Herr Meier muss sterben
(Eine Liebesgeschichte)
Glauben Sie an den Zufall? Hatten Sie schon Erlebnisse, von denen Sie später sagten: Wenn ich das in einem Buch gelesen oder in einem Film gesehen hätte, ich hätte es für eine unrealistische Erfindung gehalten, weil so etwas einfach nicht passiert. Nun, das ist so eine Geschichte.
Lignano Sabbiadoro im August. Es war Nacht. Ich ging hinunter zum Strand, um dem Trubel zu entfliehen, durchschritt den Wald aus zugeklappten Sonnenschirmen und setzte mich in der ersten Reihe in einen Liegestuhl.
Ich brauchte Ruhe um nachzudenken. Ich war gezwungen, nachzudenken, denn der Termin für die nächste Wochenendausgabe kam unbarmherzig näher. Ich bin Schriftsteller, müssen Sie wissen. Keiner von den großen, aber ich lebe davon. In dieser wunderschönen Vollmondnacht saß ich also am Strand, betrachtete die glitzernden Schaumkronen der Wellen und versuchte, mir eine Geschichte auszudenken. Nicht irgendeine Geschichte durfte es sein, denn seit Monaten hatte ich Woche für Woche den gleichen Auftrag zu erfüllen: spätestens am Dienstag per E-Mail eine Liebesgeschichte an den Verlag zu senden - und es war Montagabend.
Ermüdet durch das angestrengte und leider fruchtlose Nachdenken war ich schließlich eingeschlafen. Ich träumte. Nicht von Liebe und deren Verstrickungen, sondern von unbezahlten Rechnungen, Steuerschulden und schließlich auch noch von einem erbosten Anruf des Redakteurs. Zu der bei solchen Anlässen oft schon angedrohten Vertragskündigung kam es nicht mehr, denn ich erwachte.
"Also jetzt sind Sie dran" sagte eine laute weibliche Stimme links hinter mir.
Ich rutschte im Liegestuhl nach unten, um nicht gesehen zu werden, und lauschte.
"Aber ich weiß doch keine. Außerdem bin ich keine gute Erzählerin", antwortete eine Dame, die direkt hinter mir saß. Ich versuchte, mir ein Bild von ihr zu machen. Ihre Stimme war sanft und angenehm, ihr Hochdeutsch mit leichtem Wiener Akzent ließ vermuten, dass sie jenem Kreis von Menschen angehörte, die gebildet sind ohne sich darauf etwas einzubilden – kurz, mir gefiel, was ich hörte und ich war schon gespannt auf die Fortsetzung des Gespräches.
"Ich bin überzeugt, dass Sie gut erzählen können", sagte eine dritte Dame, die rechts hinter mir saß und jünger zu sein schien als die beiden andern.
"Und schon gar nicht", sagte die Dame, deren lautes Organ mich geweckt hatte, "kann ich glauben, dass sie keine Liebesgeschichte erlebt haben, die es Wert ist, erzählt zu werden. Schließlich haben wir ja auch unseren Teil unserer Abmachung eingehalten und unsere intimsten Erlebnisse preisgegeben".
Die Dame hinter mir schwieg für eine Weile. Ich duckte mich noch mehr in meinen Liegstuhl, aus Angst entdeckt zu werden. Schließlich seufzte sie und sagte:
"Also gut, ich will keine Spielverderberin sein. Ich habe Ihre Geschichten gehört, also bin ich es Ihnen wohl schuldig, auch eine solche beizusteuern. Ich hoffe, Sie werden sich dabei nicht langweilen."
"Das verspreche ich", sagte die laute Dame. "Also schießen Sie los!"
"Wie Sie wissen", begann die Erzählerin, "bin ich Witwe. Obwohl die Ehe nicht besonders gut gewesen war, war der Unfalltod meine Mannes eine solcher Schock für mich, dass ich mich lange in meine vier Wände zurückzog. Gesellschaften, Parties, Empfänge – das war seine Welt gewesen..."
"Aber Sie waren doch noch jung als er starb," sagte die laute Dame. "Gab es denn keinen Mann mehr in Ihrem Leben, mit dem es sich gelohnt hätte ..."
"Doch", sagte die Erzählerin, "es gab so einen Mann. Und von ihm handelt die Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte."
Ich war nun voller Erwartung. Durfte ich eine Überraschung erwarten? Um es vorauszuschicken: ich durfte, doch die Überraschung fiel dann wohl anders aus, als ich sie mir vorgestellt hatte.
"Drei Jahre nach dem Tod meines Mannes war ich schließlich so weit, allein etwas zu unternehmen, und mir dabei gleich einen langgehegten Wunsch zu erfüllen: Eine Reise nach Ägypten. Nachdem ich mich in die Geschichte der Pharaonen gründlich eingelesen und alle einschlägigen Prospekte studiert hatte, buchte ich eine Reise, die so ziemlich alles enthalten sollte, was dieses Land an touristischen Leckerbissen zu bieten hat. Natürlich hätte ich es mir leisten könnte, eine Individualreise zusammenzustellen, frei von Besichtigungsstress und Termindruck – aber ich entschied mich trotzdem bewusst für eine Gruppenreise. Ich wollte wieder unter Menschen sein und hatte die feste Vorstellung, dass eine Gesellschaft von Menschen, die sich für die Zeugen der Vergangenheit im Niltal interessieren, meinen eigenen Vorstellungen sehr entgegenkommen würde. Nun, ohne ins Detail gehen zu wollen – dieses Wunschdenken erfüllte sich nicht – mit einer Ausnahme: Er hieß Hans Meier, und dieser Name war wohl der einzige Makel, den ich an ihm entdecken konnte.
Es gab da allerdings noch etwas, das mich an ihm störte. Ein Ring, glatt und ohne zierenden Stein, den er an der rechten Hand trug. Da er allein reiste, musste ich wohl annehmen, dass er die Hälfte eines jener modernen Paare sei, die sich irgendwann dazu entschlossen haben, ihre Urlaube getrennt zu verbringen. Eigentlich hätte von dem Moment an, als ich den Ring an seiner Hand entdeckt hatte, mein Interesse an ihm sofort enden müssen. Es war aber nicht so, und dafür schämte ich mich. Jahrelang hatte ich darunter gelitten, dass es meinem Mann auf seinen zahlreichen Geschäftsreisen nicht immer gelungen war, sich den Anfechtungen der Weiblichkeit zu entziehen. Darauf angesprochen, meinte er nur: 'Das hat doch nichts mit uns beiden zu tun, so etwas passiert halt manchmal, das ist doch nichts Ernstes'. Nichts Ernstes! Nun gab es diesen Mann, der offensichtlich nicht frei war und ich hatte nur einen Wunsch: mit ihm allein zu sein und alles zu vergessen, alle Prinzipien, die ich aufgestellt und deren Einhaltung ich von anderen verlangt hatte.
Die ersten drei Tage verbrachten wir in Kairo. Tagsüber waren wir ständig unterwegs. Pyramiden von Gizeh, Sakkara, das ägyptischen Museum, die großen Moscheen. Ein paar Mal versuchte ich, ihn ins Gespräch zu ziehen, meist im Zusammenhang mit dem Gesehenen, doch er war stets kurz angebunden, sagte nie mehr als das absolut notwendige. Manchmal sonderte er sich von der Gruppe ab und einmal, es war in der Tut-ench-Amun-Abteilung des Museums, hatte ich den Eindruck, dass er ein Selbstgespräch führte, als er vor einem der Schaukästen stand und sich unbeobachtet glaubte. Als er meinen Blick bemerkte, wandte er den seinen von mir ab und ging rasch zur Gruppe zurück. Ich schämte mich meiner Neugier und ging ihm den Rest des Tages aus dem Weg.
Beim Abendessen im Hotel hatte es sich ergeben, dass wir beide zwar in einiger Entfernung voneinander saßen, aber so platziert waren, dass sich ein Blickkontakt kaum vermeiden ließ. Jeder von uns hatte einen Tisch für sich allein und die beiden freien Plätze an unseren Tischen waren die einzelnen freien Plätze in diesem Teil des Speisesaals. Ich weiß nicht welcher Teufel mich damals geritten hatte, aber ich tat etwas, das ich vor diesem Abend im Mena House Hotel nicht nur nicht getan sondern bei andern als ungehörig verurteilt hätte. Ich rief nach dem Kellner...".
"Darf ich raten?" unterbrach die laute Dame, "sie wollten an seinem Tisch sitzen. Na und? Schließlich waren Sie doch verknallt in den Typen. Verheiratet oder nicht, schließlich ward ihr beide im Urlaub. Und wenn ich meinem Therapeuten glauben darf, sind Selbstgespräche nicht gut für die Psyche".
"Es mag Situationen geben, wo ein solches Verhalten entschuldbar, vielleicht sogar richtig sein mag." fuhr die Erzählerin fort. "In diesem speziellen Fall traf das aber nicht zu. Ich rief also, wie gesagt, den Kellner und log ihm vor, dass mein Sitzplatz der Zugluft ausgesetzt sei und bat ihn, Herrn Meier zu fragen, ob ich an seinem Tisch sitzen könne. Der Kellner lächelte verlegen. 'Das geht leider nicht. Ich hatte schon am ersten Tag versucht, Sie und den Herrn zusammenzusetzen, wie das bei Einzelreisenden üblich ist. Er hatte aber darauf bestanden, allein am Tisch zu sitzen'
Am nächsten Tag flogen wir nach Luxor. Das Schiff, das wir dort für unsere Reise nach Assuan bestiegen, gefiel mir sofort. Der Speisesaal hatte keine Einzeltische, und so konnte ich es einrichten, bei allen Mahlzeiten dem Mann meiner Träume gegenüberzusitzen. Einmal gelang es mir sogar, ihn in ein längeres Gespräch zu verwickeln und wir blieben noch sitzen, als die anderen Mitreisenden schon gegangen waren. Während dieses Gespräches, es ging um eine Opernaufführung, die wir beide besucht hatten, merkte ich, dass auch ich ihm nicht gleichgültig war. Ich hätte die ganze Nacht so dasitzen und mich mit ihm unterhalten mögen. Er aber brach das Gespräch abrupt ab, erinnerte daran, dass wir am Morgen in Assuan eintreffen würden und uns ein paar Stunden Schlaf gut tun würden. Er begleitete mich noch zu meiner Kabine. 'Oh,' sagte er, als wir dort angekommen waren, 'Sie haben eine Außenkabine' und ich antwortete 'Ja, sie ist geräumiger als die Innenkabinen. Wollen Sie einen Blick hineinwerfen?' Dieses Angebot schien in so zu verwirren, dass er ohne zu Antworten davoneilte".
"Also wenn Sie mich fragen," sagte die laute Dame. "Irgendetwas stimmt nicht mit dem Kerl. Ein solches Angebot auszuschlagen – und diese Selbstgespräche. Aber ihre Geschichte hat sicher noch eine Pointe, die das erklären wird. Habe ich recht?"
"Natürlich haben Sie recht", fuhr die Erzählerin fort, "und Sie müssen auch nicht mehr lange darauf warten. Zum Besichtigungsprogramm in Assuan gehörte auch ein Besuch des Mausoleum des Aga Khan, das die Begum auf einem Hügel in der Nähe der Stadt hatte errichten lassen. Das besondere an diesem Ausflug war, dass wir vom Katarrakthotel zum Mausoleum und zurück mit Feluken, das sind diese typischen Nil-Lastkähne, gebracht wurden. Wir fuhren langsam, weil nur wenig Wind war, und das machte mich froh. denn ER saß neben mir, hatte sich einfach auf die Bank neben mich gesetzt. Plötzlich stand er auf, ging zum Bug, stand dort eine Weile. Ich sah sein Profil im Licht des Mondes und konnte erkennen, dass er die Lippen bewegte, dann warf er etwas mit weit ausholender Bewegung in den Fluss. Ich hatte nicht erkennen können, was es war, aber als er seinem Platz neben mir zurückgekehrt war und ich auf seine rechte Hand blickte, wusste ich es – er hatte seinen Ring in den Nil geworfen. 'Ich weiß nicht ob ich Ihnen eine Erklärung schulde', sagte er, als er meinen staunenden Blick gesehen hatte, 'ich möchte Sie ihnen aber geben. Heute Abend, nach dem Abschlussdinner, wenn Sie das wollen'. 'O ja!' sagte ich 'ich will. Sehr sogar.'
So geschah es dann auch. Wir gingen in den Garten hinunter und setzten uns auf eine Bank. Er schwieg eine Weile und sah mich an. Dabei lächelte er und sein Lächeln sagte: ich weiß, dass du mich magst. Und es sagte auch: ich freue mich darüber. Ich spürte das Blut in meinen Schläfen pochen und dachte: verdammt, ich bin doch keine zwanzig mehr, was ist bloß los mit mir? Gleichzeitig aber genoss ich diesen Augenblick und wartete gespannt auf die versprochene Erklärung.
'Um es vorwegzunehmen – ich bin nicht verheiratet. Nicht mehr', sagte er schließlich. 'Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben, aber ich habe erst heute von ihr Abschied genommen'.
Ich sagte: 'Der Ring?' und er meinte, das wäre nicht so wichtig gewesen, nur eine Art Symbolhandlung. Die Reise als solche wäre wichtig gewesen. Dann erzählte er mir, wie alles gekommen war.
Er war schon einmal hier gewesen. Vor genau zehn Jahren. Auf dieser Reise hatte er seine Frau kennengelernt. Und obwohl Urlaubsbekanntschaften nur selten von Dauer sind – diese hatte gehalten. Irgendwann, ein paar Jahre nach ihrer Hochzeit, hatten Sie beschlossen, den zehnten Jahrestag Ihres Kennenlernens hier in Ägypten zu feiern. Bevor seine Frau starb, musste er ihr versprechen, diese Reise zu unternehmen. Als er meinte: 'Wozu denn, was hat das für einen Sinn, wenn du nicht dabei sein kannst', antwortete Sie: 'Ich werde dabei sein und dir dabei Lebewohl sagen und dieses Lebewohl wird endgültig sein, denn ich möchte dass du danach ein neues Leben beginnst'."
Die junge Dame rechts hinter mir schnäuzte sich. Die laute Dame sagte spöttisch, ihre eigene Rührung damit überspielend: "Und da gibt es Leute die behaupten, Courts Mahler hätte ihre Romanstoffe nicht aus dem Leben gegriffen. Wie ging es weiter? Man kann wohl annehmen, dass der attraktive Witwer nun auch seine noble Zurückhaltung abgelegt hatte?"
Die Erzählerin schwieg. Ich befürchtete schon, dass die provokante Bemerkung ihrer Nachbarin sie so verärgert hatte, dass Sie ihre Erzählung abbrechen würde. Gott sei Dank war meine Befürchtung unbegründet.
"Er hatte sie abgelegt, denn er hatte beschlossen, sein neues Leben mit mir zu beginnen. Es war einer jener Nächte, die man ein Leben lang nicht vergisst."
"Eine Frage:" sagte die junge Dame, nachdem sie sich noch einmal geschnäuzt hatte. "Was ist aus dieser Beziehung geworden? Wie ich weiß, sind Sie doch allein hier in Lignano."
Wahrscheinlich hatte die Erzählerin diese Frage nicht erwartet, denn Sie blieb eine Weile stumm. Die beiden Frauen und ich warteten gespannt.
"Das Ende meiner Geschichte wird Ihnen nicht gefallen" sagt sie schließlich. "Ich weiß nicht, ob ich..."
"Schießen Sie los" sagt die laute Dame. "Da brauchen Sie keine Hemmungen zu haben. Wenn ich an meine Urlaubsbekanntschaften denke..."
"Sie irren sich", sagte die Erzählerin und man merkte Ihrer Stimme an, dass Sie der schnoddrige Ton ihrer Nachbarin irritierte. "Es wäre sicher mehr geworden als ein Urlaubsflirt, aber es sollte eben nicht sein."
"Was ist passiert?" fragte die junge Dame?
"Also gut, wenn Sie darauf bestehen" sagt die Dame hinter mir, "will ich Ihnen den Rest der Geschichte auch noch erzählen, aber beklagen Sie sich nachher nicht darüber, dass ich Ihnen den Abend verdorben habe.
Am Morgen nach der bewussten Nacht im Katarrakt-Hotel trennten sich unsere Wege. Mein Freund hatte im Anschluss an die Nilreise einen Badeurlaub in Hurgada am Roten Meer gebucht, ich reiste weiter nach Abu Simbel. Jeder von uns hätte an diesem Morgen gerne seine Reisepläne geändert, aber so kurzfristig war das nicht möglich. Wir verabredeten uns daher für das folgende Wochenende im Mena House Hotel in Kairo, wo unsere Reise begonnen hatte. Die Tage zwischen meiner Rückkehr nach Kairo und unserem geplanten Zusammentreffen verbrachte ich fast ausschließlich im Hotel - beim Friseur, im Beauty Parlor, beim Masseur, im Fitnessraum. Irgendwie fühlte ich mich wie ein Sportler vor dem Wettkampf. Ich durfte einfach nicht verlieren. Ein paar Mal war ich nahe daran, in Hurgada anzurufen, obwohl wir vereinbart hatten, es nicht zu tun. Am letzten Tag vor seiner geplanten Ankunft hatte ich noch in der Boutique des Hotels ein paar verführerische Dessous und zwei Nachthemden gekauft. Als ich aufs Zimmer kam, lag dort die "Egyptian Gazette". Ich nahm sie mit auf den Balkon, wie jeden Tag, um mich über das wichtigste im Weltgeschehen zu informieren. Die Schlagzeile war an diesem Tag jedoch einem lokalen Thema vorbehalten. 'Red sea gale causes tourist boat to sink'. Der Artikel beschrieb, dass trotz eines drohenden Sturmes ein Touristenschiff von Hurgada zur nahen Koralleninsel ausgelaufen war. Vier Engländer und ein Österreicher konnten nur mehr tot geborgen werden. Und da standen auch die Namen. Seiner war dabei. Ich begann, so irrational das auch sein mochte, zu hoffen, dass ein anderer Hans Meier ertrunken war. Ich rief in seinem Hotel an und verlangte ihn zu sprechen. 'I am so sorry…' begann der Telefonist und ich legte auf. Ich ging in die Bar hinunter und betrank mich bis zu Besinnungslosigkeit, zum ersten mal in meinem Leben. Das ist das Ende meiner Geschichte."
Hinter mir war es eine Weile ganz still. Keine der beiden Zuhörerinnen fasste den Mut, diese Stille zu stören. Schließlich sagte die Dame, die immer laut gewesen war, leise: "Gehen wir zurück?"
"Gehen Sie nur, ich möchte noch ein wenig bleiben" sagte die Erzählerin. Die beiden andern verabschiedeten sich und gingen.
Als die beiden gegangen waren, beschloss ich, mich erkennen zu geben. Ich musste das tun, denn es war nicht irgendeine Geschichte, die ich da gehört hatte.
"Warum musste Herr Meier sterben?" fragte ich laut, ohne mich aus meinem Liegstuhl zu erheben.
"Oh Gott", sagte sie erschrocken, "wie lange sitzen Sie schon da vorne?"
"Lange genug", sagte ich. "Sie haben meine Frage nicht beantwortet."
"Ich verstehe die Frage nicht", sagte sie unsicher.
"Ich denke doch", sagte ich. "Diese Geschichte hat ein Happy End. Und Sie habe es kaputtgemacht. Sehr gekonnt übrigens. Alle Achtung. Geradezu Pullitzerpreisverdächtig. Die Damen waren sehr beeindruckt."
"Also gut," sagte die Dame. Sie stand auf, kam zu mir nach vor, öffnete den Liegestuhl neben mir und setzte sich. "Sie haben die Geschichte also auch gelesen. Was hätte ich tun sollen? Sie haben doch selbst gehört, wie mich die beiden bedrängt haben. Mein Glück, dass keine der beiden Damen dieses Blatt abonniert hat. Und jetzt zu Ihnen mein Herr. Was gibt ihnen das Recht, fremde Damen zu belauschen. Sie sollten sich schämen."
"Ich schäme mich nicht", sagt ich belustigt. "Erstens war ich vor Ihnen da und wurde von Ihnen aus meinem Vormitternachtsschlaf gerissen und zweitens erfüllt es mich mit einigem Stolz, dass meine Geschichten nicht nur gelesen, sondern sogar für wahr gehalten werden."
"Meine Geschichten? Was soll das heissen? Sie sind doch nicht Marlene Duval."
"Bisweilen schon", sagte ich. "Wenn ich den Namen auch nicht besser finde als Hans Meier, so heiße ich nämlich wirklich."
"Wieso Marlene?"
"Ich war ja auch dagegen, aber der Redakteur meinte, Liebesgeschichten kämen besser an, wenn sie eine Frau geschrieben hat".
Wir blieben noch lange am Strand. Als der Morgen dämmerte, erinnerte ich mich an den Abgabetermin. Ich sagte es ihr.
"Mach Dir keine Sorgen, das kriegen wir schon hin. Da sind ja noch die beiden Geschichten, die du verschlafen hast. Wir gehen jetzt einfach zu Dir, ich erzähle sie Dir. Eine davon wird sich schon verwerten lassen,"
Was für eine Frau, dachte ich. Die Geschichten waren beide nicht überwältigend, aber mit Helga als Koautorin gelang es mir, meine Mail termingerecht abzuschicken. Als ich damit fertig war, sage sie:
"So, und jetzt möchte ich meine eigene Liebesgeschichte erleben". Das war der Beginn einer wundervollen Beziehung.
Am nächsten Morgen sagte sie. "Wenn meine Mama erfährt, dass ich mir etwas mit Marlene angefangen habe..."
Ein paar Tage später, in einer Pizzeria, saßen am Nebentisch zwei Damen, die immer wieder zu uns herüberblickten.
"Das sind die zwei vom Strand", sagte Helga. "Ich kenne sie kaum. Jetzt möchten Sie wohl gerne wissen, wer du bist".
Beim Hinausgehen trat sie an den Tisch der beiden, deutete auf mich und sagte: "Dieser Herr ist übrigens Hans Meier".
Die beiden blickten verwirrt drein.
"Versuchen Sie erst gar nicht, das ganze zu verstehen. Ich versteh es ja selbst noch nicht".
Dann drehte sie sich zu mir um, sagte laut "komm Marlene, gehen wir", und verließ mit mir das Lokal.