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Herr Krüger
"So, dann lassen Sie mal was sehen!"
Herr Krüger hatte sich in letzter Zeit auf keinen Tag mehr gefreut als auf diesen einen. Das große Jahrestreffen der Hauptaktionäre stand kurz bevor. Und er hatte neben der Gesamtorganisation auch die Aufgabe für die Essensauswahl bekommen.
Seine Frau hatte ihn verwundert angeschaut als er in den letzten Tagen, nicht wie sonst üblich, seine zwei großen Portionen am Mittag geschafft hatte.
"Geht es dir nicht gut, Schatz?", hatte sie da mitleidig gefragt.
Herr Krüger war gut im Futter, das musste auch er zugeben. Aber er schlemmte eben so gerne. Und seine Frau war da auch nicht ganz unschuldig, fand Herr Krüger. Warum musste sie auch so gut kochen. Sie hatte in jungen Jahren lange Zeit als Köchin in einem Hotel gearbeitet.
Ihr kross gebratene Parmesanschnitzel hatte es ihm besonders angetan.
Einmal in der Woche verlangte er nach diesem wunderbaren Leckerbissen.
Sobald er in der Einfahrt aus dem wohltemperierten Wagen ausstieg, konnte er es bereits riechen. In reichlich guter Butter gebraten, verbreitete das baldige Mittagsessen selbst vor dem Haus ein herrliches Aroma. Sobald er sich seines Mantel und der Tasche entledigt hatte, stattete er seiner Frau in der Küche einen Besuch ab. Es war jedes Mal das gleiche Ritual.
„Schatz, was machst du denn da wieder Leckeres?“ Das Wasser floss in seinem Mund bereits in Strömen. Langsam beugte er sich über die Pfanne und bestaunte und beschnupperte für wenige Sekunden das Brodeln und Spritzen des Fettes, während es die Panade zu einer herrlich knusprigen Hülle für das zarte Fleisch verarbeitete.
„Wie lang dauert es denn noch? Ich habe ein bisschen Hunger, Schatz!“ Wie wenn ein kleines Kind die Mutter um Geld für ein Eis fragt, so war er in diesem Moment seiner Frau völlig ausgeliefert.
„Noch ein paar Minuten. Deck doch schon mal den Tisch, Liebling.“ Mit einem wissenden Lächeln war sie für ihn in diesem Moment die alleinige Herrscherin über sein Leben.
Da machte es ihm auch nichts aus, wenn er den Tisch decken musste.
Wenn es dann endlich soweit war und das Schnitzel herrlich dampfend umrahmt von fein geschnittenen und im Ofen gebackenen Kartoffelscheiben und einem kleinen Salat vor ihm stand, konnte er sich kaum noch halten. Meist nahm er als erstes zur Beruhigung eine kleine Kartoffelscheibe, um sich danach das erste Stück des herrlichen Fleisches einzuverleiben. In seinem Mund konnte sich das saftig zarte Fleisch und die krosse Käsepanade dann zu seiner ganzen Pracht entfalten.
Ein kleines Stück besonders kross gebratener Kruste bewahrte er sich jedes Mal bis zum Schluss auf. Wenn der Teller also leer war, er ließ keine Reste über, niemals, nahm er sich dieses Kleinod, um es dann noch einmal langsam in seinem Mund zu genüsslich zergehen zu lassen.
Die Firma hatte im städtischen Kongresshotel für die kommende Woche den großen Hauptsaal gemietet. Nach der eigentlichen Sitzung sollten dann die geladenen Gäste mit einem qualitativ hochwertigen Menü aus der Küche des Hauses verwöhnt werden. Und er durfte die Auswahl treffen. Einfach zu herrlich.
So saß er nun mit Herrn Lucios, dem Chefkoch des Hotels, in der großen Kongresshalle und besprach das Menü.
Man hatte sich schnell auf den allgemeinen Ablauf des Abends geeinigt: Sektempfang in der Vorhalle, dann sobald sich die Gäste alle auf ihren Plätzen befanden, die gleichzeitig auch die bereits vordekorierten Essenstische waren, Beginn der eigentlichen Sitzung. Im Anschluss an den offiziellen Teil folgte das 5-Gang-Menü. Dann kam ein offener Abend.
Herr Lucios war sicherlich geübt in der Planung solcher Abende, da er stets vernünftige und gut überlegte Vorschläge machte. Das freute Herr Krüger, den so konnten sie endlich zum weitaus angenehmeren Teil kommen. Dem Vorkosten.
Herr Krüger durfte sich nun offiziell auf die Suche nach dem besten Menü für den Abend begeben. Und er freute sich darauf wie ein Schn..., ja wie ein Schnitzel.
Zuerst sollte Herr Krüger zwei Vorspeisen auswählen. Während Herr Lucios sich in die Küche begab, um die erste Runde einzuläuten, konnte Herr Krüger bereits die herrlich geschäftigen Geräusche aus dem Küchenbereich hören. Heute, wo noch kein Besucher anwesend war, hatte man die Schwingtüren zum Küchenbereich offen stehen lassen, um leichter mit dem Servierwagen hindurchzukommen.
Die Stoffserviette auf den Schoß gelegt, lauschte er dem Messerklappern und Tellerklippern in freudiger Erwartung.
Herr Lucios kehrte schließlich mit einem weiteren Küchenhelfer zurück und präsentierte ihm die Auswahl an möglichen Vorspeisen. Auf dem großen runden Tisch standen nun etwa zehn unterschiedliche Gerichte. Alle etwas kleiner als eigentlich üblich, aber dafür hatte Herr Krüger Verständnis, er musste ja auch noch durchhalten.
Den Anfang machte eine, wie es den Anschein hatte, einfache Gemüsebrühe mit feinem Eierstich. Herr Krüger war begeistert. Hervorragend gewürzt mit zahlreichen Kräutern und Kapern und einer geschmackvollen Gemüseeinlage, war diese Suppe ein wahrer Hochgenuss.
Weiter ging es mit zwei kleinen Blätterteigröschen, gefüllt mit einer Lachs-Frischkäsecreme. Dazu gab es eine leichte Joghurtsauce. Herr Krüger konnte kaum noch an sich halten. Was für ein Gaumenschmaus.
Herr Lucios saß lässig zurückgelehnt in seinem Stuhl und wusste anscheinend genau was in seinem Gegenüber vor sich ging.
Herr Krüger schlemmte sich durch die zahlreichen Vorspeisen und konnte sein Glück kaum fassen. Ohne auch nur ein Wort zu sprechen, verzehrte er die vor ihm stehenden Portionen.
Seine endgültige Wahl fiel schließlich auf einen Salat aus großen grünen Bohnen mit einer raffinierten Essig-Ölsauce, garniert mit gebackenen Parmesanblättern und eine etwas kräftigere Tomaten-Rindfleischsuppe, verfeinert mit einem Schuss Ahornsirup.
Nun sollte aber seine Spezialität kommen: Der Hauptgang.
Herr Lucios hatte ihn wieder verlassen und kam nach kurzer Zeit mit zwei Servierwagen zurück. Zusammen mit dem Küchenhelfer wurde ihm die erste Hälfte der vorbereiteten Essen auf den Tisch gestellt. Der Rest verblieb derweil auf dem zweiten Wagen, um dort unter dem Schutz von Warmhalte-Keramik auf seinen Einsatz zu warten.
Die Portionen waren zwar noch kleiner als bei der ersten Runde, aber das störte Herrn Krüger nicht. Mit großem Eifer widmete er sich den zahlreichen Speisen. Nachdem er sich auch durch die zweite Hälfte probiert hatte, von Blattspinat gefüllten Rinderfiletröllchen über einen klassischem Sauerbraten bis hin zu Hähnchen im Tonteig gebacken, musste er erst mal eine kleine Pause einlegen.
Aber da war nichts was er nicht schon in der einen oder anderen Form kannte. Er wollte etwas Besonderes und Spezielles, die Kollegen sollten sich an diesen Abend und an seine Auswahl noch lange erinnern.
Herr Lucios schien seine Unschlüssigkeit zu bemerken.
„Warten Sie, Herr Krüger, bevor Sie sich entscheiden. Wir haben noch etwas Besonderes. Ich sehe Sie sind ein Kenner, deswegen will ich Ihnen diese Spezialität nicht vorenthalten.“
Das schmeichelte Herrn Krüger natürlich und so ließ er Herrn Lucios mit einem kurzen Nicken wissen, dass er einverstanden war.
Dieser machte sich natürlich sofort wieder auf in Richtung Küche und kam schon nach kurzem mit einem einzelnen Tablett wieder zurück.
„Cane con aglio. Bitte sehr der Herr. Lassen Sie es sich schmecken.“
Vor ihm lag ein winziges Stück Fleisch, jedenfalls vermutete er das, da es von Speckstreifen umhüllt war.
Vorsichtig legte er das Messer an als Herr Lucios ihn unterbrach.
„Bevor Sie es anschneiden, müssen sie den Bratensaft kosten. Drücken Sie vorsichtig darauf.“
Etwas verwundert über diese Bemerkung schaute Herr Krüger auf, wusste aber dann welcher Genuss auf ihn warten würde.
Langsam drückte er mit seinem Zeigefinger auf das kleine Fleischstück. Obwohl das Fleischstück noch warm war, konnte er es ohne Probleme berühren.
Den Sud aus dem Inneren an seinem Finger klebend, kostete er diesen direkt von seinem Finger.
Und Herr Lucios sollte recht behalten. Der Sud des Fleisches allein war ein Hochgenuss. Herr Krüger konnte nicht mehr an sich halten und nahm das kleine Stück mit einem Mal in seinen Mund.
„Mmmmhhhhh..... Das ist ja der Wahnsinn. Das nehme ich.“
„Eine gute Wahl, Herr Krüger.“
Die zwei zur Auswahl stehenden Desserts konnte Herr Krüger schneller hinter sich bringen. Er mochte Süßes nicht so gerne wie Fleisch, betrachtete es aber als Pflicht auch hier gewissendlich vorzugehen.
Pappsatt und zufrieden verabschiedete er sich von Herrn Lucios und freute sich insgeheim schon auf die Veranstaltung, da sich dort das Ganze wiederholen würde.
Zuhause angekommen, wartete seine Frau gespannt auf den Bericht seines Treffens.
„Und nun sag schon, welches Menü hast du dir denn ausgesucht.“
Als erfahrene Köchin würde Sie seine Auswahl loben.
„Es fängt an mit einem Salat aus großen Bohnen, garniert mit gebackenen Parmesanblättchen. Du weißt, ich liebe Parmesan. Als zweites eine Tomaten-Rindfleischsuppe, leicht süßlich verfeinert. Der Hauptgang: Cane con aglio, ja genau so hieß es. Ein Hochgenuss sage ich dir. Als Dessert habe ich dann... Sag mal was hast du denn.“
Seine Frau starte ihn mit offenen Augen an.
„Cane con aglio?“
“Ja, genau. In einem Speckmantel. Das war der Wahn...“
„Sag mal, weißt du, was du da gegessen hast.“
„Wie, was ich da gegessen hab. Natürlich das war Filet in Speck eingewickelt mit einem wunderbarem Knoblaucharoma. Das heißt doch „con aglio“, oder nicht? Und „cane“...“
„Hund!“, presste seine Frau heraus.
Das breite und satte Lächeln von Herrn Krüger verschwand langsam von seinem Gesicht. Dann kam es wieder.
„Das könntest du doch auch mal machen. Der blöde Köter vom Beier gegenüber ist doch fett genug. Das Fleisch reicht bestimmt für eine Woche.“
Von dem Stuhl aufschnellend, raste seine Frau zur Toilette, und ließ sich das ganze mal durch den Kopf gehen.