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Hanging by a moment
Als ich in meinem kleinen Zimmer vor dem flimmernden Bildschirm saß und zum hundertsten Mal an diesem Tag diesen einen Song hörte, verstand ich mich selbst nicht. Ich war nie eines dieser Mädchen gewesen, die bei Schnulzen anfingen zu weinen. Nun bei einem lächerlichen Lovesong zu weinen war mehr als nur grotesk. Andererseits bedeutete das vielleicht ich hatte noch eine Chance ein Mensch zu werden, wenn ich es bis jetzt schon nicht gewesen war. An dieser Situation war ich Schuld. Das wusste ich. Aber was hätte ich tun sollen. Wie kann ein Mensch lieben? Genau das fragte ich mich. Als Kind hatte ich immer Superman im Fernsehen geschaut und fest vorgehabt Journalistin zu werden. Warum ich das wollte? Wegen den Abenteuern? Die Antwort ist nein. Später verfiel ich einer anderen Serie. Buffy im Bann der Dämonen und wollte Buffy werden. Warum? Wollte ich etwas besonderes sein? Auch hier lautet die Antwort nein. Was ich nämlich schon seit ich klein war wollte, war ein Mensch, der mich rettet.
Ein Mensch, der vor mir erscheint und wissen will wer ich bin. Mit Haut und Haaren. Der sich nicht von dem Mädchen mit der spitzen Zunge einschüttern lässt, weil er versteht, dass auch das nur eine Masche ist. Ein Schutzschild um allein zu sein. Warum ich das wollte? Weil ich nicht wusste wie ich liebe empfinden kann ohne jemals welche erfahren zu haben.
Ich hob langsam den Kopf und wischte mir die Tränen aus den Augen, stand auf und sah aus dem Fenster. Draußen regnete es und ich sah eines dieser glücklichen Pärchen unter einem Schirm dicht aneinander geschmiegt stehen. Ich sehnte mich danach so zu seien wie sie und wusste doch, dass ich es nicht seien konnte, weil ich zu viel Angst hatte, verletzt zu werden oder jemand anderen zu verletzen.
Das Telefon klingelte und ich nahm nach dem dritten Klingeln ab, weil ich mich nach Gesellschaft sehnte und insgeheim hoffte, dass der Anrufer wissen würde, dass es mir schlecht ging. Mein bester Freund meldete sich und fing, ohne auch nur zu fragen ob ich Zeit hatte, an in einem unendlichen Wortschwall von seiner vergeigten Verabredung zu erzählen.
Ich hörte geduldig zu, bis er nach zwanzig Minuten mit erzählen fertig war und auf einige aufbauende Worte wartete. Ich gab sie ihm, weil ich mir auch diese Worte wünschte und sie ihm nicht verwehren wollte. Danach legte ich auf und starrte wieder aus dem Fenster.
Das Pärchen war gegangen und die Sonne ging unter in meiner kleinen Welt.
Der Song hallte noch bis spät in die Nacht durch mein Zimmer, bis ich es wagte vom Fenster weg zu treten und mich auf den Weg in die Stadt zu machen, wo mein bester Freund wartete, um mich einen Club zu schieben, in den ich nicht wollte und mit mir ein Bier nach dem anderen zu trinken, das mir nicht schmeckte.
An der Haustür blieb ich mit der Klinke in der Hand stehen und dachte für einen Moment über das nach, was ich hier tat und warum ich es tat. Oder besser für wen. Ich wusste die Antwort. Genauso wie die Antwort auf so viele Fragen in meinem Leben. Die Antwort war immer gleich. Weil ich Angst hatte allein zu sein.
Ich schmiss hinter mir die Tür ins Schloß und trat in die kalte Nachtluft, um nicht etwa mein Leben zu ändern, sondern um es einfach zu leben.