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Herbstlaub

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27.08.2001
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Herbstlaub

Herbstlaub
Ich sitze hier auf der Parkbank. Die Händen in den Taschen, die Schultern angezogen. Kühl ist es. Der Himmel ist verhangen. Überall liegen Blätter in den typischen Herbstfarben umher. Ab und zu kommt ein Rentner mit einem Pudel vorüber. Oder ein Paar. Denen schaue ich am längsten hinterher. Wie Sie Arm in Arm gehen, schnell einmal miteinander lachen, sich einen kurzen Kuss geben und weiterreden. Wie vertraut Sie einander sind. Da hinten sind ein paar Kinder und sammeln Kastanien. Mir kommt es heute wie ein perfekt inszeniertes Bühnenbild der Melancholie vor.

Letzten Herbst haben wir uns hier geküsst. Unter diesem Baum. Meine Finger streicheln über das Holz und fahren der herzförmigen Kerbe nach. Danach, abends, saß ich an meinem Schreibtisch und habe ein Gedicht dazu geschrieben. Als ich fertig war, legte ich den Stift befriedigt und zum ersten Mal in dem Bewußtsein zur Seite, etwas einfach Gutes geschrieben zu haben. Etwas das lebt, perfekt ist, keiner Änderung bedarf. Ja. Jede weitere Silbe hätte es sofort aus dieser Balance gebracht. Der Drahtseilakt, Worten ihr inneres Geheimnis zu entlocken, indem sie in der Abfolge zu einer höheren Harmonie werden, war das Allererste mal gelungen. Wohlklingend, fließend, ästhetisch ohne gestellt zu wirken. Ein Gedicht, das tiefgehend aber einfach wahr und ehrlich dastand, ohne in ein Klischee abzurutschen oder einen Beigeschmack zu erzeugen.
Diese Empfindung, die Welt umarmen zu wollen, weil man den Menschen wieder hat, den man über alles in der Welt liebt, dieses Glücksgefühl, das in dem Schlußsatz: „Das Herbstlaub fällt wie Sternenstaub“ gipfelte, das Gedicht beendete, und das unverrückbar wie ein Fels stand. So unbefragt und offensichtlich ästhetisch, wie der Blick auf eine einzeln stehende 100jährige Eiche. Ja. Das war dieses Gedicht.

Die an mir vorübergehenden Leute treten das Laub in die nasse Erde. Es ist so, als würden die Blätter entweiht oder als dürfte ich heute, die andere Seite ihres Daseins kennenlernen. Schmutzig und zerknautscht liegen Sie halb in Pfützen, sind durchtreten oder einfach nur nass. Ich grübele nach dem korrekten Ausdruck dafür, der mein Gefühl zu diesen Blättern beschreibt. Sie wecken etwas. Da ist etwas in mir, das in diesem Blättern seine Entsprechung findet. Wie dieses Blatt von den Schuhen der Fußgänger zerstört wird, wie sie es achtlos beleidigen mit jedem Mal in dem Sie darauftreten.
„Besudelt“. Besudelt ist das Wort. Die Blätter werden besudelt, so wie meine Liebe besudelt wurde.
Das ist es. Ein wenig befriedigt lehne ich mich wieder zurück an die Bank.

Dieses Laub da auf dem Boden ist kein Sternenstaub. Es ist auf seinen Daseinszweck zurückgeführt: Gab dem Baum was er brauchte. Jetzt werden die Tage kälter, er kann sich den Luxus nicht mehr leisten, seine grünen Freunde am Ast zu halten und korkt Sie ab. Sie fallen auf die Erde, werden zersetzt und werden ihm als Erde wieder dienen. Und wenn er ihre Nährstoffe aufsaugt, mit seinen riesigen wie Schlangenfingern das Erdreich durchzüngelnden Wurzeln, wird er vielleicht wieder neue Blätter daraus machen, die wieder abfallen.
Dieser Rhythmus, der mir immer wie ein vollendetes Arrangement erschien, erzeugt heute nur Tristesse. Ewig währende Wiederholung, ohne das es einen tieferen Sinn dafür gibt. Zumindest keinen, der sich mir als gefühlsbeladenem Wesen erschließt.

Diese Blätter kommen mir so vor, als würde ich die wahre Natur der Dinge erkennen. So brutal, realistisch und zweckbezogen.
„Naturwissenschaftlich“ spritzt es in meinen Kopf und dieses Wort bringt es einfach auf den Punkt.
Die Natur ist nicht romantisch, liebevoll oder beseelt. Man muß Sie wissenschaftlich betrachten um ihr Innerstes, ihren wahren Kern zu sehen.

Ich beschließe in ein Cafe zu gehen und einen heißen Tee mit Rum zu trinken. Gleich hier am Stadtpark ist ein nettes kleines Ding. Schon als ich mich an einen Tisch in der Ecke setze, fällt mir dieses Paar auf. Offensichtlich kennen Sie sich noch nicht lange. Er gestikuliert mit großen Bewegungen, sie hört zu und lächelt ihn an. Er genießt und redet weiter auf Sie ein. In ner halben Stunde vielleicht, tastet er dann das erste Mal nach ihrer Hand und sie werden sich lang und breit in die Augen glotzen. So vielsagend wie wir alle das schon mal taten. Wo ein Blick ein Gesetz ist. Wo ein Blick „für immer“ und den ganzen Quatsch sagt, obwohl man doch erst zwanzig ist und nicht einmal näherungsweise eine Vorstellung davon hat, wie lange 10 Jahre sind, und erst Recht nicht die Ewigkeit. Dumme, gefühlduselige und überzogene, weil unwissende Lügerei. Hormone, die Kopf stehen, das Gehirn umnebeln. Endorphine werden ausgeschüttet, nur damit beide paarungsbereit sind und Nachkommen zeugen.
Ich ertrage das nicht länger. Mit mir nicht mehr.

So geht das immer weiter. Sie lernen sich kennen und lieben, sie entdecken ihre Besonderheiten, ziehen zusammen und kriegen Kinder. Aber irgendwann ist da irgendeine noch so doofe Geschichte und es folgt Leid. Immer. Dann suchen sie wieder, treffen sich in Cafes wie hier und spielen miteinander „kennenlernen“. Auch so ein Kreislauf.
Es ist mir einfach zuviel. Ich will nicht mehr. Ich will nicht mehr Energien, Vertrauen, Liebe in jemanden hereinpumpen, der mich nur wieder enttäuscht. Dazu bin ich zu leer. Ich werde mich aus diesem Kreislauf ausklinken. Ich werde nicht mehr enttäuscht. Ich weiß doch, heute in 8,9 Monaten tut‘s schon gar nicht mehr so weh und irgendwann finde ich einen Frieden. Wenn ich heute schon vergleiche, wie das vor 8 Wochen war. Ein Schmerz so riesig, daß ich meinte, ich müsse sterben. So unvorstellbar groß, daß der Tod eine Erlösung gewesen wäre, weil dann dieser bestialische Schmerz aufgehört hätte, der mich jede Sekunde begleitete.
Ich dachte, ich müsse nun jeden erlebten Moment des Glückes doppelt und dreifach zurückzahlen. So ungerecht und mies.

Die Zuhörende da drüben, die hat zum Beispiel beinahe die gleiche Haarfarbe wie Du. Vielleicht bilde ich mir das, bis heute sogar nur ein, weil ich alles auf Dich beziehe. Weil Du mir überall erschienen bist. Ich schaltete den Fernseher an und da lief ein Bericht über Mallorca. Da waren wir ja schließlich im Urlaub. Weil ich das nicht ertrug, schalte ich um und sah einen Spielfilm, wo Sie über einen Kerbeplatz gehen. So wie wir vor nem halben Jahr. Die Nachbarin kam mir mit ihrer Wäsche auf der Treppe entgegen und hatte natürlich eine Armbanduhr wie Du eine hattest um das Handgelenk und wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich das Kiosk, wo Du Dir immer noch schnell abends Zigaretten holen gingst. Das nenne ich Fluch. Alles war auf dich bezogen. All die kleinen Dinge waren untrennbar mit Dir verbunden. Aber das kenne ich schon und es ist am Verblassen. Heute morgen zum Beispiel, als ich die Vorhänge aufzog, war mir das Vogelkonzert nicht wie eine Verhöhnung meiner oder ich fragte mich nicht, wie die Vögel singen können, wo doch soviel Grausames geschieht. Nein. Heute morgen habe ich mich zum ersten Mal wieder daran erfreut und einfach singende Vögel wahrgenommen. Es sind die Kleinigkeiten, die einem auffallen und anzeigen, das es alngsam wieder aufwärts geht. Wie oft rappelt man sich auf, bis man es lässt? Manche nicht mehr und sie vegetieren, weil ihre Basis zerstört wurde.

Inmitten des Cafes sitzt eine Frau. Diese Mischung aus Stil, innerer Schönheit und Grazie der Bewegungen. Wie sie an dem Kaffee trinkt. Einer dieser Menschen, die Licht und Glück, sogar in so einen grauen Tag bringen. Die diese seltsame Fähigkeit haben, ihre Umwelt zu beschwingen. Ich wünschte ich hätte einen Funken dieser Lebensfreude. Im Hintergrund der Scheibe flimmert irgendwas und gibt ihr mit etwas Phantasie Flügel. So als würde sie mit den Schwingen schlagen, während Sie dort sitzt, um gleich diese Erde zu verlassen, sich hoch in die Lüfte zu erheben. Das würde passen, denn Sie gehört nicht hierher. Vielleicht nicht einmal auf diese Welt. Sie ist vielleicht das Einzige, was ich heute sah, das ich nicht zurückführen kann auf seinen Zweck, wie die Blätter.

Ich habe die Liebe kennengelernt. Ihre beiden Seiten. Erzähl mir doch keiner mehr etwas. Ok. Ich habe Sie kennengelernt und ich verzichte jetzt auf Sie. Entsage ihr aus freiem Entschluß. Wer nicht hoch klettert, der auch nicht tief fällt. Lieber einen etwas schalen Frieden, als wieder dieses Leid. Diese Rechnung geht doch auf.
„Spatz in der Hand...“, und so weiter. Immer wieder dieser Kopf, der sich selbständig macht und irgendwo hindenkt. Aber er hat ja Recht. Nur die nicht ganz auf der Hand liegende, aber vorhandene Doppeldeutigkeit, lässt mich nun doch in meinen Tee hereingrinsen.

Ich bezahle und gehe. Draußen vor der Tür trete ich auf ein Blatt. Ich drehe meine Sohle darauf herum, bis es nur noch in Fetzen da liegt und es tut gut. Ich bestimme jetzt. Ich bin über den Dingen. Ich habe die Macht; ich werde nicht mehr verletzt. Ich habe durchblickt, was hier wirklich läuft.
Ach so. Und Worte sind nur mehrere Buchstaben mehr oder weniger willkürlich gemischt.


Der Typ fiel mir schon im Stadtpark auf. Wie er da so allein auf der Bank saß, umschwirrt von herunterfallenden gelben Blättern. Er saß da, wie alle irgendwann auf Parkbänken sitzen, die enttäuscht worden sind. „Komisch“, dachte ich mir, „das bestimmte Orte enttäuschte Menschen anziehen“. Bei jedem Windstoß wurde sein langes Haar durcheinandergewirbelt. Aber das war alles was sich an ihm bewegte. Er saß da als könnte er aus diesem Bild des herbstlichen Stadtparkes nie wieder weggedacht werden, als würde er seit Jahrhunderten wie ein Denkmal zur Inspiration für andere sitzen. Denn er gab diesem Park erst die Seele und trotzdem gehörte er so gar nicht dahin, wirkte fehlplaziert.

Später saß er wie ich in dem Cafe. Natürlich allein in einer Ecke. Aber er nahm keine Zeitung zur Hand, wie so viele, die alleine sind, es aber nicht sein wollen und sie als Alibi mißbrauchen um einen guten Grund für ihr Dasein zuvermitteln. Die über die Zeitung ausdrücken wollen, bloß nicht gestört zu werden oder alleine bleiben zu wollen, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Nein. Keine Zeitung war zu sehen, die symbolisch eine Mauer errichten muß, zwischen ihm und der Umwelt. Die Mauer strahlte er ganz alleine aus. Sie war noch dünn wie aus Pappmache, so als würde er gerade an ihr bauen. Er saß da und trank irgendwas, machte sich offensichtlich keinen Kopf darüber, wie er wirkte. Es war ihm egal. Diese Chance, einen unverfälschten Blick in einen Menschen zu werfen, war es, was mich anfänglich anzog und so beobachtete ich ihn.
Er hingegen schaute immer wieder auf eines dieser glücklichen Päärchen, die noch ganz am Anfang sind. Noch so vieles vor sich haben und es zum Glück nicht einmal ahnen.
Einmal grinste er, den Kopf nach unten geneigt. Ein wunderschönes Lächeln, daß ihn wie einen Spitzbuben aussehen ließ, der gerade seine letzte gelungene Dummheit belächelt. Ja. Er gefiel mir. Als er herausging, beschloß ich, einer spontanen Eingebung folgend, ihn anzusprechen.
“Zertreten Sie gerne Blätter?“
Verwirrt und aus den Gedanken gerissen schaute er mich an.
„Ähh....nein. Nein. Nicht wirklich!“
Er fühlte sich so ertappt.
„Schade, denn drüben im Stadtpark liegen Tausende davon. Ihre nächsten Wochenenden wären ausgefüllt.“
Er schien ins Denken zu geraten. Er überlegte. Nach einer ganzen Weile antwortete er:
„Äh ja, ich weiß, ich....ich....saß da und habe Sie beobachtet! Die Blätter meine ich.“
„Ja ich weiß. Denn ich stand da und habe Sie beobachtet. Sie meine ich! Nicht die Blätter.“

Jetzt war er völlig verunsichert, zwinkerte kurz irritert mit den Augen, als hätte er falsch verstanden. Ich sah, wie er in Kleister getränkte Papierstreifen in seine Pappmachemauer einfügte, sie wieder wegnahm, Holz und Stein dazubaute und abriss, wie dieses zaghafte Gebilde ständig eingerissen und wiederaufgebaut wurde. Ganz so als würden sich Baumeister und Architekt streiten.
Sein Schmerz ist noch frisch, wußte ich in diesem Augenblick. Noch nicht verheilt. Aber das war mir im Grunde schon klar, als ich ihn im Stadtpark beobachtete. Es lag nun an mir zu entscheiden, ob ich mich mit dem nächsten Satz auf etwas einlassen sollte, was ich heute noch nicht im Ansatz kalkulieren kann, oder nicht. Und er schien genau das gleiche Problem zu haben. So standen wir uns gegenüber. Beide mit einer Flut von Bildern und Gedanken im Kopf und jeder in seiner eigenen Kinovorstellung und fragten uns, ob wir JETZT weiterreden oder nicht.

 

Wow! Wunderbar. Wohl jeder ist schon mal in der Situation gewesen, daß er sich nie wieder verlieben wollte, und Du fängst dieses Gefühl hervorragend ein. Ebenso, wie Du es schaffst, das Neue, das ganz zart beginnt, so zu beschreiben, daß es nicht kitschig wirkt. Eine Meisterleistung, nicht zuletzt, weil Du das Ende völlig offen läßt.
Deine Sätze sind von einer eigenen Schönheit, nie banal, aber auch nie so kompliziert, daß man sie nicht lesen möchte. Super!
Gruß,

chaosqueen <IMG SRC="smilies/king.gif" border="0">

die noch viel von Dir lesen will!

 

So leid es mir tut, aber ich kann mich letztendlich nur meiner Vorrednerin anschliessen. :)
Weiter so...!
Mfg,
euer Christian

 

Oh Gott, oh nein, oh Hilfe. Ich dacht meine Dinger liest Keiner hier....
Also ganz im Ernst: Vielen Dank für euer Lob! Das hat mich total gefreut und noch mehr, daß man was schreibt, womit andere was anfangen können, oder das es ihnen was gibt.
Nee also.
Jetzt bin ich ja platt.
Danke chaosqueen. Danke Christian.

 

ich fand die geschichte auch schön, gut geschrieben und voll iideen, z.B der sache mti der mauer die ständig eingerissen und aufgebaut wird...

 

Ich bin begeistert von deiner Geschichte!

Ich hab sie gelesen und war erfreut von der Wahl deiner Worte.
Deine Vergleiche sind eine Seltenheit und doch so passend.
Vor allem aber konnte ich mich sofort mit
deiner Geschichte identifizieren.
Sie ist einzigartig und beschreibt ein
"bekanntes" Gefühl.
Würde mich freuen, von dir noch ähnliches zu lesen.
Viel Spaß beim Schreiben

Sonnenblume schickt ein paar warme Strahlen an den Ort der zertretenen Blätter!

 

Hallo Frank

was mich an deiner Geschichte beeindruckt hat, ist, wie "unauffällig" (= harmonisch) sich hier viele Aspekte zu einer komplexen Abhandlung über den Herbst, das Leben und die Liebe verbinden. Ich meine dabei insbesondere folgende Absätze:
>Dieses Laub da auf dem Boden ist kein Sternenstaub.< eine Betrachtung über den Zweck organischen Daseins, Naturbetrachtung versus Naturwissenschaft
>Ich werde mich aus diesem Kreislauf ausklinken.< Betrachtungen über die Determination des Menschen in der Liebe, zwischen Sehnsucht und Trieben, Glück und Ernüchterung und den Preis, der für die oft vergebliche Suche zu zahlen ist.
Das ist weit mehr, als man es bei einer gewöhnlichen Herbst-Liebes-Geschichte erwarten könnte. (Ich weiß das, da ich selber tagelang Herbstlaub-Betrachtungen angestellt habe ;-) ... Herbstgeschichte)

Mein einziger Kritikpunkt betrifft folgende Stelle:
>Ewig währende Wiederholung, ohne das es einen tieferen Sinn dafür gibt. Zumindest keinen, der sich mir als gefühlsbeladenem Wesen erschließt.<
Das ist in meinen Augen etwas unglaubwürdig. Der ganze Text besteht aus tiefgreifenden Reflexionen, Beobachtungen und Schlußfolgerungen, die nur einem Erzähler möglich sein dürften, der von Emotionen ungetrübt, geradezu abgeklärt über sein Leben und das Wesen der Dinge nachdenken kann. Ich entdecke auch keinerlei Anzeichen einer Gefühlsverwirrung in den Gedankengängen des Erzählers. Alles ordnet sich voller Klarheit zu einem Gesamtbild. Sprache und Wortwahl sind sehr ausgewogen, fast eher zurückhaltend: ohne Indiz irgendeiner Zerrissenheit, Schwankung oder Zäsur.
Derartige Texte kann man nach meinem Empfinden eigentlich nur aus einer emotionalen Distanz zum Erleben, Geschehen oder Erinnern heraus schreiben. Daher scheint es mir wahrscheinlicher, daß der Text eher die Summe vieler Lebenserfahrungen und -eindrücke verarbeitet, resümiert. Jedenfalls enthält er Gedanken in einer Fülle und Intensität, die jenseits aller unmittelbaren Erkenntnis bzw. spontanen Eingebung liegen dürften. Das macht ihn so interessant, außergewöhnlich.
Ich finde die Verflechtung "biografischen Lernens" (falls es das ist) mit einer alltäglich scheinenden Rahmenhandlung (auch die ist sehr gut beschrieben) jedenfalls sehr gelungen. Großes Kompliment!

Grüße Martin

P.S.: Gibt es das Gedicht wirklich? Würde mich sehr interessieren ;-)

 

hmmmm, habt ihr wirklich alle schonmal gedacht, dass ihr euch nicht mehr verlieben wollt????? tut mir leid, aber das ist ein gefühl, das ich absolut nicht nachvollziehen kann, weil ich es irgendwie für feige halte. so nach dem motto: wer den schmerz nicht hinein lässt, lässt auch die liebe draussen stehen.
sicher ist man verletzt, aber sich nicht mehr zu verliebe, käme meiner meinung nach dem aufgeben gleich...

mir gefallen die bilder in deiner geschichte und vor allem die sätze, die den ansatz von wut erkennen lassen, wie einige aus dem abschnitt im cafè.
aber wie gesagt, mit dem thema kann ich mich nicht identifizieren.

mfg

 

Soso Sighard, liebesunfähig also... Hmm, ich weiß nicht. Ich gehe mit, wenn es heißt: beziehungsunfähig, denn solche Menschen gibt es leider mehr als genug. Aber deren Problem ist meistens, dass sie einfach nicht in der Lage sind, andere zu schätzen. Dass sie nicht verstehen, was es eigentlich bedeutet, einen anderen Menschen neben sich zu haben, der zu ihnen hält. Aber liebesunfähig????
Ich habe deine Geschichte gelesen (Gewinn und Verlust), die mir gut gefällt wegen dem verständlichen und doch nicht einfachen Stil, aber als liebesunfähig würde ich den Protagonisten nicht bezeichnen. Denn, so wie ich das sehe...liebt er nicht längst schon????
(Da ich neu hier bin, weiß ich nicht, ob das jetzt überhaupt an diese Stelle gehörte. Wenn nicht, möge man mir verzeihen!)

liebe grüsse

 

Vielen Dank für eure Kritiken.


@abyssal: Ich bin von Deiner Kritik beeindruckt und folgerichtig gibt es dieses Gedicht wirklich. Fast fühlt man sich wie von einem Detektiv durchschaut.

„Ewig währende Wiederholung, ohne das es einen tieferen Sinn dafür gibt. Zumindest keinen, der sich mir als gefühlsbeladenem Wesen erschließt.“

Es soll eine Art Fazit wie auch Gleichnis sein. Es bildet ab, was er erlebt und verarbeitet. Hin zu einer mechanischen Welt will er. Gerade er. Gefühlsbeladen. Zwischen nur Schwarz und Weiß schwankend und erkennend, daß ihn alle seine Liebe nur Kummer brachte. Er versucht die Position zu wechseln. Hin zur Rationalität aber auch dem damit verbundenem Gleichmut.
Dieser Satz also bildet seine Unfähigkeit ab, diesen Sprung machen zu können. Er IST anders. Es wird ihm nicht gelingen. Er bleibt er. Und deshalb wird er mit aller Polarität niemals diese übergeordnete darwinistische Sichtweise verinnerlichen oder leben können. Weil er eben gefühlsbeladen ist und bleibt, es aber noch nicht ahnt.
Er WILL zwar woanders hin, aber er wird es nicht können. Schau mit welchem Ekel er im Grunde seine neue Welt beschreibt; sein Durchblicken. Nein. Keine Welt, die zu ihm gehört.
Ach so, und gerade weil Du das so psychologisch schon herausgearbeitet hast (wirklich vollkommen zutreffend). Auch wer – wie der Erzähler – nachdenkt, reflektiert, verarbeitet, auch der bleibt trotzdem in seiner Haut, kommt nicht aus ihr raus. Deshalb denkt er diesen Satz.
Ansonsten fühle ich mich durch Deine Kritik schon wirklich ertappt, aber ein wunderschönes Ertappen, weil es gelang, die Gedanken anzuregen, die man in Gang bringen wollte. Von daher wirklich vielen Dank für Deine Meinung hier.

@luftgängerin: Du hast vollkommen Recht. Auch ein Thema das dieser Text behandeln will.

Du schreibst:

„tut mir leid, aber das ist ein gefühl, das ich absolut nicht nachvollziehen kann, weil ich es irgendwie für feige halte. so nach dem motto: wer den schmerz nicht hinein lässt, lässt auch die liebe draussen stehen.
sicher ist man verletzt, aber sich nicht mehr zu verliebe, käme meiner meinung nach dem aufgeben gleich...“

Zuerst: Ja. Wer nicht mehr liebt, der gibt sich auf und verschließt sich vor dem Schönen. Ich bin jetzt über 30 und wenn ich mich umschaue gleichen sich viele Biographien – und einige haben aufgegeben, ungefähr so, wie der Gute es in der Geschichte vor hat und zum Glück nicht wird tun können. Viele sind gefrustet mittlerweile und ich sage auch immer in der Art : „Mein Gott, probiert es nochmal, aber richtig. Ohne Vorbehalte, ohne Überlegen!“ Aber sie tun es nicht mehr, weil zuviel kapputtging. Sie wollen nicht mehr verletzt werden. Ja. Ich kenne dieses Gefühl und es ist wie beschrieben. Zum Glück gewinnt dann doch irgendetwas in einem drin die Oberhand.

Du schreibst das es feige ist. Vielleicht ist es richtig, das das feige sein soll. Vielleicht. Auf jeden Fall steuert rationales Erkennen n der Art „es ist feige von mir“ nicht die Handlung danach, wenn das Gefpühl sagt: „Ich habe Angst nochmal verletzt zu werden“. Von daher denke ich, darfst Du nicht sagen „ich kann es nicht nachvollziehen, weil ich es für feig halte“. Es gibt – streng gesehen - nicht diese logische Verknüpfung.
In Deinen Sätzen sprechen verschiedene Personen.

@sighard
Was Du beschreibst, ist genau der Weg, den der Gute versucht zu gehen. Diese Art des „realistischen Liebesverzichtes“. Vielleicht weil es erscheint, mehr zu verlieren, als zu gewinnen? Zumindest fühlt man so in der Zeit.

Grüße

 

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