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Thema des Monats Herr der Schmerzen und des Krieges

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16.09.2004
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Herr der Schmerzen und des Krieges

In Blut ertränkte Königreiche hatte er gesehen wie Herrscher Rubine. Der Geschmack von verkohltem und verfaulten Fleisch lag ihm noch angenehm süß auf der Zunge. Die Rauschwaden brennender Dörfer hatten für ihn eine anregendere Wirkung als Opium. Aber das war alles schon so lange her gewesen. Königreiche? Heute regierte das Volk! Rauchschwaden, brennende Dörfer, verfaultes Fleisch? Vergangenheit! Zumindest für ihn.
Er zog an seinem Zigarettenstummel, warf ihn missmutig auf den steinigen Boden und trat die übriggebliebene Glut mit dem Fuß aus. Seine schwarzen Haare hingen ihm ungeschnittenen und fettig ins Gesicht, welches von einem verfilzten Bart überwuchert wurde. Sein Gewand aus edlem Tuch war dreckig, stank wie eine Rinderhorde und hatte mit der Zeit Löcher bekommen. Depressiv starrte er vor sich in den milchigen Schleier, der sich ihm unmerklich näherte. Am Anfang, das war schon Jahre her, hatte er ihn nicht wahrnehmen wollen, hatte ihn ausgeblendet. Nun war es zu spät. Trotzdem konnte er es immer noch nicht glauben. Das sollte es nun gewesen sein? Für immer?
Der letzte hatte vor wenigen Augenblicken den Glauben an ihn verloren, obwohl sich Gewalt heute doch besser als alles andere verkaufte. Aber er war wohl zu konservativ für diese Welt geworden. Seine Überzeugungswerkzeuge waren Feuer und Schwert, nicht seitenlange Verträge, barbusige Katalogsschönheiten oder Drogeninserate. Er war Hades und nicht der Teufel.
Der letzte Weltkrieg war schon zu lange her gewesen und dessen Opfer hatte er mit anderen Spinnern teilen müssen. Merkwürdige Götter hatten heute Hochkonjunktur. Selbst der Teufel bekam Schwierigkeiten. Musste vor kurzem sogar ein Strategiepapier für die Unterbelegung von Hotels für die Hölle adaptiert. Hades schüttelte düster den Kopf. Verkehrte Welt! Nicht einschüchtern, sondern einbalsamieren, hieß heute die Parole.
Der Beelzebub glaubte immer noch an den wiederkehrenden Aufschwung. Wie er selbst, früher. Jetzt wusste er, dass dieser nicht mehr kommen würde. Sein letztes Sandkorn fiel soeben zu Boden. Er würde nicht einmal mehr Zeit haben, seinen ehemaligen Rivalen, den Teufel, zu warnen. Aber selbst wenn, was würde es schon bringen? Das Problem war wie eine verdammte Rakete, die auf eine Mauer zuraste – unaufhaltsam.

Was würde ihn wohl hinter dem milchigen Schleier erwarten? Würde ihn etwas erwarten? Menschen kamen in den Himmel oder die Hölle, fanden sich in unendlichen Schlachten wieder oder auf dem Olymp. Aber ein Gott? Angestrengt kniff er die Augen zusammen. Doch er konnte nicht durch den Schleier blicken. Wie zu dichter Nebel. Traurig blickte er sich um. Er hatte an der Welt nur die Kriegsschauplätze geschätzt, aber jetzt, wo er sie verlassen musste, war selbst dieser Ort zauberhaft schön. Die Blumen, welche der Schleier noch nicht verschluckt hatte, die wenigen Sonnenstrahlen, die der Morgen schon brachte. Früher hätte er es als ekelhaft romantisch abgetan.
Plötzlich hatte er Angst. Wütend schüttelte er sich. Er war Hades! Nicht Goethe! Hätte er damals sein jetziges ich sehen könne, er hätte höhnisch gelacht. Er kannte keine Angst! Er nährte sich von Angst!
Entschlossen schritt er auf den Schleier zu. Wenn es das Ende sein sollte, dann bitteschön!
Nein, nach zwei Schritten blieb er wieder stehen. Ob man wohl davor weglaufen könnte? Aber in welche Richtung? Der Schleier hatte ihn eingekreist.
Hätte er doch bloß die 35.000 Gläubigen vor fünfzig Jahren nicht auch noch bei Pokern an diesen aalglatten Masochisten verloren. Er hätte wenigstens noch ein paar Jahre gehabt.
Plötzlich ertönte ein zischendes Geräusch neben ihm. Sein Kopf ruckte herum. Sein Blick fiel auf ein abgemagerten Jüngling mit Dornenkranz auf dem Haar. Blut floss aus mehreren seiner Wunden. Während er an einem Glimmstängel zog, blickte er Hades aus glasigen Augen an.
„Jesus, du hier? Ich dachte immer du hättest so viele...“
Der als Jesus angesprochene wedelte lässig mit der Hand. „Friede sei mit dir, Hades. Sorge dich nicht um uns! Solange Mohammed noch atmet, haben wir nichts zu befürchten. Aber Papa und ich machen uns in unserer unendlichen Güte Sorgen um dich.“
„Ach, ja?“ Hades hob eine Augenbraue.
Sein Gegenüber nickte eifrig und hielt Hades die Zigarette hin. „Auch mal?“
Hades schüttelte den Kopf.
„Wie auch immer“, hob Jesus an. „Wir schenken dir zweihundert Gläubige. Sogar Fanatiker. Von denen haben wir zur Zeit sowieso zu viele. Du stehst sonst aufm Trockenen, nicht?“
Plötzlich blitze in Hades Augen wieder barbarische Wildheit auf. „Das wollt ihr doch nicht ernsthaft...?“, zischte er säuselnd.
Jesus lächelte selbstherrlich. „Doch, doch. Das wollen wir in unserer unendlichen Güte. Wir lieben alle, Hades. Selbst dich. Egal ob Mensch oder Gott.“
Jesus schnippte seine Zigarette zu Boden und rückte seine Dornenkrone zurecht. Missmutig auf den Schleier blickend sagte er: „Ich muss wieder. Komm doch mal in nächster Zeit bei uns vorbei. Papa würde sich garantiert freuen. Und setzt die Fanatiker gut ein, sonst“, er schüttelte den Kopf, „mich macht dieser Schleier schon so verrückt.“
Dann war er wieder verschwunden. Im selben Moment entfloh auch der Nebel, wie ein schlechter Spuk. Dahinter erhob sich soeben die Sonne in den Himmel und tauchte den Horizont in blutrote Farbschattierungen.
Guter Laune schüttelte Hades den Kopf. Aus den Götter, die nach ihm gekommen waren, wurde er nicht schlau. Zum Glück waren ein paar dabei, die mussten auf Teufel komm raus, den Wohltäter raushängen lassen.
Er wühlte in seiner Gewandtasche und förderte einen zerknitterten Zettel zum Vorschein Dr. Prof. Lamm & Dr. Prof. Fromm, Gewalt im 21. Jahrhundert als ästhetische Kunstform, stand darauf geschrieben. Dahinter eine Telefonnummer. Der Teufel hatte ihm die beiden empfohlen. Noch vor kurzem hatte er gedacht, er würde ohne sie auskommen. Aber nun würde er sie konsultieren. Modernisierung war angesagt. Er würde diese extreme Erfahrung sozusagen als spirituellen Wendepunkt nutzen. Weg mit der griechischen Antike und ihren Werten von Ehre und Mut. Her mit Ruchlosigkeit und Massenvernichtungswaffen! Rosarote TV-Sendungen und die schillernden Parties der Waffenlobby würden seine Boten werden. Er leckte sich die Lippen. Fäulnis und Tod konnten auch glitzernd verpackt werden.
Grimmig nickend rückte er eine dezenten Designerkravatte unter einem sportlichen Anzug zurecht. Seine blauen Augen blitzen verführerisch auf. Mit einem mörderischen Lächeln auf den Lippen schlenderte er pfeifend dem Sonnenaufgang entgegen.

Oh happy day
Oh happy day
When Jesus washed
When Jesus washed
Jesus washed
Washed my sins away
Oh happy day​

 
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Ich entbiete meine Grüße und devotesten Glückwünsche zu deinem Werk,

Dieser ironische Blick auf die Welt der Götter hat mir außerordentlich gut gefallen, auch wenn er wahrscheinlich auf den Index käme ;).

Das Motv, dass Götter mit ihrem letzten Anhänger sterben, ist zwar nicht neu, aber was ist heutzutage schon noch neu?
Nach Locke gibt es sowieso nichts neues, sondern nur neue Kombinationen alter Ideen.

Das einzige, was mich ein wenig störte, ist, dass der Schleier selber keine allzugroße Relevanz hatte, stand er doch nur metaphorisch für den Tod, bzw. den Eingang in die Nichtexistenz.
Aber suum cuique...

Im Großen und Ganzen fand ich die Geschichte jedenfalls sehr gut und vor allem amüsant.
Nur eine Sache würde ich zu ändern, vorschlagen:
Lass Hades nciht in den Sonnenaufgang, sondern vllt eher in den Sonnenuntergang, oder soetwas hineingehen. Als Gott des Bösen/ der Unterwelt hat er zu unseren diametrale Wertvorstellungen, auch was die Ästhetik betrifft.

Hochachtungsvoll
Johannes

PS: Ich werde innerhalb der nächsten Tage auch eine Schleiergeschichte posten, fröhliches verreißen schonmal ;)

 

Hey Tommy,
mir hat die Geschichte nicht so gut gefallen. Sie wirkt am Anfang unfreiwillig und am Ende bemüht komisch, auch, wenn es schlimmer sein könnte.
Am Anfang hängen einige Formulierungen schief, irgendwelche Dinge, die sich um irgendetwas "wendeten", ich glaube, du meinst "wanden". Solche Dinge hast du gerade in den ersten paar Sätzen häufiger, guck da am besten noch mal drüber.
Die Erwähnung des Schleiers finde ich ebenfalls etwas dünn, auch der Ort, an dem Hades sich befindet, kam bei mir nicht wirklich an, offensichtlich ist damit ja ein real existierender Ort gemeint?
Da musst du noch mal drüber - und/oder ich bin humorlos. ;)

lieben gruß
vita
:bounce:

 

Pah, du hast keinen Humor;). Nein, ich werde mich deiner Kritik natürlich annehmen, das versteht sich von selbst (auch wenn ich finde, dass z.B. Ort völlig uninteressant ist).
Äh, doch eine Frage hab ich. Was meinst du mit unfrewillig?

@ Johannes. Wenigstens gefällt dir die Story und du dich amüsieren konntest:). Hmm, eigentlich hatte ich gerade den Sonnenaufgang genommen, weil er sich von seinen alten Werten gelöst hat und nun etwas Neues beginnt. Aber ich überlegs mir nochma.

 

hey tommy,
Mit unfreiwillig komisch meine ich, dass der Vergleich von Schlachtenlärm mit irgendwelchen seltsamen Musikinstrumenten auf mich eher komisch als malerisch-sinister wirkte.
gruß
vita
:bounce:

 

Ah, achso, das unfreiwillig bezog sich immer noch auf komisch. Hmm, schlechte Mischung, erst unfreiwillig und dann bemüht komisch;).

lg

Thomas

 

Hallo Tommy!

Deine Geschichte und die Idee haben mir gefallen!

Wie vita muss ich aber noch ein wenig den Humor bekritteln, obwohl das natürlich Geschmackssache ist. Der Anfang kam mir gewollt komisch vor durch die Stilblüten, aber es passt nicht zum lockeren Stil am Schluss. Könnte das nicht ein wenig homogener gestaltet werden? Mit einem lockeren, düsteren Einstieg? Etwas mehr apokalyptisch und weniger Schmalz? Das Lied am Ende ist mE überflüssig und stört die eigentlich coole Atmosphäre der kg.

Heisst es übrigens nicht "Beelzebub" und nicht "Bezzlebub"? Oder gibt es da mehrere Namensvariationen?

Liebe Grüsse
sirwen

 

... interessant. Ich wusste noch gar nicht, dass die Schweizer kein ß haben.

Ansonsten werde ich deinen Vorschlag für den Anfang wohl nehmen. Locker und düster, das hört sich gut an:). Danke fürs Durchlesen und so!

Lg

Thomas

 

Hi tommy,

so schlecht fand ich es gar nicht. zu Beginn der fast abgedroschene Pathos, um dann beim kiffenden jesus zu enden, der sich einen Erzfeind erhält - nach dem Motto: wenn sich die Menschen nicht mehr fürchten, werden sie mich (und papa) auch nicht mehr suchen...finde ich ne gute idee - die gags etwas exakter setzen - dann kommt es vielleicht bei anderen nicht unfreiwillig komisch rüber...und manches kannst du vielleicht noch etwas mehr anspitzen..

Beispiel:

Der letzte hatte vor wenigen Augenblicken den Glauben an ihn verloren, obwohl sich Gewalt heute doch besser als alles andere verkaufte. Aber er war wohl zu konservativ für diese Welt geworden. Seine Überzeugungswerkzeuge waren Feuer und Schwert, nicht seitenlange Verträge, barbusige Katalogsschönheiten oder Drogeninserate.

ist nicht so hundertprozentig klar, worauf du hinauswillst - was bdeutet es, das ein schwert nicht mehr gefragt ist, aber eine barbusige Katalogschönheit? so ungefähr kann ich es mir vorstellen... aber "ungefähr" wirkt halt beim leser nicht..

stilistisch finde ich die geschichte an manchen stellen echt gut - der erst satz beispielsweise kommt prächtig rüber....und die grundsätzliche idee ist klasse - unabhängig davon, ob es etwas mit dem monatsthema zu tun hat..

grüße, streicher

 

Hallo Tommy,

Also mir hat's außerordentlich gut gefallen. Die Erzählperspektive ist konsequent durchgezogen und sprachlich einwandfrei, ich wurde schnell in die Geschichte hinein gezogen. Die Grundidee, dass alte Götter sich der Modernisierung anpassen müssen oder untergehen ist zwar nicht ganz neu (lies mal "American Gods" von Neil Gaiman), aber hier ist sie amüsant umgesetzt.

Du hast irgendwo "depressiv starrte er" (oder so) geschrieben.
Ich lese das häufiger, aber ich glaube, dass man nicht depressiv starren oder sonstwas tun kann. Depressiv kann man IMO nur sein, und zwar, wenn man an Depressionen leidet. Ich glaube, man kann auch nicht depressiv starren, wenn man depressiv ist, um es noch etwas zu verdeutlichen. Was du meinst, ist wahrscheinlich so etwas wie "trübsinnig" oder "deprimiert". Aber ich kann mich da auch irren.

Es muss außerdem Prof. Dr. heißen, nicht anders herum.

Jepp, das war's, hat Spaß gemacht.

Megries

 

Hey Streicher und Megries,

vorallem bei dir Streicher, muss ich mich entschuldigen, dass ich solange nicht auf die Kritik geantwortet hab. Hier war leider die ganze Zeit soviel los, dass ich es schlechthin vergessen hab.

Ich denke mit deiner Kritik, Streicher, hast du recht. Über die Stelle, die du aufzeigst, habe ich auch nachgedacht und war erst zum Schluss gekommen sie so stehenzulassen. Sie sollte nicht direkt übertragbar gemeint sein, sondern nur ein Bild generieren. Seitenlange Verträge, durch die der Kunde hinters Licht geführt wird, Schönheiten, die das verfaulte Wesen dahinter verbergen etc. Er selbst dagegen benutzt keine Tricks, einfach nur Feuer und Schwert oder sozusagen den altgedienten Rundumschlag. Aber ich denke, du hast recht, dieses Bild entsteht zwar in meinem Kopf, aber nicht klar genug auf dem Papier. Jedenfalls schön, dass dir die Geschichte zugesagt hat:).

@ Megries. Das depressiv starren werde ich noch umändern. Das muss "trübsinnig" oder so heißen. American Gods kenn ich übrigens auch. Der Mann ist einer meiner Lieblingsautoren. Good Omens geht ja auch in die Richtung. Aber ich hatte keines von beiden Büchern im Sinn, als ich zu schreiben anfing. Erst als ich am Ende angelangt war, hab ich gemerkt, dass ich (leider) etwas ähnliches produziert hab.

Lg

Thomas

 

Hi Tommy,

mir persönlich hat die Geschichte eigentlich ganz gut gefallen. Diese Verbindung von Düsternis mit Humor fand ich schön.
Sprachlich echt schön zu lesen, und ich mochte Hades total :D Kann sein, dass mein Humor momentan etwas seltsam ist, aber ich musste echt grinsen (und laut lachen tu ich bei ener Geschichte selten...).

Musste vor kurzem sogar ein Strategiepapier für die Unterbelegung von Hotels für die Hölle adaptiert.

Ich hb das dreimal gelesen, bis ich draufkam, dass da wirklich ein Fehler ist, und nicht meine Wahrnehmung spinnt... ;)

Ich fands nett.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Na, wieder aus dem Urlaub zurück. Bist ja richtig den Fantasybereich am Durchmischen. Schön:).

Freut mich jedenfalls, dass dir die Geschichte gefallen hat und sogar der Humor:)!! Werd mir auch mal gleich deine neue reinziehen. Bin gespannt!!

lg

Thomas

 

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