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Herbstmonolog
Die voll gesogenen, feuchten Äste, der am Straßenrand stehenden Kastanienbäume biegen sich leicht in Windrichtung. Kleiner, feiner Nieselregen tröpfelt undurchsichtig auf die Windschutzscheibe bis mein Fahrer die Scheibenwischer betätigt. Die kühl-graue Landschaft liegt unter einem dichten Nebelteppich, der nur hier und da stellenweise aufklart. Ich drehe die Autoscheibe ein Stück runter, atme die frisch einströmende Luft tief ein und höre die plätschernden Gummigeräusche der Reifen entlang der feuchten Straße, wie sie mal leiser mal lauter werden und im Windschatten einiger Bäume schließlich ganz verebben. Alles ist unterhaltsamer als deine Stimme. Wir sind allein. Kein Wort. Wenn wir das Radio anschalteten, müssten wir nicht auf die Stille hören, aber wir ziehen es vor uns mit Desinteresse zu strafen. Wie lange wissen wir längst nicht mehr und warum noch viel weniger. Ich weiß nur, du warst schuld. Mein Fahrer zündet sich eine Zigarette an. Ich rauche seit zwei Wochen nicht mehr. Ich liebe seine Umsichtigkeit. Der stinkende Qualm folgt magnetisch meinem offenen Fensterspalt. Als wenn er das nicht gewusst hätte. Ohne ein Wort schließe ich es, worauf sich das Seine öffnet. Stummes Fenstertennis. Ich weiß, Vorteil Fahrer, aber er dopet. Wir fahren in den Urlaub. Zwei Tage Ostsee. Im Herbst. Nur wir beide. Freude. Das Bein des Fahrers wippt rhythmisch zu nicht hörbaren Klängen und macht mich aggressiv. Hör auf dich zu amüsieren! Ich durchbreche seinen Beat und spiele Metronom an der Seitenscheibe. Den Fahrer stört es nicht einmal. Jetzt tut mein Finger weh. Noch frustrierter schaue ich auf die verträumten, idyllisch gelegenen Einfamilienhäuser mit ihren weißen Gartenzäunen und gelben, perfekten Hunden, die bellend zum äußersten Zaunrand gelaufen kommen, wenn man nur in die Nähe des Hauses gelangt und ihr ach so perfektes Leben mit seiner bloßen Anwesenheit zu bedrohen scheint. Der Mann mäht jeden Samstagmorgen den Rasen und die Frau hängt danach die bügel-, knitter-, allergie-, schmutz- und duftfreie (weil besonders umweltfreundlich) Wäsche hinter das Haus. Springende, musizierende Kinder beleben das Haus und machen freiwillig Hausaufgaben. Will ich das? Soll ich uns einen Golden Red Triever kaufen? Ein langes befreiendes Ausatmen kommentiert das Ausdrücken seiner Zigarette. Ja, ich weiß, das hat gut getan! Zeig's noch mal! Dabei liest er doch selbst die Warnungen auf den Schachteln: "Rauchen lässt ihre Haut altern!", but we are the botox-generation, aren't we? Noch mindestens zwei Stunden. Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich brechen will! Warum setze ich mich dem aus, hä? Ich zähle einfach Bäume und fertige Statistiken an - die Häufigkeit der gemeinen Linde am rechten Straßenrand der B96. That's entertainment! Eine Masernerkrankung oder wahlweise auch das langsame Ausziehen jedes Fußnagels wären belustigender als ein euphorisches Lachen mit dir! Warum setze ich mich dem eigentlich aus? Ich zähle einfach Bäume und fertige Statistiken an – die Häufigkeit der gemeinen Linde am rechten Straßenrand der B96. That’s entertainment! Was macht er da wieder? Will er hier etwa überholen? Wem musst du was beweisen? Ich hasse das! Man, immer das Gleiche! Pass auf, ein Auto! Pass auf, pass..! Mein Fuß sucht das Bremspedal, doch findet es nicht. Ich sage nichts, lasse mir nichts anmerken, schaue einfach weiter geradeaus. Meditativ achte ich bewusst auf mein Ein- und Ausatmen. Rauchfreies Ein- und Ausatmen.
Der Regen und der Wind nehmen zu. Das Dunkelblau des Himmels drückt auf das frische Grün der Felder wie unser strafendes Schweigen auf unsere überlebte Beziehung. Das erlösende Gewitter lässt auf sich warten. Ich mag es nicht mehr, wenn das Kopfkissen nach ihm riecht, er jeden Hund „Kumpel“ nennt, er sich aus Verlegenheit seine Nase kratzt. Allerdings schlafe ich wieder gern allein ein und freue mich über Tage nur mit mir. Mein Fahrer ist nur noch ein verschwommenes Abbild einer glücklichen Liebe – geblieben aus Pflichtgefühl, Trägheit und Gewöhnung, vielleicht auch Mangel an Gelegenheit. Langsam drehe ich meinen Kopf in Richtung des Fahrers und schaue nüchtern zu ihm. Ich werte nicht. Ich gebe keine Schuld. Ich hasse und auch liebe nicht. Was bleibt, ist die Erinnerung. Dann sage ich: „Fahren wir wieder nach Hause!“.