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Großstadtliebe
"Ich wünschte ich könnte noch einmal Kind sein", seufzt er und meint Leben zu können im puren Egoismus - ohne sich schuldig zu fühlen.
Er hasst das Gefühl, Gewissensbisse zu haben, wenn er mich betrogen hat. Ich bin keine hässliche Frau. "Du bist schön", sagt er, wenn er neben mir liegt, einen Arm unter seinem Kopf, die Decke bis zu seinem Bauchnabel. Manchmal rieche ich an ihm den Geruch anderer.
Es schmerzt mich nicht. Vielleicht sollte es das. Ich liebe ihn nicht. Er? Ich weiß es nicht. Seine Behauptungen haben keine Bedeutung, denn die Worte skizzieren, wie ein netter Mann eben skizziert.
"Ich hab Dich verdammt lieb," flüstert er beim Einschlafen. "Ich brauch Dich", wenn er von mir gleitet, sein Samen an meinem Schenkel hinabläuft. "Ich denk nur an Dich", wenn er überzeugt ist, dass ich misstrauisch bin, obwohl ich nichts sage.
Vielleicht ist das Liebe. Nachts höre ich ihn atmen. Ich lausche und versuche sein Herz zu hören. Durch mein Fenster fallen bunte, wechselnde Lichtstreifen. Malen Formen an meine alte Wand. Ich hab sie rot gestrichen und das blaue Licht von vorbei eilenden Sirenen macht es abends unheimlich. Autos fahren unten vorbei und schweigen eigentlich nie. Während er in mich eindringt, frage ich mich manchmal warum all diese Menschen immer und immer irgendwo hin wollen - und nicht einfach irgendwo bleiben.
Wenn es doch einmal stiller wird, höre ich den Wasserhahn tropfen. Ich sollte ihn reparieren, oder er sollte. Doch ich denke nur Abends daran, wenn ich im Bett liege. Die bunten, wechselnden Streifen an der Wand betrachte, mit dem Mund leise Windgeräusche nachahme und das Tropfen höre.
Er hat ein schlechtes Gewissen. Schon wieder. Alle spüren Trauer und Angst wegen dieser Flutkatastrophe. Er nicht. Ich auch nicht. Es ist mir egal, sage ich und manche schütteln den Kopf. Er denkt, er sei ein schlechter Mensch. Ich nicht. "Und wenn man das Leben der Moralisten betrachtet, sind sie auch nur Menschen", sage ich und er verzieht das Gesicht. Ist böse, weil ich so bin. Aber eigentlich stört ihn nur er selbst.
Ich denke darüber nach, und über den Wasserhahn und über die Autos und über ihn und uns - und darüber ob ich nun eine Philosophin sei.
Vielleicht sind alle Menschen Philosophen. Vielleicht sind alle Philosophen Menschen. Ich würde über meine Gedanken lächeln, wäre ich nicht so müde.
Komme mir intelligent vor.
Ich habe nicht mal gespendet, denke ich und schlafe ein.
Ein ganz normaler Abend im Bett.