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Heribert Illig - Das erfundene Mittelalter
Das Buch Heribert Illigs „Das erfundene Mittelalter“ (Ullstein, 2004) kommt ganz leise daher, obwohl seine These, in unserem Kalender gäbe es 297 Jahre zu viel, schon sensationell ist. Konkret geht es um die Jahre 614 bis 911 in unserem Kalender, die seiner Meinung nach nie existiert haben.
Auf die Idee, dass da was nicht stimmen könnte, kam er, als er die gregorianische Kalenderreform vom 1582 nachrechnete und feststellte, dass die aufgrund der Ungenauigkeit des julianischen Kalenders seit Julius Cesar aufgelaufene Differenz zum astronomischen Sonnenjahr nicht 10 Tage betrug, wie vom Papst verfügt (auf den 4. Oktober folgte in dem Jahr 15. Oktober), sondern 12,7 Tage, was eigentlich eine Verschiebung um 13 Tage notwendig machte. Eine mögliche Erklärung für diese Differenz: Man habe irgendwo zwischen Julius Cesar (44 v.Chr.) und 1582 Jahrhunderte eingeschoben, die es in der Wirklichkeit gar nicht gab, denn die Verschiebung um 10 Tage war richtig, um den Kalender wieder mit der Sonne zu synchronisieren.
Das zweite Argument waren die sogenannten antizipatorischen Fälschungen, also Fälschungen, die zu ihrer Entstehungszeit nicht gewirkt haben, sondern offenbar für eine kommende Zukunft bestimmt waren. Das ist natürlich Unsinn, denn niemand kann Zukunft kennen, d.h. wissen, was Jahrhunderte später „gebraucht“ würde. Der Verdacht liegt also nahe, dass eine Fälschung genau zu dem Zeitpunkt hergestellt wird, zu der sie gebraucht wird: Sie wird einfach rückdatiert, am besten in eine Zeit, die nicht wirklich existierte, denn da kann man kaum mit widersprechenden Dokumenten rechnen. So gibt es eine Menge Urkunden, die angeblich aus der Zeit des Karl des Großen stammen sollen, allerdings sind das allesamt keine Originale, sondern „Kopien“ aus der späteren Zeit.
Beides, Kalender und diese antizipatorischen Fälschungen waren für Illig der Anlass, sich mit dem Mittelalter näher zu beschäftigen. Er hat sich dann auf die Gebiete Architektur und der Kunst begeben und da Dinge festgestellt, die seine Theorie zu stützend scheinen. Dabei argumentiert Illig sehr zurückhaltend, d.h. er sagt nur Dinge, die er beweisen kann, und wenn nicht, dann sagt er auch, dies oder jenes ist nur eine Hypothese und kein Fakt.
Trotzdem hat er Schwierigkeiten, gehört zu werden, denn er ist weder Archäologe noch Historiker, und Quereinsteiger werden nirgendwo gern gesehen, dies vor allem dann nicht, wenn sie so Abenteuerliches von sich geben wie Illig – man hat aus dem Fall Schliemann oder auch Bernstorf* wohl nichts gelernt.
Damit will ich keineswegs sagen, dass ich die Theorie Illigs teile, aber sie hat mich zum Nachdenken gebracht, liefert sie doch eine schlüssige Theorie, warum es die dunklen Jahrhunderte gibt (so genannt, weil da kaum wissenschaftlich, technologischer oder gesellschaftlicher Fortschritt zu erkennen ist).
Natürlich habe ich ein wenig im Internet recherchiert und festgestellt, dass da Kämpfe um Wikipedia-Artikel ausgefochten werden: Phantomzeitbefürworter gegen klassische Historiker. Diese letzten zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie auf Argumente Illigs nicht eingehen, weil sie eine Theorie zu stützen scheinen, die sie absurd nennen.
Dazu kann ich folgende Links empfehlen: Karl der Große - Fehlanzeige und Phantomzeit – Diskussionen.
* Grabungen von Archäologen haben ergeben, dass sich auf dem Bernstorfer Hügel um 1360 v. Chr. eine etwa 15 Hektar große Siedlung befand, die bei einem Großbrand zerstört wurde. Doch dass Archäologen überhaupt dort anfingen zu graben, ist einem Arzt aus der Gegend zu verdanken, der Erzählungen seiner Patienten glaubte: „Es geht eine Sage, dass zwischen Tünzhausen, Bernstorf und Kranzberg eine versunkene Stadt liegt.“
Der Arzt hat versucht die Archäologen in München zu interessieren, doch die winkten ab: „Eine keltische Stadt in der Nähe von München? Unmöglich, wir wüssten sonst davon.“ Erst als der Arzt auf eigene Faust zu graben anfing und dort ein Gold-Diadem und Bernsteinschmuck fand, wurde auch die Archäologen aufmerksam und übernahmen die Ausgrabungen. In dem Wikipedia-Artikel steht von der einstigen Ignoranz der Fachleute nichts (selbst der Hinweis auf die Sage wurde in der Zwischenzeit gelöscht), lediglich Süddeutsche Zeitung hat seinerzeit davon berichtet (Süddeutsche Zeitung vom 4. August 2001 - Troja im Ampertal.)