Was ist neu

Herr Blumental

nik

Mitglied
Beitritt
06.06.2005
Beiträge
17
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Herr Blumental

Herr Blumental

Wenn man einen Haufen Geschwister hat, passieren die komischsten Dinge. Jetzt erzähle ich euch von Grete, meiner kleinen Schwester. Sie ist fünfeinhalb. Und von Herrn Blumental, der sie eines Tages besuchte.
Ich kam an einem Mittag nach Hause; hatte mich auf dem Heimweg sehr beeilt, um noch vor dem Mittagessen schnell die Hausaufgaben zu erledigen und den ganzen Nachmittag für meine Lieblingsdinge zu haben. Grete öffnete mir die Tür noch bevor ich klingeln konnte und sagte, ohne ein Wort der Begrüßung: „Anna, weißt du, Herr Blumental ißt heute mit uns!“ „Wer ist Herr Blumental?“ wunderte ich mich, „und wo ist er denn?“ „Na, hier direkt neben mir“, antwortete Grete, als würde sie sich wiederum über meine Unwissenheit wundern. Ach so, es handelte sich also um eine von Gretes Phantasiefiguren, mit denen sie angeblich die merkwürdigsten Abenteuer erlebte. Ich wollte mich an ihr vorbeidrängen und in mein Zimmer verschwinden, aber Grete hielt mich auf. „Herr Blumental hat Mama Blumen mitgebracht“, erzählte sie, „er hat ihr einen Handkuß gegeben und sich für die Einladung bedankt. Er hat einen Riesenhunger und will die größte Portion haben. Papa hat er auch schon begrüßt und nun die ganze Zeit mit mir auf euch gewartet. Hoffentlich kommen Karl und Jana bald.“ „Jana hat heute siebte Stunde“, entgegnete ich, „wir essen etwas später. Und Karl müßte bald kommen. Geh doch noch mit Herrn Blumental im Spielzimmer spielen und laß mich meine Hausaufgaben machen. Hallo Mama!“, rief ich Mama zu, die mich erst jetzt entdeckt hatte. „Mama!“ rief Grete, „Herr Blumental hat Hunger. Wann essen wir?“ „Gretchen, wenn du Hunger hast, dann nimm dir einen Apfel, es dauert noch ein Weilchen. Und gib Herrn Blumental etwas ab“, erwiderte Mama lächelnd. „Neeeeiiiin, Herr Blumental will keinen Apfel, er ist weit hierher gereist. Es ist nicht freundlich, ihn jetzt nicht an den Tisch zu bitten. Er wartet die ganze Zeit auf das Essen. Dafür ist er doch gekommen“, quengelte Grete. „Hab Geduld, Grete“, sagte Mama und verschwand wieder in der Küche. Ich versuchte, mich davonzustehlen, aber Grete war mir dicht auf den Fersen. „Du hast Herrn Blumental noch nicht guten Tag gesagt“, beschwerte sie sich. „Ihr seid alle blöd zu ihm. Es ist reineweg ein Wunder, daß er überhaupt noch mit euch zusammen essen will!“ „Guten Tag“, sagte ich etwas gereizt und rannte die Treppe hinauf in mein Zimmer. Grete schimpfte hinter mir her, verschwand dann aber bei Mama in der Küche, und ich wette, dort beschwerte sie sich weiter über unser Ungehobeltsein.
Ich preschte im Zimmer meine Rechenaufgaben auf’s Papier, las im Lesebuch zwei Seiten durch und zeichnete eine Streichholzschachtel von schräg oben. Dann mußte ich noch einen etwas albernen Aufsatz schreiben: „Mein schönster Ferientag“. Mein schönster Ferientag war natürlich gewesen, als ich meine neue Freundin, Frau Poschitz, kennenlernte, aber das ging die Lehrerin nichts an. Ich schrieb also über einen Badeausflug, den wir mit der ganzen Familie gemacht hatten, und es ist ein großes Glück, daß mir immer so viele Gedanken und bissige Sprüche, wie Papa sie nennt, einfallen, sonst wäre das ganze Unterfangen wohl recht langweilig gewesen.
Als ich fertig war, las ich noch ein Kapitel in „Tom Sawyers Abenteuer“ und eines in den „Lausbubengeschichten“, so daß ich beinahe die Essensglocke überhört hätte.
Mein Platz war immer der neben Grete zur einen und Karl zur anderen Seite. Am Kopf des Tisches saß Mama, seitlich daneben Frieder im Hochstuhl, dann Jana und dann Papa. Das andere Tischende war unbesetzt und war dafür der Ablageplatz für die Obstschüssel. Ich kam gerade ins Eßzimmer, als ich Grete hörte: „Warum sind nur sieben Teller auf dem Tisch? Wer ißt denn nicht mit?“ „Haha“, rief Karl, „wir sind doch sieben!“ „Neeeiiiin, wir haben doch Besuch. Hier sitzt Herr Blumental“, sagte Grete und deutete auf meinen Platz neben ihr, an den ich mich gerade setzen wollte. „Nein, Anna, du darfst dich doch nicht einfach auf Herrn Blumental setzen. Dann kriegt er ja einen Riesenschreck. Da sitzt er heute.“ „Herr Blumental kann da sitzen“, erwiderte ich und zeigte auf den freien Platz. „Hol ihm halt noch einen Teller aus der Küche.“ „Neeiiin, Mama, Herr Blumental sitzt neben mir“, brüllte Grete, „du mußt dir noch einen Teller holen, Anna.“ Papa lachte vergnügt, aber Mama sagte: „Grete, dann bitte Anna, heute mal Herrn Blumental ihren Platz zu leihen und sich ans Kopfende zu setzen. Und hol ihr einen Teller.“ „Nun reicht’s aber!“, rief Grete, „wenn man Besuch hat, dann muß man ihm doch wohl sofort den besten Platz anbieten und das beste Geschirr und den besten Saft!“ Papa wieherte vor lachen und Jana stöhnte. Damit es nicht noch länger dauerte, bis wir mit dem Essen beginnen konnten, holte ich mir einen Teller aus der Küche und setzte mich ans Kopfende des Tisches. „Nun muß Herr Blumental als erster Essen bekommen“, kommandierte Grete und hielt Papa Herrn Blumentals Teller hin. „Nun Grete“, sagte Papa, der die eine Gemüseschüssel in der Hand hielt, um allen davon aufzugeben, „unsichtbare Leute kriegen unsichtbares Essen, okay?“ „Neeeiiin,“ schrie Grete, „kann man das glauben? Herr Blumental ist schon sehr beleidigt! Er bekommt die besten Bissen, das ist doch klar, oder? Diiieesen Brokkoli und dort von deeen Pilzen. Die allergrößten will er haben. Und Salat, versteht sich.“ „Wenn du auch von seinem Teller ißt, dann geht das in Ordnung“, sagte Papa belustigt. „Ich kann doch nicht von seinem Teller essen!“, sagte Grete und starrte Papa an, als wäre der verrückt geworden. Man kann doch seinem Gast nicht wegessen, was man ihm gegeben hat.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir alle Essen auf unseren Tellern hatten, und Grete hatte es schließlich geschafft, daß auf Herrn Blumentals Teller zumindest ein Brokkoliröschen, zwei Pilze, eine halbe Kartoffel und in seiner Salatschüssel zwei Blättchen Salat lagen. Sehr zufrieden begann sie zu essen. Auf einmal rülpste sie sehr laut. „Grete!“ sagte Mama streng, „Geht das auch leiser?“ „Das war doch der Herr Blumental!“ sagte Grete und dann: „Pfui, Herr Blumental, geht das auch leiser?“ Sie schaute schräg und ruhig auf den leeren Platz, als hörte sie zu, und sagte dann: „Mama, Herr Blumental sagt, da wo er wohnt, rülpst man, wenn man sich für das Essen bedankt. Es heißt, daß es gut geschmeckt hat.“ Und dann – rülpste sie noch einmal laut. „Mensch Grete“, rief Jana laut, „das finde ich ekelig. „Mensch Jana“, rief Grete, „hörst du nicht, was ich sage? Das ist doch Herr Blumental.“ Dann kippte Grete mit voller Absicht ihr Wasserglas um. „Das war auch Herr Blumental!“ rief sie triumphierend. „Wo er herkommt, heißt das, daß man genug getrunken hat.“ Und noch ehe jemand reagieren konnte, nahm Grete die Kartoffelschüssel, in der noch ein paar Pellkartoffeln lagen, und kippte sie mit Schwung um, daß die Kartoffeln nur so über den Tisch kullerten und Frieder laut juchzte. „Das macht Herr Blumental, wenn er satt ist und keine Kartoffeln mehr mag. Haha!“ Da sprang Mama auf und hatte ein so ärgerliches Gesicht, daß Grete sich wieder hinsetzte und schwieg. Ich war sehr gespannt, was Mama machen würde. Sie ging zum leeren Platz, holte tief Luft und sagte: „Lieber Herr Blumental. Wir danken Ihnen sehr für Ihren Besuch und hoffen, daß sie wohl gespeist haben. Wenn Sie sich nun sehr beeilen, werden Sie noch den 3-Uhr-Zug erreichen, um wieder nach Hause zu fahren. Ich bringe Sie zur Tür.“ Und Mama tat so, als hakte sie sich unter und verschwand sehr heftig auftretend im Flur. Papa beeilte sich, die Kartoffeln wieder einzusammeln und einen Lappen zu holen.
Herr Blumental war seitdem nicht wieder bei uns. Dafür aber wohnt jetzt im Spielzimmer ein unsichtbares kleines, artiges Mädchen mit Namen Liselotte Annemaria Helmine. So ist Grete!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,
ich bin neu hier im Forum und habe schon ein wenig herumgestöbert. Sehr schön!
Ich schicke Euch nun die Geschichten von Herrn Blumental, die eigentlich aus einer Reihe von Geschichten über dieselben Kinder stamm.
LG, nik
schrieb nik über seine Geschichte.

Herzlich willkommen nik! bitte solche Bemerkungen immer als Extra-Posting. Wenn Du vorhast noch mehr Geschichte von dieser Familie zu schreiben, gibt es dafür die Kinder-Serien Abteilung. Gib mir in dem Fall bitte einfach Bescheid. :)

Zur Geschichte: Du erzählst lebendig, man kann sich das Durcheinander und die einzlenen Charaktere gut vorstellen! Ich würde mich über weitere Geschichten freuen. Allerdings könntest Du sie der neuen Rechtschreibung anpassen, besonders Kindergeschichten sollten mE hier besonders drauf achten - denn hier lesen auch Kinder mit, und die müssen die ja lernen.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Anne,
danke für die prompte und nette Antwort. Demnächst also Kommentare immer mit Extra-Posting, pardon.
Ich werde demnächst also unter Kinder-Serien noch etwas posten, das bedarf aber noch ein wenig Überarbeitung. Und die Rechtschreibung wird (schweren Herzens ;) ) angepasst.
LG, Nik

 

Hallo nik,

auch mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Man konnte sich das Familienleben richtig vorstellen.
Nur zwei Sachen haben mich etwas stutzig gemacht.
1. Der Vater in dieser Familie muss gute Nerven haben, wenn er bei jedem Fehltritt von Grete lachen kann.
2. Die Ausdrucksweise von Grete in ihren Dialogen passt meines Erachtens nicht so gut zu ihrem Alter. Obwohl es auch recht altkluge Kinder gibt, die in dieses Entwicklungsphase gerne die Erwachsenen kopieren.

Anfangs dachte ich, die kleine Grete gehört wohl in die Behandlung. Sie sieht schon Gestalten, wo gar keine sind. Aber als sie am Ende der Geschichte wieder eine neue Figur erfindet, kann das nur so eine Marotte von ihr sein, bei der die gesamte Familie mitspielt.
Nur als sie das Essen auf dem Tisch verstreut, da hätte sie bei mir wohl eins auf die Finger oder auf den Popo bekommen. (Bin ich da zu streng???)

Ansonsten eine rundum gelungene Story,

Viele Grüße
bambu

 

Hallo bambu,
danke für Deine Antwort!

1. Der Vater in dieser Familie muss gute Nerven haben, wenn er bei jedem Fehltritt von Grete lachen kann.
2. Die Ausdrucksweise von Grete in ihren Dialogen passt meines Erachtens nicht so gut zu ihrem Alter. Obwohl es auch recht altkluge Kinder gibt, die in dieses Entwicklungsphase gerne die Erwachsenen kopieren.

zu 1:
Der Vater hat recht gute Nerven, weil er wenig zu Hause ist...
Er ist Maler und hat ein Faible für skurrile Situationen.

zu 2:
Das habe ich befürchtet. *soifz*
Sie ist in der Tat altklug, aber ich fürchte, ich habe ihren Wortschatz in der Tat etwas übertrieben.

Anfangs dachte ich, die kleine Grete gehört wohl in die Behandlung. Sie sieht schon Gestalten, wo gar keine sind. Aber als sie am Ende der Geschichte wieder eine neue Figur erfindet, kann das nur so eine Marotte von ihr sein, bei der die gesamte Familie mitspielt.

Ja, es ist eine Marotte. Sie ist ein wenig chaotisch, aber ansonsten ganz gesund. :)
Es gibt noch eine Geschichte über sie. Ich kann sie ja noch reinsetzen. Da es bei den beiden (über jene Familie) bleibt, wandere ich damit nicht zu den Serien.

LG, nik

 

Hallo nik,

ich freue mich schon auf die nächste Geschichte.

Du tust gut daran, nicht in die Serien-Rubrik zu gehen, denn da werden deine Geschichten so gut wie garnicht gelesen.
Das habe ich bei meinen beiden Geschichten über "Franzl und Stoffel" selbst erfahren.
(Hoffentlich ist das nicht Eigenwerbung???) *smile*

Viele Grüße
bambu

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom