer die selben drei Akkorde auf ihrer Gitarre greifen, und der Frontsänger -im Gesicht den missglückten Versuch sich einen Bart wachsen zu lassen- unverständliche Texte in eingedeutschtem Mittelstufenenglisch ins Mikrophon krächtz, während der aus Wyoming stammende Gitarren und Gesangslehrer Mike fest seine Bierflasche umklammernd an der Bar steht und die Mädels anflirtet, da er zweifellos, der Held in diesen Hallen ist, zu dem alle seine Schüler, mit ihren außer Kontrolle geratenen Haaren und bei jedem Wort um eine Oktave springenden Stimmen aufblicken, da sie auch einmal so gerne mit einem der Mädchen ausgehen würden, die leider nur Augen für den smarten jungen Mann mit dem amerikanischen Akzent haben; ich saß vom matten Sonnenlicht -das durch die schmutzbeschmierten Glasscheiben fiel- bestrahlt im Hinterzimmer des Cafés hin und her kippelnd auf einem wackeligen Holzstuhl an den Fingernägeln kauend und den Takt auf dem rauen schwarzen Teppichboden mit dem Fuß mitklopfend, während er unterrichtete „du musst eine C-Akkord greifen an diese Stelle Paula, keine D-Akkord okay? Mack nockmal won worne Paula und ick sing der Text dasu okay?“ Paula griff dann beherzt und ganz von Stolz erfüllt in die Saiten „she came to me one morning one lonely sunday morning.....“ klampfklampf machte die Gitarre
knackquietschknackquietschknackschepperknack dann doch lieber Fahrradquietschen,
wenn du es hören könntest, weiter vorbei an der rosanen Hausfassade bis zu diesem riesig hässlichen Gebäude der deutschen Rentenversicherung allein der Name schon so widerlich er schmeckt nach Muff und Moder, der hinter vergilbten Tapeten steckt, schmeckt so wie Gerdas Wohnzimmer mit dem hässlichen geblümten Sofa von vor dem Krieg, hellbraun Rosen und Vergissmeinnicht, den selbstbestickten Kissen mit den kleinen Kätzchen drauf, von denen Gerda immer so angetan war, der mit hellbraunen Stoff bezogenen Stehlampe mit den dunkelbraunen Fransen die den Raum unsinnigerweise noch dunkler machte als er ohnehin schon war von dem Tannengrünen, uralten Teppich, der farblich zu dem ebenso uralten Telefon mit der vergilbten Wählscheibe passte, in welcher Onkel Günther mal mit seinem zu dicken Zeigefinger stecken geblieben war, und der ständig tickenden Eichenholz Standuhr die pünktlich um fünf Uhr Kuckkuck machte wenn Hinnerk das Wohnzimmer betrat, seine karrierten Pantoffeln perfeckt Parralel zur Teppichkante abstellte sich in den passend zum Sofa geblümten Sessel begab -das war sein Sessel, niemand außer er hatte das Recht dort zu sitzen- die Füße auf den vor ihm stehenden ebenso hässlich geblümten Fußhocker legte um dann beherzt nach einem der Krüllkuchen zu greifen, die Gerda immer zum Tee reichte „do heßt joar aal wedder den Kluntjes inne Köken vergeten do Dösbaddel“- „Tünkrams de steit op´n Tisch un nu holt Muul un drink dien Tee“
kannst du es dir vorstellen irgendwann sind wir auch so alt und unsere Enkel werden unser Wohnzimmer auch so hässlich finden und würden unser Verhalten altmodisch und zum kotzen finden, wogegen wir sie ungezogen anmaßend und geschmacksentfremdet finden würden, weil wir dann Spießer sind, ganz offiziell, weil der Mann von der deutschen Rentenversicherung einen Stempel auf das Formular 183B drücken wird wo draufsthet „offiziel aus dem Leben entlassen“ und dabei wird er ganz furchtbar hässlich Grinsen und „vvvv...vvv...vielllll.ll Ggggg..g gl Glück dann noch“ durch seine Zahnlücke stottern.
Auf einemal riecht es wirklich muffig, das ist aber nur der Staub vom Bauschutt des alten Schwimmbades, dessen Überbleibsel auf der anderen Straßenseite vor sich hin bröckeln, der Staub verstopft mir die Nase knackquietschknarrknarrschepperknack Zitronenbonbons, das ist ein besserer Geruch, so roch es immer in Franks Auto, wenn er die goldene Fishermens-Friend Blechdose aus dem Handschuhfach kramte, und mir ein Bonbon anbot, was ich immer gerne annahm, aber nur bei Zitronenbonbons, die ich gar nicht verdient hatte, so schlecht wie ich fuhr, „du musst gucken wenn du abbiegst“ - „wenn ich weiß das niemand kommt muss ich auch nicht gucken“ - „das weiß der Prüfer aber ja nicht“ - „der ist auch dumm, fett, hat keine Ahnung und wählt die npd“ natürlch fiel ich durch die Prüfung, weil Frank recht hatte, da halfen auch keine Zitronenbonbons;
rote Ampel Amalienstraße, das Tonkontingent meines Fahrrads wird ducrch einen langgezogenen Knatterlaut meiner Rücktrittbremse erweitert, rote Ampel, ich stehe, stehe an der Ampel, er hatte neben mir gestanden genau hier, nein, eigentlich nicht genau hier, sondern genau auf der anderen Straßenseite, an der Ampel, die ich gerade anstarre, so wie ich sonst nur die Uhr auf der Arbeit anstarre sehnlichst wartend auf die Zahlenkombination eins neun drei null, jetzt warte ich auf Grün, Grün, nur eine Farbe dieses Grün, die Farbe der Jacken von den komischen Leuten die alle dieselben Klamotten tragen und meinen das hätte etwas zu bedeuten, dort hatte er neben mir gestanden, und den Schleim aus seiner Nase und seinen Nebenhöhlen lautstark ganz tief in den Rachen gezogen, dabei hatte er sich nach hinten gelehnt um dann seinen Oberkörper ganz weit nach vorne schleudernd demonstrativ vor mir auf den Boden zu spucken „zum Kotzen“ hatte er dabei gebrüllt, ich mochte das, manchmal hab ich dich vermisst Janosch, grüner Schleim auf der Straße, hässlich, eklig grün, wie die Uniform der Polizisten, Schleimpolizisten in Rotzuniform... schnoddergrün... eklig grün.... tiefgrün... grün... grün...die Ampel wird grün, mach´s noch einmal Janosch „zum Kotzen“ , die Ampel... grün.... ich fahre, fahre weiter, grüne Schnodderwolken, vielleicht findet der Regenschirm der behüteten Rentnerin ja doch noch seine Verwendung wenn die riesige grüne Blase im Himmel aufplatzt und ihren klebrigen grünen Inhalt über uns ergiest, schnoddergrün, kein schönes Grün, grün wie Pistazienschaum nicht Gärtnerhosengrün, oder wie das Moos an den Bordsteinkanten, das Kopfsteinpflaster Carlotta, plötzlich Marmeladensturzbach, die Ampel ist rot, stehen, stehen, warten, rot, Rot was war Rot noch gleich? Die Liebe! Ja genau die Liebe... komm sag´s noch einmal Janosch..., dann doch lieber Grün, die Hoffnung, die ist nicht ganz so zum Kotzen, es sei denn irgendwer behauptet wieder sie stürbe zuletzt.
Weiterfahren, Staugraben, so gut es geht, der Wind beißt immer doller, der Staugraben wie in Asche getaucht, er hat genau die Farbe wie altes Zeitungspapier, das in den Rinnstein gestoßen wurde und ganz durchnässt am Pflaster klebt, sodass die Druckerschwärze sich darin verläuft und es grau färbt, grau wie meine Hände immer wenn ich den Aschekasten unseres gusseisernen Kamins säubern musste, da meine Hände noch klein genug dazu waren, Sophie nieste neben mir „das stinkt!“ wie in den Rinnstein gespuckt liegt sie da die Straße, ja sie scheint zu stinken von den Staubpelzen, welche an den rauen Häuserfassaden gierig emporlecken, graue Staubpelze, wie das Gefieder der Tauben, die oft genauso ausgespuckt in den Fensternischen kauern und mehr wie Großstadtgeier auf die Schulmädchen an der Bushaltestelle gegenüber starren nur darauf wartend bis eine von ihnen die noch halb in der Tüte steckende Käselaugenstange fallen lässt und das Fest, der harte Überlebenskampf der Hochhauskondore beginnen kann; gurgurgur... erinnerst du dich Sophie? Tauben gab es auch bei uns damals, gurgurgur sangen sie, jeden Abend sangen sie, als wir um die Wette liefen sangen sie, durchs Maisfeld liefen wir um die Wette, barfuß und ganz verschwitzt, sodass der Staub überall an unseren Gliedern klebte, was unsere Haut noch gebräunter erscheinen ließ als sie ohnehin schon war, dabei waren wir doch nur zwei schmutzige Kinder, zerrissenen Klamotten, Grasflecken, der Mais war hüfthoch Sophie, meine Füße rochen nach Kamille, Kamillefüße Sophie, hüfthoch war der Mais, grün war er, Gärtnerhosengrün, Waldmeisterwackelpuddinggrün, der dampfend auf deiner Veranda stand; grün... ich muss fahren, muss Kolonne fahren, manchmal mag ich Kolonne fahren, heute mag ich es nicht; das Fahrrad der rothaarigen Studentin vor mir ist in eine Plastikefeukette gewickelt, gärtnerhosengrün auf aschgrauer Straße, nein eigentlich ist sie grad eher braun,gelblich braun, vergilbt braun, wie Gerdas Tapete, oder wie das Wasser, das aus dem Hahn in der Waschküche kam, wenn man diesen, nach dem Urlaub zum Beispiel länger nicht benutzt hatte, die Efeukette hält, zinoberrot die Ampel, oder doch eher Kaminrot? manchmal wäre es doch besser die Welt wäre schwarz-weiss,
Lappan, Staulinie, Knotenpunkt der Stadt, die einzige Stelle an der man tatsächlich anfängt zu glauben, dass Oldenburg offiziell eine Großstadt ist, Banken, Versicherungen, glaskästige Einkaufszentren mit integriertem Fitnessstudio, dessen Dach jeden Abend pünktlich um halb sechs zu Dampfen beginnt, wenn sich eine Kolonne behaarter Bierbäuche auf den sichtschutzumzäunten Außenbereich der Saunanalage begibt um die Hitze der von Melissenaufguss erwärmten, aufgequollenen Körper an die vermeindliche „Großstadtluft“ abzugeben, aber es ist noch nicht halb sechs; grün, ich fahre, fahre wieder schneller, vorbei an der Efeufrau, Großstadtluft? Großstadtgeflüster! Irgendwo da zwischen den Gebäuden, ich erreiche die andere Straßenseite, ja genau Großstadtgeflüster als ich die Straße hier hinunter rannte, im Oktober, warm war es noch gewesen merkwürdigerweise, vom Polyester aus, der abgewrackten Studentenkneipe, die wie ein lästiger Vorunkel am Fuß des glaskästigen Einkaufzentrum klebt und so eingerichtet ist wie Gerdas Wohnzimmer mit dem einzigen Unterschied, dass ich es dort nicht hässlich finde, die komplette Staulinie hinunter, dann rechts in die Innenstadt -Gassengeflüster- wieder links die Achternstraße hinauf bis zum Lambertimarkt und wieder zurück, obwohl ich noch am selben Tag den Sportunterricht wegen „Krankheit“ geschwänzt hatte, erschöpft zurück in die Kneipe stolpernd, dir mit dem Zehneuroschein entgegenwinkend, den ich gerade am Lambertimarkt aus dem Automaten gezogen hatte, da gab es kurz so etwas wie Großstadtgeflüster, während Janosch daneben saß und Bier trank, aus grünen Flaschen, gärtnerhosengrün.
Wallstraße, irgendwer hat weiße Kreuze auf die Bäume gemalt, welche den rechten Straßenrand säumen und eine Grenze bilden, damit nachts die Betrunkenen nicht vom Weg abkommen und in die Haar stürzen, welche dort unten fließt; ein weißes Kreuz auf jedem einzelnen Baumstamm, „die Kreuze sind dafür da, damit Leute sich davor hocken und auf besser Zeiten warten“ mein Vater, ich trage seine Handschuhe, an denen er so sehr hing „verlier sie nicht“ jedes mal, wenn ich im Flur stand und die derben Lederhandschuhe über meine Hände stülpte, die eigentlich viel zu groß für mich sind „verlier sie nicht Maria! Weißt du wo ich die herhab?“ - „ 1976, Joe Brown Mountaineering Shop, Capel Curig in Llanberis Snowdonia, das erzählst du mir jedes mal, und deinen Schlafsack hast du aus der Motsstraße in Berlin allerdings schon 1974, 1975 dann der Gaskocher“ wir waren da gewesen in Capel Curig Snowdonia vor acht Jahren falls du dich erinnerst, damals hast du mich aber nicht mehr auf deinen Schultern den Gipfel hochgetragen, ich war ja auch schon alt genug selber 23 Kilo auf dem Rücken durch die nordwalisische Bergkette zu schleppen. Du hast mir alles gezeigt, du hast mir alles übers Klettern und Bergsteigen beigebracht, bis nach Schottland wollten wir hoch, nach Sky, dann runter in die Vogesen und dann in die Alpen, wir wollten alle Touren zusammen machen, die du schon gemacht hast, und von denen du mir so viel erzählt hast, vom Grand Canyon, und vom Himalaya, wie du den Anapurna bestiegen hast, du warst so stolz darauf gewesen, und hast mir von der Landschaft erzählt, von den buddhistischen Klöstern und von den Eiszapfen in deinem Bart, damals als wir den Adams Peak besteigen wollten, auf Ceylon, du sprachst von Schnee, als wir mitten durchs schwüle ceylonesische Hochland stapften, das war unsere letzte Tour gewesen, die wir gemacht haben, den Gipfel haben wir damals nicht erreicht, damals vor fünf Jahren, kein Gipfelkreuz, bessere Zeiten Papa, vor Joe Browns Mountaineering Shop oben am Llanberis Pass, die Wasserfälle an den Bergschluchten weißt du noch? Schön wars da oben an den Schafsweiden vom Peny y Pass, ganz grün waren die Weiden, grün, das war immer deine Lieblingsfarbe gewesen.
Ich fahre schneller, der Wind beißt, Gott sei Dank nicht an den Händen, die Handschuhe sind Gut, grün sind die Autos vor der Wallwache, grün war auch das Jackett des grobkörnigen Polizisten gewesen „Sie wissen warum wir sie mitgenommen haben Frau Natt?!“ „Weil ich ihnen nicht in den Kram passe!“ unausgesprochene Worte, die hinter meinem blauen Dunstkreis hervortraten und ihn ansprangen, ihm ins Gesicht sprangen unausweichlich sind sie für ihn gewesen diese Worte, die ich mit aller Gewalt daran hindern musste meine Lippen auch tatsächlich zu verlassen, und doch dröhnten sie wahrscheinlich unausstehlich laut in seinem Kopf diese Worte, lauter als ich sie jemals durch die Mauer hätte schreien können, die sich zwischen uns emporzog, und das Einzige was ihm dazu einfiel war sich pikiert mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand über den verrotzten Schnautzbart zu streichen, dabei lässig meine Akte mit der linken Hand auf den alten Schreibtsch zu werfen, -der seit 40 Jahren angewachsen zu sein schien in dieser muffigen Amtsstube- einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse zu nehmen, deren abgestandener Inhalt bis zu mir herüber stankt, und dann zu sagen „wo komm wir denn da hin, wenn das jeder so macht?“ gelb war der Schnäuzer, Neidgelb, genau wie die Zähne, gelbgefärbt vom vielen Kaffetrinken grinsten sie zu mir herüber, ja gelb vor Neid grinsten sie, gelb auch seine Augen, der gelbliche Schleier hatte sämtliches Leben daraus vertrieben, neidisch worauf? Darauf dass ich noch jung bin, darauf dass ich glücklich bin und er nicht, in seinem schnoddergrünen Jackett, Grün war immer deine Lieblingsfarbe gewesen Papa, aber du wärst bestimmt nie ein Polizist geworden.
Machnmal wäre es besser, die Welt wäre schwarz-weiß, ich schließe die Augen, schließe sie so weit, dass nur noch ein schmaler Spalt übrig ist durch den ich hindurchschlinzen kann, jetzt ist sie schwarz-weiß die Welt, ich halte nicht mehr an, es gibt ja jetzt auch keine roten Ampeln mehr, besser ist es in schwarz weiß, ich muss nichts mehr denken, rausche durch die Stadt,ein besseres Großstadtgeflüster, Großstadtrausch ohne Rücksicht auf Verluste, wenn ich weiß, dass niemand kommt muss ich auch nicht gucken, doch einmal muss ich gucken, als ich am Theater vorbeirausche, aber nicht nach der Ampelfarbe muss ich gucken, die ich am Julius Mosenplatz schon ignoriert habe, sondern auf die beiden Holztore, die an der Uferböschung der Haar aufgestellt sind, sodass man durch sie hindurchguckend genau auf den Eingang des Alten Gymnasiums blickt, das Alte Gymnasium interessiert mich nicht daran, aber die Holztore, sie sind blau, deshalb muss ich meine Augen wieder öffnen, um sie zu sehen die Tore in ihrem Blau ihrem ultramarinen Blau; „ich brauche Ultramarinenblau!“ hatte die dicke Lehrerin aus der zweiten Klasse gesagt, als sie während des Kunstunterrichtes mit ihrem wehenden Gewand in unseren Klassenraum gestürmt kam und meinem Lehrer ein großbäuchiges Glasgefäß mit dieser leuchtend blauen Flüßigkeit entriss, welche in ihrem Behältnis hin und her schwappte, ganz im Rhythmus der Trippelschritte von dieser Lehrerin, die so unförmig war, dass sie sich Gewänder aus ihren alten Gardinen nähen musste, sie war so fett, dass einmal die Kloschüssel aus der Wand gebrochen war, als sie sich darauf niederließ; ich mochte die Lehrerin nicht, nicht weil sie so ungemein fett war, sondern weil sie die Farbe mitgenommen hatte, mit der ich so gerne malen wollte. Die Tore glühen in der Landschaft, alles andere ist für mich immer noch schwarz-weiß, Blau, dieses umwerfende Blau, blau wie der Rauch meiner Zigaretten, wie der Nebel, der nachts über die Straßen kriecht und schleicht, dann wenn keiner guckt, und schwummrige Gestalten durch die Gassen gleiten können, Gestalten wie wir es sind Carlotta, blau wie die Dunstwolke die uns in unseren Träumen gefangen hält, Träume um die es eigentlich immer geht, blau, blau wie der Blues, der in einsamen Nächten um dein Bett streicht, und dich träumen lässt, Träume um die es eigentlich immer geht Carlotta, blau wie die Nacht als vierte Dimension des Raumes, blau, blau wie der Moment, als ich mit Beck am Meer stand, dort unten am Südpazifik, und wir uns diesen Augenblick teilen konnten, diesen absoluten Moment, in dem man in nur drei Sekunden durch jede einzelne Emotion geht, die der Mensch kennt, der Ozean, der war so blau, alles was ich in diesem Moment sehen konnte war dieses natürliche alles einnehmende ultramarinen BLAU, der Pazifik, das Schönste was ich je gesehen habe, wenn du ihn sehen könntest Carlotta, nur eine Sekunde, dann wäre alles wieder gut.
Ich bin an den Toren vorbei, will nicht mehr schwarz-weiß sehen, weil ich das blau nicht vergessen kann, nicht vergessen will, es noch einmal sehen will, stattdessen sehe ich nur den Pulverturm, dort hatte ich auf dich gewartet als noch alles gut war, aber du bist nicht gekommen Carlotta, wenn du es hören könntest das Scheppern. Rot!