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H.h.
H.H.
Herr Wort freute sich. Schon seit Wochen wartete er auf diesen Tag. Heute war er angebrochen. Um 7:18 Uhr. Herr Wort hatte es selbst miterlebt, da er schon seit 5:03 Uhr wach in seinem Bett lag, zitternd vor lauter Vorfreude.
H.H. kam heute in die Stadt. Er würde eine inspirierende Rede halten, hatte es auf den Plakaten geheissen, mit denen die Stadt voll gekleistert war.
Was braucht man mehr in diesen Tagen, hatte Herr Wort bei sich gedacht, als eine Ansprache, die endlich mal Klarheit in dieses Wirrwarr von Welt bringt.
Als er wartend in der Menschenmenge stand, konnte Herr Wort die Spannung förmlich surren hören. Murmelnd erwartete man den lang Herbeigesehnten, der schon eine halbe Stunde auf sich warten liess. Eine laue Angst breitete sich langsam aus. Würde er denn überhaupt kommen oder würde man enttäuscht nach Hause gehen? Eine Frau in den hinteren Reihen hielt dem schwer lastenden Druck nicht mehr stand. Ihre Hand ballte sich zur Faust und zerquetschte den sich darin befindenden Kaffeebecher, bis zum Rand gefüllt mit dem brühend heissen Getränk. Kreischend rannte sie davon.
Als H.H. gemächlich die Treppen des Podests hinauf schritt, ging ein erleichtertes Raunen durch die Menge. Gleich würde er zu einer glorreichen Rede ansetzen, die dem Leben endlich wieder den gewünschten Sinn geben würde. Gleich würde er alles sagen, nichts verschweigen.
Nach 5 Minuten machte sich langsam aber sicher Unruhe breit. Der berüchtigte H.H. stand da vor ihnen. Sagte nichts. Er schaute gelassen auf einen fernen Punkt, irgendwo hinter der dicht gedrängten Menge.
Das ist es, dachte Herr Wort. Er drehte sich um und mit ihm die ganze Menge. An dem Punkt, den H.H. in aller Ruhe betrachtete, war… nichts.
Das wäre wohl auch zu nahe liegend gewesen. Vielleicht will er durch das Schweigen auf den Hunger in Afrika hinweisen. Nein, auf die vielen Kriege, die immer noch geführt werden. Auf die Hektik in der Welt, die einem niemals Ruhe gönnt.
Ah, jetzt hab’ ich’s. Herr Wort seufzte erleichtert. Es sind die vielen Menschen auf dieser Welt, die keine Stimme haben, die nichts zu sagen haben, weil sie zu wenig Macht besitzen, auf die er aufmerksam machen will.
Noch bevor sich Herr Wort der Frau, die neben ihm stand, mitteilen konnte, tat sich eine Regung auf H.H.s Gesicht. Lacht er etwa? Das ist jetzt aber sehr unpassend. Wie kann man über ein so schwerwiegendes Thema lachen?!
Doch H.H. lachte und lachte. Mal laut, mal leise. Mal kichernd, mal brüllend. Es schien, als könne er gar nicht mehr aufhören. Nach 7 Minuten holte er zum finalen Crescendo aus und… platzte. Meine Güte, ist das eine Sauerei! Herr Wort verzog angeekelt, aber auch fasziniert das Gesicht.
Die Spannung der Menge entlud sich zeitgleich mit den dunkeln Gewitterwolken über ihr. Johlend applaudierten die Leute. Dieser Auftritt würde wochenlang das Thema Nummer eins in der Stadt sein.
Die dicken Regentropfen spülten das Blut des H.H. weg.