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Gross und stark muss ich sein, denn er möchte spielen

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Gross und stark muss ich sein, denn er möchte spielen

Gross und stark muss ich sein, denn er möchte spielen

Wir spielten Sitzball. Er hatte das so gewünscht, obwohl das ein bisschen komisch funktionierte nur zu zweit. Aber er hat die Regeln verändert. Jeder durfte so lange schiessen, bis er traf, dann wechselte es. Sitzen musste man nie. Wir rannten davon, wichen dem Ball aus in der Enge des Zimmers. Eins, zwei, drei Schritte versuchten wir den Gegner zu treffen. Wir lachten viel, und bald mussten wir laut atmen vor Anstrengung. „Eine kleine Pause bitte!“, und wir setzten uns auf eine dicke Matte um zu verschnaufen.

„Können wir Krieg spielen?“, fragte er plötzlich.
„Wie möchtest du denn Krieg spielen?“, fragte ich zurück.
„Weißt du, so wie mit diesen Pata, wenn sie einen treffen, spritzt der Körper auseinander.“
„Ach so, ich glaube du meinst Granaten?“
„Ja. Und jeder baut sich ein Versteck und nimmt sechs Bälle. Wenn ich dich treffe bist du tot.“
„Was passiert dann, wenn ich tot bin? Ist das Spiel dann aus?“
„Nein, jeder muss drei mal getroffen werden, dann hat er verloren.“
„Ok, das probieren wir aus. Darf man von überall werfen, oder nur vom Versteck aus?“
„Man darf nur vom Versteck aus werfen. Und wenn man einen Ball holen will, darf man das, aber es ist gefährlich, weil man dann nicht geschützt ist!“
„Ok, ich habe es verstanden. Wenn du ‚Los’ sagst, beginnen wir.“

Weiche Bälle flogen durchs Zimmer. Von rechts nach links, von links nach rechts. Einige Bälle prallten an den Schutzwänden ab, einige Schüsse gingen daneben, vereinzelt wurden wir getroffen. Am Arm, am Rücken, oder am Bein. Egal wo, man verlor sein Leben.

„Weißt du, Irak hat im Weltkrieg gegen Iran und Kuwait gewonnen. Und jetzt hat Irak Krieg mit Amerika. Die Amerika sind im Irak auf der Strasse mit Waffen. Irak hat auch gegen Europa gewonnen, denn Europa hat Angst gehabt. Aber ich habe keine Angst. Es tönt nur von weit her so: ‚Buumm’, ‚Buumm’.“
„Hast du nie Angst, dass es auch einmal bei dir ‚Buumm’ macht?“
„Nein, wenn ich Bomben und Schüsse höre, ist das wie Musik. Das habe ich gern. – Weißt du, mein Papa hat im Irak auch eine Waffe. Die hat er von seinem Kollegen bekommen. Aber er hat sie nur im Haus drin, um das Haus zu beschützen. Draußen würden die Amerika ihn nach einem Papier fragen. Papa hat kein Papier. Aber er muss das Haus beschützen mit seiner Waffe.“
„Ja, das ist gut, wenn er euer Haus beschützen will. Hier ist das zum Glück nicht nötig. Und hier muss man auch ein Papier haben, wenn man eine Waffe besitzen möchte."

„Welches Land bist du? Ich bin Amerika. Amerika ist das stärkste Land auf der Erde. Du könntest Israel sein, Israel ist auch stark.“

Ich zögerte. Eigentlich wollte ich gar kein Land sein. Doch dann sagte ich: „Nein, ich möchte auch ein grosses Land sein. Ich bin China. Bist du bereit für eine zweite Runde? Wenn du ‚Los’ sagst, geht’s los.“

 

Hallo Siiba,

mir hat dieser Doppelsinn von Kinderspiel und Kriegsschauplätzen gut gefallen. Leider hatte ich Deinen zweiten Kommentar zuerst gelesen und wusste daher schon was kommt. War aber mein Fehler und nicht Deiner.

Die Amerika sind im Irak auf der Strasse mit Waffen.

"Die Amerika" ist vermutlich Absicht, weil hier Kinder miteinander reden?

Gruß
Andreas

 

Hallo Siiba!

Sehr interessante Geschichte. Da stecken einige denkwürdige Details drin.
Ein Kind, dass (entfernten) Kriegslärm wie Musik empfindet.
Die falsche Bezeichnung "Amerika" für die USA, die allzuoft gebraucht wird und natürlich "Weltkrieg" für einen doch eher regionalen Konflikt.
Papa muss das Haus beschützen; vor wem, scheint dem Jungen egal zu sein.
Am Ende will er im Kriegsspiel Amerika sein - obwohl "die" sein Heimatland angegriffen haben - weil Amerika für ihn das stärkste Land ist.

Dem Ich-Erzähler geht das Kriegsspiel gegen den Strich. Macht aber mit, weil er etwas herausfinden will oder das Ganze Teil einer Therapie ist.

Liebe Grüße

Asterix

 

Salü Findur, Salü Asterix

Grossen Dank für eure Kommentare!

Eine Frage habe ich noch, ich bin ja noch ziemlich am Experimentieren was eine Kurzgeschichte ausmacht, deshalb rein formell: Entspricht so ein Text wirklich einer Kurzgeschichte? Also das Erlebte wirft bei der Erzählerin ja viele Fragen auf, die sie aber nicht explizit stellt, eine effektive Veränderung ist weder beim Jungen noch bei der Erzählerin im Text wörtlich beschrieben. Also reicht es, wenn die Veränderung nur so wage zwischen den Zeilen angedeutet ist, dass sie im Prinzip im Kopf des Lesers entsteht, aber im Text gar nicht so geschrieben ist?

findur:

mir hat dieser Doppelsinn von Kinderspiel und Kriegsschauplätzen gut gefallen.
das freut mich :-D Ist ein guter Ansatz für die mögliche Interpretation Nr.1

"Die Amerika" ist vermutlich Absicht, weil hier Kinder miteinander reden?
Jain. Er ist zwar noch ein Kind, aber er sagt es so, weil er noch nicht fehlerfrei Deutsch spricht. Gemeint sind die AmerikaNER.

Asterix:

Sehr interessante Geschichte. Da stecken einige denkwürdige Details drin.
Ich hoffe "interessant" ist hier positiv gemeint oder? Ich habe mich nämlich gerade sehr darüber und über die denkwürdigen Details gefreut :-) Somit habe ich mein Ziel erreicht, zum Nachdenken anzuregen, ohne gängige Klischees zu benutzen, oder eine Tränendrüsengeschichte zu schreiben.

Ein Kind, dass (entfernten) Kriegslärm wie Musik empfindet.
Ja! Das zusammen mit dem Ballspiel ist die Grundlage für Interpretation Nr.1

Die falsche Bezeichnung "Amerika" für die USA, die allzuoft gebraucht wird und natürlich "Weltkrieg" für einen doch eher regionalen Konflikt.
Naja, wenn man schaut, wie viele Alliierte Staaten da beteiligt waren, könnte man es schon fast Weltkrieg nennen. Beim Protagonisten meinte ich es allerdings schon als ein Unwissen, respektive eine Fehlinformation durch seine Bezugspersonen oder seine eigene Fantasie. --> darauf könnte man Interpretation Nr. 2 aufbauen... Mal sehen ob noch jemand drauf kommt, oder ob es zu weit hergeholt / nicht gut genug angedeutet ist.

Papa muss das Haus beschützen; vor wem, scheint dem Jungen egal zu sein. Am Ende will er im Kriegsspiel Amerika sein - obwohl "die" sein Heimatland angegriffen haben - weil Amerika für ihn das stärkste Land ist.
Ja oder er hat einfach keinen Überblick. Plappert nach, was ihm von Lehrern und Eltern gesagt wird. Und in kindlicher Logik zählt vor allem die Frage "Was/Wer ist stark".

Abschweifung: Es sind lange nicht alle Iraker gegen die Veränderungen, welche die USA zu bringen versuchen. Aber erklär eine solch Ambivalentes Vorgehen mal einem Kind. "Die USA greifen uns an, aber sie wollen nur unser bestes." Häää??

Dem Ich-Erzähler geht das Kriegsspiel gegen den Strich. Macht aber mit, weil er etwas herausfinden will oder das Ganze Teil einer Therapie ist.
Ich wollte eigentlich eher Verwirrung zeigen bei der Erzählerin, damit eben die Gedanken und Fragen in Gang kommen ... Aber klar ist die Erzählerin auch neugierig, logisch :-D
Das "Gegen den Strich" ist ok. Da kommt halt meine Anti-Krieg-Einstellung rein (Klischee ist ja logisch) dass Krieg für Kinder nichts bietet, was eine gesunde Entwicklung fördert, sondern sie wie der Titel zeigt, Sicherheit brauchen und suchen, damit es ihnen gut geht.

Also :-) Nochmals Danke euch Zweien!
Und bin gespannt, ob noch mehr Leser sich trauen ihre Gedanken dazu zu schreiben.

Liebe Grüsse,
Siiba Bulunji

 

Hallo Siba!

Zu deiner Frage:
Aus (unverfänglichem) Sitzball wird ein Kriegsspiel. Das ist schon eine Entwicklung. Im weiteren Text erfährt der Leser die Gründe für diesen Wechsel. Die Personen werden durch den Dialog charakterisiert. Ob das ausreicht, kannst du aus den Kommentaren herauslesen und ggf. nachlegen.

Liebe Grüße

Asterix

 

Hallo Siiba,

fast kriege ich eine Gänsehaut, wenn ich das lese, denn ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Kinder in Kriegsgebieten (nicht nur im Irak) solche Spiele spielen.

Kinder spielen das, was sie umgibt, das was ihre Erfahrung ausmacht, das was sie täglich erleben.
Eine Horrorvorstellung ist das für mich. Was bin ich glücklich, dass ich in meiner Kindheit "Vater, Mutter, Kind" und sonstiges "Normales" spielen durfte und dass auch mein Kind von solchen Erlebnissen verschont blieb. Es war schon an Fasching schlimm genug, wenn die Jungs mit ihren Spielzeugwaffen herumgeballert haben und sei es nur um "Cowboy und Indianer" zu spielen. Meine Tochter hat sich immer die Ohren zugehalten vor Angst, weil es so laut war.

Hat mir gefallen kann ich in dem Fall nicht sagen, aber die Geschichte hat gewirkt.

Liebe Grüße
Giraffe :)

 

Salü Asterix

Danke dass du dir nochmals Zeit genommen hast!
Und in demfall werde ich noch zuwarten, wie es auf weitere Leser wirkt. Aber bis jetzt scheint es funktioniert zu haben :-D *freu*

Liebe Grüsse,
Siiba

_________________

Salü Giraffe

fast kriege ich eine Gänsehaut, wenn ich das lese
Hat mir gefallen kann ich in dem Fall nicht sagen, aber die Geschichte hat gewirkt.
Danke! Freut mich sehr!

Liebe Grüsse,
Siiba

 

Hallo Siiba,

Also reicht es, wenn die Veränderung nur so wage zwischen den Zeilen angedeutet ist, dass sie im Prinzip im Kopf des Lesers entsteht, aber im Text gar nicht so geschrieben ist?

Wenn Du als Autorin damit leben kannst, dass mancher Leser dann ein unterschiedliches Bild im Kopf hat als das, was Du beim Schreiben im Sinn hattest, warum dann nicht? Ich persönlich mag Geschichten, die nicht eindeutig sind. Wenn ich mich zum Beispiel mit anderen Lesern von Büchern von Philip Dick oder Adam Wisniewski Snerg unterhalte, weiß ich manchmal nicht, ob wir wirklich vom selben Buch sprechen. Und dann wird es richtig interessant :)

Ich habe aber auch immer häufiger das Gefühl, dass man es dem Online-Leser nicht einfach und klar genug machen kann. Die Lesekultur vor dem Monitor scheint vermutlich doch eine andere zu sein als die geruhsame Stunde mit einer der verbliebenen Glühbirnen mit angenehmen Leselicht und einem gedruckten Buch.

 
Zuletzt bearbeitet:

Moi Siiba,

sehr interessante Diskussion hier. Daher will ich erst dazu, dann was zum Text sagen.
Ich würde mich hier auf das Zitat stützen, das Findur grad gebracht hat; und frage zurück: Reicht es Dir denn, den Stift in die Hand zu nehmen, um einen Text zu schaffen, der nur vage andeutet?
Man kann in einem kurzen Text eine/mehrere Ideen und Gedanken verdichten, oder eine alltägliche Situation nehmen, der nichts hinzugefügt wird. Das ist ja ein riesiger Unterschied.

Das genau wäre meine Kritik am Text. Es ist keine Verdichtung, sondern ein winziger, schon banaler Ausschnitt aus dem Alltag, ohne greifbare Figuren und ohne einen Konflikt (im Text, wohlgemerkt). Zwei Kinder spielen Krieg. Das ist nicht ungewöhnlich und nicht verwerflich, evt. ein gutes Ventil für Konflikte. Keinem der Kinder ist unwohl, keines hat Angst vor dem anderen, keines wird verletzt. Es wird kein Tier gequält und kein Geschwisterchen - Kinder sind sehr viel grausamer, oft.

Jetzt kann ich daraus auf Vieles schließen: Es gibt Krieg in der Realität. Das weiß ich, aber nichts am Text bringt mir das Thema eindringlicher nahe, als es Sachbücher oder Journalismus könnten; daher erfüllt er hier für mich keinen Zweck.
Es gibt Kindersoldaten. Kann ich mir assoziativ denken, aber auch hierfür bietet der Text keine Grundlage zum weiteren Nachdenken.

Insofern kann ich sagen, mir reicht diese Form eines Textes nicht zu einer KG, und reicht nicht, um Betroffenheit bei mir auszulösen. Es bräuchte stärkere Bezüge, eine klarere Sprache (damit meine ich keine Holzhammermethoden), etwas, was über eine reine unspektakuläre Situation hinausführt. Einen echten Grund für die Autorin, leidenschaftliche Motivation, hier den Stift oder die Tastatur zu nehmen, um einen fiktiven Text zu schaffen.

Auch @Findur: Ich denke, ein Buch läßt sich hier nicht so ideal zum Vergleich heranziehen, da es dort wesentlich mehr Textfülle hat, und somit automatisch mehr Bezüge = mehr Inhalt, der bei verschiedenen Lesern zu unterschiedlichen Eindrücken & Assoziationen führt.

Aber wie gesagt, ein spannendes Thema 'im Hintergrund'.

Viele Grüße,
Katla

P.S. Dein Erstkomm hat mich total irritiert - was meinst du denn mit "soviel ich weiss"? Das wäre in Nullkommanix recherchiert (also, ich weiß es auch nicht, übrigens; aber es ist ja nicht mein Text.). Geht es Dir im Text jetzt um den Krieg, die Kriege, alle Kriege? Und wenn es gar nicht um diese speziellen Kriege ging, warum ist es im Komm erwähnt? Bin echt verwirrt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Salü Katla

Bin gerade etwas in Stress, deshalb kurz:

Vielen Dank auch für deine ausführliche Stellungnahme! Ich werd mir das sicher durch den Kopf gehen lassen.

Mein Erstkomm: Ich hatte es schon kurz recherchiert, aber doof formuliert. Werde das gleich ändern. Die Sache scheint ziemlich vertrackt gewesen zu sein bei diesen Golfkriegen, deshalb war ich mir nicht 100% sicher bei meiner Recherche ob das so wirklich stimmt, und war mir ehrlich gesagt auch nicht sooooo wichtig. Ich werde jetzt einfach die Quelle angeben, dann kann jeder mit machen was er will. Mir ist es im Prinzip nicht so wichtig, Krieg ist Krieg.

Liebe Grüsse,
Siiba Bulunji

 

Salü Maria

Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat!

Dass die Bomben Melodien für ihn sind, fand ich zwar etwas übertrieben, aber kleine Kinder können einen immer überraschen =D
Was im Text nicht steht: Dieser Junge liebt die Musik. Indem er die Geräusche mit dem verbindet, was er liebt, nimmt er ihnen ein Stück weit den Schrecken.

Konstruktive Kritik kann ich dir bei dieser KG leider nicht anbieten, weil sie mir so gefällt, wie sie jetzt da steht.
cool =D Danke fürs Kompliment!

Doch da fällt mir ein, dass bei dieser KG diese Atmosphäre fehlt, die du bei deinen anderen Geschichten hast. Halt diese Das-Leben-ist-ungerecht-Feeling, die du so gut in die anderen Geschichten eingebunden hast. Das hat mir immer sehr gut bei deinen KGs gefallen.
Das versteh ich nicht ganz :-( Da muss ich jetzt einen Moment nachdenken: Ich will doch gar nicht ein solches Gefühl erzeugen, sondern im Gegenteil, zeigen dass das "andere Leben" zwar vielleicht irgendwie härter ist, aber trotz allem gutes Leben, und echtes, reales Leben, wo man noch weiss wofür man lebt. Hier kommt einem das alles ja so schnell abhanden, man lebt wie in einer Scheinwelt, wo überstrukturierte Gesellschaft, Hollywoodformate (die ich ab und zu auch ganz gerne schaue), politisches Gesülze, etc einen enormen Stellenwert einnehmen, aber "echtes" Leben??? Kaum bis nichts.
Hmm, ich glaube du spürst schon was ich meine, nur dass ich nicht weiss, ob ich das als ungerecht-Feeling bezeichnen würde... Wobei schon sehr viel Ungerechtes passiert, aber das Wort "ungerecht" leitet meine Aufmerksamkeit so sehr auf die Opfer irgendwie. Ich möchte lieber auf die Täter als die "komischen Leute" zeigen, und die "Opfer" sollen endlich als ganz normale gute Menschen wie du und ich gesehen werden, mit ihren individuellen Lebensgeschichten, Charakteren und Denkweisen, und nicht in erster Linie als "arme Opferlein" die am falschen Ort der Welt geboren wurden.

Wie auch immer, es passt auf jeden Fall für mich, wenn diese Stimmung hier bei dieser Geschichte nicht kommt, weil ich hier etwas anderes zeigen möchte. Nämlich den Umgang mit diesem sicher schwierigen Erlebnis, und nicht das Erlebnis an sich.

Huu ich hoffe, ich habe meine Gedankengänge einigermassen nachvollziehbar beschrieben?

Liebe Grüsse,
Siiba Bulunji

 

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