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Herakles
Nick lief durch die versmogten Strassen von Lunastadt. Tränen rannen seine Wangen hinunter. Mit den Gedanken war er noch immer im Wohn-zimmer. Warum musste Nicole sterben?, fragte er sich immer wieder. Warum hatte Herakles ihm das angetan? Herakles. Derjenige, der Nick versprochen hatte zu helfen, wenn Nick nur nach ihm rufen würde. Ich habe dich nie gerufen. Du hast mir nicht geholfen.
„Komm heraus!“ Müde lehnte er sich an eines der vielen Neonplakate. Da! Nick griff in seinen Mantel, langsam, um ja keinen unnötigen Laut zu verursachen. Als seine Finger die Klinge des Messers streiften, spürte er das verkrustete Blut seiner Geliebten. Ich werde dich rächen, Nicole. Das verspreche ich dir.
Er trat auf die Gestalt, die sich lässig an die versprayte Wand eines Wohnblocks lehnte, zu. Schreiend warf er sich nach vorne – und prallte mit dem Kopf gegen den nackten Beton. Er rappelte sich auf, blickte hektisch suchend um sich. Ein Hologramm? Hatte er schon Hirngespinste? Hatte sich vielleicht auch der Tod seiner Geliebten nur in seinem Kopf abgespielt? Dabei war alles so real gewesen. Das Auftauchen Herakles’, sein Versprechen, für Nick da zu sein, sein plötzliches Erscheinen in der Bar, wo er Nick davor bewahrt hatte, zusammengeschlagen zu werden, und schliesslich der Mord an Nicole. Der Stress in den letzten Wochen ist Schuld. Ja. So musste es sein, jetzt ergab es einen Sinn. Es war so einfach: er würde nach Hause kommen, Nicole würde da sein und lächeln. Ihr wunderschönes Lächeln würde ihn willkommen heissen, willkommen zurück in der Realität. Nick spürte nur unendliche Erleichterung, als er sich auf den Weg nach Hause machte.
„Schatz, bist du wach?“, flüsterte Nick, als er endlich daheim angekommen war, um Nicole ja nicht zu wecken, falls sie schliefe. Er ging ins Wohnzimmer, um zu sehen, ob Nicole vor dem Fernseher eingenickt war.
Nick schrie. Zitternd lehnte er an der Wand und versuchte krampfhaft, nicht ohnmächtig zu werden. Ein Hirngespinst, oh Gott, lass es nur ein Hirngespinst sein! Doch da lag sie. Wunderschön, so nah und dennoch unerreichbar. Das ist alles nicht echt, das kann nicht echt sein.
„Hör auf, dir etwas vorzumachen.“
Nick griff in seinen Mantel und zog das Messer. Dann drehte er sich mit vor Wut verzerrtem Gesicht um. Da war er. Herakles sass auf dem Sofa und musterte Nick stumm. Nick hob das Messer und mit einem Schrei stürzte er sich auf den Mörder seiner Nicole.
Herakles wendete den Kopf und sah Nick in die Augen. Nick meinte eine Träne zu erkennen, doch dann warf sich Herakles zur Seite und flüchtete ins Bad. Nick folgte ihm. Er verspürte nur noch den Wunsch zu töten, zu rächen.
Herakles erwartete ihn. Er sprang auf Nick in dem Moment als dieser durch die Tür kam. Herakles Finger suchten sich den Weg zu Nicks Kehle, drückten unbarmherzig zu. Nick stach mit dem Messer auf Herakles’ Kopf ein. Dieser beachtete die Stiche gar nicht und drückte fester. Nick spürte, wie sein Bewusstsein schwand. Er stiess das Messer in einem letzten Akt der Verzweiflung in die Richtung, in der er das Herz von Herakles vermutete. Plötzlich bekam er Luft. Herakles war verschwunden. Keine Leiche lag am Boden, nur das Blut erinnerte an den Kampf. Auf der Suche nach Herakles wanderten seine Augen durch das Zimmer, blieben am Spiegel hängen.
Ein Messer ragte aus seiner Brust.
„Ich… ich bin Herakles?!“