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Hannelore Messie
Die Tragödie der Hannelore M. begann genaugenommen damit, dass ihre Eltern die vollgeräumte Wohnung verließen und in ein noch nicht angeräumtes Haus am Land übersiedelten. Ihr Bruder war schon längst geflüchtet, zu einer Freundin, Hals über Kopf.
Nun stand Hannelore M. in einer hundert-Quadratmeter-Wohnung und begann, den Wohnungsinhalt zu sichten, von dem sie kein Stück wegschmeißen durfte. Es sei schade drum, irgendwann brauchen wir das mal oder jemand anderer sucht vielleicht einmal genau so etwas, waren die Argumente des Vaters, denen niemand zu widersprechen wagte (außer ganz vorsichtig in fragender Form, manchmal). Ist natürlich alles möglich und ich bin sicher, es wird sich auch für den alten Diaprojektor mit gußeisernem Gehäuse und einer Lampe, die eine ebensolche Rarität darstellt, eines Tages jemand finden und Hannelore M. dafür vor Freude um den Hals fallen.
Jedenfalls ist seit jenem Tag, und der ist jetzt fünfzehn Jahre her, keine Ruhe mehr in diese Räume gekommen. Ein ständiges Möbelrücken und Umräumen ist seither im Gang, das noch lange nicht zu enden scheint. Hannelore M. wurde zur Hüterin der elterlichen Erinnerungen und dass man nichts wegschmeißt, was man vielleicht noch irgendwann brauchen kann, ist ihr in Mark und Blut übergegangen.
Vielleicht kam erschwerend noch die Tatsache hinzu, dass das Abfallgesetz beschlossen wurde, welches besagt, man habe den Müll peinlichst genau zu trennen und wer das nicht tut, kann mit Geldstrafen belangt werden, ist also dann ein Umweltverbrecher. Ja, vielleicht wissen einige Leser nicht, daß wir in Österreich keine grüne Einheitstonne haben, sondern alles selbst trennen. Plastik, Metall, Glas bunt, Glas weiß, Biomüll und Papier – sieht auch nett aus, wenn die Container irgendwo alle beisammen stehen, so schön bunt in gelb, blau, grün, rot und weiß. Batterien, Altöl, Elektronikmüll usw. tragen wir zu eigenen Sammelstellen und es ist auch unmodern, Kühlschränke in der Natur abzuladen.
Das alles hat damals große Diskussionen hervorgerufen, weil niemand so recht wußte, was wo hineingehört. Da gab es manches Milchpackerl im Altpapier, massig Fleisch im Biomüll oder es wusste jemand nicht, dass der Schraubverschuss der Flasche nicht mit zum Glas, sondern extra zum Metall oder Plastik gehört. Dazu zeigte man dann im Fernsehen, wie das Mistsackerl einer alten Frau auf falschen Inhalt kontrolliert wurde – aber sie hatte Glück und war noch in der Schonfrist, wo man nur verwarnt und einem alles genau erklärt wurde.
Früher konnte man auch besser sehen, was der Nachbar in seinem Mist hat, da verwendeten viel mehr Leute durchsichtige Mistsackerl als heute, heute kauft jeder die schwarzen.
Es läßt sich kaum mehr feststellen, was mehr Einfluss auf Hannelore M. nahm, die vorbildhaften Eltern oder das schlechte Gewissen der Umwelt gegenüber oder schlicht und einfach Sparsamkeit. Das ist aber im Prinzip auch egal, denn sie läßt sich so oder so nicht mehr von ihrem mittlerweile fast liebsten Hobby abhalten. Sieht sie irgendwo ein brauchbares Stück in einem Mistkübel, ist sie auch schon dabei es herauszufischen. Es sollte niemand glauben, dass sie es aus einer Not heraus macht: Hannelore M. hat ein Gehalt, um das sie andere nur beneiden. Trotzdem hängt sie sich in ihrer Freizeit gerne kopfüber in den Mistcontainer.
Auch am 24. Dezember macht sie nicht Halt. Ganz im Gegenteil, da geht´s erst so richtig los: Um zweiundzwanzig Uhr macht sie sich auf den Weg und sammelt Geschenkpapiere und –bänder ein, die erfahrungsgemäß ab diesem Zeitpunkt weggeworfen werden. Sobald die ersten Christbäume zu den Sammelstellen kommen, werden diese auf vergessenen Schmuck oder hängengebliebene Schokolade untersucht. Sie hat sich auch eine Liste über sämtliche Christbaumsammelstellen Wiens besorgt, damit sie von überall, wo sie gerade unterwegs ist, den nächstgelegenen Fundplatz schnell finden kann. Damit ist Hannelore M. bis mindestens Mitte Jänner beschäftigt. Nicht erst einmal ist ihr Freund in dieser Zeit auf Urlaub nach Cuba geflüchtet, um das nicht mitansehen zu müssen, oder um für die kommenden Monate gestärkte Nerven zu haben.
Bis spät in den Frühling stehen in Hannelore M.´s Wohnzimmer Schachteln und Sackerl einmal da und einmal dort, und sie ist stets damit beschäftigt, Geschenkpapierband zu entwirren und aufzurollen. Auch in der U-Bahn sitzt sie zu Ostern mit den goldenen Bändern und wickelt sie auf. Manches wird auch noch säuberlich gewaschen und schließlich wird alles gut verpackt. Christbaumkugeln werden in Zeitungspapier gewickelt, Anhänger in Schachteln und Dosen sortiert. Halb abgebrannte Kerzen kommen in die Kerzenlade und sind wohl das einzige, was je von all dem verwendet wird.
Habe ich schon erwähnt, daß Hannelore M. keine Kinder hat und noch viel weniger einen Christbaum aufstellt?
Manchmal, wenn es irgendwo vielleicht einen Todesfall gab, findet sie halbe Küchenausstattungen - Töpfe, Pfannen, Teller, Besteck, aber auch Bleikristallschüsseln oder Faschiermaschinen. Tonnen von Büchern und Berge von Gewand in allen Größen hat sie schon nach Hause getragen und sämtliche Bekannten gefragt, ob sie etwas davon brauchen können. Wenn sie besonders viel findet, legt sie es entlang der fast zehn Meter langen Wohnzimmerwand zur Auswahl auf und ihr Freund.... weiß schon: Es ist ihre Wohnung. Zum Glück ist er ja einer von der heiteren Sorte und kann, zumindest im Nachhinein, noch lachen, wenn Hannelore M. bei einem gemeinsamen Ausflug wieder mal mit dem Container umgekippt oder gar hineingefallen ist. Was ihm zwar erst immer recht peinlich ist, später aber doch für so manche lustige Minute sorgt.
Aber wisst ihr was: Sie ist trotzdem die beste Freundin der Welt.