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Helfen ist Quatsch - Das Anti-Samariter-Set

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19.01.2006
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Helfen ist Quatsch - Das Anti-Samariter-Set

Das rote Überbrückungskabel klemmte ich an den Minuspol, das schwarze an den Pluspol. Im selben Moment sprühten Funken aus den Kontakten der Autobatterie. Ich schreckte zurück und stieß an die Haltestange der Motorhaube. Die schlug dumpf zu. Direkt auf die Finger dieser armseligen Gestalt, die Hilfe erheischend mit ihrem rostbraunen Kadett am Straßenrand gestanden hatte. Zwei Wochen später bekam ich Post von Rechtsanwalt Müller. Er forderte fünftausend Euro Schmerzensgeld für die lädierten Griffel seines Mandanten plus 546,58 Euro für die Reparatur seiner Fahrzeugelektrik inklusive einer neuen Autobatterie, 17 Rollen Kabel in verschiedenen Farben und Stärken sowie ein Dutzend Sicherungen, die bei ihm wegen meiner fachlich versierten Hilfe durchgebrannt waren.

Seitdem habe ich mir geschworen, keiner Menschenseele mehr zu helfen, selbst dann nicht, wenn sie direkt vor mir zusammenbricht. Unterlassene Hilfeleistung ist das? Keine Spur. Ein ausgeschlafener Junge wie ich besitzt ein Anti-Samariter-Set.

Sein Debüt feierte das Set an einem Dienstag viertel nach zwei. Ich schlenderte ahnungslos zum nahegelegenen Edeka-Laden, als etwa zwanzig Meter vor mir ein blondes Unfallopfer mit zwei vollgestopften Einkaufstaschen und einem ebensolchen Dekolleté auftauchte. Das Dekolleté versuchte sein Fahrrad zu besteigen. Es brachte mit zwei, drei schnellen Schritten das Rad auf eine gleichgewichtshaltende Geschwindigkeit und schwang sich in den Sattel. Bedrohlich kreisten links und rechts am Lenker die Einkaufstüten. Gleichzeitig stemmte sich die Verrückte mit aller Kraft in die Pedale, um an Fahrt zu gewinnen. Es sah auch zunächst so aus, als ob sie den Drahtesel unter Kontrolle brachte. Aber dann schlug der Lenker aus wie ein wildes Pferd, das man versucht zuzureiten, und die Einkaufsbeutel übernahmen das Kommando. Links. Links. Rechts. Links. Dann flog das Gänschen über den Lenker, mit dem Schnabel voran, und landete auf dem Gehsteig, begleitet von einem metallischen Scheppern. Dabei verrieb sie ihr Make up auf dem Asphalt und markierte die Aufprallstelle mit einigen Spritzern Blut, passend zur Bluse.

Ich wollte schon helfend hinzustürzen, da erschien vor meinem inneren Antlitz ein Kerl in schwarzem Anzug. In seinem Mundwinkel klemmte eine Havanna, die Hände rieb er sich erwartungsvoll und er lachte wie einer, der den Verstand verloren hat. Es war Rechtsanwalt Müller. In diesem Moment erinnerte ich mich an meinen Schwur, niemandem mehr zu helfen. Nun musste das Anti-Samariter-Set zeigen, was es wert war. Es bestand an diesem Tag aus einer mittelgroßen Haushaltsschere.

Ich zog sie aus meiner Innentasche, wendete mich vom Unfallopfer ab und begann eifrig, die Hecke des Vorgartens der Nürnberger Straße 23 zu schneiden. Erst als das Martinshorn aus der Ferne zu hören war, gesellte ich mich unschuldig zu den anderen Gaffern und erkundigte mich, was denn geschehen sei. Mir wurden dramatische Rettungsszenen geschildert, die mit stabiler Seitenlage, Herzdruckmassage und Atemspende zu tun hatten. Der Ersthelfer sei ein Held, hätte der Frau das Leben gerettet, murmelten sie.

,,Hat es beim Herzdrücken irgendwie geknackt?", fragte ich den Ersthelfer.
,,Ähm, schon möglich."
,,Dann sieht es schlecht aus. Haben Sie eine Rechtsschutzversicherung? Sind Sie vermögend?'
,,Nein. Warum?"
,,Nun, an Ihrer Stelle würde ich mir einen guten Anwalt suchen. Ich habe für drei gequetschte Finger 5000 Euro Schmerzensgeld bezahlt. Eine gebrochene Rippe dürfte wenigstens das Doppelte kosten und wenn noch etwas von der Atemspende zurückbleibt, Mundfäule oder so was, dann kommt Sie Ihr Heldentum teuer zu stehen. Die versaute Frisur wegen der Seitenlage nicht mit eingerechnet."
,,Ach du Scheibenkleister", zischte der Held. Dann schlich er zu seinem Wagen und fuhr heimlich davon. Die Autonummer lautete HEF XYZ-7.

Nach diesem Vorfall erweiterte ich das Set um einen akkubetriebenen Rasierapparat. Damit kommen Sie spielend aus der Ersthelfer-Bredouille. Werden Sie nun Erstzeuge eines Verkehrsunfalls, stellen Sie sich einfach mit ihrem Gefährt an den Straßenrand, richten den Innenspiegel auf sich und beginnen, sich zu rasieren. Sie können dann sagen, Sie waren auf dem Weg zu einem Date, bemerkten plötzlich die Stoppeln in Ihrem Gesicht und wollten sich etwas zurecht machen. Von dem Kleintransporter, der in den Tanklastzug raste und von den brennenden Leuten hätten Sie nichts bemerkt. Nur mit einem Cabriolet werden Sie argumentative Probleme bekommen.

Auch ein kleiner Staubsauger könnte gute Dienste leisten, etwa um plötzlich sämtliche Innentaschen der Kleidung reinigen zu können, während sich einer den Finger absägt oder aus dem Fenster stürzt.

Sehr nützlich ist noch eine Tageszeitung mit Rätselteil. Sie müssen dann aber unbedingt einen Stift und ein Rätsellexikon mitführen. Sie wissen ja schließlich nicht, wie lange Sie sich beschäftigen müssen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen in Gedanken vertieft irgendwo herum, müssen rätseln, weil die Ambulanz und die Feuerwehr noch nicht da sind, und dann fällt Ihnen das Wort für einen verblödeten Menschen mit ,,1" am Anfang nicht ein. Wenn Sie bei dieser Gelegenheit kein Lexikon dabei haben, werden Sie unwillkürlich aufblicken, um jemand zu fragen, und dann ist Ihr Alibi für die unterlassenen Hilfeleistung im Eimer. Ich persönlich bevorzuge diese Methode nicht. Ist zu riskant und in meine Innentasche passt kein Lexikon.

Der neuste Trend bei den Anti-Samariter-Sets ist die Messerausführung. Passiert etwas, ein Unfall zum Beispiel oder noch schlimmer, die Schwiegermutter benötigt Ihre Hilfe im Garten, so schneiden Sie sich einfach selbst in den Finger. Nicht zu tief. Sie wollen sich ja nicht ernsthaft verletzen. Womöglich hilft Ihnen dann keiner. Sie benötigen nur soviel Blut in der Wunde, dass ein mittelgroßer Elefant oder Ihre Schwiegermutter kalkweiß werden vor Schreck. Jedenfalls haben Sie dann Ihre Ruhe. Keiner wird Sie mehr um Hilfe bitten.

Ach ja! Die Sache mit der Schere kann ich nicht ruhigen Gewissens weiter empfehlen. Noch während ich diese Geschichte schrieb, erreichte mich eine Nachricht von Rechtsanwalt Schulze. Er forderte im Auftrag seiner Mandantschaft 2500 Euro Schadensersatz für eine völlig zerschnittene Hecke, zusätzlich 250 Euro für die Straßenreinigung und Entsorgung des Schnittabfalls. Und die Arztrechnung für die Dame des Hauses wird sich mindestens auf 1500 Euro belaufen. Sie musste zum Arzt, weil ihr beim Anblick der verhunzten Hecke die Spucke weggeblieben war.

 

Hallo querkopf,

ganz nette Geschichte, läßt sich schon gut lesen, gute Idee, wie ich finde, aber ich konnte an keiner Stelle so wirklich lachen oder grinsen. Ich fühlte mich schon gute unterhalten, aber die Geschichte plätschert halt so vor sich hin. Ohne große Höhepunkte, ohne, dass du eine Szene wirklich ausführlich und absurd beschreiben tätest. Ich finde es steckt viel verschenktes Potential in der Idee. Es ist Geschmackssache, aber ich denke, mit einer Anreicherung von schwarzem Humor hätte das Ding richtig gut werden können. So ist es für mich leider nur eine gut unterhaltende Lektüre, sprachlich sauber und "ganz nett"

Zum Grammatikalischen: Du solltest dich bei der wörtlichen Rede auf nur ein Zeichen beschränken. Anfang der wörtlichen Rede sieht bei dir nach zwei Kommas aus. Ich würde das " empfehlen. ;)

Das Dekolleté versuchte sein Fahrrad zu besteigen.
Dein Satz ist zwar grammatikalisch richtig, aber ich würde hier trotzdem Das Dekolleté versuchte ihr Fahrrad zu besteigen. schreiben.

in die Pedale, um an Fahrt zu gewinnen.
Kein Komma

sie ihr Make up
Make-up

beginnen, sich zu rasieren
Kein Komma

Gruß
Lemmi

 

hello querkopf,

das hätte mit mehr Überzeichnung, mehr Bösartigkeit und weniger Länge eine Satire werden können. So plätschert das Ganze vor sich hin, als hätte sich der Autor nicht getraut, so richtig auf die Tonne zu hauen.

Martinshorn - das Ding hieß übrigens Martinhorn ohne 's', weil es von einer Firma 'Martin' hergestellt wurde. Mittlerweile heißt es Einsatzhorn. :klug:

Viele Grüße vom gox

 

etwas aus dem Plätschern machen

Hallo Lemmi, hallo gox,

vielen Dank für Eure Hinweise. Ich mache mir Gedanken, wie aus dem Plätschern ein Wasserfall werden kann. Mal sehen was daraus wird.

Bei der Kommasetzung mit Infinitiv mit zu - war da nicht so eine Regel, wenn dieser erweiterte Infinitiv aus mehr als drei Teilen besteht, kommt Komma? Mit Kommas tue ich mich zuweilen schwer. Zumal es da auch neue Regeln gibt, nach denen man wohl nicht zwingend ein Komma setzen muss im o.g. Fall. Finde ich aber super, solche Hinweise zu bekommen. Danke nochmals.

 

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