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Häuserkampf
Häuserkampf
Langsam schritten wir stadteinwärts. Obwohl die Kämpfe erst weiter in der Innenstadt erwartet wurden, hatten wir unsere Gewehre schussbereit zur Hand und versuchten auf jedes verdächtige Detail zu achten.
Der Klang unserer Schritte stach aus der Stille dieser Stadt unangenehm hervor. Die vernagelten Fenster und Türen trugen zur allgemeinen Beklemmung bei: Die Zivilbevölkerung war offenbar auch aus diesem Gebiet
weitestgehend geflüchtet. Die Wahrscheinlichkeit schon hier auf Widerstand zu stoßen war gering, das wussten wir, doch wir glaubten es dennoch nicht. Plötzlich ertönte ein Schuss aus nächster Nähe. Wir drehten uns um und richteten unsere Gewehre routiniert auf eine Gestalt, die inmitten der Straße stand. Normalerweise hätten wir sofort geschossen, doch wir taten es nicht. Ich weis nicht wieso, meine Reflexe schienen beim Zielen stehen geblieben zu sein. Offenbar ging es den Anderen ähnlich. Nach zwei Sekunden war zu viel Zeit verstrichen, um die Situation ohne nachzudenken zu meistern und ich begann, die Details wahrzunehmen. Vor uns lag Mike, er war offenbar verwundet. Verwirrt pendelten seine Augen zwischen uns und dem Feind hin und her. Der Gegner war mit einer alten Schrotflinte bewaffnet, welche er auf mich gerichtet hatte und schaute uns mit einem eigentümlichen Blick voll von Trotz, Angst und Verwirrung an. Es war ein Greis Ende 60 oder Anfang 70, kein typischer Kämpfer. Auch wirkte er dazu viel zu unsicher und seine Kleidung war ebenfalls zivil. Einige Zivilisten bleiben in jedem Krieg im Kampfgebiet, weil sie um ihre Häuser fürchten oder zu schwach sind um zu fliehen. Vielleicht handelte es sich hier auch um einen Solchen, der sich nun spontan entschlossen hatte, die Verteidigung seines Besitzes selbst in die Hand zu nehmen.
Je länger wir dort so standen, umso unsicherer wurde der Mann und jetzt wäre es der nächste logische Schritt gewesen, ihn aufzufordern seine Waffe niederzulegen und ihn dann gefangen zu nehmen. Jetzt fing Mike an, Laute des Schmerzes von sich zu geben, welchen er langsam zu spüren begann. In der Ferne war plötzlich auch noch Gewehrknattern zu hören. Konnte das sein? So früh schon Kämpfe? Die anderen Gruppen hatten das Stadtzentrum gewiss noch nicht erreichen können. Ich wurde nervös. War das hier vielleicht doch ein paramilitärischer Kämpfer? Ein Schuss beendete meine Überlegungen und der Alte lag auf einmal mit ausgestreckten Armen auf der Straße und hatte eine Eintrittswunde auf der Stirn. Richard, der den Schuss abgegeben hatte, sah mich verlegen an. Als ich begann Mike zu versorgen, versuchte Richard den Toten in einem nahe gelegenen Keller verschwinden zu lassen, so als versuche er einen Mord zu vertuschen. Letztlich war der frühe Angriff jedoch eine gute Sache: Wir brachten Mike ins Lazarett und sicherten den ansonsten menschenleeren Abschnitt. So blieb uns die eigentliche Schlacht erspart.
Er lag auf dem Bauch mit dem Gewehr in der Hand und wartete auf die Angreifer. Nichts rührte sich. Die Stadt war tot und doch würde hier irgendwann ein kleines Chaos ausbrechen. Wahrscheinlich würden sie aus der Gasse herauskommen, die er nun seit zwei Stunden im Visier hatte und er würde der Erste sein, der sie zu sehen bekommen würde. Das Warten auf den Feind, die Spannung, all das setzte ihm zu. Er hatte noch nie an Kämpfen teilgenommen, lediglich von weitem konnte er sie bisher betrachten. Doch diesmal würde es garantiert heiß werden und er rechnete sogar damit, dass seine Truppe gezwungen sein würde, sich gegen Ende des Tages zurückzuziehen.
Plötzlich hörte er einen Schuss und bekam einen Adrenalinstoß. Es war ein einzelner Schuss. Verwendete der Feind Scharfschützen? Angst packte ihn. Jeden Moment konnte er getötet werden ohne es richtig zu merken. Er suchte die Fenster der nahegelegenen Häuser ab. Schatten verhinderten die Sicht in ihr Inneres und die Sonne rief Flimmererscheinungen in einigen Fenstern hervor. Oder waren das Scharfschützen? Schließlich hielt er es nicht mehr aus und er begann in jedes Fenster zu schießen, das in seiner Reichweite lag. Als sein Gewehr nachgeladen werden musste, hörte er einen weiteren einzelnen Schuss. Er zuckte zusammen. Solange er die Schüsse noch hörte, konnten sie nicht ihm gelten. Doch dieser Gedanke trug nicht zu seiner Beruhigung bei. Im Gegenteil: Die Stille kam ihm vor wie das Kreischen eines Kugelhagels, der schneller als der Schall auf ihn zu flog. Blut rauschte in seinen Ohren, so laut wie Kanonendonner. Durch tiefes Einatmen versuchte er einer drohenden Ohnmacht zu entkommen.
Er gab einige Feuerstöße ab und bemerkte dann, dass er die Augen geschlossen hatte und seine Ziele imaginär waren. Die Stille dröhnte gnadenlos weiter. Waren da nicht Schritte? Er schoss eine weitere Salve ab und vertrieb auf diese Weise für einen Augenblick seine Hilflosigkeit. Doch die Stille kehrte zurück und bedrohte ihn abermals. Die Scharfschützen befanden sich wahrscheinlich immer noch direkt in der Nähe. Die Gebäude und Straßen dieser Stadt beherbergten den Tod, sie waren sein Feind. Sie standen vor ihm als seien sie ein Monster, das ihn auffressen will. Er begann die Stadt unter Feuer zu nehmen. Schreiend zerschoss er alles was vor ihm lag. Eine Schlacht entbrannte - Einer gegen alles. Niemand hätte in diesem Moment die Straße passieren können: Straßenschilder deformierten sich, Autos verloren ihre Scheiben, Fassaden trotzten standhaft dem Kugelhagel. Als er seine gesamte Munition aufgebraucht hatte bemerkte er, dass er die Schlacht verloren hatte. Er flehte die Scharfschützen an, ihn zu verschonen, in der Art von religiösen Fanatikern, die versuchen zornige Götter ruhig zu stimmen. Als er mit seinem Gebet am Ende war blickte er auf zu einem der besonders großen Hochhäuser. Das Haus schaute auf ihn herab wie ein antiker Gott und da es keine Anstalten machte ihn mit Blitzen zu bewerfen oder in ein Tier zu verwandeln, empfand er eine Art Absolution und zog sich zurück.
Er berichtete den Offizieren, dass der Feind mit einer unbezwingbaren Übermacht angerückt sei. Man schenkte ihm Glauben und entschloss sich zum Rückzug.