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Gwendolins Hängematte

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08.01.2004
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Gwendolins Hängematte

Zärtlich, wie ein verliebter Junge durch das Haar seiner Liebsten streicht, strich der laue Wind
über dunkle Wolken, schüttelte und faltete sie, so dass es aussah, als hätte eine Lady ihren seidenen Schal achtlos über des Himmels Lehne geworfen. Glitzernd bahnten sich rosa Sonnenstrahlen ihren Weg durch die entstandenen Lücken.
Gwen saß auf dem Balkon und genoss mit geschlossenen Augen den weichen Wind sowie die sanfte Frühlingswärme auf ihrer Haut. Beschützend strich ihre Hand über den gewölbten Leib, in dem sich junges Leben regte, das ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Sie träumte sich in eine nahe Zukunft. Sah sich in dem komplett eingerichteten Kinderzimmer stehen, sanftes Licht fiel durch die hellen Vorhänge und sie betrachtete das schlafende Gesicht ihres Kindes. Es würde ein Junge werden, dass wusste sie bereits. Eine Junge, die Erfüllung ihres Traumes, immer schon wollte sie zuerst einen Sohn bekommen, damit ihre Tochter, die sie sich ebenfalls wünschte mal einen großen Bruder hätte.
Plötzlich hatte sie das Gefühl beobachtet zu werden. Als wäre ein dunkler Schatten über sie gespannt, fröstelte sie, öffnete ihre Augen, um nach der Wolkendecke zu sehen und erschrak. Direkt über sich blickte sie in das Gesicht eines Fremden. Nur für den Hauch eines Augenblicks und doch so klar, sah sie dunkle Augen auf sich ruhen, die, noch ehe sie sich erhoben hatte, verschwunden waren, ebenso die Kühle. Ihr Herz schlug wie wild, die Hand auf ihrem Bauch drückte fester, das Baby in ihr regte sich nicht.
Da war Nichts, nichts Besonderes, sie war allein auf dem Balkon, über ihr nur der Himmel.
Einzig und allein, ein merkwürdiges Gefühl war geblieben, das, auch als ihr Mann Mike nach Hause kam, nicht ganz verschwinden wollte. Mike spürte ihre Unruhe, glaubte es läge an der bevorstehenden Geburt, in vier Tagen sollte das Baby kommen, so dass er ihr immer wieder versicherte er sei auf jeden Fall zu Stelle, wenn es soweit ist, nur noch einen Tag arbeiten und dann würde er nicht mehr von ihr weichen, bis das Baby da ist.
Es war ihr erstes Kind, Mike wusste nicht, ob alle Frauen so unruhig wurden, je näher der Geburtstermin rückte, doch seine Mutter hatte ihm gesagt Frauen wie Gwen bräuchten in dieser Zeit besondere Aufmerksamkeit.
Gwen freute sich über seine liebevolle Unterstützung, sie genoss es zu sehen wie sehr er sich auf das Baby freute. In dieser Nacht kuschelte sie sich besonders innig an ihn und er schlief mit beiden Händen auf ihrem Bauch ein.
Es war noch dunkel als sie erwachte, sanft spürte sie Mikes Atem in ihrem Nacken, die Wärme seines Körpers auf ihrer Haut und doch war da wieder diese unerklärliche Kühle, die etwas Bedrohliches mit sich trug. Ihre Augen hatten sich noch nicht ganz an die Dunkelheit gewöhnt, da meinte sie eine Gestalt an ihrem Bett zu erkennen. Mit einem leichten Schrei richtete sie sich auf, um die Nachtischlampe anzuknipsen.
„Was?“ Mike schreckte hoch.
Nichts.
Da stand nur ihr Klinikkoffer, seit Anfang der Woche gepackt, und der Stuhl auf dem Mikes Hemd lag.
„Hast du Wehen?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich glaub ich hab schlecht geträumt.“
„Soll ich dir etwas zu trinken holen?“
„Nein“, lächelte sie, „aber Mike...“
„Ja.“
„Würdest du mit mir ins Wohnzimmer gehen und ein Video ansehen?“
„Wenn es nicht wieder Dirty Dancing ist, klar“, stimmte er brummend zu.
„Nein, wir können auch einen James Bond sehen.“
Verschlafen sah er auf die Uhr, beugte sich über ihren Bauch und flüsterte:
„He, junger Mann du bist noch gar nicht da und hältst deine Eltern jetzt schon die Nächte wach.“
Zärtlich strich Gwen durch seine Locken, „Ich wünschte er hätte deine Haare.“
„Wirklich?“, blinzelte er sie an, „ ich mag meine Locken nicht.“
Die restliche Nacht verlief ruhig. Beide schliefen sie auf dem Sofa ein, ohne den Film zu Ende zu sehen.
Der Morgen kam mit fröhlichem Vogelgezwitscher, dem Gwen eine Zeitlang lauschte bis ihr bewusst wurde, dass sie verschlafen hatten. Hastig weckte sie Mike, um dann leicht amüsiert seinen chaotischen Versuch mehrere Dinge auf einmal zu erledigen, zu beobachten.
„Bleib liegen, ich frühstücke im Büro“, rief er ihr zu, verschwand dann kurz, kehrte zurück um sie zu küssen und ging erneut.
Gwen sah sich um, horchte in sich hinein.
Was war das, was sie fühlte, sah?
Ihre Welt schien rein und lichtdurchflutet, eine Welt in der ein Baby sich wohl fühlen müsste.
Was war es, dass ihr Angst machte und ihr doch gleichzeitig vertraut vorkam, wie etwas nach dem sie sich lange gesehnt hatte?
Plötzlich tauchten Bildfetzen vergangener, verdrängter Geschehnisse vor ihrem inneren Auge auf, nur Bruchstücke... und doch wusste sie es.

„Es sollte nicht so sein, aber irgendwie könnt ihr uns spüren.“
Eine zärtliche Stimme, so weich wie ein bebender Mutterbusen, sprach diese Worte zu ihr.
„Wo bist du?“
Merkwürdigerweise verspürte sie keine Angst.
„Hier.“
Direkt vor ihr tauchte wie aus dem Nichts eine männliche Gestalt auf. Die gleichen dunklen Augen wie am Tag zuvor ruhten auf ihrem Bauch. Gwen fühlte sich als sei eine Last von ihr genommen, so leicht fast schwebend wie erwartet und angekommen.
„Da bist du also.“
Er antwortete nicht.
„Hast du einen Namen?“
„Einst glaubtest du ich heiße Tino.“
Der Engel des Todes rührte an ihren Erinnerungen.
„Tino“, wiederholte sie fast genießerisch, „ja ich erinnere mich.“
Einen Moment herrschte Stille. Fast tastend glitten ihre Augen über seine Gestalt, breite Schultern über die dunkle Locken fluteten, die sie gerne berührt hätte, doch dann sah sie in Augen, die plötzlich wie Bernstein funkelten.
„Warum jetzt....“
„Gwendoline, ich bin nicht deinetwegen hier.“
Eiskalte Krallen griffen mit diesen Worten nach ihr, drückten sie nieder wie Tonnen von Eisen.
„Wies...“
Die Krallen schnürten ihr die Kehle zu, nach Luft ringend stand sie auf, taumelte... drehte sich im Kreis, fort, einfach nur fort, bis ihr geschrieenes Nein sie erlöste.
Tino stand vor ihr, „Er wird mich begleiten.“
Seine Stimme war sanft, doch jeder Buchstabe wie ein Messerstich in ihr Herz.
„Nein, bitte nicht... bitte... warum?“
Sie weinte, mit einer Hand umschloss sie ihren Bauch mit der anderen versuchte sie Tino auf Distanz zu halten.
„Es gibt hier keinen Aufenthalt für ihn. Die eine Tür wird geschlossen und die andere ...“
„Nein“, unterbrach sie schrill seinen Erklärungsversuch.
Tino schwieg doch zärtlich strichen seine nun wieder dunklen Augen über sie.
„Nimm mich.“
Brüchig und ohne Kraft kamen diese Worte über ihre Lippen.
Tino senkte den Blick, schwieg weiter.
„Lass ihn leben“, flehte sie.
Spürte einen Tritt in ihrem Bauch.
„Ich fühle ihn, er will leben!“
Sie rief diese Worte aus, als hätten sie dadurch mehr Überzeugungskraft, aber nichts geschah.
„Dann nimm mich... „, bettelnd sah sie ihn an, „dies Opfer kannst du doch annehmen.“
„Opfer?“
Vorwurfsvoll sprach er dies Wort aus, sah in ihr tränenaufgelöstes Gesicht.
„Ja“, stammelte sie, während sie seinem Blick an ihrem Leib hinab bis zu ihren Handgelenken folgte. Hässlich blitzte die Narbe unter ihrem Ärmel hervor.
„Dies wäre kein Opfer.“
Tino nahm ihre Hand drehte ihren Arm, so dass man die Narbe sah.
„Du, willst ja gar nicht leben.“
Gwen spürte wie ihre Knie weich wurden, nun hatte die Strafe sie erreicht, nach so vielen Jahren, sie sackte zusammen.

Tino hatte sie zurück auf Sofa gelegt. Gwen starrte vor sich hin, wie in einem Memoryspiel drehten sich die vergessen geglaubten Bilder nach und nach um.
„Selbstmord ist eine Todsünde. Bin ich deswegen nicht willkommen?“
„Das entscheide nicht ich.“
Wie kann eine Stimme so zärtlich klingen, die solche Grausamkeiten verkündet, dachte sie während ein leichter Schmerz ihren Leib durchfuhr.
„Du kannst dein Leben nur an einen anderen weitergeben, wenn es dir etwas bedeutet, du bereit bis es zu leben.“
Tino sprach die Worte so weich, Gwen hatte das Gefühl darin zu schaukeln wie...
Marty.
„Ich habe Fehler gemacht, ja, aber wer sagt, dass ich mein Leben nicht leben will?“
„Ich spürte deine Freude, als du mich erkanntest“, entgegnete er trocken.
„Aber ich habe schon mal auf etwas verzichtet, um zu leben“, begann sie zu erklären und er dachte „Marty“ und doch folgte er ihr in die Vergangenheit.

Zwölf Jahre vorher
Gwen stand am Fenster des Klinikzimmers, seit zehn Tagen war sie hier, diesmal war es anders. Sie ließen sie nicht gehen, drängten aber auch nicht zu Gesprächen. Diesmal redeten sie, schienen ihr Schweigen zu akzeptieren.
Als Gwen aus der Narkose erwacht und festgestellt hatte, dass auch dieser Versuch, sich das Leben zu nehmen misslungen war, drehte sie sich um und schwieg, doch in ihrem Kopf wirbelte der Gedanke, wieder versagt. Sie glaubte zu wissen, wie die nächsten Tage ablaufen würden. Ein Psychiater, ein Seelenklempner wie er umgangssprachlich verächtlich genannte wurde, würde sich ihrer annehmen. Fragen stellen, auf die sie nicht antworten konnte oder deren Antworten ihm nicht gefallen würden. Aber so war es nicht, man drängte sich nicht, kümmerte sich um ihre Wunden, erzählte von der Welt, schien jedoch keine Zustimmung von ihr zu erwarten. Wie eine Schallplatte, die jemand anders aufgelegt, die Lautstärke jedoch zu laut gedreht hatte, so dass sie mithören musste, ob sie wollte oder nicht, kamen ihr die Gespräche dieser merkwürdigen Frau, die sich nur mit, „Ich bin Judith“, vorgestellt hatte, und sie hin und wieder besuchte, vor.
Gwen sah hinaus, es schien als beobachtete sie etwas, doch sie nahm nichts wahr. Die Frau hinter ihr ordnete die leeren Medikamentenspender auf dem Nachtisch. Manchmal fragte Gwen sich warum diese Spender dort standen, sie waren immer leer, ihre Medikamente bekam sie portionsweise und immer unter Aufsicht.
„Gwendoline, heute ist ein herrliches Wetter, die Luft ist so weich, wie frisch gewaschene Saunahandtücher und riecht auch so. Willst du nicht ein bisschen rausgehen?“
Wand sie sich ihr wie beiläufig zu.
„Darf ich denn?“
„Natürlich“
„Überall hin?“
Diese Frage beantwortete Judith mit einem gutmütigen Lächeln. Gwen senkte den Kopf.
„Ach komm.“
Judith war an sie herangetreten nahm ihren Arm, „gehen wir runter auf die Terrasse, es ist herrlich, glaub mir.“
Innerlich widerstrebend setzte sie sich auf einen der Rollstühle, die einzeln, fast wie vom Wind zerstreute Blumen, auf der Terrasse standen, ließ es zu, dass Judith ihre Beine bedeckte, als sei sie eine alte Greisin, die vor Auskühlung geschützt werden musste. Gwen wusste, dass Protest nichts nutzte, außerdem war es egal.
„Genieß die Sonne und lausch dem Gesang der Vögel“, mit diesen Worten ließ Judith sie allein.
Lausch dem Gesang der Vögel. Kopfschüttelnd ließ Gwen die Worte in sich umher kugeln wie Murmeln. Glaskugeln ein Relikt vergangener Kindertage.
Nach einer Weile gesellte sich ein junger Mann zu ihr. Er sprach nicht doch sah er sie direkt und ein wenig unverfroren an, fast hatte sie das Gefühl als starrte er sie an. Sie hasste es beobachtet zu werden. Mit einem Ruck wand sie sich um und schleuderte ihm ein unfreundliches „Was?“ entgegen.
Seine Antwort war ein Lächeln, das den Blick auf schöne Zähne freigab, entschuldigend wand er ihr beide Handflächen zu, stand auf und ging davon.
„Blödmann“, dachte Gwen und doch sah sie ihm nach, leichtfüßig schlenderte er über die Terrasse bis er hinter einer der Türen verschwand.
Am nächsten Tag saß Gwen wieder draußen in der Sonne, diesmal hatte sie die Augen geschlossen, schien zu träumen, als ein Schatten auf ihr Gesicht fiel. Ärgerlich ob der Störung öffnete sie die Augen. Da war er wieder, selbstbewusst stand er vor ihr, verdeckte mit seinem Körper die Sonne und lächelte.
„Ich muss mich entschuldigen wegen gestern, darf ich?“, er wies mit einer Hand auf die Fläche neben ihrem Stuhl, als sie nickte zog er sich einen freien Stuhl heran und setzte sich.
„Ich glaube ich war komisch gestern, aber mir ging´s nicht so gut“, erklärte er ohne Umschweife.
Sie hob gleichgültig die Schultern.
„Ich bin Marty“, er streckte ihr seine Hand entgegen.
„Aha“, knurrte sie ohne die angebotene Hand zu ergreifen.
Marty sah sie eine Weile stumm aus großen blauen Augen an, zog die Hand zurück,
„Und du, hast du auch einen Namen?“
„Hhm“, sie holte tief Luft, die sie zum Zeichen, dass sie keine Lust auf ein Gespräch hatte, mit einem Stoß von sich gab.
„Magst du deinen Namen nicht?“
Er ließ nicht locker. Sie sah in sein rundes Gesicht, er lächelte und doch erkannte sie die dunklen Schatten unter seinen Augen. Du hast auch noch nicht aufgegeben, dachte sie und einem Impuls folgend, „Ich heiße Gwendoline.“
„Du hast Recht“, meinte er trocken, „Gwendoline passt nicht zu dir“, überzeugt sprach er dies aus stand auf und ging. Nach ein paar Schritten, er hatte ihr noch den Rücken zugewandt, rief er plötzlich, „Du siehst eher aus wie eine Gladis.“
Nun drehte er sich zu ihr um, plinkerte ihr mit beiden Augen zu, winkte fröhlich und verschwand.
Ungläubig sah sie ihm nach und in ihrem Kopf schwirrte wieder das Wort: Blödmann.

Am nächsten Tag traf sie ihn nicht.
Normalerweise sah die Klinikleitung es nicht gern, wenn die Patienten miteinander sprachen, zumindest nicht in diesem Stadium, aber Judith bemerkte ihren suchenden Blick, der immer wieder erwartungsvoll zu einer der Türen hinüber glitt. Sie lächelte, wenn es Marty gelang Interesse in ihr zu wecken, sollte es ihr egal sein.


Am Tag darauf saß Marty schon auf der Terrasse und begrüßte sie fröhlich
“ Hallo Gwendoline.“
„Oh, hast du dich entschlossen mich beim Namen zu nennen?“
Er lächelte, „Gladis passt zu dir. Aber so heißt du ja leider nicht.“
„Sie nennen mich Gwen“, teilte sie ihm mit, während sie auf einem der Stühle Platz nahm.
„Wer?“ Wollte er wissen.
„Alle“
„Und? Gefällt´s dir?“
„Keine Ahnung.“
„Eigentlich heiße ich Martin, aber Marty gefällt mir besser.“
Er blickte sie aus verschmitzen Augen an, doch sie schüttelte nur leicht den Kopf.
Irgendwann stand er auf winkte ihr zu und ging.

Von da an trafen sie sich regelmäßig. Hin und wieder saßen sie nur stumm nebeneinander, oder sprachen über belanglose Dinge. Manchmal berührte Marty wie nebenbei ihre verbundenen Handgelenke, ging jedoch nicht weiter auf das erschrockene Zurückziehens ihres Arms ein, führte seine Sätze fort und Gwen entspannte sich. Er lachte viel und ab und an huschte der Anflug eines Lächelns auch über ihr Gesicht. Dies blieb Judith nicht verborgen und so freute sie sich über diese Entwicklung. Es wurde zur Selbstverständlichkeit, dass Gwen die Nachmittage auf der Terrasse verbrachte, außer wenn sie Besuch bekam, doch das war eher selten der Fall.
Irgendwann jedoch, es war ein besonders heißer Tag, kein Lüftchen regte sich, sie saßen im Schatten schon eine Weile stumm nebeneinander, Gwendoline schien zu schlafen, wand er sich an sie:
„Darf ich dich etwas fragen?“
Sie hob den Kopf sah in seine wasserblauen Augen, die heute von einem merkwürdigen Glanz umgeben waren. Die Frage hatte sie schon seit Tagen erwartet, nein nicht diese Frage, denn eigentlich war Marty nicht so, so vorsichtig, er fragte einfach, deshalb war sie ein wenig überrascht über sein Herantasten, jedoch nicht unruhig.
„Du willst wissen warum.“
Ihre Stimme schien jeglichen Klang verloren zu haben. Sie sah ihn direkt an und hatte den Eindruck, dass der Glanz seinen Augen entwich, als er sie kurz schloss.
„Nun, wenn du es mir erzählen willst, ja. Aber eigentlich möchte ich wissen, was du erwartet hast?“
Sie zuckte die Schultern.
„Ich meine die meisten Menschen fürchten sich vor dem Tod, du aber wolltest ihn, scheinst dich danach gesehen zu haben...“
„Darfst du so mit mir reden?“
Ihre Lippe zitterte, als sie die Luft hörbar ausatmete.
„Wieso nicht?“
„Weil bisher alle dieses Thema vermeiden, sie reden über alles nur nicht darüber, und schon gar nicht, was ich erwartete...“
„Ich wollte dich nicht verärgern oder aufregen Gwen“, beschwichtigend legte er seine Hand auf ihren Arm.
Eine Weile waren sie wieder stumm.
„Ich dachte nur es wäre vorbei...“
Ganz leise kamen diese Worte aus ihrem Mund. Sie fühlte, dass er sie ansah, erwiderte den Blick jedoch nicht.
„Ich glaubte nicht an das Paradies oder so. Nein. Aber ich dachte Tino würde da sein... mich annehmen mit all dem... sein Licht würde die Schmerzen wegnehmen und er mich begleiten...“
„Das klingt...“
schön wollte er sagen, schluckte dies Wort jedoch im letzten Moment hinunter.
„Wer ist Tino?“
Ganz bewusste sagte er nicht wer war Tino, da er glaubte er sein ein früherer verstorbener Freund oder so.
„Tino“, sie sprach diesen Namen mit einem Lächeln aus, schien in eine andere Welt versunken und es dauerte ein paar Sekunden bis sie wieder zurück war.
„Tino ist mein Todesengel.“
Marty schluckte.
„Wohin sollte er dich begleiten?“
„Zur Tür... zum Übergang in ...ich weiß nicht wie man das nennen soll.“
Diesmal schwang Unsicherheit in ihren Worten mit. Deshalb sagte Marty:
„Wer weiß, vielleicht gibt es diese Tür, hinüber... aber sie wird sich dir nur von alleine öffnen, wenn es deine Zeit ist, nicht wenn du es willst, nur so kannst du hinüber.“
Mit diesen Worten ließ er sie allein.
In der folgenden Zeit passierte es oft, dass er sie ratlos zurück ließ.
Einmal, als es so schien, dass Gwen wieder in ihre Traumwelt hinüber glitt, denn in sich versunken starrte sie schon eine Weile auf das flimmernde Licht, meinte er ruhig „Du bist schön.“
Ganz langsam wand sie ihm ihr Gesicht zu, verzog den Mund wie ein Kleinkind, dem Spinat angeboten wurde. „Doch“, bekräftigte er und spielte mit einer ihrer Haarsträhnen, fast ärgerlich schob sie diese hinter ihr Ohr.
„Nein, das bin ich nicht.“
Lang zurück liegende Verletztheit begleitete diese Aussage. Ihre Augen flogen über sein Gesicht, als suchten sie etwas zum Festhalten.
„Ich bin nicht schön. Meine Mutter wollte früher dass ich Balletttänzerin werde.“
Er zog die Stirn in Falten, da sich ihm der Zusammenhang nicht erschloss.
„Mir machte das Spaß und ich glaube ich war ganz gut, denn ich sollte in einen anderen Kurs. Ich hörte wie meine Mutter, dies mit meinem Vater besprach, doch er antwortete, kommt gar nicht in Frage, was soll das, wenn sie hübsch wäre, ja, dann hätte es einen Sinn aber so...“
„Dein Vater muss ein blinder Mann gewesen sein“, fiel er ihr ins Wort. Und ein unsensibler Idiot dazu, dachte er.
„Tja, so hörte ich mit dem Ballett auf“, vollendete sie den Satz.
„Schade, du solltest in den Spiegel sehen, den man dir hinhält.“
Gwen wusste in dem Moment nicht, was mehr wehtat, die Erinnerung oder seine merkwürdige Stimmung.
Mit leichter Unsicherheit trat sie ihm am nächsten Tag gegenüber.
„Marty, wie hast du das gestern gemeint? Ich soll hinsehen.“
„Das Leben ist ein Geschenk.“
„Oh, jetzt kommt wieder die Geschichte von Gott und so...“ unterbrach sie ihn, obwohl sie die Worte mehr zu sich als zu ihm sprach.
„Wer sagt, dass ich von Gott spreche“, wollte er wissen und begegnete ihrem mürrischen Blick
mit einem offenen Lächeln. Irgendwie schuldbewusst schlug sie die Augen nieder, flüsterte:
„Niemand.“
„Das Leben ist ein Geschenk“, begann er noch mal, „du solltest dir die Mühe machen es auszupacken, um...“
„Schon mal ein Geschenk bekommen, das du nicht wolltest?“
Beinah vorwurfsvoll warf sie ihm diese Worte wie einen benutzten Putzlappen entgegen.
Marty sah sie eine Weile stumm an, ehe er den Blick in sich richtete, als forschte er in der Vergangenheit, lächelte und mit zärtlicher Stimme antwortete:
„Nein, aber welche, die ich nicht gleich verstand.“
„Was gibt es da zu verstehen? Um bei deinem lächerlichen Vergleich mit Geschenken zu bleiben, was hast du zum Beispiel von deiner Oma zum letzten Geburtstag bekommen?“
Marty neigte den Kopf zu Seite, überlegte.
„Siehst du“, triumphierend verließen diese Worte ihre Lippen, „du kannst dich nicht einmal daran erinnern, wäre es ein Geschenk gewesen, das du dir gewünscht hättest, würdest du es noch wissen.“
„Nein“, protestierte Marty, „warte... es waren Unterhosen...“
Gwen unterbrach ihn mit einem heiseren Lachen.
„Da haben wir´s“, zufrieden nickend strahlte er sie an, „damals verstand ich dies Geschenk nicht, doch heute weiß ich, dass es dazu da war dich zum Lachen zu bringen“, fügte er grinsend hinzu.
Gwen streifte ihn mit einem erstaunten Blick, der jedoch ein Vielleicht mit sich trug.
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, bis er plötzlich wissen wollte, „Was siehst du?“
„Wie?“
„Was siehst du? Sag´s mir, du schaust dort hin“, er wies mit der Hand auf die angrenzende Rasenfläche hinter dem Blumenbeet, das die Terrasse der Klinik umgab, „sag was siehst du?“
„Nichts.“
Irritiert sah sie ihn an.
„Nichts? Ehrlich?“
Herausfordernd war sein Tonfall, so dass sie stammelte:
„Nein, ich meine ja... da ist Nichts... nur Rasen.“
„Falsch! Das...“, mit einer würdevollen um greifenden Handbewegung, die aussah als würde er die Rasenflächen kunstvoll vor ihr ausbreiten, wies er auf eben diese, „das ist Leben.“
Als sie ihn immer noch erstaunt aber schweigend anblickte, stand er auf und reichte ihr die Hand, „Komm“
„Wir dürfen hier nicht weg.“
Nun hörte sie sich ein ganz klein bisschen wie ein Kindergartenkind an, dem man gesagte hatte es solle sich nicht vom Fleck bewegen, was ihn zu einem:
„Ach, und du tust was man dir sagt“, veranlasste, der provozierende Unterton war nicht zu überhören.
Gwen blickte sich unsicher um, legte dann jedoch ihre Hand in seine und stand auf. Sie hatte erwartet, dass seine Hand warm war, doch das war sich nicht, dennoch löste die Berührung ein unerwartetes Kribbeln in ihr aus.
Kichernd liefen sie zu der Rasenfläche.
„Leg dich hin“, forderte er sie auf, sie zog die Augenbrauen hoch, „Leg dich hin“, wiederholte er. Kopfschüttelnd tat sie es.
„Schließ die Augen, und atme ruhig ein.“
Sie gehorchte.
Die Sonne glitt sanft über ihre Haut, der Geruch von Erde und Gras kroch in ihre Nase, sie fühlte wie die Wolken am Himmel zogen, denn die Temperatur änderte sich, nur geringfügig, mit offenen Augen hätte sie es vielleicht nicht bemerkt, irgendetwas brummte oder zirpte, leichtes Vogelgezwitscher konnte sie hören und von weit her Geschirrgeklapper, es kribbelte an ihrem Bein, dann an den Ohren, sie unterdrückte ein Lachen.
„Spürst du es?“
„Es kitzelt“
„Wow, es kitzelt. Gibt es etwas Schöneres, als dass das Leben kitzelt?“
Gwen öffnete die Augen, sah den Wolken hinterher, dessen Flug sie eben noch spürte.
„Siehst du den kleinen Drachen da oben?“
Ohne eine Antwort abzuwarten sprach er weiter.
„Schau wie er trotzig mit den Vorderbeinen aufstampft, sicher will er weiter spielen
doch Mama Drache ruft zum Baden.“
„Sicher“, warf sie etwas spöttisch ein.
„Da schau“, er wies mit der Hand in Richtung Osten, wo die Wolken sich auftürmten,
„ Papa Drache kommt schon mit dem Wachzuber.“
„Tatsächlich“, staunte sie, „im Himmel gibt es keine Badewannen.“
„Nun, die brauchen sie nicht, es ist warm und draußen baden ist eh viel schöner.“
Lächelnd versanken die beiden in Wolkengebilden.

Gwen sah ihn auf der Terrasse stehen, der Welt irgendwie entrückt, was mochte er sehen wenn er so „weit weg“ blickte? Es war einer dieser herrlichen Tage, an denen Menschen wie Marty glaubten Wunder zu sehen. Am Himmelszelt schoben sich die dunklen Wolken vorsichtig aneinander, wie kleine Kinder, die verschwörerisch die Köpfe zusammensteckten, um sich Geheimnisse erzählten. Der leichte silberne Nieselregen fiel so zart auf die Erde, als sei er eine Mama, die ihr Baby wäscht, selbst der Wind wehte so sanft, als pustete er den Engeln liebevoll ihre Flügel trocken. Plötzlich, als hätte ihn irgendetwas berührt drehte er sich um. Mit schnellen Schritten war er bei ihr, noch bevor sie fragen konnte, „Was hast du gesehen?“, hatte er seinen Arm um ihre Taille geschlungen sie an sich gedrückt und ihr lächelnd einen Kuss mitten auf den Mund gegeben, „Gott, ist das Leben schön.“
Dann war er verschwunden, auf ihren Lippen blieb der feuchte Hauch von Regen und von ihm...
Trotz dieser ihr unerklärlichen Aufbrüche kamen sie sich näher, spannen ihre Gedanken ein Netz in das sie ihre Herzen legen konnten, während ihre Hände sich fanden und miteinander vertraut wurden. Es kribbelte, wenn sie sich festhielten und über den Rasen liefen und doch schenkten diese Berührungen beiden mehr Geborgenheit als Leidenschaft, sich so haltend konnten sie die Augen schließen und dem Abend entgegen sehen.
Irgendwann, sie lagen auf dem Rasen und bestaunten die Wolkenbilder, wollte sie wissen:
„Wie hast du es versucht?“
„Habe ich nicht“, antwortete er mit einer Stimme so dünn wie Glas.
Er spürte wie sie sich verkrampfte, sah beinah die Wellen von Fragen, die nun ihre Seele überschwemmen müssten, vor sich.
„Was machst du hier?“
Ihre Frage klang zornig und er wusste genau warum.
„Ich bin kein Psychiater, falls du das glaubst...“
„Was bist du?“
Keine Wärme lag in ihren Worten. Sie hatte sich aufgerichtet, er konnte in ihre Augen sehen, in denen Unsicherheit und Angst um die Wette tanzten. Nun setzte auch er sich, nahm ihre Hände in seine und flüsterte, „Ich bin Patient, Station acht...“
„Acht...?“
Lag da Entsetzen in ihrer Stimme?
„Das ist die Krebsstation...“
Er nickte. In ihrem Kopf drehte sich alles, oh Gott, ich dumme Pute, was soll ich nur tun? Gedanken überstürzten sich.
„Gwen, bitte“, seine Lippen waren ganz nah an ihrer Wange.
„Es tut mir leid“, hauchte sie, Worte, die schon lange nicht mehr in ihrem Herzen waren.
„Nein. Du bist gut...du bist... ich habe Angst... aber du gibst mir ein Ankommziel“, versuchte er ihre aufkommende Verzweiflung aufzuhalten.
„Wie?“
„Ja, ich kämpfe.“
Sie nickte, doch sie verstand gar nichts.
Ich habe Angst, doch falls mein Kampf verloren geht, bist du irgendwie ein Licht, dachte er, und vielleicht heißt mein Todesengel - Gwendoline.
Sie legten sie zurück ins Gras, die Hände fest umklammert sprachen sie nicht, doch ihre Gedanken umarmten sich.

Tage später, Gwen wusste mittlerweile, dass Marty seit drei Jahren an Leukämie litt, sah Marty sie weinen, sie saß an einem Baum gelehnt, schien sich verstecken zu wollen, als er zu ihr kam wischte sie ihre Tränen fort.
„Nicht Gwen.“
Mehr sagte er nicht.
„Was nicht?“ In ihrer Stimme lag Wut.
„Du tust etwas was viele machen...“
„Ach ja, na endlich mal... das hast du dann ja geschafft...“
Er zog ihren Kopf an seine Brust.
„Ich kämpfe, ich lebe...“, versuchte er sie zu trösten.
„Woher willst du denn wissen, dass das Richtig ist...“
Diesmal war er der Jenige, der ratlos blickte.
„Wer sagt dir denn, dass die Tür, deine Tür, sich dann noch mal für dich öffnet... ich meine
ich wollte meine zu früh öffnen und du willst vorüber gehen...“
Nun war ihr Tonfall wieder der der ersten Tage ihrer Freundschaft, fast lethargisch, mutlos, fallend.
„Gwen hör zu, stell dir vor das Leben ist diese Strecke hier.“
Er breitete seine Arme aus, „und ich lebe hier“, nun presste er beide Handflächen ca. in der Mitte der vorher gezeigten Strecke aneinander,
„die meisten Menschen jedoch leben, denken hier“, zur Erklärung schob der die rechte Hand ganz nach Rechts,“ und wenn sie dann dort sind“, jetzt winkte er kurz mit der rechten Hand, „leben, denken sie hier“, er hob die linke Hand, die er noch ein wenig weiter nach links gezogen hatte, „doch nie haben sie wirklich hier gelebt“, diesmal schob er wieder beide Hände zusammen.
„Ich aber lebe, denke hier“, er nahm ihre Hände in seine und drückte sie fest gegeneinander.
„Lass uns das Leben jetzt genießen, der Morgen ist unbekannt, aber wir freuen uns über einen Sonnenuntergang.“
„Und über einen Himmel voller Drachenkinder“, pflichtete sie ihm bei.

Die Tage kamen und gingen, sie sahen die Sonne auf und untergehen, am Himmel tobten verspielte Jungdrachen, Gwen und Marty tranken das Sonnenlicht, duschten im warmen Wind ebenso wie die erdachten Drachen, tauchten ein in eine Welt, die nur ein Hier und Jetzt kannte, bis es vorbei war.
Judith sprach mit Gwen, sie hatte Angst vor diesem Gespräch, alle glauben Psychiater kennen keine Angst, doch dem ist nicht so. Wie würde Gwen reagieren, würde Martys bevorstehender Tod sie wieder in Zweifel stürzen, oder hatte Marty es geschafft ihr das Leben näher zu bringen. Würde Gwen bereit sein zu leben oder sich wieder nach dem Tode sehnen.
„Willst du zu ihm gehen?“
Judiths Stimmer war sanft aber für Gwen waren es Worte voller Grausamkeit.
„Er wird sterben.“
Mehr sagte sie nicht.
Und ich, ausgerechnet ich soll zu sehen? Was denkt ihr euch eigentlich. Diese Gedanken behielt Gwen jedoch für sich.
„Ich hab meins nie ausgepackt, wissen Sie das?“
Die Frage ließ Judith aufhorchen, doch sie sprach nicht.
„Mein Geschenk... Marty sagt das Leben ist ein Geschenk... ich hab es mal weggeworfen, doch es flog nicht fort, wurde aufgefangen von einem Seil und nun liegt es dort oben, und ich steh wie ein Akrobat im Zirkus, dies Seil hat Marty gesponnen... zu sehen wie er geht, das kann ich nicht...“
Sie drohte in einen Strudel abzudriften als sie dies aussprach.
Judith war an sie herangetreten hatte sanft ihren Arm um sie gelegt.
„Abschiednehmen gehört auch dazu. Sag ihm auf Wiedersehen oder schreib es.“
„Geht das denn?“
Dies war der Rettungsanker, den sie ihr zugeworfen hatte, deshalb nickte sie. Und Gwen schrieb einen Abschiedbrief, zum ersten Mal in ihrem Leben...
Abschiednehmen, das hatte sie nie gemacht, lange überlegte sie, doch dann schrieb sie wie sie mit ihm gesprochen hatte, dies schien ihr die ehrlichste Art und Weise zu sein.
Gwendoline gab den Brief Judith, die versprach ihm Marty zu überreichen.

Marty lag regungslos in seinem Bett, er kam Judith klein und zart vor. Die Frau an seiner Seite hob den Kopf als Judith ins Zimmer trat, sie sah den Brief in ihren Händen.
„Er kann nicht mehr lesen, aber die Ärzte sagen er kann noch hören“, erklärte sie unter Tränen.
„Darf ich?“
Die Frau nickte und stand auf.
Judith setzte sich, öffnete den Brief und begann zu lesen.

Lieber Marty,
sicher denkst du jetzt ich sei feige oder so, aber das ist es eigentlich nicht.
Ich wollte dich gerne wieder sehen, aber dieser Faden, der mich zu meinem Leben führt, den du mir gesponnen hast, der ist noch so dünn... ich weiß nicht, ob er eine Begegnung mit dir aushalten würde... ich meine nicht mit dir sondern mit dem... na du weißt sicher was ich meine... dass hast du eigentlich immer gewusst, irgendwie komisch oder?
Weißt du, ich mache mir Gedanken übers Leben, nein nicht übers Leben sondern übers Überleben und dass hast du bewirkt... muss ich dafür Danke sagen?? Ich weiß es nicht.
Ich weiß auch nicht ob ich dir alles Gute wünschen soll oder hoffen, dass wir uns wieder sehen...
dies alles, das Hoffen und Wünschen ist noch so neu, dass ich keine Ahnung habe, wie man es macht.
Ich wollte dir nur sagen, das Leben, Marty ist wie eine Hängematte, wenn du still liegst bleibt dir seine Schönheit und der Spaß verborgen, doch wenn du zu stark schaukelst fällst du hinaus...
ich glaube ich habe von Anfang an zu stark geschaukelt und mich so krampfhaft festgehalten, dass ich einfach fallen wollte damit es aufhört... und dann blieb ich still liegen und nichts war mehr da. Du hast mir gesagt, dass ich wieder beginnen kann und noch habe ich meinen Rhythmus nicht gefunden aber manchmal spüre ich ein Kribbeln und den Lebenswind... ganz zart nur....
Möge deine Tür offen sein Marty und ich meine zur rechten Zeit finden...
wer weiß vielleicht werden wir wieder im Gras liegen und übermütigen Wolkendrachen zu sehen...
Gwen

Judith blickte auf als sie endete, vielleicht war es Einbildung aber sie glaubte ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen zu haben.
Zwei Tage später war Marty tot.

In der Gegenwart

„Würdest du auf dein Leben verzichten, verbirgt sich dahinter der Wunsch, Marty wieder zu sehen?“
Gwendoline hatte die Frage nicht erwartet, und so zögerte sie, „Nein.“
„Nein? Wie oft hast du an ihn gedacht? Ihn beneidet?“
Sie fühlte sich in die Enge gedrängt, spürte einen stärker werdenden Schmerz.
„Zu Anfang ja, da dachte ich an ihn, aber ist dass nicht normal?“
Wie oft sie ihn um seinen Tod beneidete erwähnte sich nicht, auch nicht die Sehnsucht nach dem Tod, die sie noch so oft befallen hatte, die sie mit Martys Worten:
„Nur wenn deine Tür sich dir alleine öffnet, kannst du hinüber“, verdrängte. Es waren Martys Ideen, nicht ihre, dass sah sie nun klar vor sich, die schmerzhafte Erinnerungsreise zu Marty würde ihren Sohn nicht retten. Dies erkennend rannte sie raus, die Treppe hinunter auf die Straße, sie wollte ihrem Sohn Leben schenken, rannte die Straße hinunter, die zu Mikes Bürogebäude führte, hielt ihren Bauch, der schmerzte, blickte sich immer wieder gehetzt um und stieß mit einem Fahrradkurier zusammen.
Dann wurde es dunkel.

Als sie zu sich kam, sah sie ein blinkendes Licht, hörte merkwürdig lang gezogene Laute, nur schemenhaft nahm sie die Gestalten um sich wahr, dann schlug der Schmerz zu, drohte sie zu zerreißen und sie schrie nach Mike.
„Mam, können sie mich hören? Ganz ruhig, wir kümmern uns um Sie.“
Gwen hörte ihr eigenes Stöhnen, gehetzt wanderte ihr Blick umher.
Wo war er?
„Ihre Fruchtblase ist geplatzt, der Bauch hart“, sagte der eine Sanitäter zu einem anderen, der sich nun über Gwen beugte, sie freundlich ansah.
„Mam, ich bin Rettungssanitäter Marcus und dass“, er wies mit dem Kopf auf den anderen Mann, „ist mein Kollege Eddie. Hören Sie mir gut zu, ihr Baby will anscheinend nicht mehr warten, wir werden Sie in den Wagen legen...“
Eine neue Schmerzwelle rollte über sie, so dass sie die letzen Worte nicht mehr verstand. Man hob sie auf eine Bahre.
Wo war er?
Trotz der Schmerzen sah sie suchend von einer Seite zur anderen.
Wo war er?
Im Rettungswagen wand sich der Mann, der sich als Marcus vorgestellt hatte, erneut an sie, „Bei der nächsten Wehe müssen sie pressen, hören Sie?“ Er neigte den Kopf zur Seite und da sah sie ihn.
Groß und bedrohlich stand er hinter dem Mann, der ihrem Kind auf die Welt helfen wollte.
„Nein!“
Sie sackte zurück. Nein, sie wollte nicht pressen, er sollte ihn nicht bekommen.
Ein heftiger Schmerz bohrte sich durch ihren Körper, als wollte er ihn zersprengen.
„Sie müssen pressen, Mam.“
Eddie war ganz nah bei ihr, drückte bei jeder neuen Schmerzwelle ihren Kopf auf ihre Brust, presste sein Gewicht gegen ihren Bauch, der Schmerz war so stark, sie konnte sich nicht wehren...
Dann war es auf einmal vorbei.
Es war still.
Noch benebelt blickte sie zu dem kleinen regungslosen Etwas, das Marcus auf den kleinen Behandlungstisch gelegt hatte, dann zu dem Sanitäter, sah wie er den Mund öffnet und doch nur den Kopf schüttelte....
„Ich wollte leben... „, stieß sie hervor, „nie zuvor habe ich mir so sehr gewünscht zu leben...
ich hab es ausgepackt...“
Die Sanitäter sahen sie hilflos an.
„Oh, bitte ich wollte leben, ihm die Welt zeigen, ich...“
Verzweifelt schrie sie, an den Sanitätern vorbei in Tinos Gesicht, der nur die Augen niederschlug, den Kopf senkte.
Sie schluchzte, sammelte neue Kräfte, sah ihr Baby an, das leblos in den Händen des Sanitäters Marcus lag, der es vor ihr zu verbergen versuchte.
„Bitte, ich wollte für ihn da sein, ... wenn die Welt ihm Angst macht, ihm alles erklären...,
Ich will ja, ich will ja leben.“
Mit letzter Kraft schleuderte sie dies aus ihrer Kehle.
Tino hob den Kopf.
„Gib ihr das Baby“, forderte Eddie Marcus auf.
„Gib es ihr, sie soll sich verabschieden.“, erklärte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, als er nicht gleich reagierte. Unsagbar sanft legte Marcus Gwen den Jungen in die Arme. Seit mehreren Jahren übte er den Job als Rettungssanitäter aus, doch das hier überstieg seine Kräfte, er wand sich ab.
Gwen betrachtete den kleinen Körper ihres Kindes, alles schien gut und richtig zu sein, schwarze Löckchen klebten an seinem Kopf.
„Ich will ja,...für dich.“
Sie küsste seine Stirn während die Tränen an ihrem Kinn herunter liefen und auf seine Augen fielen. Er zuckte, ganz zart verließ ein Gurgellaut seine Kehle. Erstaunt drehte Marcus sich um,
„ Schnell, er bewegt sich.“
Eddie reagierte sofort, suchte nach einem Absaugschlauch, riss das Päckchen mit den Zähnen auf, steckte das eine Ende des Schlauches vorsichtig in den Mund des Babys und saugte am anderen Ende. Der Kleine strampelte zaghaft, begann nach einigen Sekunden zu schreien.
„Das ist ein Wunder“, meinte Marcus und strahlte abwechselnd von dem Baby zu Eddie, der sich eine Träne fortwischte. Gwen küsste noch einmal das feuchte Händchen ihres Kindes, sah Tino lächeln.
„ Marty, genieß deine Hängematte.“
Noch bevor der Sanitäter das Baby fortnahm schloss Tino seine Flügel um Gwendoline, streifte dabei die Wange des Jungen und hauchte ihm blinzelnd zu:
“ Wir sehen uns in zwanzig Jahren, wenn bis dahin nicht etwas geschieht, das ihr ein Wunder nennt.“

©Angela Redeker

 

Hallo Angela Redeker,
diese Geschichte ist... ich weiß nicht. Teilweise ist sie intensiv und dicht geschrieben, teilweise beschreibst du nur. Die Frau spricht mit dem Tod, der ihr Kind holen will, warum, das hat sich mir nicht erschlossen. Dann entscheidet er sich um und gibt es ihr wieder. Dazwischen als Rückblende ihr Klinikaufenthalt (irgendwo schreibst du Stadion statt Stadium). Was ist das für eine Klinik? Ein Krankenhaus? Und wieso kommt sie nach ihrem Suizidversuch nicht in Therapie?
Du hast versucht, die Realwelt mit Fantasy-Elementen zu verschmelzen. Aber das ist dir nur teilweise gelungen. Das Fantasy-Element ist relativ gut eingearbeitet, nur die Realwelt wirkt für mich unglaubwürdig.

gruß
vita
:bounce:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo vita,
vielen Dank für deine Meinung.
Den Fehler habe ich korrigiert, danke (als Fußballfan schreibe ich so schnell Stadion und merke es nicht;-( )
Manchmal wundere ich mich,wie viel der Leser erklärt haben will.
Sie ist nach dem Suizidversuch sehr wohl in Therapie, dies wird beschrieben indem sie sagt sie reden mit ihr, ständig. Sie darf auch deswegen die Klinik z.B. nicht verlassen. Diese Klinik zu erklären sah ich nicht für nötig an, setzte da wohl zuviel voraus.
Nun die Rückblende, tja das war der Versuch von Gwen, dem Tod zu erklären, dass sie sehr wohl leben will und aus diesem Grund schon mal auf etwas verzichte hat,was ihr am Herzen lag, dies sagt sie ihm auch. Bietet damit ihr Leben für das des Kindes an, einen Grund warum der Kleine hier nicht bleiben sollte habe ich nicht angegeben, weil es für den Tod eines Kindes (Säuglings) meistens keine Erklärung gibt .

danke für deine Mühe
lieben Gruß
Angela

 

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