Heimwerk
Ernst Haftig befiel ein ungutes Gefühl, als er, vom täglichen Büroeinerlei angeödet, sich auf dem Heimweg, halbenwegs im Einkauf verharrend, ziellos durch Supermarktregalmeilen schlich, um dort, gelangweilt und mißmutig, bereits erlegte und leicht zu kauende Beute zu jagen, scheinbar automatisch jenem Urinstinkt folgend, ihn zumindest rituell und halbherzig zu befriedigen suchte.
Er erlegt auf seiner Feierabendhatz ein standesgemäß maskulines Six-Pack Hochstift, feminine Bio Eier und studentische Miraculi in der „Wunschlos Glücklich“ - Packung. Er hatte herausgefunden, dass Miraculi ganz Passabel sein können, wenn man die penetrante Würzmischung, sowie den nach Alt-Erbrochenem duftenden Parmensan, boshaft der Nachbarskatze ins Markenfeuchtfutter krümelt. Minka scheint das vorzüglich zu schmecken, auch wenn sie sich nicht erklären kann, warum sie niemand mehr streicheln will.
Am Wühltisch stehen diese Woche erstaunlich günstig angepriesene High-Tech und angeblich auch -Quality Werkzeuge. Eine Oberfräse für 39,90 – eine Präzisionsstichsäge mit digitaler Drehmomentanzeige und ergonomischem Design für 29,90 sowie ein Multi-Schneidegerät, das aussieht, wie die widernatürliche Vereinigung einer Bastelschere mit einem Handstaubsauger.
Ernst Haftig verharrt, der Marketing-Strategie folgend, an der Quengelzone für Bürohengste und greift wie hypnotisiert die Oberfräse, um die Beute sogleich im Wagen verschwinden zu lassen.
Schon an der Kasse wird Ernst Haftig bewußt, dass er weder weiß, wie man mit einer Oberfräse verfährt, noch was er mit ihrer Hilfe fräsen soll. Sie wird wie sein gesamter übriger Männerstolz, angesammelter Profi-Werkzeuge, säuberlich in der unbenutzten, aber gut und ordentlich sortierten Werkstatt, im kleinen Keller seiner 3-Raum-Wohnung verschwinden, bis ein Nachbar oder Bekannter auf die Idee kommt, ihn nach eben diesem Präzisionswerkzeug zu fragen, um einen Notausstieg in den neuen Meisenkasten zu fräsen... präzise.
„Diesmal nicht!“, denkt Ernst verbissen, „Ich werde heimwerken.“ In düstere Heimwerkpläne versponnen, zahlt er die Fräse und malt sich bereits seine heimlichen Erfolge aus.
Die Beute die Treppen heraufgetragen, macht man sich zunächst daran, die Miraculi nebst gebratenen Hühnerföten und zwei Hochstift zuzubereiten und zu vertilgen, dann geht es los.
Die Oberfräse wird aus ihrem grauen Hartschalkostüm gepellt und mittig auf dem graumeliert gekachelten, höhenverstellbar sechseckig und schwarz-furniertem Wohnzimmertisch drapiert, anschließend die Bedienungsanleitung studiert, wenig verstanden beiseite – und dann losgelegt.
Ernst beginnt, einer zündenden Idee folgend, mit einem dicken Marker die Füße eben jenes geschmacklosen Einrichtungsgegenstandes, Relikt der kleinbürgerlichen spätneunziger Stillosigkeit, auf dem Hellen Laminat nachzuzeichenen. Das widerwärtige Wohnzimmerungetüm anschließend beiseite geschurrt, was häßliche Schmierstreifen von feuchtem Markerschwarz quer übers Laminat zaubert, wie Bremsspuren in der Schüssel.
Fachgerecht und Präzise wird die Profi-Fräse auf 5mm justiert, der Bodenbelag unter dröhnendem Brandgeruch erbarmungslos fortgehobelt, begleitet von präzise professionell ausgefransten Laminat-Rändern.
Während die frustriert-alleinstehende Mittdreißigering, mit Gewichts- und Emotionsproblemen behaftete Blumenverkäuferin Rosetta Nölig im darunter angrenzenden Stockwerk, heimlich Verwünschungen ausspricht, welche nicht nur Haftig, sondern auch seine vermutlich ausbleibende Nachkommenschaft, über Generationen Holocaust, Pickel und unbequeme Betten verheißen, bestaunt Ernst Haftig voller Heimwerkerstolz sein Werk. Der Wohnkultur Geschmacklosigkeit Gipfel thront nun, dank einer billigen Präzisionsfräse, beinahe paßgenau und kippelfrei, ins Laminat eingelassen zwischen Sofa und Breitbildglotze.
Endlich, ein kleiner Schritt für Ernst, ein großer fürs männliche Bequemlichkeitsgefühl. Die Aufklärung realistisch gefaketer Morde durch übertrieben inszenierte Kriminologen, überamerikanische Bullen-Cowboy Mixtouren und großbrüstige pathologinnen mit Blasemund im Privatfernsehen gebannt verfolgend, preßt Ernst Haftig mit einem Siegerlächeln seine Füße mit nie gekanntem Druck und unglaublicher innerer Entspanntheit an Rand der furnierten Plumpesse.
Auch Rosetta Nölig hat sich wieder eingekriegt, ihren Bluthochdruck mit Valium gezügelt und sinkt genau zweit Meter dreißig unterhalb Ernsts Hinterteil, ebenfalls auf ihre zerfledderte, brandgelöcherte Couch. Ihre Couch besteht anders als Ernst Haftigs, die natürlich aus schwarzem Lederimitat mit Chromdetails aus Kunsttoff aufwartet, aus jenem poppig, bunt verunstalteten Polyester-Leinen Gemisch. Es wirkt, als kotzte ein Würfel wahlloser Buntheit gelbe Schaumstoffklumpen aus. Rosettas ansehnliche Sofa-Docking-Station hat über die Jahre ihre Spuren in Form einer 60 Zentimeter durchmessenden Vertiefung hinterlassen. Die Enden ihrer zu kurz, dafür sehr kräftig geratenen Beine, Münden in weiß wollbesockten, geschwollenen Knöcheln und Füßen, welche aus dem Birkenstock-Imitat hervorquellen. Bei jedem Schritt muss Rosetta mühsälig ihre Beine aneinander vorbeiquälen, wodurch die Innenseiten ihrer dezent schambehaarten Schenkel, stets aufgescheuert und gerötet sind. Sie hat es nicht leicht, sie spricht mit Pflanzen und ihren zwei Katzen, weil das Telefon nie klingelt – sie raucht eine gestopfte Next nach der anderen und masturbiert zu Talkshows mit einem delphinförmigen Vibrator aus klebrigem Silikon, oder spielt Mario Kart, immer nur allein.
Wenn ihr euch mal gefragt habt, wer die ganzen Klingeltöne herunterläd, den ganzen Schrott im Home-Shopping kauft, wessen Handy mit Nackt-Scanner, Röntgen- und Spionage-Funktion ausgestattet ist, und wem die Tränen kommen, wenn ein scheiß animiertes Karnickel mit verdrehter Stimme Schnulzen trällert, die den gesamten Graus des frühneunziger Dance-Floors in den Schatten stellen... es ist Rosetta, alle Rosetten dieser privilegierten und hochzivilisierten Erstwelt.
Was für einen riesigen Markt frustrierte Rosetten und Ernst Haftige doch eröffnen, was für miese Geschäftsstrategien, nach den erbärmlichsten Lebewesen der ersten Welt zu suchen, um sich dann an der Befriedigung ihrer vermeintlichen Bedürfnisse finanziell Fett und zufrieden zu mästen.
So sitzen Also Ernst ziemlich haftig, Rosetta dezent nölig, gleichsam gestapelt, zwei Meter dreißig zwischen ihren Ärschen, vor ihren Glotzen. Sie werden noch sehr lange so sitzen – vermutlich bis sie jemand abtransportiert – zumindest ist Ernsts Couch Tisch ihr 0,5 cm näher gekommen, auch kleine Veränderungen zählen.