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Hausverschönerung
„Nicht schon wieder“, stöhne Sven, drehte sich auf die Seite und zog sich die Decke über den Kopf. In dem warmen Sand küsste die nackte Blondine gerade seinen Bauch, als neben ihnen plötzlich einer der Wildecker Herzbuben stand und fröhlich seine Ziehharmonika spielte. „Och Mann“, stöhnte er und schob seine Bettdecke weg. Er rieb sich die Augen. Von unten hörte er das konstante Dudeln der Ziehharmonika.
Draußen war es noch dunkel. Es war Anfang April. Das hieß, dass es noch vor 8 gewesen sein musste. „Die Alte hat sie echt nicht mehr alle auf der Pfanne“, jammerte er, während er sich aus dem Bett wand. Er schaute auf seinen Radiowecker. 7.50. Er knipste das Licht an und ging ins Bad.
„Wenn es eine Hölle gibt, dann muss sie hier sein“, stellte er fest, als er das ins Klo ließ, was sein Körper von seinem Saufgelage am gestrigen Abend nicht verwerten konnte. Den Rest fand er in seinem Kopf wieder, welcher derartig hämmerte, dass er sich geistesabwesend an den Schädel fasste, um den Schraubstock zu entfernen, welcher ja unweigerlich da sein musste.
Als er das Erwartete dort nicht ertastete, nahm er sich das kleine Röhrchen mit den Aspirinpillen aus dem Spiegelschrank (ohne Spiegel- dieser war bei einem seiner wenigen jämmerlichen Putzversuche rausgebrochen) und nahm gleich drei davon mit einem Schluck Wasser direkt aus dem Kran ein.
Dann schlurfte er in die Küche und stelle sich einen Becher mit dem kalten Kaffee von gestern in die Mikrowelle. Ungenießbar- aber wirksam. Damit setzte er sich auf seine verschlissene Cordcouch im Wohnzimmer, legte die Beine hoch und zündete sich eine Kippe an.
So blieb er zehn Minuten sitzen. Er musste erst „hochfahren“, wie er immer zu sagen pflegte. So saß er dann da und lauschte den volkstümlichen Klängen aus der unter ihm liegenden Wohnung. Aus Frau Pollmanns Wohnung. Das war nicht das erste Mal, dass er von diesem Gedudel geweckt wurde. Er hörte zwar auch gerne laute Musik, aber er hatte zumindest so viel Anstand, dies zu etwas christlicheren Zeiten zu tun. Frau Pollmann war allerdings der Meinung, dass Morgenstund’ Gold im Mund hätte und hatte ihm das auch mehr als einmal gesagt, als er sie mal wieder im Hausflur angetroffen hatte. Er begegnete ihr genauer gesagt immer im Hausflur. Egal um welche Tages- oder Nachtzeit. Und er konnte sich sicher sein, dass sie auch jedes Mal eine ihrer vielen Lebensweisheiten und Tipps für ihn auf Lager hatte. Sven bemühte sich dann immer, höflich zu sein, doch manchmal ging er einfach an ihr vorbei, während sie auf ihn einredete. Wenn sie sagte „jaja, Morgenstund’ hat Gold im Mund, was, Herr Becker?“ Dann wollte sie ihm nämlich eigentlich nahe legen, dass er doch gefälligst mal früh aufstehen solle. Vorwiegend sagte er dann so was wie “Sie haben so Recht, Frau Pollmann“ konnte aber meistens nicht verhindern, dass in seiner Stimme ein leichter Hauch Ironie mitschwang, was Frau Pollmann wiederum dazu veranlasste, ihre wulstigen Augen finster zusammenzukneifen, als wollte sie sagen „na warte, Bürschchen“.
Sven studierte im dritten Semester BWL, war aber nicht besonders motiviert bei der Sache, da er Arbeit einfach nichts Positives abgewinnen konnte. Und wenn er nicht gerade Semesterferien hatte, sah man ihn auch niemals vor elf an der Uni. Wenn überhaupt. Seine Eltern zahlten ihm die Zweizimmerwohnung in dem Sechsfamilienhaus aus dem Erbschaftsfond seiner Großmutter. Den Rest sollte er bekommen, wenn er sein Studium beendet hat. Sein Verhältnis zu den Eltern war eher kühl, er hatte nicht gerade eine schöne Kindheit gehabt. Sein Vater, ein Säufer, hatte ihn oft verprügelt, und seine Mutter hatte immer weggesehen. Außer an Familienfesten ließ er sich nicht sehr oft dort blicken. In seinem Haus wohnten vorwiegend Rentner, wobei er die meisten fast nie zu Gesicht bekam, mit Ausnahme von Frau Pollmann.
Er stand auf und zog ein paar fleckige Jeans aus dem Haufen von Klamotten, die sich in seinem Schlafzimmer türmten und stieg hinein. Dann legte er sich wieder auf seine Couch und machte den kleinen Fernseher an, der auf seinem ziemlich staubigen Wohnzimmerschrank stand. Er hatte vor, sich bis zum Mittag die Talkshowwiederholungen anzusehen um danach seinen Kumpel Timo anzurufen und mit ihm um die Häuser zu ziehen.
Er wollte sich eine Kippe nehmen und stellte fest, dass diese leer waren.
„Verfluchte Scheiße“, fuchste er, als ihm klar wurde, dass er jetzt zum Aldi latschen müsste. Der Not gehorchend stand er auf, zog noch einen etwas weniger fleckigen Pulli aus dem besagten Haufen und schlüpfte in seine Turnschuhe, während er dabei ohne Unterlass Flüche von sich gab. Fing gut an, der Tag.
Vor der Haustür blieb er kurz stehen und lauschte. Das tat er immer, obwohl ihn trotzdem jedes Mal Frau Pollmann im Flur erwischte. „Wahrscheinlich sitzt die den ganzen Tag mit ihrem Hörrohr hinter der Haustür, um dann wie eine Spinne hervorzuschnellen, wenn sich eine Fliege in ihrem Netz verfangen hatte.
Als er nichts hörte außer dem anhaltenden Ziehharmonikagedudel von unten, wagte er es, sich hinauszuschleichen.
Doch als er die ersten Treppenstufen hinunter geschlichen war, erklang auch schon die altbekannte Stimme: „Ach, der Herr Bäcker“. Wobei sie Bäcker wie Bäggaa aussprach. „Was ich sie mal fragen wollte“, setzte sie fort. “Ja, Frau Pollmann, Morgen auch.“ Da stand sie in ihrer Kittelschürze. Der siebzig Jahre alte Nachbarschreck. Dicklich, obwohl sie grinste finster blickend und auch sonst eher boshaft aussehend. Sogar mit Warze auf der Nase. Von ihren Lippen tropfte Speichel, als sie weiter sprach:
„Sie wissen ja sicher, dass wir hier im Haus alle eine Gemeinschaft sind…“
„Oohhh..nicht schon wieder die Leier“, dachte Sven und wippte von einem Fuß auf den anderen, er wollte endlich seine Kippen holen und sich dann vor den Fernseher schmeißen. „Und da haben wir natürlich alle zur Verschönerung unseres Hauses beizutragen..“, fuhr sie fort. „Ähä“, sagte Sven und rollte mit den Augen, was Frau Pollmann nicht sah, denn sie war gerade in ihrem Element. Meckern und Anweisungen erteilen. „Sie wohnen nun schon zwei Jahre hier und ich finde, Sie könnten sich wenigstens mal ein paar Blumen auf den Balkon stellen. Sie wissen ja, das äußere Erscheinungsbild eines Hauses…“ Sven hörte nicht mehr zu und ging an der Alten Hexe vorbei, weiter die Treppe hinunter. „Ich werde mal sehen, was ich tun kann“, warf er ihr im Vorbeigehen zu, damit sie nicht völlig ausrastete. Futter für den Drachen sozusagen.
Sie bölkte ihm noch irgendwas von Flurwoche hinterher, aber da hatte er sich schon seinen MP3-Player in die Ohren gestöpselt und ließ sich von den Beatsteaks bedudeln. Bis zum Aldi waren es ungefähr zehn Minuten zu Fuß. „Zumindest regnet es nicht“, dachte er, während er die Straße missmutig entlang lief.
Im Aldi angekommen ging er direkt zur Kasse, an der die Zigaretten standen. Vor einer Aktionsfläche blieb er stehen. „Blumenkasten Roma, jetzt nur noch 2,99“, ließ das Schild verlauten. Scheinbar gab es diese Aktion schon etwas länger, denn in dem Regal standen lediglich zwei Blumenkästen mit etwas beklagenswert aussehenden Pflanzen. Blühen tat da überhaupt nichts mehr, und wenn sie nicht als Blumen ausgeschildert gewesen wären, hätte er es für vertrocknetes Unkraut gehalten.
„Das ist genau das Richtige für mich“, dachte sich Sven, und seine Laune besserte sich jäh. „Blumen sind halt Blumen“, sagte er breit grinsend. „Genau das Richtige zum Verschönern eines Hauses“. Ein älterer Herr, der gerade in einem Karton mit „Spaghettigericht Napoli“ wühlte (was gab es da zu wühlen?), schaute ihn verdutzt an, da er es laut gesagt hatte und sein diabolisches Grinsen vermutlich auch nicht gerade Vertrauen erweckend war. Er schnappte sich den mickrigeren Kasten von beiden und ging damit zur Kasse, nahm sich zwei Päckchen Filterlose aus dem Regal, bezahlte und verließ das Geschäft frohen Mutes.
Frau Pollmann war naturgemäß wieder im Hausflur, als er diesen betrat. Zu ihrem Erstaunen eröffnete er diesmal das Gespräch. „Schauen Sie mal Frau Pollmann, ich habe mir ihren Wunsch direkt zu Herzen genommen und mir ein paar wunderschöne Blumen für meinen Balkon gekauft“, sagte er niederträchtig schmunzelnd und hielt ihr den Kasten unter die Nase.
Ihre speckigen Wangen verformten sich zu zwei dicken Knubbeln, als sie in den Kasten schaute und die Nase rümpfte. „Aha“, sagte sie nur und schien das erste Mal seit er hier wohnte wirklich sprachlos zu sein. Er ging an ihr vorbei und stapfte zu seiner Wohnungstür, spürte aber wie immer ihren finsteren Blick in seinem Nacken. Als er schon fast drinnen war, hatte sie sich wohl wieder gefasst, denn sie rief ihm hinterher, er solle gefälligst den Flur nicht vergessen, sie würde heute Besuch bekommen….. „Wer besucht diese alte Hexe denn freiwillig“, fragte er sich. Er schmiss die Tür zu und stellte den Blumenkasten auf den Balkon. Dann deponierte er sich auf seine Couch und ging seinem seiner Meinung nach geschmackvollen Unterhaltungsprogramm nach.
Später am Tag, als er auf dem Balkon saß, rauchte und ein Bier zechte, betrachtete er den Blumenkasten. „Kumpel, ich glaub, du hast es hinter dir, aber ich will dir zumindest die letzten Stunden versüßen“, sagte er zu der bemitleidenswerten Pflanze und kippte einen guten Schluck Bier in die Blumenerde.
Alle Stängel hingen hinab. Und wie immer war der gesamte Balkon voll mit Taubenscheiße. Die Bestien waren eine echte Plage. Die dreisten Biester hatten ihm sogar schon auf den Kopf geschissen, während er draußen saß.
Er hatte es längst aufgegeben, den ganzen Mist wegzuwischen, denn am nächsten Tag war garantiert alles wieder voller Kot. „Wünsch dir ’nen angenehmen Abend“, sagte er zu der Blume, prostete ihr zu und ging hinein um sich für den Abend zu duschen und fertig zu machen.
Er war kein Schönling, aber tageslichttauglich, wie er selbst befand. Braune Haare, blaue Augen und annehmbare Figur. Trotzdem war er Single, was wahrscheinlich auch an seinem derzeitigen chaotischen Lebenswandel lag, das mochten die Frauen nicht. Aber für den schnellen Sex hier und da hatte es bisher immer gereicht und wenn er ehrlich war, hatte er auch gar keinen Bock auf eine feste Bindung. Zu anstrengend.
Am nächsten Morgen erwachte Sven Bäcker von einem bestialischen Gestank in seinem Schlafzimmer. Er setzte sich auf und stelle fest, dass er es in der Nacht nicht geschafft hatte, sich auszuziehen. Naja, zumindest hatte er sein Bett gefunden, er war auch schon des Öfteren im Klo erwacht. 6.15 verriet ihm sein Wecker und er fühlte sich als wäre er soeben in einer Gyrosbude geweckt worden, denn es stank derartig nach Zwiebeln ins seinem Zimmer, dass er sich spontan umsah, ob er zufälligerweise einen Sack voll eben dieser in der Nacht angeschleppt hatte. Hatte er nicht. Das Fenster stand offen. Darunter - Küche von Pollmann.
Er konnte den Würgereiz nicht unterdrücken, der ihn plötzlich überfiel, wand sich aus seinem Bett, um ins Bad zu stürzen, fiel über seine eigenen Füße und bekotzte den Teppich.
Als er sich wieder etwas besser fühlte, richtete er sich auf und ließ sich kaltes Wasser über den Kopf laufen. „Ich werde dieser elenden Kuh ihre Zwiebeln in den Arsch stopfen und ihr danach in den Hals kotzen“, fluchte er und ließ sich auf seine Couch fallen. Dort schlief er noch einmal volle fünf Stunden. Als er wieder wach wurde, roch es weniger nach Zwiebeln als nach Kotze.
Er beseitigte den Mist kurz (und er glaubte noch die Gurke vom gestrigen Hamburger zu erkennen) und verzog sich dann mit seinen Zigaretten und einem Bier auf den Balkon. Frühschoppen. „Was denn hier passiert“ rief er perplex, als er den Balkon betrat. Überall lagen Federn herum, als hätte hier jemand ein komplettes Kissen geschlachtet. „ So ein Mist“, fluchte er und schob mit dem Fuß ein paar der Federn zur Seite, das er sich setzen konnte. Erst da bemerkte er seine Sorgenkindpflanze. „ Hey Kumpel“ sagte er erstaunt „scheint, als wäre der Gerstensaft eine Wundermittel für dich“, er bestaunte die Pflanze, die jetzt aufrecht in ihrem Kasten stand und sogar eine geschlossene -- ziemlich große -- Knospe hatte, die er gestern noch nicht bemerkt hatte. „Wow, na da will ich dich mal nicht enttäuschen“, sagte er und goss die halbe Dose Bier auf die Blume. Als er wieder in sein Zimmer ging, hatte er den Eindruck, dass sich etwas in seinen Augenwinkeln bewegt, aber als er hinsah war dort nichts außer seiner Blume.
Er blieb den ganzen Tag zuhause. Aß Ravioli direkt aus der Dose und sah fern.
Heute Abend wollte er nicht weg, die letzten Tage hatten zu sehr an ihm gezehrt, er wollte früh ins Bett. Am späten Nachmittag fuhr er von seiner Couch auf, als er vom Balkon wildes Geflatter und Gefiepe hörte. Dabei verschüttete er Kaffee auf seine letzte saubere Hose, der aber glücklicherweise kalt war. „Scheiße -- verdammt“, entfuhr es ihm, und er versuchte den Schaden mit einem alten T-Shirt zu begrenzen. Als ihm das nicht gelang stürzte er zum Balkon, um zu sehen, was diesen Lärm verursachte. Er traute seinen Augen kaum. Da war seine Pflanze und eben diese verspeiste gerade eine Taube. Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich muss mit dem Saufen aufhören“, sagte er sich entgeistert und öffnete die Augen wieder. Die Taube war verschwunden, aber die Pflanze wand sich noch hin und her und dann schien es, als würde sie ihn direkt ansehen. Sie hatte keine Augen, aber trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie ihm entgegensah. Und nicht nur das, sie grinste und ließ dabei einen Blick frei auf unzählige kleine rasiermesserscharfe Zähne.
„Ich glaube wirklich nicht, das ich das gerade gesehen habe“, dachte er noch, an seinem Verstand zweifelnd, dann wurde es dunkel um ihn.
Als er wieder zu sich kam, lag er vor der Balkontür. Er erinnerte sich sofort und richtete sich ruckartig auf. Da war sie, seine Blume. Sie sah viel größer und kräftiger aus als am Morgen, aber sie bewegte sich nicht. „ Sie schläft“, dachte er sich. Wie in Trance ging er in die Küche und holte zwei der Hamburger aus dem Kühlschrank, die er nicht gegessen hatte und ging damit auf den Balkon. „Hör zu Kumpel“, sagte er, „hier hab ich was Feines für dich“, und hielt der Blume die Hamburger hin. Erst passierte gar nichts. Dann bewegte sich die Pflanze plötzlich, öffnete ihr Maul und verschlang beide Hamburger auf einmal. „Oh Mahhn“, stöhnte
Sven und zog schnell die Hand zurück. Erstarrt blickte er die Pflanze an. Die bewegte ihren mittlerweile ziemlich langen Stängel direkt auf ihn zu. Unfähig, sich zu bewegen stand er da und pinkelte sich in die Hosen. Die Pflanze wand beinahe zärtlich ihren Stiel um seinen Unterarm, verweilte dort einige Sekunden und zog sich dann zurück. Als sich seine Lähmung endlich löste, sank er zitternd auf die Knie. Sein Hirn weigerte sich konsequent zu glauben, was gerade passiert war. „Sie will mich nicht, sie will mich nicht“, begriff er.
Er nahm einige Schlaftabletten mit einem Schluck Bier ein, legte sich mit vollgepisster Hose ins Bett und schlief sehr schlecht. Er hatte wilde Träume von der Blume, wie sie einen halben Kindergarten verspeiste und danach ihren Kopf in seinen Schoß legte wie ein Hund bei seinem Herrchen.
Am nächsten Morgen war die Pflanze bereits so groß wie eine mittelgroße Palme. Überall lagen Federn herum, aber keine Taube war zu sehen.
„Sehr gut“, dachte er sich und überlegte, dass er später ein paar Suppenhühner einkaufen würde, aber vorher musste er den dämlichen Flur wischen, bevor die Alte ihm die Tür einrannte. Heute Morgen war das Gedudel wieder besonders penetrant.
Er nahm sich Wischer und Eimer und begann missmutig, den Flur zu wischen und vergaß dabei kurz seine Horrorblume.
Keine zwei Minuten, nachdem er begonnen hatte, kam die Pollmann schnaufend die Treppen raufgestampft. „ Herr Bägggaarrr“, stieß sie wütend hervor. Er hörte auf zu putzen und blickte sie genervt an. „Also ich lasse mir ja wirklich viel gefallen, aber das geht nun eindeutig zu weit“, ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet und es bildeten sich hässliche Pusteln auf ihrem wabernden Hals. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, Wasser vom Balkon zu kippen, ich habe Wäsche da draußen hängen. Das dürfte ja wohl selbst Ihnen klar sein, dass man da nichts runterkippt, das ist eine Unverschämtheit, alles versaut!“ Ihre Stimme bebte. Und sie fuchtelte mit ihrer faltigen Hand vor seiner Nase herum. „Ich habe überhaupt nix vom Balkon gekippt“, erwiderte er genervt und wand sich wieder seinem Mob zu.
„Jetzt auch noch lügen! Na, das haben wir gerne, Sie ungezogener Lümmel, Sie“, schrie sie jetzt. „Ich lüge nicht“, sagte er mittlerweile auch erbost, „erklären Sie mir mal, wie ich gleichzeitig den Flur putzen und Wasser vom Balkon kippen soll, ist ja wohl eher schwer möglich, oder? „Das ist mir völlig egal, das kann ja nur von Ihnen kommen“, fauchte die Alte. „Wenn Sie sich so sicher sind, dann gehen Sie doch bitte nachsehen, ob mein Balkon nass ist, Frau Pollmann, und dann werden Sie sehen, dass Sie Unrecht haben“, entgegnete er und schaute sie direkt an, den tropfenden Wischer immer noch in der rechten Hand. Das ließ sich die Pollmann nicht zweimal sagen und zwängte sich an ihm vorbei in seine Wohnung. Als sie sich an ihm vorbeidrängte, stieg ein Duft von Zwiebeln vermischt mit Schweißgeruch und Fischaroma auf, von dem er wirklich nicht wissen wollte, woher der kam. Ihm wurde spontan übel.
Erst als die Pollmann sich schon an seiner Balkontüre zu schaffen machte, fiel ihm mit Entsetzen wieder seine Pflanze ein. Er ließ den Wischer fallen und rannte in seine Wohnung. „Ekelhaft haben Sie es hier, ganz widerlich“,
sagte die Pollmann und stapfte Nase rümpfend auf den Balkon. Dort blieb sie entsetzt vor der imposanten Pflanze stehen und betrachtete sie angewidert. „Was haben Sie denn da für ein hässliches Ding? Ist das so eine Drogenpflanze? Also, wenn Sie hier Drogen herstellen, dann werde ich..“
„Frau Pollmann, Sie sollten jetzt besser wieder reinkommen“, unterbrach er sie in etwas alarmierendem Ton, denn seine Pflanze hatte angefangen, sich zu regen, als die Pollmann sich zu ihm gedreht hatte, um ihm ihren Vortrag zu halten. „Nun hören Sie mir mal gut zu, junger Mann“, sagte sie mal wieder wild herumfuchtelnd, dabei spritzten ihr kleine Sabberfäden aus dem Mund, die an ihrem Kinn hängen blieben.
„Reden Sie nicht in diesem Ton mit mir, ich sag Ihnen, wenn ich mich in Ihrem Alter gewagt hätte…“, während die Alte weiter ihr Gift verspritzte, richtete sich hinter ihr die Pflanze zu voller Größe auf und öffnete ihr Maul. Sven starrte sie mit offenem Mund an und stellte spontan eine Assoziation zum weißen Hai her, als er auf die vielen kleinen Zähne stierte. Das Maul der Pflanze schien aus nichts anderem als Zähnen zu bestehen. Jetzt öffnete sie sich zu voller Größe und er schwor, dass der Durchmesser mindestens einen Meter betrug. Er muss wohl ziemlich hirnverbrannt ausgesehen haben, wie er da stand, denn Frau Pollmann hielt mitten in ihrer Rede inne, um sich umzudrehen und zu besichtigen worauf Sven hinter ihrem Rücken glotzte. „Jesus…“, das war alles, was sie noch hervorbrachte, denn dann schnellte die Pflanze hervor und grub ihre Zähne in den Hals von Frau Pollmann. Es gab ein schmatzendes, reißendes Geräusch, als ihre Halsschlagader durchtrennt wurde. Blut spritze in einer großen Fontäne in sein Wohnzimmer und somit auf ihn, er hielt sich schützend die Hände vors Gesicht. Als er wieder hinsah, beobachtete er, wie ihre Augen aus den Höhlen quollen und ihr Hals gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Die Pflanze hatte sich in Pollmanns Hals verbissen und hob sie nun von den Füßen und schwang sie hin und her, wie ein Löwe, der ein Stück Fleisch aus seinem Opfer riss.
Sven vermutete, dass sie nicht mehr lebte, aber ihre Hände und Beine zuckten wie bei einem epileptischen Anfall, während das Blut weiter in Sturzbächen aus ihrem Hals floss. Als sich der Kopf von ihrem Rumpf löste, gab es ein Geräusch, das verdammt an einen Klettverschluss erinnerte. Die Pflanze verschlang den Kopf mit den herausquellenden Augen und es hörte sich an, als wenn man eine Walnuss knackt, als sie darauf herumkaute.
Er übergab sich auf seine Turnschuhe.
Die Pflanze war dabei, den restlichen Körper der Alten zu verschlingen und eine Menge Gedärme und Innereien klatschten auf seinen Balkonboden. Dicke Tropfen Blut rannen aus dem Maul der Blume. Sven fiel in Ohnmacht. Als er wieder erwachte, lag er in seiner eigenen Kotze. Er schaute sich um und registrierte, dass die Balkontüre immer noch offen stand. Schnell robbte er einen Meter zurück, doch die Pflanze war still, und ihre monströse Knospe war geschlossen. Auf dem Balkon gab es keine Spur mehr von Frau Pollmann, sein neues Haustier hatte ganze Arbeit geleistet. Lediglich ihre alten Filzpantoffeln lagen noch herum. Er schmiss sie in den Müll und dazu das blutige T-Shirt, das er trug.
Er schloss die Balkontür hinter sich, obwohl er wusste, dass dies die Pflanze wohl kaum aufhalten würde, aber er ahnte, dass sie ihm nichts tun würde, solange sie satt war. Er wischte das Blut vom Fußboden und zündete sich dann eine Kippe an. „Hey Mann, du hast die Pollmann gefressen“, sagte er fassungslos mehr zu sich selbst als zu der Pflanze. “Wenn ich nicht mal einen großen Beitrag zur Hausverschönerung gemacht habe“, dachte er und schmunzelte. Die Pflanze hob die Knospe und grinste ihn an.
So viele Zähne.
Er beschloss unwillkürlich, seine Eltern anzurufen und zum Kaffee einzuladen.
Am nächsten Morgen schlief er sehr lange. Keine Ziehharmonika weckte ihn und auch kein Zwiebelgestank. Es war ruhig im Haus und die Pflanze wog sachte im Wind.