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Hühnersuppe
Als Zima die hohe Holztür aufdrückt und in den Wohnungsflur tritt, fröstelt Boris. Schon beim Betreten des hohen Treppenhauses mit dem gefliesten Boden und den steilen Holzstiegen hat er gemerkt, dass es kühler war als draußen in der sommerheißen Straße. Angenehm kühl. Aus dem Flur der Wohnung im dritten Stock weht ihn Kälte an.
Zima dreht sich zu ihm um, Licht aus einem Fenster am Ende des Flurs umflort ihre Kontur. Sie blinzelt und fragt: "Alles in Ordnung mit dir?"
Boris sagt nichts. Mit verschränkten Armen steht er vor der Türe, reibt sich die Oberarme und Ellenbogen und presst die Lippen zusammen, damit sie nicht zittern.
Er bestaunt das Mädchen, das vor ihm steht und ihn aus blassblauen Augen anblickt. Schneewittchen, denkt er. Die Haut weiß wie Schnee, die Lippen rot wie Blut, das Haar schwarz wie Ebenholz.
Zima lächelt und zeigt ihre ebenmäßigen strahlenden Zähne. "Hallo, Boris", ruft sie heiter und schnipst vor seinem Gesicht mit den Fingern der rechten Hand. "Aufwachen!"
Boris blinzelt. "Entschuldige ... alles klar bei mir."
"Komm rein. Ich beiße nicht." Sie spricht mit einem fast unmerklichen Akzent, ihre Betonung ist anders. Etwas Osteuropäisches, denkt Boris.
Er folgt Zima in den Flur, tritt an ihr vorbei. Hinter ihm schließt das Mädchen die schwere Tür. Fast augenblicklich lässt die Kälte nach.
Der Hausflur ist ein Museum. Alles scheint alt zu sein. Nein, alt ist das falsche Wort. Die Einrichtung ist nicht verschlissen, sie ist nur völlig aus der Zeit gefallen. Die Läufer am Boden, die Tapeten, auch die Möbel. Wie ein Fenster in die Vergangenheit vor hundert Jahren. Durch seine hohe Decke wirkt der Flur schmal, rechts und links zweigen Türen ab, weiter hinten sieht er das Fenster, durch das das Licht des Sommernachmittags hereinfällt.
Zima springt leichtfüßig an ihm vorbei, dreht sich zu ihm um und breitet die Arme aus. "Hier wohne ich!"
"Okay."
"Okay?"
"Es ist etwas ungewöhnlich."
"Gefällt es dir nicht?"
"Doch. Irgendwie anders. Spannend." Boris grinst.
Zima lächelt zufrieden. Boris fragt sich erneut, wie alt sie eigentlich ist. Als sie ihn auf der Straße angesprochen hat, hielt er sie für ein Mädchen, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Aber dann, nachdem sie eine Weile gesprochen haben, über Bäume zum Beispiel, mit denen sich Zima sehr gut auskennt, und seltsamerweise über Hühner, für die sich Boris gar nicht interessiert, hat er den Eindruck, dass sie älter sein muss. Ihre Art zu sprechen, und ihre Art, ihn anzusehen.
Ihre Augen.
Zima trägt ein weißes Sommerkleid aus Leinen, und an den Füßen schwarze Lackschuhe. Sie ist schlank, mädchenhaft, mit ersten Anzeichen des Erwachsenwerdens. Kindertitten, würde Kilo dazu sagen. Kilo ist ein Schwätzer.
Weshalb Boris sich eingelassen hat, mit Zima hochzukommen, weiß er selbst nicht genau. Zima schaut einem direkt in die Augen und das fühlt sich einfach gut an. Boris fühlt sich gesehen. Und scheut sich auch nicht, ihr direkt ins Gesicht zu schauen. Zima ist das hübscheste Mädchen, das er kennt, hübscher noch als Regina, in die er sich heimlich verguckt hat und die eigentlich schon erwachsen ist.
"Frau Königin", denkt er. "Ihr seid die schönste hier, aber Zima ist noch tausendmal schöner als Ihr."
"Warum grinst du, was ist los?" fragt sie. Schaut ihn forschend an, mit schiefgelegtem Kopf.
"Nichts weiter. Ich hab nur … Was machen wir jetzt?"
"Komm mit." Sie streckt die Hand zu ihm aus, Boris ergreift sie und fühlt ein Prickeln. Schon zieht sie ihn hinter sich her in ein Zimmer, das noch altertümlicher aussieht als der Flur.
Auch hier dicke Teppiche, mit Leder überzogene Lesesessel und Tische aus dunklem Holz mit abenteuerlich gedrechselten Beinen. Eine Wand besteht fast ausschließlich aus in Leder gebundenen Büchern, auf dem Sims eines Kamins stehen einige Fotografien in silbernen Bilderrahmen, über dem Kamin das in dunklen Tönen gehaltene Ölgemälde eines Greises mit einem langem fusseligen Bart und einer Krone auf dem knochigen Schädel, über die Haarbüschel wie Wattebäusche ragen, und einem eingefallenen Gesicht, aus dem zwei schwarze Augen in den Raum blicken. Ein ausladender Kristallleuchter hängt von der Decke.
"Wow", sagt Boris beeindruckt. "Darf ich ein Foto machen? Ich mein … Das ist total abgefahren. Und ein bisschen gruselig."
Zima blickt zu dem Gemälde herauf. "Ja, Cousin Koschtschei ist wirklich keine Schönheit." Sie stellt sich unter dem Bild auf wie eine Tänzerin und breitet die Arme aus, die Handflächen nach oben. "Aber ich mache das sicherlich wieder wett, oder?"
"Tausendundeinmal", lacht Boris und holt sein Smartphone aus der Hosentasche. Er entsperrt es, ruft die Kamera auf und macht einige Bilder, zuerst von Zima unter dem hässlichen Cousin, dann vom Rest des Zimmers.
Er sieht, dass er keinen Empfang hat in der Wohnung. Er checkt kurz die WLAN-Netze, auch keines verfügbar. Schließlich dreht er sich wieder zu Zima um, die sich nun in eine schmollende Pose geworfen hat.
„Ich bin auch noch da, Boris.“
Boris steckt das Smartphone weg und geht auf das Mädchen zu. "Wie konnte ich das denn vergessen?“ Sie streckt die Hände aus, er ergreift sie. Er schaut ihr ins Gesicht und ist erneut von ihren prinzessinnenhaften Zügen, dem Glanz ihres langen schwarzen Haares und ihren Augen gefangen. Zima blickt ihn unverwandt an, lächelt, die Lippen leicht geöffnet.
Boris wird ein wenig schwindlig Was macht er denn hier? Ohne nachzudenken beugt er sich vor, um das Mädchen zu küssen.
Zima hebt ihre Hände und dreht sich lachend in einer Pirouette in Richtung der Türe davon. "Ich hole uns was zu trinken!" ruft sie heiter und tänzelt über den Flur in den gegenüberliegenden Raum. Boris hört die Tür zuschlagen und seufzt.
Er überlegt, ob er nicht lieber gehen soll. Zima ist noch ein Mädchen, und er wird in ein paar Monaten 19. Und was gar nicht geht, ist das, was gerade in seiner Hose passiert. Verdammt nochmal, Kindertitten, denkt er, wie um seine unangemessene Erregung zu exorzieren, aber das macht es nicht besser.
Er blickt hinauf zum Ölgemälde des hässlichen Cousins, der ihn aus toten Augen anstarrt. „Sorry, alter Junge“, murmelt er.
Er senkt den Blick und betrachtet die drei Fotografien auf dem Kaminsims genauer.
Ein Bild zeigt Zima, das ist unverkennbar. Aber die Fotos wirken wie das Zimmer, so als hätte jemand sie vor hundert Jahren aufgenommen. Das Bild ist eine bereits etwas gelbstichige Schwarzweiß-Aufnahme mit der eigentümlichen Schärfe jener Bilder, bei denen die Fotografierten minutenlang stillsitzen mussten. Als wenn man gestorben wäre. Eigentlich klar, dass man in so einem Zimmer keine Farbfotos haben will.
Zima sieht aus wie Zima, so, wie sie keine halbe Minute zuvor das Zimmer verlassen hat. Eine Prinzessin, ein mehr als nur hübsches Mädchen.
Das zweite Foto zeigte eine erwachsene Frau, und Boris erkennt sogleich die Familienähnlichkeit, in den Zügen und vor allem den Augen. Vermutlich die Mutter, denkt er. Er nimmt das Bild vom Sims und schaut es genauer an.
Die Züge der Frau sind reifer, schöner, sinnlicher als die ihrer Tochter, das schwarze Haar tost ungebändigt um ein atemberaubendes Gesicht, das nicht makellos, aber in seinen winzigen Irritationen und Fehlbarkeiten umso anziehender ist. Er sieht Zima, aber in zehn oder fünfzehn Jahren. Boris kann seine Augen kaum vom Abbild dieser Helena lösen.
Er stellt das Bild zurück und wendet seinen Blick der dritten Fotografie zu, das einen gänzlich anderen Anblick bietet. Hier scheint die Großmutter, eher Urgroßmutter Zimas abgelichtet zu sein, das Haar schlohweiß, das Gesicht eine von Falten zerklüftete Einöde, aus der über einem vermutlich zahnlosen Mund eine übergroße Nase ragt. Einzig die bekannten Augen strahlen aus dieser Ruine eines Gesichts heraus wie der Vollmond.
Boris holt erneut sein Telefon heraus und knipst das Foto der Mutter. Weiterhin kein Empfang. Es ärgert ihn, dass ihn das beunruhigt. Was ist so schlimm daran, einfach mal offline zu sein? Passt irgendwie zur Wohnung, denkt er.
Dennoch ist Boris‘ Entscheidung gefallen. Er wird mit Zima noch ein Glas Wasser trinken und sich dann verabschieden, ehe noch etwas geschieht, das er bereuen wird. Er fragt sich, wo das Mädchen mit den Getränken bleibt.
Er geht zurück auf den Flur, blickt nach links zur Haustüre, die eigentümlich weit entfernt ist. Vermutlich eine optische Täuschung aufgrund des schmalen, hohen Hausflurs. Dann schaut er nach rechts, zum Ende des Flurs und dem Fenster, durch das weiter die Nachmittagssonne in den Flur fällt.
"Zima!", ruft er halblaut. Auch wenn er mit dem Mädchen vermutlich alleine ist, bringt er es nicht über sich, in dieser Wohnung laut zu rufen.
Keine Antwort.
Boris tritt an die Tür heran, durch die Zima vor ein paar Minuten verschwunden ist und öffnet sie vorsichtig. Der kräftige Geruch von Gewürzen und einer in Zubereitung befindlichen Mahlzeit weht ihm entgegen.
Er öffnet die Türe weiter und sieht, dass er die Küche gefunden hat. Auch hier setzt sich der museale Touch der übrigen Räume fort. Die Küche ist nicht modern, oder sie ist so modern, dass sie auf alt gemacht ist. Vintage.
Ein großer, robuster Tisch steht in der Mitte des Raums, auf in Rautenmuster gelegten Fliesen, im Wechsel blau und weiß. Ein wuchtiger, antiker Küchenschrank nimmt den Großteil der Wand zwischen zwei Fenstern ein, zur Rechten stehen zwei große Regale an der Wand, in denen sich Keramikgefäße befinden, mit Beschriftungen, die Boris nicht lesen kann. Ist das kyrillisch?
"Zima?", fragt er unsicher, und blickt schließlich nach links. Für einen Augenblick denkt er, er habe Zima gefunden, aber etwas stimmt nicht. Dann sieht er, dass die Person, die an dem vorsintflutlichen Herd steht und in einem hohen Topf rührt, nicht Zima ist. Zwar trägt auch sie ein weißes Sommerkleid, aber sie ist höher gewachsen, erwachsener, weiblicher.
Die Mutter, denkt Boris. Seine Ohren beginnen zu glühen.
Die Frau lässt den Holzlöffel im Topf stehen und schaut ihn an. Sie lächelt freundlich. "Ah, du musst Boris sein!" Auch hier der kaum hörbare Akzent, die eigentümliche Betonung.
Boris bringt nichts heraus. Das Gesicht hat ihn bereits von der Fotografie aus gefesselt, aber auf die Stimme war er nicht gefasst gewesen. Die Stimme der Mutter ist wie ein Zauberspruch, eine etwas heisere, dunkle Stimme, fraulich, aber zugleich hart, selbstsicher, erfahren. Er kann sich bereits jetzt nicht mehr vorstellen, dass die Frau eine andere Stimme haben kann.
"Zima hat mir erzählt, dass du da bist."
"Ja. Hallo. Ich bin ... Ach so, das wissen Sie ja schon."
Die Mutter lacht. "Ich bin Roga, Zimas Mutter. Und ich bin nicht so alt, dass du mich siezen musst."
Boris lächelt verschämt und verschränkt die Hände im Schoß. Die eigene Eselhaftigkeit ist ihn bereits unangenehm, viel peinlicher aber ist ihm die Tatsache, dass er eine Erektion hat. Roga blickt ihm gottlob unverwandt in die Augen.
"Zima ist fortgegangen, um Besorgungen zu erledigen."
"Aha. Aber eben wollte sie -"
"Ich habe sie weggeschickt." Roga lächelt und bedeutet ihm mit einer feinen Geste der linken Hand näherzutreten. "Sie wird eine ganze Weile unterwegs sein." Und dann, so als realisierte sie es erst jetzt. "Wir sind ganz allein hier."
Boris bringt kein Wort heraus.
"Komm her", sagt Roga. "Du kannst mir bei der Suppe helfen."
Boris blinzelt. "Die Suppe, ja klar." Er geht näher und winselt fast, als er den Geruch Rogas wahrnimmt, ein würziger, sinnlicher Duft, den er nicht zu beschreiben vermag, der Türen in seiner Erinnerung öffnet, ihn elektrisiert.
Zima ist vergessen, und auch, dass er eigentlich gehen wollte. Boris begehrt diese Frau, ohne zu wissen, weshalb. Normalerweise reizen ältere Frauen ihn nicht, aber diese … dieses Weib ist eine Versuchung jenseits aller Altersgrenzen und Bedenken. Wie alt ist sie? Mitte dreißig vielleicht. Vielleicht auch älter. Gleichgültig. Sein Atem wird schneller.
"Was ... soll ich tun?"
"Das Fleisch schneiden. Kleine Stücke, vielleicht so groß wie ein Fingerglied. Aber gib Acht, dass du dich nicht verletzt." Sie weist auf ein Schneidebrett am Küchentisch, auf dem rosiges Fleisch liegt. Und ein Küchenmesser.
Boris ist dankbar, sich setzen zu können, so kann er seine fleischliche Erregung vor Roga verbergen. Das Messer ist scharf und schneidet das rosige Fleisch mühelos.
"Hühnersuppe?" fragt Boris, während er schneidet.
"Ein altes Familienrezept", antwortet Roga vom Herd, wirft einige Gewürze hinein und rührt. Die Suppe gurgelt.
"Roga ist ein ungewöhnlicher Name", sagt Boris.
"Es ist ein sehr alter Name, so wie Zima. Oder Jadwiga." Ein Lächeln. "Älter noch als das Familienrezept."
"Jadwiga? Heißt ... die alte Frau so? Ich habe die Fotos gesehen."
"Ja, das ist sie. Meine Baba. Sie ist auch nicht hier." Ein weiteres Lächeln, ein vielsagender Blick. Roga kostet von der Suppe, Boris starrt sie an, der Löffel an ihren Lippen macht ihn atemlos. "Schneid das Fleisch fertig, Boris, dann kann die Suppe ein wenig köcheln. Und wir haben Zeit für uns."
Boris schluckt. Sein Mund steht offen. Er blinzelt, versucht sich auf das Fleisch vor ihm zu konzentrieren, schneidet weiter. Als er fast fertig ist, erwischt er seinen Finger.
"Au!"
Das Messer klappert auf den Tisch. Boris schaut auf seinen linken Zeigefinger. Nichts. Und dann kommt das Blut.
Roga ist da, packt sein linkes Handgelenk mit sanftem, entschlossenem Griff und führt die Hand zum Mund, ihre Lippen umschließen Zeige- und Mittelfinger, er spürt, wie seine Fingerspitzen in die feuchte, warme Mundhöhle eindringen und Rogas Zunge an der Wunde reibt, zärtlich fast.
Boris schaut zur Seite, blickt in Rogas schönes Gesicht direkt vor ihm, in ihre eisblauen Augen, ihre schlanke Nase, und berührt mit den Fingern der rechten Hand sanft ihr Gesicht, ihre Schläfe, ihr Jochbein, fährt entlang der Kurve ihres Ohres durch die Haare, streichelt sie.
Sein Atem geht stoßweise, er atmet den Duft ein, den Roga ausströmt, ein Aroma, das etwas in Boris jüngsten Erinnerungen anrührt. Rogas Zunge streicht weiter an seinen Fingern entlang, die Reibung lässt ihn am ganzen Leib zittern. Er streckt sich im Stuhl, in der sitzenden Haltung hat es nicht genug Platz in seinem Schritt, um die pulsierende Schwellung dort auszuhalten.
Boris stöhnt, und Rogas rechte Hand findet seinen Schritt. Seine Augen weiten sich, Roga zieht seine Finger aus dem Mund und lächelt. Ihre Zunge fährt über ihre Lippen, und dann sind ihre Lippen auf Boris Mund, ihre Zunge darin, und er schmeckt sein Blut, und Zimt, Muskat, Vanille, Lust, ihm wird schwindlig, Rogas Atem füllt seine Lungen, sie füllt ihn ganz und gar aus.
Roga zieht Boris auf die Beine, fasst sein T-Shirt am Saum und zieht es ihm über den Kopf. Es ist, als hätten sich ihre Lippen nie voneinander getrennt. Sie löst seinen Gürtel, knöpft die Jeans auf, zieht den Reißverschluss auf, dann ist ihre Hand an seinem Glied, kalt und heiß zugleich, und Boris ächzt vor Erregung.
Seine Hände finden ihre Schultern, ihr Kleid ist von ihr abgefallen wie Nebel, in der Sonne verdampft, er findet die Wölbung ihrer Brüste, und seine Lippen lösen sich von den ihrigen, suchen und finden ihre Brustwarze, schließen sich darum und saugen. Warme, würzige, köstliche Milch füllt seinen Mund, und Boris trinkt in tiefen Schlucken.
Roga schiebt ihn gegen die Tischplatte, und Boris fühlt sich hinaufgehoben, seine Kicks klappern zu Boden, die Jeans und Shorts verschwinden die Beine hinunter, splitternackt liegt er rücklings auf dem Küchentisch.
Vor ihm, über ihm steht Roga, eine Göttin, Aphrodite selbst, und ihr Schoß senkt sich auf sein Geschlecht, umschließt Boris mit pulsierender Wärme, in einem Mahlstrom der Erregung und Lust, ihre Augen strahlen wie Eis in der Sonne, und wie ein Feuer fährt es durch ihn oben zum Mund herein und unten in nicht enden wollender Ejakulation wieder hinaus, bis er sich selbst nicht mehr fühlt, als wäre er ein Teil von ihr, als wäre er ganz und gar in ihr und hätte aufgehört zu sein, er ist blind und taub und Roga ist über ihm und wird groß und größer und die Ewigkeit verschlingt ihn ganz.
Ein Schrei entringt sich seiner Kehle, Boris erkennt die eigene Stimme nicht mehr, und dann ist alles vorüber.
Boris liegt nackt auf dem Tisch, aber Roga ist fort. Er versucht sich aufzusetzen, aber er vermag es nicht, nicht einmal den Kopf kann er heben, er kann nur zur Seite rollen. Als er das tut, sieht er seine Hand, nein, er sieht eine Hand, die nicht die seine sein kann, so winzig ist sie, so plump.
"Roga!", ruft er, aber seine Stimme ist das quengelnde Klagen eines Säuglings. Es kann nicht sein, denkt Boris, ich kann nicht ein Baby geworden sein, das geht überhaupt nicht. Ich träume das.
Jenseits der Hand kann er verschwommen die Tür zum Flur sehen, alles erscheint ihm so groß, so weit entfernt, so unscharf. Er sieht, wie die Tür sich öffnet, eine Gestalt in einem weißen Kleid tritt ein.
Roga.
Sie kommt näher und Boris erkennt, dass es die alte Frau ist, die Großmutter. Die Baba Jadwiga. Mit knochigen Fingern hebt die Alte ihn hoch, er muss ganz leicht sein, sie hebt ihn vor ihr Gesicht und gurrt. "Oh, was hast du denn, mein Chlapček? Komm zur Baba Jaga, kleiner Boris, komm." Die Alte tanzt durch die Küche, singt eine heisere Melodie und dreht sich dazu im Kreis, dreht Pirouetten, in ihren Händen lässt sie auch ihn tanzen, Boris wird schwindlig, er will herunter, will nach Hause, aus dem Traum aufwachen.
Boris beginnt zu weinen, das ist alles, was ihm geblieben ist. "Husch, statočný Chlapček, gleich ist es vorbei, bald hast du es geschafft." Sie wiegt ihn in ihren Armen, die Augen der Baba Yaga schweben über ihm wie zwei bleiche Monde. Eine seltsam bekannte Weise summend trägt sie ihn aus der Küche, durch den Flur und betritt dann ein Badezimmer.
Hier riecht es entsetzlich, Boris beginnt sogleich wieder zu weinen. Nach Blut und Exkrementen, es riecht nach Angst.
Über der Badewanne am Ende des Raums ist eine Wäscheleine gespannt. Daran hängen, kopfüber an je einem Bein aufgefädelt, kleine Leiber, Säuglinge, Babies, so wie er eines ist. Als die Alte mit ihm näher herantritt, sieht er, dass die Wanne innen ganz rot ist von Blut. Es ist kühl hier, dumpf hört er das Surren von Insekten.
Boris hat Angst. Er weiß, was geschehen wird, aber er will es nicht, und kann doch nichts dagegen tun. Er schreit. Schreit, was seine kleinen Lungen hergeben.
Die Alte nimmt ihn an einem Bein, wickelt die Wäscheleine zweimal darum und lässt ihn baumeln. Sie holt ein Messer hervor, das Messer, mit dem Boris das Fleisch geschnitten hat.
Baba Jaga lächelt ihn an, und Boris versteht nicht, in diesem Lächeln liegt eine Zärtlichkeit und Zuneigung, die er sich nicht erklären kann. Er hängt kopfüber an der Leine und sieht sie falsch herum, aber da sind die Augen.
Mit einem Mal versteht er, die Augen von Zima und Roga und Jadwiga sind nicht nur dieselben, es sind die gleichen Augen, alle drei, Mädchen, Weib, Alte, alle sind sie dagewesen, die ganze Zeit.
Boris' Schreie werden zu einem Schluchzen.
"Ďakujem ti, malý brat", sagt Zima und lächelt traurig. Roga küsst ihn auf die Stirn, streichelt ihm die Wange. Jaga summt ein Schlaflied und setzt die Klinge an.
Dann öffnet sie ihm die Kehle.
Es ist keine Hühnersuppe gewesen.