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Heilige Jungfrau

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07.12.2004
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Heilige Jungfrau

Die heilige Jungfrau

Sie stand vor mir. Nackt. Das gefiel mir nicht, denn es war kalt. In einem kalten Raum steht man nicht kalt herum. Das ist armselig. Im Prinzip ist der Mensch zum Überleben nicht fähig: er bestitzt kein Fell oder Krallen, weder kann er besonders weit, scharf oder nachts sehen, noch hat er besonders große, scharfe oder gute Ohren; der Mensch ist einzig durch seine Fähigkeit sich in einem großen Maße andere Dinge zu Nutzen zu machen dem Tier so überlegen. Und nun stand diese Frau in dem kalten, nackten Raum mit einem Bett, das sicherlich beim Ficken quietschte (vor Vergnügen), ebenso nackt vor mir und suchte meine Augen. Einzig ihre Hand bedeckte ihre Scham so wie das Bett verschleierte, dass der Raum im Prinzip leer war, leer von Liebe.
Ihr Busen war nicht prall wie man sich das von Prostituierten vorstellt, ihre Beine dürr, ihre Haare verfilzt. Trotzdem war sie, weil sie der Natur trotzte, schön. Ich erschoss sie. Ich setzte mich aufs Bett und dachte nach. Dann zog ich mir die Schuhe aus. Die Jacke, machte meinen Oberkörper frei, dann die Hose, die Unterhose, bis ich nackt auf dem Bett saß. Es war sehr kalt. Aber sie zitterte nicht.
Ich schlug die Bettdecke zurück, hob den ruhenden Körper auf und legte sie ins Bett. Dann deckte ich sie zu mit der warmen Decke. Ich zog mich wieder an und wartete mit der Magnum in der Hand.
Die Polizei brauchte doch tatsächlich zwanzig Minuten bis sie den Raum gestürmt und den gemein gefährlichen Mörder festgenommen hatte. Sie führten mich ab. Ich erklärte ihnen, dass dies ein Protest war, doch sie antworteten mir nicht.
In der Zelle richtete ich mich so weit es ging häuslich ein. Aber zuerst warf ich all meine Kleidung in die Ecke. Ich würde nackt in dem kalten Raum leben. Bei der Gerichtsverhandlung zwang man mich allerdings Kleidung zu tragen. Ich hätte ihr gerne gezeigt, dass ich mich ihr solidarisch verbunden fühlte. So wie sie protestiert hatte, protestierte ich. Mein Anwalt verstand mich nicht. Weil er die Ansicht des Gerichts teilte, wurde ich zur Todesstrafe verurteilt.
Ich musste Lachen. Nicht aus Trotz oder Verzweiflung. Nein, ich lachte aus Glück, denn man hatte mich bestätigt: kein Mensch handelt aus Sorge um die Menschen an sich, sondern aus Sorge um sich selbst. Selbst meine Schwester, die protestiert hatte, handelte aus Sorge um sich selbst. Aus Sorge, dass diese Welt sie nicht verstand.
Denn wenn die Richter und Geschworenen aus Sorge um die Menschen an sich gerichtet hätten, hätten sie mich nicht zur Todesstrafe verurteilt. Ich hatte meine Schwester erschossen, um zu zeigen, dass jeder Mensch festgenommen werden muss, der sich zum Richter über einen Anderen aufspielt. Ja, ich hatte über meine Schwester gerichtet, hatte sie im Augenblick des Spiels nicht für überlebensfähig befunden und sie erschossen, natürlich nur im Spiel. So wie sie für meine Eltern die Postituierte geworden war, im Spiel.
Doch die Richter und Geschworenen hatten meinen Protest nicht verstanden: sie erhoben sich ebenfalls zu Richtern über mein Leben, ein Leben, das sie mir nicht hätten nehmen dürfen, weil sie es mir nicht gegeben hatten. Nur der liebe Gott oder Allah oder Jehova durften mir das Leben nehmen.
Aber das verstanden meine Richter nicht; sie hatten nur Angst um ihr eigenes Leben. Ich könnte mich ja auch zum Richter über sie aufspielen. Besser man beseitigte mich. Ja, geradezu spielerisch hatten sie beschlossen: den bringen wir um.
Die Geschichtsbücher würden schreiben, meine Schwester sei nicht umsonst gestorben. Sie habe protestiert und sich durch ihren Freitod verewigt. Aber das stimmte nicht. Es war ein Spiel gewesen. Es gibt nur ein Medium, wo Menschen auf dieser Welt umsonst sterben: im Spiel. In einem Spiel stirbt man entweder oder man gewinnt. Wir hatten verloren, aber wer war der Sieger? Die Richter nicht.
Ich schätze, das Bett hat das Spiel gewonnen. Endlich quietschte es jede Stunde vor Vergnügen. Eine richtige Prostituierte war in das Zimmer meiner Schwester gezogen. Ich weiß es, weil sie mich im Gefängnis besuchte. Anscheinend mochte sie mich.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich den Pater, nachdem er mich aufgefordert hatte, meine Seele zu erleichtern, zu ihr vermitteln konnte. Jeder Freier, der mit der Nachfolgerin meiner Schwester schlief, würde ihre Jungfräulichkeit heiligen. Vielleicht war sie doch nicht umsonst gestorben. Ich, der ich sie als Instrument für meinen Protest benutzt hatte, war zu ihrem Instrument geworden. Heilige Jungfrau.

 

oder nachts sehen
. Das passt irgendwie nicht. Im Dunkeln oder so?
scharfe oder gute Ohren
Scharf hast du gerade schon benutzt und gut ist kein schönes Adjektiv.
kalten, nackten
Dass du kalt davor so oft benutzt find ich lusitg. Jetzt ist es aber eine unschöne Wiederholung. Bei nackt genauso.
Ich erschoss sie.
Sauber! Sehr geiler übergang!

Jetzt keine quotes mehr:-). Kein Zeit :-(.
Insgesamt: Mir gefällt die Geschichte, du hast nette Wendungen. Von dem Erschießen, über die Schwester bis hin zum Bett und dem Pater. Schöne Einfälle. Aber du spielst auf sehr hohem Niveau (meiner Meinung), daher kannst du auch leicht Fehler machen. Daher finde ich, dass du es zwar gut schaffst, gewisse Worte immer wieder zu wiederholen. Aber machmal, da ist es ein bisschen zu viel. Da hast du dann diese Grenze zwischen sehr gut und schon wieder eher naja, überschritten. Das selbe mit der Botschaft. Es ist an sich sehr gut, aber um es wirklich gut zu machen, dürftest du dem Leser die Botschaft nicht so hinschmeißen. Er müsste sie selbst herausfinden. Er müsste diesen Prozess selbst durchgehen. Du erklärst ihn, wie in der Interpretation. Wenn du das schafft, verneige ich mich:-).
Ne, wirklich, mag deine Geschichte!!

 

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