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Heiße Sardelki auf der Flucht

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04.11.2025
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Anmerkungen zum Text

Quelle: Von meinem Opa im März 1918 erlebt

Heiße Sardelki auf der Flucht

März 1918. Alles vorbereitet, heute geht es los. Unter der Stacheldrahtumzäunung haben wir eine vorhandene Kuhle im Sandboden vertieft. Die ist nun groß genug zum Durchschlüpfen. Gemeinsam mit Erich Köhler, meinem aus Hannover stammendem guten Frontkameraden, verlassen wir spätabends heimlich das russische Kriegsgefangenenlager. Irgendwo in der Nähe von Charkiw oder Charkow. An diesen Tag erinnere ich mich genau, da einige deutsche Mit-Kriegsgefangene jüdischen Glaubens ihren ersten Sabbat-Feiertag seit der Gefangennahme vorbereiten. Das davon etwas abgelenkte russische Wachpersonal bekommt nicht mit wie wir verschwinden. Meistens zu Fuß sind wir unterwegs, kommen langsam aber sicher voran. Stundenweise oder tagelang verdingen wir uns unterwegs bei russisch-ukrainischen, slowakischen und österreichischen Bauern. Als Lohn bekommen wir etwas Brot oder Kartoffeln, selten Fleisch oder Wurst. Auch „Mundraube“ auf Bauernmärkten oder Bauerngehöften tragen ab und an zu unserem Wohlbefinden bei. Letzteres ist manchmal problematisch – wegen bissiger Hofhunde, mit denen ich aber meistens gut klarkomme. Eines Tages, noch in Süd-Russland/Ukraine, „schlendern“ Erich und ich magenleer und geldlos über einen Bauernmarkt, finden einen Verkaufstand mit außerordentlich schmackhaft riechenden brühend heißen Sardelki. So heißen Bockwürste auf Russisch und Ukrainisch. Erich lenkt den kleinen, dabei sehr wohlbeleibten glatzköpfigen eine Mischung aus Russisch und Ukrainisch sprechenden Verkäufer ab, derweil ich einige Sardelki schnell ergreifen und mitnehmen will. Gesagt, getan und sehr schmerzhaft: Die brühheißen Würste bilden eine Kette von etwa zwanzig fest mit einander verbundenen Gliedern. Alle wollen und müssen ausnahmslos mit. Es gibt kein Zurück. Schnell greife ich die erste oben im Kochkessel schwimmende Wurst mit der rechten Hand, ziehe die gefühlt endlos lange Wurstkette aus dem Kessel. Und stopfe alles oben in mein mit der linken Hand aufgehaltenen Dragoner-Blouson auf die bloße Haut. Das brennt höllisch! Jetzt nichts wie weg. Der Verkäufer brüllt uns unflätige russische Schimpfwörter hinterher, die ich hier nicht wiederholen geschweige denn ins Deutsche übertragen werde. Jedenfalls haben wir vorerst mit Essen ausgesorgt und kommen weiter voran. Die Brandblasen auf meinem Oberkörper brauchen drei Wochen zum Abheilen. In dieser Zeit verspeisen wir locker die Würste.

 
Quellenangaben
Von Opa erzählt

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