Haare wie Audrey Hepburn
Unglaublich, diese Auswahl!
Es gab sie in braun, in aschblond, weinrot, herbstrot, tiefschwarz, sogar in violett, grün und blau hatte ich ein paar gesehen. Lange, kurze, mit Pony oder ohne – Perücken in sämtlichen Varianten.
Eva, meine Freundin, mit der ich hier her gekommen war, hatte mich schon vorgewarnt, dass die Auswahl enorm sein würde. Aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Eva hatte sich eine dunkelbraune Kurzhaarperücke übergestülpt und zupfte mit einem kritischen Blick in den Kosmetikspiegel an den Ponyfransen. „Nicht schlecht, nicht schlecht“, murmelte sie dabei und biss sich auf die Unterlippe, wie sie es immer tat, wenn sie sich konzentrierte. „Gar nicht so schlecht. – Julie?“
„Hm?“ Ich huschte hinter einem der Regale hervor, eine Audrey Hepburn lookalike Perücke auf dem Kopf. „Was gibt’s denn?“
„Komm doch mal her, Audrey!“ Eva wandte sich wieder dem eigenen Spiegelbild zu. „Was sagst du?“
Ich trat hinter sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sieht spitze aus.“
„Und passt auch zum Kleid, oder?“
„Passt auch zum Kleid.“
„Und zu allem anderen?“
„Auch dazu, ja.“
Sie sah hübsch aus, das blasse, fast zerbrechliche Gesicht, die großen braunen Rehaugen und dazu die dunkelbraune, glänzende Perücke mit den frechen Fransen in der Stirn. Unglaublich, wie echt die Perücke an ihr aussah. Wie ihr eigenes Haar. Auch das hatte ich mir so nicht vorgestellt.
Unsere Blicke trafen sich im Spiegel, ich lächelte sie an.
Eva lächelte nicht, ihr Blick wurde ernster und mit einem entschlossenen Ruck riss sie sich die Perücke wieder vom Kopf. „Nein, die ist es nicht. Das bin nicht ich. Die passt nicht zu mir. Wie wäre es noch mal mit der Blonden?“ An mir vorbei angelte sie nach einem hellblonden Haarteil. „Dieser Bob, was sagst du?“
„Ach, bist du etwa mehr blond, oder was?“
„Nur einmal noch ausprobieren.“
„Eva, die hatten wir doch schon aussortiert!“
„Einmal noch, nur einen kurzen Blick“, und schon wurde die Perücke übergezogen. „Was sagst du?“
Ich konnte mir nicht helfen. „Drew Barrymore in Scream.“
„Welcher Teil?“
„Sie hat nur im ersten Teil mitgespielt und war nach fünfzehn Minuten tot.“
„Ich hab den ersten Teil gar nicht gesehen.“
„Ist auch egal: Die Frisur geht echt gar nicht!“
Eva ließ resigniert die Schultern hängen. „So schlimm?“
„So schlimm.“ Kurz entschlossen verabschiedete ich mich von Audrey auf meinem Kopf und drückte sie dem neu erblondeten Engel in die Hand. „Da, versuch’s mal mit Audrey.“
Fast ehrfürchtig nahm sie mir die Perücke ab. „Meinst du echt?“
„Ja klar, warum denn nicht.“ Ich zog mir einen Stuhl heran und setzte mich neben Eva. „Muss sich doch auch lohnen, dass wir den weiten Weg hier her auf uns genommen haben, oder? Also! Und ein Hauch Audrey hat bisher noch keinem geschadet.“
Auch Eva nicht. Sie sah entzückend aus. So gut hatte sie lange nicht mehr ausgesehen.
Ich räusperte mich. „Was war das doch gleich für ein Ball, auf den ihr da geht, du und dein Liebster?“
„Eine Art Weihnachtsball. Wird von seiner Firma aus organisiert. Er wollte mich gerne dabei haben.“ Eva neigte den Kopf nach links und rechts, betrachtete ihr Gesicht mit dem fremden Haarteil ausgiebig aus jedem nur möglichen Winkel. „Er hat mir sogar das Kleid dafür geschenkt.“
„Das versteht sich ja wohl von selbst“, versuchte ich, witzig zu sein. „Wenn man schon eine echte Hepburn sein Eigen nennen darf!“
Eva lächelte, mir zum Gefallen, das sah ich ihr an.
„Du siehst toll aus“, meine Stimme wurde wieder ernster. „Ganz ehrlich, einfach umwerfend. Bin fast ein wenig neidisch.“
„Glaub ich dir gerne.“
„Ich mein, guck dich mal an! Abgenommen hast du auch, in deinem neuen Kleid wirst du eine bessere Figur machen, als je zuvor. Und diese Perücke ist der Hammer. Die Männer werden bei dir Schlange stehen, das versprech’ ich dir.“
Doch darüber konnte Eva nicht mehr lachen. Sie drehte sich auf ihrem Stuhl herum und sah mich an.
„Ich wünschte es wäre so.“ Gerade wollte ich protestieren, da fuhr sie fort: „Ich wünschte, sie würden bei mir Schlange stehen. Und nicht bei jemandem, der ich gar nicht bin.“
Darauf wusste ich nichts zu sagen.
Wie immer in der letzten Zeit, wenn es darauf ankam, fiel mir nichts mehr ein und ich verstummte.
Evas Stimme wurde zittrig, sie flüsterte fast: „Ich glaub, ich bin noch nicht soweit.“
Ich schluckte, wusste auch jetzt nicht, was ich darauf erwidern sollte. Stattdessen griff ich nach der Audrey Hepburn Perücke und half ihr dabei, sie wieder herunter zu ziehen.
Eva strich sich über den kahlen Kopf. Ihre Finger verharrten dabei einen Moment auf der gut verheilten Operationsnarbe, die hinter ihrer Stirn ansetzte und über dem linken Ohr endete.
Sie sah noch immer hübsch aus. Sie sah aus wie Eva. Ohne ihre Haare.
„Meinst du, er hat Verständnis dafür, wenn ich ihn noch nicht auf den Ball begleiten kann?“ Tränen hatten sich in ihren Augen angesammelt, doch sie hielt sie tapfer zurück.
„Aber natürlich.“ Ich legte meine Arme um sie und schmiegte mein Gesicht an ihre linke Wange.
„Ich fühle mich einfach noch nicht danach, auf einen solchen Ball zu gehen. Und von allen angeguckt zu werden. Und für alle die Krebskranke zu sein.“
„Natürlich versteht er das.“ Ich sprach mit besänftigender Stimme und fühlte mich dabei unglaublich hilflos. Ich wollte irgendwas tun, irgendwas sagen, um es besser zu machen. Aber ich konnte es nicht besser machen. Konnte es nicht ungeschehen machen. Ich konnte sie nur zum Lachen bringen. Mal wieder.
„Wie hat Audrey Hepburn damals gesagt? ‚Wenn man im Mittelpunkt einer Party stehen will, darf man nicht hingehen.’ Klare Sache, dass du da nicht hingehst!“
Eva lachte, ich lachte auch.
Und in diesem Moment war für uns beide alles gut.