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Copywrite Heimfahren

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14.08.2012
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Heimfahren

Der Schnee deckt alles zu,
das Heimliche und das Unheimliche.

Andrea H.​

Da fährt ein Auto spätnachts durch dichtes Schneegestöber und ein Schatten huscht über die Straße.
Und ein Bursche tritt auf die Bremse, ohne zu denken. Viel zu unbedacht bremst er, weil seine Gedanken ganz woanders sind, und ein miserabler Fahrer ist er sowieso, auch wenn er schon mit zwölf den Traktor gelenkt hat wie ein Großer, wie alle Buben im Dorf. Nein, gut Autofahren kann der Sepp nicht. Außerdem hat er einen Mordsrausch.
Nadine schreit und Sepp weiß nicht, ob das Ding sie so erschreckt hat, das Ding, das wahrscheinlich nur ein Hase war oder vielleicht ein Reh, oder ob ihr das langsame Kreiseln des Wagens Angst macht. Aber weil ihr Schreien das Auto nicht aufhalten kann, lässt Nadine das Schreien wieder bleiben, beißt sich stattdessen auf die Lippe und starrt mit weit aufgerissenen Augen in die nachtschwarze, weiße Welt hinaus, in eine Welt, die sich nun gemächlich um sie dreht, als säßen sie auf einem Karussell. Und die Welt draußen dreht sich, nicht, weil es nun einmal in ihrer Natur liegt, sich zu drehen, sondern weil die Nacht in diesem Augenblick aus den Fugen gerät.
Langsam wie in einem Traum schlittert der Wagen durch den wattigen Schnee und schiebt sich schließlich behutsam und mit dem Heck voran durch den Schneewall am Straßenrand und bleibt darin beinahe hängen.
Aber nur beinahe, weil er dann beginnt, die Böschung hinabzurutschen, da kann der Sepp aufs Gas steigen so viel er will. Also lässt Sepp das Lenkrad los, dreht sich um und blickt durchs Rückfenster, weil er sehen will, wo ihre Reise jetzt hingeht. Doch das Schneegestöber ist dort hinten so dicht wie vor dem Auto, ein wirbelnder weißer Vorhang, ein bisschen rötlicher vielleicht wegen der Rücklichter, und Sepp tritt jetzt auf die Bremse, als könne er ihre Höllenfahrt dadurch noch aufhalten. Kann er aber nicht. Also wendet er sich wieder nach vorne und schaut Nadine an, sieht die zerlaufene Wimperntusche um ihre Augen und auf ihrem Mund den verschmierten Lippenstift. Jessasmaria! Dieses Lila!
Eigentlich ist die richtig schiach
, denkt er, nicht zum ersten Mal denkt er das, und blickt lieber auf ihre Schenkel, die den Minirock beinahe sprengen und die fast so weiß sind wie der Schnee draußen, aber vermutlich weit wärmer, oder gar heiß, und er spürt, wie sich sein Ding regt und schmerzhaft gegen die Hose drückt, sich aufrichten will, obwohl es vor Angst doch eher schrumpfen sollte. Weil da geht’s ja fast dreihundert Meter runter zum Triebenbach und die Weide vom Höllerer wird nach unten zu immer steiler. Da gibt es nichts, was sie aufhalten wird, das weiß er. Dass sie ausgerechnet den einzigen Baum auf der Wiese erwischen oder gar den Heustadel vom Höllerer, wäre ein Wunder, so unwahrscheinlich wie ein freiwilliger Kuss von der Nadine, und Glück hat er ja so gut wie nie, der Sepp, hat er noch nie gehabt. Bis auf das eine Mal, als er sie heimlich hat beobachten können, wie sie mit hochgezogenem Kittel hinter dem Hollunderbusch gehockt ist. Aber das ist lange her, da war er noch keine zwölf, da ist er noch nicht einmal mit dem Traktor gefahren und Haare hat er auch noch keine auf dem Sack gehabt und eigentlich überhaupt keine Ahnung, was sie da mit der Karotte angestellt hat. Ja, aber vom Fest lässt sie sich heimchauffieren von ihm, wie immer. Was für ein Gnadenakt, du Hur, denkt er, und warum er sich von dieser Schlampe eigentlich so zum Narren halten lässt.
„Wennst einmal weniger als hundert Kilo wiegst, können wir ja noch mal drüber reden“, hat sie irgendwann einmal zu ihm gesagt und nicht einmal gelacht dabei.
Und jetzt beginnt sie auch wieder zu schreien. „Tu doch was, Sepp, um Gottes Willen, tu doch was!“, schreit sie, weil sie die Höllererwiese ja auch kennt, weil sie weiß, dass der Triebenbach da unten in Wahrheit kein Bach ist, sondern ein reißendes Wildwasser und durch eine Schlucht tobt, um Felsblöcke so groß wie kleine Häuser. Und dann fängt sie an, wie eine Irre am Türgriff zu rütteln, als hätte sie vergessen, dass sie schon immer auf der Fahrerseite hat einsteigen müssen, wenn sie der Sepp wo hingefahren hat, dass die Beifahrertür schon verklemmt war, als der Kadett noch dem Opa vom Sepp gehört hat. Weil doch den Opel einmal eine Wildsau erwischt hat, oder umgekehrt. Na ja, kein Wunder, wenn sie so was vergisst, so ang‘soffen wie sie heut wieder ist, die blöde Kuh mit ihrem Scheißnamen. Nadine! Als wär sie was Besseres, dabei hat sie nicht einmal die Friseurlehre fertiggemacht.
„Wir müssen raus, Sepp!“, kreischt sie und das ist schon mehr ein Schluchzen als ein Kreischen und jetzt geht auch Sepp ein Licht auf, dass er schön langsam etwas tun sollte. Nur weiß er halt nicht, was.
Und eben, als er das denkt, sieht er links ein dunkles Ding vorbeiziehen, ganz gemächlich, nein, kein Reh diesmal und auch keine Wildsau, nein, ein graues, schemenhaftes Irgendwas, das muss wohl der Schupfen vom Höllerer sein. Und als ihm klar wird, dass sie den nur um eine Handbreit verfehlt haben, sie so knapp daran vorbeirutschen, dass die Zweige des Hartriegelstrauchs, der an der Schupfenwand wächst, über den Lack vom Opel kratzen, da würgt es ihn beinahe, da spürt er ein Ziehen in der Kehle und im Magen, und es schüttelt ihn. Ja, da stößt dem Sepp ein bitteres Lachen auf, weil wundern tut ihn das nicht, dass er schon wieder kein Glück hat, aber das Lachen klingt mehr wie ein Schluchzen.
Gott, wie die brüllt, das hält ja kein Schwein aus.
„Wir müssen raus, Nadine, schnell!“, brüllt er zurück, und fast erschrickt er vor seiner eigenen Stimme, die ist so laut, die passt so gar nicht zu dem friedlichen, sanften Gleiten des Wagens, am liebsten würde Sepp einfach weitergleiten, auf immer, wie durch einen Traum. Beinahe wie Schweben fühlt sich das an … was soll denn schon groß passieren … das ist doch fast so harmlos wie Schlittenfahren … aber da wirft Nadine sich schon über ihn, greift zur Tür, will öffnen und zerrt am Griff, sie strampelt und tobt wie eine Furie, sie heult und wimmert.
Und bricht den Türgriff ab.
„Du depperte Sau“, flüstert Sepp, er will nicht mehr schreien. Er will jetzt endlich seine Ruhe haben, er will nur noch, dass sie so liegen bleibt, halb auf ihm, und ihren Geruch einatmen, diese Mischung aus Schnaps und Schweiß und ein wenig Parfum, und ihre Dutteln will er auf seinen Schenkeln spüren und auf seinem pochenden Dings, diese schwabbeligen Säcke, die sich so weich und warm anfühlen wie das Euter von der Maresi. Tatsächlich muss er in diesem Moment nicht an den Triebenbach und ans Sterben denken, sondern an die Zitzen am Euter von der Maresi, und dann muss er auch schon an die Fotze von Nadine denken, so wie er sie vor Jahren im Obstgarten gesehen hat, diesen Kleinmädchenschlitz mit dem bisschen Flaum drauf, eine Spalte halt, die ihm in Wahrheit damals nicht viel aufregender erschienen ist als eine zusammengeklappte Wurstscheibe.
„Du bist echt eine depperte Sau“, sagt er noch einmal, „wie willst denn jetzt rauskommen, ha?“ Vielmehr keucht er das und er greift unter den Sitz und holt die Flasche mit dem Obstler hervor. Er nimmt einen kräftigen Schluck und dann noch zwei. Und dann haut er Nadine eine runter und reißt die Fensterkurbel ab.
Ganz still ist es jetzt. Der Motor ist längst abgestorben und die Schneeflocken machen sowieso kein Geräusch und ihre Schlittenfahrt wird schneller und schneller. Und auch Nadine macht keinen Mucks, nicht, weil sie keine Angst hätte vorm Sterben, nein, Angst hat sie schon, eine Scheißangst, sie hat sich sogar angebrunzt und schämt sich deswegen, weil der Sepp das sicher riecht, aber sagen kann sie nichts, weil Sepp jetzt sein Dings ausgepackt hat und an ihren Mund presst. Mit der einen Hand umklammert er ihren Hinterkopf und drückt ihr Gesicht in seinen Schoß, dass sie kaum atmen kann, mit der anderen wühlt er zwischen ihren Schenkeln und die Schwielen seiner Bauernpranke kratzen rotlodernde Striemen in die Zellulitis ihres Hinterns.
„Du Sau, du Drecksau, mach schon, du Drecksau, du geile Fut …“, murmelt er vor sich hin, weil er weiß, dass ihm die Zeit davonläuft, weil er weiß, dass seine Welt aus den Fugen gerät, immer schneller, immer endgültiger, und dass das grünschäumende Wasser des Triebenbachs auf ihn wartet, oder das blausplitternde Eis dort unten, dort unten, wo zumindest im Sommer der Triebenbach fließt.
Wenn’s so weiterschneit, finden die uns nie, denkt er noch und im selben Augenblick, gerade als ein gewaltiges Zucken seinen Unterleib zerreißt, kippt die Welt vor der Windschutzscheibe nach hinten, also die Welt draußen, dieses grauweiß flirrende Inferno, das eben noch wirkte, als würde ein Leintuch unter ihnen weggezogen, und das Licht der Scheinwerfer fetzt durchs Schneeflockengewirbel senkrecht in den unsichtbaren Himmel hinauf und der beginnende freie Fall des Opels hinunter in die Triebenbachschlucht beschert ihm für ein paar Augenblicke das Gefühl der Schwerelosigkeit.

 

Hallo lieber Ernst,

dazu, die Ursprungsgeschichte und die Kommentare zu lesen komme ich leider nicht - sorry, wenn das hier dadurch nicht passgenau oder aber eine langweilige Wiederholung sein sollte. Sprachlich ist das toll geschrieben, locker zu lesen und besonders schön finde ich, wie sich der 'letzte Moment' dehnt und mit Gedanken, Erinnerungen und letzten Wünschen füllt. Zeit ist ja eh relativ. Auch wie seine widersprüchliche Wahrnehmung von Nadine beschrieben wird gefällt mir gut.
Aber dann? Ehrlich jetzt, das kann ich mir einfach und beim besten Willen so nicht vorstellen - und ich berechne da durchaus den Mannfaktor schon mit ein :-). Nein, so kann keiner denken und handeln, wenn es in die aller-allerletzte Runde geht. Und erotisch finde ich es leider gar nicht (und dabei hatte ich mir da schon Hoffnungen gemacht), das ist ja mehr so eine notdürftige Übersprungshandlung zum Nachteil der Frau.
Insgesamt ein durchmischter Eindruck meinerseits,
dir wünsche ich einen netten November,
viele Grüße,

Eva

 
Zuletzt bearbeitet:

Eva Luise Groh schrieb:
Sprachlich ist das toll geschrieben,
Tja, liebe Eva, mittlerweile kennst du mich (… öhm, will sagen, meine Geschichten) ja ein bisschen und weißt vermutlich, dass mir „toll“ zu schreiben allemal leichter fällt, als mir einen vernünftigen Plot auszudenken.

Aber dann? Ehrlich jetzt, das kann ich mir einfach und beim besten Willen so nicht vorstellen - und ich berechne da durchaus den Mannfaktor schon mit ein :-). Nein, so kann keiner denken und handeln, wenn es in die aller-allerletzte Runde geht.
Genau. Das ist vollkommener Quatsch in Wahrheit.

Und erotisch finde ich es leider gar nicht (und dabei hatte ich mir da schon Hoffnungen gemacht)
Wenn ich ehrlich bin, habe ich bei keiner meiner bisherigen Geschichten so schmerzlich das Stichwort „Groteske“ vermisst wie bei dieser. Einfach, weil ich damit die Lesererwartungen schon in eine gewisse Richtung hätte lenken können.
Aber hab Geduld, liebe Eva. Nach wie vor schlummert in den Tiefen meiner Festplatte eine … äh, sehr, sehr explizite Szene, die ursprünglich gedacht war als Schluss von „Noch lebst du“. (Du erinnerst dich an die Romanze von Vinc und Elsie?) Alle paar Monate krame ich das Fragment hervor und arbeite daran, ergänze da ein Wort, streiche dort einen Satz, ändere winzige Details am Dialog, schleife, poliere, perfektioniere. Die ist mittlerweile echt geil gut, die Szene. Jetzt fehlt mir nur noch die Story dazu.
Wenn da jemals eine Geschichte draus wird, gehört sie dir, Eva, versprochen.

offshore

 

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