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Hannes Diehsel

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18.04.2007
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Hannes Diehsel

Es war Frühling, die Vögel zwitscherten, die Bienen summten zufrieden, sanfte Schleierwolken zogen am Himmel vorüber und die Sonne gab sich alle Mühe die Menschen mit ihrer zunehmenden Wärme zu erfreuen. Ich war gerade auf dem Weg zur Schule – mit dem Bus. Hannes Diehsel, der Busfahrer, lächelte mich jedes Mal freundlich an, wenn ich ein und aus stieg.

Eigentlich war es ein Jahr wie immer, wenn es da nicht die Sache mit Herrn Diehsel gegeben hätte. Jeden Tag brachte er etwa zwei Dutzend Schüler pünktlich auf die Minute zur Schule. Er war immer freundlich und hilfsbereit; man erwischte ihn kaum mit schlechter Laune. Außerdem beachtete er genau die Verkehrsregeln und hatte noch nie einen Unfall.

Wie an jedem Morgen fuhr ich gemeinsam mit meiner Freundin Lily zur Schule, wo wir uns immer vor Unterrichtsbeginn mit unseren Chearleader-Freundinnen unter der alten Linde vor dem Schulgebäude trafen. Hier tauschten wir immer abgefahrene Neuigkeiten aus, die wir irgendwo erhascht hatten.

Paris, eine schlanke Südländerin mit dunkelbraunen gelockten Haaren, blickte leicht nervös zu Herrn Diehsel hinüber, der gerade alle Schüler herausgelassen und die Türen wieder geschlossen hatte.

„Dass der ständig zur Arbeit erscheint und noch nie krank war ist irgendwie unheimlich.“

„Denkst du das, weil es nicht in deiner Natur liegt jeden Tag deine Pflicht zu erfüllen?“, bemerkte Nena grinsend und schürte die Lippen. Wir kicherten.

„Wer weiß, was der zu hause so treibt. Vielleicht hat er ja Leichen im Keller“, sagte Cidney beiläufig und bemerkte die verdutzten Gesichter ihrer Kameradinnen nicht, weil sie damit beschäftigt war, ihren langen Hals auszufahren, um den Busfahrer besser betrachten zu können.

„Ach kommt schon“, sagte ich mitleidig, „Vielleicht ist er einfach nur ein Mensch, der mit sich und seiner Umwelt vollends zufrieden ist. Kann doch sein.“ Ich zuckte unwissend mit den Schultern. Ich mochte Hannes und wollte nicht weiter über ihn und sein geheimnisvolles Leben spekulieren.

„Vielleicht ist er ja verliebt“, warf Cidney ein.

„Was denn, der?“, fragte Paris ungläubig und lachte. Sie tat so, als wäre er der Glöckner von Notré Dame. Dabei sah er gar nicht mal so übel aus: Er war schlank, sportlich und hatte dunkles kurzes Haar. Seine sanften Augen ließen einen im ewigen Blau des Himmels schweben, nur seine Bartstobbeln waren etwas zu lang.

„Kommt schon, wir müssen rein“, sagte Nena gelangweilt und beendete unsere Debatte über den Busfahrer.

Nach einigen Wochen stellte sich schließlich heraus, dass Hannes Diehsel sich tatsächlich verliebt hatte. Er strahlte über beide Ohren, als ich in den Bus stieg. Sein Lächeln war so zärtlich. Ich versuchte immer heimlich in seinen Rückspiegel zu lunschen, um sein Gesicht gut sehen zu können, aber jedes Mal, wenn er hinein schaute, drehte ich mich schnell weg. Ein Kribbeln tauchte in meinem Bauch auf wie tausend flatternde Schmetterlinge. Ich war nervös.

Beim Aussteigen ließ ich alle vor. Auch Lily schob ich vor mir her. Ich wollte Hannes allein erwischen, um mich nicht vor allen bloß zu stellen. Sein märchenhaftes Lächeln traf mich und ich bemerkte, wie meine Wangen zu glühen begannen.

„Sind Sie verliebt?“, sprudelte es aus mir heraus. Ich klatschte mir die Hand auf den Mund und kniff, verärgert über mich selbst, die Augen zu. Ich hätte mich ohrfeigen können für diese Frage. Aber Hannes blieb gelassen und lächelte immer noch. Seine weißen Zähne glänzten in der Sonne.

„Du hast mich erwischt“, gestand er in aller Ruhe und klopfte mit dem Zeigefinger auf dem großen Lenkrad herum. Mein Herz machte einen Hüpfer, die Schmetterlinge schienen sich plötzlich vermehrt zu haben.

„Sarah!“, hörte ich Lily´s Stimme hinter mir rufen. Unwillig verließ ich den Bus.

In den nächsten Tagen freute ich mich immer wieder aufs Neue Hannes Lächeln zu sehen und Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen zu lassen.

Dann, eines Morgens, fuhr der Bus vor und die Türen öffneten sich. Ich hatte einen glücklichen und äußerst verliebten Mann erwartet, der mir entgegen lächelte, aber an seiner statt klemmte ein dicker, missmutig drein blickender Mann mit fettigem Haar hinter dem Steuer. Ich erschrak. Verwirrt suchte ich meinen Platz in der hintersten Reihe. Das kann unmöglich derselbe Bus sein, dachte ich. Doch der Gedanke verflog so schnell wie er gekommen war, denn an der Lehne vor mir klebte immer noch derselbe alte Kaugummi, den Brad damals darauf gedrückt hatte – Brad war mein Bruder und schon längst mit der Schule fertig.

Die ganze Fahrt über grübelte ich und vernahm nicht einmal die klangvollen Worte von Lily, die eifrig neben mir erzählte.

Hannes. Ich schwieg.

An der Schule angekommen, vergewisserte ich mich noch einmal, ob nicht doch Hannes am Steuer saß. Nein. Es war dieser mürrisch drein blickende Mann, dessen kalte Augen mich verhasst ansahen. Schnell verließ ich den Bus, gefolgt von Lily, die immer noch ununterbrochen vor sich hin schnatterte.

Wie immer standen die Mädchen bereits unter der alten Linde, die uns erholsamen Schatten spendete und winkten uns verhalten zu – Paris hielt eine Zeitung in der Hand. Etwas an ihnen war anders. Oder bildete ich mir das nur ein?

„Was gibt’s Neues, außer, dass unser Busfahrer zum ersten Mal in seinem Leben krank zu sein scheint?,“, fragte Lily gut gelaunt.

Paris entfaltete die Zeitung, ohne das Gesicht zu verziehen. Sie sah empört aus, ebenso wie die anderen. Lily´s gute Stimmung verflog. Auf der Titelseite der Zeitung stand in fetten Buchstaben: „Fahrer tödlich verunglückt“.

„Er war frisch verheiratet“, sagte Paris mitleidig.
Ich schnappte nach Luft. Mein Herz zerriss in tausend Stücke.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Feanaro,
wie schön, wieder von Dir zu lesen!
Die Anmerkungen über Perspektive und Motivation hast Du Dir offenbar zu Herzen genommen, in dieser Geschichte finde ich sie gut umgesetzt.

Ich finde, mit ein paar Änderungen könntest Du Dein Thema noch besser herausarbeiten (und jetzt musst Du Dich ja nicht mehr auf 80 Zeilen beschränken ;))

Die Namen und schulische Cheerleader deuten auf eine amerikanische Umgebung hin - die aber ansonsten keinen Sinn hat, die Geschichte könnte überall spielen. Wieso also nicht in Deutschland?
Glaubwürdigkeitsprobleme habe ich damit, dass jeden Tag derselbe Bus mit demselben Fahrer erscheint, das kenne ich weder von Linien- noch von Schulbussen, sondern nur von Sonderschulbussen privater Unternehmen, die z. B. Kinder aus kleinen Dörfern abholen oder behinderte Kinder zur Sonderschule fahren.

"Es war Frühling"
Du hast in den ersten drei Absätzen drei unterschiedliche Zeitangaben - Frühling, ein Jahr, wie an jedem Morgen - das finde ich verwirrend. Offenbar spielt Deine Geschichte an drei Tagen eines Sommerhalbjahres. Vielleicht ließen sich die anderen Zeitangaben da einbauen?

"Außerdem beachtete er genau die Verkehrsregeln und hatte noch nie einen Unfall."
Ersteres finde ich selbstverständlich bei einem Busfahrer, zweites weiß man als Fahrgast eigentlich nicht, ist aber auch nicht weiter ungewöhnlich. Vielleicht kannst Du andere Angaben über seine Fahrkünste machen - z. B. dass er sanft anfährt und bremst, so dass man nie ums Gleichgewicht kämpfen muss.

"Cheerleader-Freundinnen"

"„Dass der ständig zur Arbeit erscheint und noch nie krank war, ist irgendwie unheimlich.“"

"„Denkst du das, weil es nicht in deiner Natur liegt, jeden Tag deine Pflicht zu erfüllen?“, bemerkte Nena grinsend und schürzte die Lippen."
Ich bin mir nicht sicher, meine aber, dass wegen des Fragezeichens kein Komma nach der wörtlichen Rede kommt.

"„Ach kommt schon“, sagte ich mitleidig, „Vielleicht ist er einfach nur ein Mensch, der mit sich und seiner Umwelt vollends zufrieden ist. Kann doch sein.“ Ich zuckte unwissend mit den Schultern. Ich mochte Hannes und wollte nicht weiter über ihn und sein geheimnisvolles Leben spekulieren."
Hier müsste Sarah ja eigentlich schon in den Busfahrer verliebt sein. Dann passt aber "mitleidig" als Adjektiv nicht, "mochte" ist zu schwach, und sie verbringt sicher sehr viel Zeit damit, über sein Leben zu spekulieren, will nur nicht, dass die anderen das mitbekommen. Ich finde, dass die Geschichte sehr gewinnen würde, wenn Du hier klar machen könntest, dass Sarah ein besonderes Interesse an dem Busfahrer hat.

"der Glöckner von Notre Dame. " (ohne Akzent)
"nur seine Bartstoppeln waren etwas zu lang."

"Nach einigen Wochen stellte sich schließlich heraus, dass Hannes Diehsel sich tatsächlich verliebt hatte. Er strahlte über beide Ohren, als ich in den Bus stieg. Sein Lächeln war so zärtlich."
Wie unterscheidest Du verliebt-sein von anderen Formen des glücklich-aussehens? Ich würde deutlicher machen, dass er strahlt, es aber Sarah ist, die denkt, er sei verliebt.

"Ich versuchte immer heimlich in seinen Rückspiegel zu lunschen, "
Das Wort kenne ich nicht. "Linsen"?

"um sein Gesicht gut sehen zu können, aber jedes Mal, wenn er hinein schaute, drehte ich mich schnell weg. Ein Kribbeln tauchte in meinem Bauch auf wie tausend flatternde Schmetterlinge. Ich war nervös."
Einerseits eine gute Beschreibung, andererseits fehlt mir die Erklärung, warum Sarah meint, das Lächeln gelte ihr. Kannst Du vielleicht noch was einbauen, was sie darin bestärkt, dass er sie anders behandelt als die anderen, aufmerksamer?

"„Sarah!“, hörte ich Lilys Stimme hinter mir rufen. Unwillig verließ ich den Bus."
Gut, Sarah ergreift die Initiative! Aber der Anlass, den Bus zu verlassen muss stärker sein, als nur der Ruf der Freundin, etwas, wo sie wirklich nicht anders kann, als zu gehen. Und warum spricht Sarah ihn nie wieder an, nachdem der Beginn so vielversprechend war?

In den nächsten Tagen freute ich mich immer wieder aufs Neue, Hannes' Lächeln zu sehen und Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen zu lassen.

"Die ganze Fahrt über grübelte ich und vernahm nicht einmal die klangvollen
Worte von Lily, die eifrig neben mir erzählte."
Warum klangvoll? Ich denke, sie schnattert nur?

"Mann, dessen kalte Augen mich verhasst ansahen. "
Der Blick mag Sarah ja verhasst vorkommen, aber als realistische Beschreibung halte ich es für äußerst unwahrscheinlich.

"Leben krank zu sein scheint?,“, fragte Lily gut gelaunt."
Mindestens ein Komma ist zu viel.

"Paris entfaltete die Zeitung, ohne das Gesicht zu verziehen. Sie sah empört aus, ebenso wie die anderen. "
Wie kann sie empört aussehen, ohne das Gesicht zu verziehen?

Lilys gute Stimmung verflog.
Genitiv-S im Deutschen ohne Apostroph.

"„Er war frisch verheiratet“, sagte Paris mitleidig.
Ich schnappte nach Luft. Mein Herz zerriss in tausend Stücke."
Hmmm - Ist Sarah jetzt unglücklich, weil er tot ist, oder weil er verheiratet war? Für Deine Geschichte ist ja im Grunde nur wichtig, dass er gar nicht in sie verliebt gewesen war. Wenn diese Info für sie jetzt aber schwerer wiegen würde als sein Tod, wäre das ein Missverhältnis. Ich würde Hannes nicht sterben lassen, sondern eine andere Möglichkeit finden, auszudrücken, dass er in jemand anders verliebt war. Z. B. könnte Cidney sagen, sie habe recht gehabt mit ihrer Vermutung, Hannes sei verliebt, sie habe ihn mit seiner Frau getroffen, aus dem Standesamt kommen sehen, usw.

So, jetzt weißt Du, warum ich mich dem Büchernörgele verwandt fühle. Viele, viele kleine Anmerkungen. Ich hoffe, ich habe Dir geholfen, Deine Geschichte noch ein bisschen klarer zu machen. Und ich hoffe, nicht so kritisch gewesen zu sein, dass ich es mir mit Dir verscherzt habe!
Herzliche Grüße von anzim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo anzim,

danke für deine gründlichen Verbesserungsvorschläge.
Du weißt ja, dass ich nicht sonderlich mit Kurzgeschichten klar komme, sondern lieber ausgedehnte Geschichten schreibe, wie Romane, die sich über mehrere hundert Seiten erstrecken.

Aber ich habe bereits auch lobenswerte Kritiken bekommen ;-)

Naja, ich häng immer noch fest mit meinem Krimi - grauenvoll. Aber irgendwann muss er mal werden.

Also, ich freue mich auch auf unsere Lektorierungen.

Liebe Grüße
Fe

 

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