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Herr Sonka
Herr Sonka
Heute morgen ging die kleine Anni noch ein bisschen weniger gern zur Schule als sonst. Direkt nachdem der Wecker geklingelt hatte, war es ihr eingefallen. Es war Dienstag! Und Dienstage mochte die kleine Anni gar nicht. Naja, eigentlich hatte sie ja nichts gegen Dienstage an sich. Dienstags ging sie gerne mit ihrer besten Freundin Isabell zum schwimmen und in den Ferien war ihr sogar völlig egal, was für ein Tag es war. Aber seit den Sommerferien hatte Anni jeden Dienstag in der zweiten Stunde Sachkunde. Auch gegen Sachkunde hatte Anni eigentlich nichts, letztes Jahr hatte sie sogar eine 2+ im Zeugnis, auf die sie sehr stolz war und für die sie sogar von ihrem Vater gelobt wurde. Dieses Jahr machte ihr der Unterricht keinen Spaß mehr. Die nette und lustige Frau Kästner hatte die Schule gewechselt, damit sie morgens nicht mehr so weit fahren muss. Der neue Lehrer, Herr Sonka, war ganz anders. Er war immer ganz ernst und machte nie einen Witz. Er redete so langsam, dass Anni vom Zuhören ganz müde würde. Und er roch so sehr nach Kaffee aus dem Mund, dass Sie ihn noch in der zweiten Reihe riechen konnte. Aber am schlimmsten war, dass Herr Sonka sie auch nicht zu mögen schien. Er stellte immer nur ihr die ganz schwierigen Fragen und wenn sie sie nicht beantworten konnte, sagte er gemeine Sachen. "So bekommst du aber keine Zwei mehr im Zeugnis", sagte er zum Beispiel. Oder: "Vielleicht solltest du besser im Unterricht aufpassen!" Manchmal brüllte er sie auch an, sie solle aufpassen und nicht ständig aus dem Fenster schauen, dabei hatte sie nur ganz kurz raus gesehen, weil sie von einem Vogel abgelenkt wurde oder es so schön windig war oder weil es so stark regnete... ganz ehrlich!
Deswegen hatte sich die kleine Anni entschieden, heute nicht zur Schule zu gehen. Als sie in die Küche kam setzte sie den Kummerblick auf, hielt sich den Bauch und begann mit ganz leiser Stimme "Mama...mir geht es gar nic...", und plötzlich roch sie die Pfannkuchen!
"Was ist los, Schatz?", fragte ihre Mutter.
"Ach gar nichts! Ich wollte dir nur sagen, dass ich es super von dir finde, dass du Pfannkuchen gemacht hast."
Und während sie Ihre Pfannkuchen mit einer dicken Schicht Nutella bestrich, hatte sie den doofen Herrn Sonka mit seiner langweiligen Sachkunde schon fast wieder vergessen.
Im Schulbus hatte ihre beste Freundin Isabell extra einen Platz für sie freigehalten, damit sie schon während der Fahrt zur Schule neben einander sitzen und quatschen konnten. Aber Anni musste wieder an Herrn Sonka denken und war deswegen nicht sehr gesprächig.
"Was ist denn mit dir los Anni", fragte Isabell, "du erzählst ja gar nichts!"
"Ach heute haben wir wieder doch wieder bei Herr Sonka Sachkunde. Du weißt doch, dass ich den blöd finde."
Das wusste Isabell, denn Anni war in letzter Zeit jeden Dienstag schlecht drauf und jeden Dienstag erzählte Anni ihr, warum sie ihn nicht mochte.
" ... immer mich dran, wenn er eine besonders schwierige Frage hat, ich glaub der mag ..."
Eigentlich mochte Isabell Herrn Sonka gerne. Vielleicht lag es an seiner väterlichen Strenge oder an seinem grauen Pferdeschwanz, mit dem er so süß aussah. Und auch Herr Sonka schien Isabell zu mögen. Sie wurde besonders oft von ihm gelobt und bekam nur ganz leichte Fragen von ihm gestellt, die sie sicher beantworten konnte. Und wenn alle eine Aufgabe hatten und beschäftigt waren, sah Herr Sonka ganz oft zu Isabell herüber und zwinkerte ihr sogar manchmal zu. Aber beste Freundinnen müssen zusammenhalten. "Ja du hast recht, ich mag den auch nicht!" Anni freute sich und Isabell sah aus dem Fenster um an Herrn Sonka zu denken.
In der Ersten Stunde hatte die 3b Mathe bei Frau Seibel. Eigentlich mochte Anni auch Mathe nicht, aber die Lehrerin war sehr nett und außerdem hatten sie heute Geometrie und durften Würfel und Pyramiden basteln. Die kleine Anni bastelte sehr gern und so verging die Stunde wie im Flug. Am Ende hatte sie den schönsten Würfel von allen und bekam noch ein Lob von Frau Seibel.
Direkt während des Klingelns, das die Fünf-Minuten-Pause beendete, stand schon Herr Sonka in der Tür.
"So, die Pause ist vorbei! Hinsetzen, wie haben eine Menge zu tun und was wir in der Stunde nicht schaffen, macht ihr heute Nachmittag als Hausaufgabe."
Das gefiel der kleinen Anni gar nicht. Sie wollte noch weiter toben und fünf Minuten waren doch viel zu kurz. Andere Lehrer kamen erst fünf Minuten nach dem Klingeln und waren dann auch nicht so gemein. Und dann auch noch Hausaufgaben? Sie hatten doch schon so viel in Mathe auf und es war so schönes Wetter draußen. Blöder Herr Sonka!
"Heute lernen wir etwas über Bäume und ihre Blätter" sagte er und begann ein großes, rundes Blatt mit vielen kleinen Kerben an die Tafel zu malen.
Die kleine Anni hatte keine Lust diesem blöden Herrn Sonka mit seinen blöden Blättern zuzuhören und schaute aus dem Fenster. Ja vor dem Fenster gab es immer eine Menge zu sehen. Sie beobachtete zum Beispiel gerne den großen Vogel, der oft im Baum gegenüber sein schönes Lied trällerte. Oder den kaputten Mülleimer, aus dem bei starkem Wind die Tüten vom Bäcker losflogen und wild durch die Luft wirbelten. Einmal hat sie sogar beobachtet, wie ein Maulwurf auf der Wiese direkt vor dem Fenster einen Hügel aufgeworfen hat und danach sogar kurz aus der Spitze hinausschaute. Und während sie aus dem Fenster schaute, hörte sie nicht, wie Herr Sonka von Dingen sprach wie "Vertretungsunterricht" und "Hausaufgabenkontrolle".
"Und was ist das für ein Baum, Annika?" Herr Sonka zeigte auf ein Blatt, das aussah wie eine grüne Hand mit fünf dicken Fingern, und sah dabei noch böser aus, als sonst.
"Ähm das ist eine ... eine ... Das ist eine Birke, oder?" Fragte Anni erschrocken.
"Pass gefälligst auf, durch aus dem Fenster sehen lernst du nichts über die Vielfalt der heimischen Bäume."
Blöder Herr Sonka, dachte die kleine Anni. Ich habe doch nur ganz kurz raus gesehen. Und außerdem, wen interessieren schon diese dummen Bäume. Nach der Stunde war die kleine Anni noch schlechter drauf als vor der Stunde. Sie hatten als Hausaufgabe aufbekommen, alle Bäume und ihre Blätter zu lernen. Isabell hatte nach der Stunde von Herrn Sonka eine Tafel Schokolade geschenkt bekommen, "Für besonders gutes Aufpassen" und teilte diese jetzt mit Anni, um sie ein wenig aufzumuntern. Aber auch während der Busfahrt und dem Weg nach Hause war die kleine Anni noch stinksauer, dass Herr Sonka sie völlig zu Unrecht vor der ganzen Klasse angemeckert hatte. In ihrer Wut war ihr gar nicht aufgefallen, dass ihre Freundin Isabell nicht mit im Bus gesessen hatte.
Zu Hause angekommen, wurde die kleine Anni schon von ihrer Oma erwartet. Oma passte manchmal nach der Schule auf die kleine Anni auf, wenn ihre Mutter wieder länger arbeiten musste. Oma half ihr auch bei den Hausaufgaben. Und mit Oma konnte man immer ganz tolle Spiele spielen und Lieder singen. Aber das beste war, wenn Oma etwas leckeres gekocht hatte.
Heute gab es für die kleine Anni Frikadellen mit Bohnengemüse und Kartoffelbrei. Den aß Anni besonders gern und Oma hatte ihn so gemacht, wie sie ihn am liebsten hatte: Ohne das eklige Muskat!
"Na meine Kleine, wie war es heute in der Schule?" fragte Oma beim Mittagessen.
Die kleine Anni erzählte was in der Schule passiert war, wie gemein Herr Sonka immer zu ihr ist, dass er sie vor der ganzen Klasse angemeckert hat und dass sie eigentlich nur ganz kurz aus dem Fenster gesehen hat...Ehrlich!
"Ach ärger dich nicht", sagte die Oma "Das macht der ja nicht mit Absicht. Was habt ihr denn heute als Hausaufgabe aufbekommen?"
Anni erzählte ihr von Ihren Aufgaben und sie fingen direkt nach dem Mittagessen damit an.
"Erst die Arbeit, dann das Vergnügen", sagte Oma immer, wenn Anni vor den Hausaufgaben erst noch eine Runde spielen wollte. Mit Mathe fingen sie an. Nach einigen Aufgaben zum Zeichen kam eine besonders schwierige Textaufgabe. Ein Bauer hat eine rechteckige Wiese mit einer Kantenlänge von... Der kleinen Anni war die Aufgabe viel zu schwer und sie wollte schon aufgeben, aber dank der Hilfe ihrer Oma konnte sie die Aufgabe doch lösen. Anni war sehr stolz über die bewältigte Aufgabe und bekam zur Belohnung ein ganz leckeres Eis. "Jetzt aber weiter, was hast du denn in Deutsch auf?" drängte Oma. Aber Deutsch war gar nicht schlimm, sie musste nur auf einem Arbeitsblatt Wie-Wörter und Tu-Wörter unterstreichen. Wie-Wörter unterstrich sie blau, Tu-Wörter rot. Unterstreichen war genau Annis Vorstellung vom Lernen. Unterstreichen machte allen Mädchen in ihrer Klasse Spaß.
Als letztes sollte die kleine Anni Sachkunde lernen. Aber sie hatte keine Lust mehr auf Hausaufgaben.
"Sachkunde habe ich erst Donnerstag wieder, das muss ich erst morgen lernen!" sagte die kleine Anni.
"Was du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf morgen" antwortete die Oma und hatte schon das dicke Sachkundebuch aufgeschlagen. Aber Anni hatte keine Lust und wurde ganz sauer, bis sich die Oma erweichen ließ, die Hausaufgaben auf den nächsten Tag zu verschieben. Sie ging in ihr Zimmer und spielte mit ihren Dinosauriern. Oma kam mit dazu und spielte die Langhalsherde die Anni mit ihrem T-Rex auffressen wollte. Und vor lauter Spielen und lauter Spaß bemerkte Anni gar nicht, dass ihre Freundin Isa gar nicht wie jeden Dienstag Abend anrief um zu fragen, ob sie zusammen schwimmen gehen wollten.
Dieser Mittwoch war ein ganz besonders toller Tag in der Schule. In der ersten Stunde hatten sie Sport bei Herr Poppa und sie durften die ganze Stunde Volleyball spielen. Ihre Mannschaft verlor zwar das Spiel, aber sie hatte einen riesen Spaß. Nur der dumme Thomas wollte nicht verlieren und meckerte die ganze Zeit an den Mädchen herum, weil diese nach seiner Meinung zu viel lachten und zu wenig Punkte machten.
In Deutsch hatte sie keinen einzigen Fehler in ihren Hausaufgaben und in Mathe bekam sie sogar ein Fleißbienchen in ihr Schulheft gestempelt, weil sie als einzige die ganz schwierige Textaufgabe gelöst hatte. Und weil ihr Klassenkamerad Ahmet nicht eine Aufgabe richtig hatte, fühlte sich die kleine Anni noch viel viel klüger.
"Warum hast du denn deine Eltern nicht gefragt, ob sie dir helfen können?" fragte die Lehrerin
"Mein Vater musste die ganze Zeit arbeiten und meine Mutter kann kein Deutsch. Sie versteht die Aufgaben auch nicht", antwortete Ahmet.
"Mann, dann frag doch einfach deine Oma", dachte sich die kleine Anni genervt.
Es hätte ein wunderschöner Tag werden können. Nur noch eine Stunde und dann war die Schule endlich aus. Es klingelte und Anni spielte gerade mit Isabell und Laura fangen als plötzlich Herr Sonka in der Tür stand.
"So setzt euch hin, wir haben eine Menge vor. Anni das gilt auch für dich! Dass du immer als letzte auf deinem Platz bist. Das ist zwar nur eine Vertretungsstunde, aber ich hatte ja gestern angekündigt, die Hausaufgaben schon heute zu kontrollieren. Ich denke, ein Nachmittag ist ja auch genug Zeit zum Lernen."
"Wie angekündigt?", dachte sich die kleine Anni wütend, "davon hat Herr Sonka gestern aber gar nichts gesagt!"
Herr Sonka wollte die Hausaufgaben stichprobenartig kontrollieren und dazu einige Schüler aussuchen, um sie zu befragen. "Wenn alle gut gelernt haben, bekommt ihr den Rest der Stunde frei und auch keine Hausaufgaben auf," sagte er "Aber wenn einer von euch nicht fleißig genug war, müssen wir wohl alle zusammen den Rest der Stunde nachlernen und ihr auch zu Hause noch etwas tun". "Hoffentlich nimmt er nicht mich", dachte sich die kleine Anni und machte sich ganz klein, damit sie Herr Sonka nicht auswählen würde. Er nahm erst den schlauen Jungen aus der ersten Reihe dran. Er konnte alle Fragen sofort beantworten. Als nächstes musste Isabell Fragen beantworten. Die meisten Bäume fielen ihr nicht sofort ein, aber mit ein bisschen Hilfe von Herrn Sonka konnte auch sie alle Bäume benennen. Herr Sonka sah zufrieden aus und blickte in die Runde.
"So Annika, was ist das für ein Baum?" er zeigte wie am Tag zuvor auf die grüne Hand mit den fünf dicken Fingern.
"Das ist eine Birke!", sagte Anni bestimmt.
"Das ist falsch, Annika, aber vom aus dem Fenster gucken kann man das ja auch nicht lernen", sagte er mit einem fiesen Grinsen auf den Lippen.
"Und was ist das für ein Baum?" Er zeigte auf ein großes Blatt, das ein bisschen so aussah wie ein Stern.
"Ich weiß nicht....eine Eiche?"
Und so ging es noch eine ganze Weile und bei jedem Blatt wurde die kleine Anni nervöser und wusste gar nichts mehr.
"So, ihr könnt euch bei Annika bedanken. Nur weil sie nicht gelernt hat, müsst ihr alle länger bleiben. Aber weil Isa so fleißig gelernt hat, erlasse ich euch wenigstens die Hausaufgaben. Gut gemacht Isa! Da hat sich aber gestern Nachmittag jemand besonders Mühe gegeben!" Dabei zwinkerte er ihr vertraut zu. So wie er es auch oft während der Arbeitsstunden tat. "Aber deine Leistung war heute mal wieder unterdurchschnittlich Annika. Ich weiß echt nicht, was ich mit dir noch machen soll. Ich will deine Eltern morgen Abend auf dem Elternsprechtag sehen!"
Auf dem Weg nach Hause überlegte Anni sich, was sie jetzt machen sollte. Isabell war heute wieder nicht im Bus, aber das war Anni egal. Ihre Freundin war heute den ganzen Tag komisch zu ihr gewesen und hatte sich nicht mal für sie gefreut, als sie ihr Fleißbienchen bekam. Dabei waren sie doch beste Freundinnen! Die kleine Anni war sehr enttäuscht. Ihre Eltern waren schon beide zu Hause. Anni zeigte stolz ihr Fleißbienchen und erzählte, dass sie heute gar keine Hausaufgaben aufhabe, weil sie so gut in der Schule war. Ihr Vater war sehr zufrieden und sprach von einer kleinen Überraschung als Belohnung. Von Herr Sonka erzählte Anni nichts.
Am Abend war Anni schon sehr früh ins Bett gegangen, weil sie vor Kummer immer Magenschmerzen bekam. Später klingelte das Telefon. Sie hörte Schritte auf dem Flur und als das Klingeln verstummte klang die laute Stimme Ihres Vaters durchs Haus. "Guten Abend, Frau Grobe, so spät habe ich mit keinem Anruf mehr gerechnet! Was gibt es denn?" Frau Grobe war die Sekretärin der Schule. Anni hatte ein dumpfes Gefühl im Magen.
"Oh! Das ist ja furchtbar. Sowas hätte ich ja nie erwartet. Anni hat Herrn Sonka fast nie erwähnt." Annis Bauchschmerzen wurden schlimmer und es fühlte sich an, als würde sich ihr Bett im Kreis drehen. "Nein sie ist schon im Bett, ihr geht es heute nicht so gut. Ich werden morgen nach der Schule mit ihr reden... Ist doch kein Problem...Ja ihnen auch noch einen schönen Abend."
"Schatz!", rief ihr Vater in die Küche, in der Annis Mutter schon das Frühstück für morgen vorbereitete, "Wir müssen reden, Frau Grobe aus der Schule hat angerufen, es ist furchtbar, sowas hätte ich nie erwartet...!"
In dieser Nacht konnte Anni sehr schlecht schlafen, ständig wachte sie auf, weil sie schlecht geträumt hatte: Von Herr Sonkas bösem Grinsen, von dem Gesicht ihrer enttäuschten Eltern, von Kastanienblättern... Die Nacht war viel zu schnell vorbei und Anni hatte das Gefühl überhaupt nicht geschlafen zu haben. Sie erwachte am nächsten Morgen mit dem gleichen, unguten Gefühl, mit dem sie am Abend eingeschlafen war.
Als sie völlig verschlafen in die Küche kam, war ihre Mutter wie jeden Morgen dabei, das Frühstück zu machen. Aber irgendwie war sie anders als sonst. Sie sprach sehr wenig mit der kleinen Anni und machte einen bekümmerten Gesichtsausdruck.
"Dein Vater muss heute nach der Arbeit mit dir reden. Komm nach der Schule direkt nach Hause! du darfst erst wieder draußen spielen, wenn ich es dir wieder erlaube!"
Auf dem Weg zur Schule machte sich Anni viele Gedanken. Dummer Herr Sonka, jetzt hatte sie auch noch Stubenarrest wegen diesem Blödmann. Und was würde ihr Vater noch dazu sagen? Er konnte sehr streng sein, wenn es um die Schule geht. Sie hatte einmal eine 4- in Mathe geschrieben und die Arbeit vor ihren Eltern versteckt. Doch dummerweise hatte ihre Mutter sie beim Zimmeraufräumen gefunden. Das ganze Wochenende durfte sie nicht raus zum Spielen. Nicht mal auf Isabells Geburtstag durfte sie gehen. Diesmal würde es ganz bestimmt noch schlimmer werden. Herr Sonka würde ihren Eltern Lügengeschichten erzählen, damit sie noch wütender auf sie wären. Und dann würde sie bestimmt den ganzen Monat Stubenarrest bekommen. Es gab keinen Ausweg mehr, Frau Grobe hatte ja schon am Abend vorher angerufen und sobald sie nach Hause kommen würde, müsste sie in das kleine Büro ihres Vaters kommen...
Als Anni in den Bus einstieg, konnte sie Isabell nirgendwo entdecken. Scheinbar wurde sie wieder von ihrer Mutter zur Schule gebracht. Also setzte sie sich neben den blöden Thomas und machte sich weiter Gedanken über die Strafe ihres Vaters, den Elternabend und natürlich über Herr Sonka.
An der Schule angekommen, gab es eine Menge zu sehen. Ein Polizeibus stand in der Einfahrt und hatte sein Blaulicht eingeschaltet. Es waren eine Menge Männer da, mit Kameras und ganz langen Fotoapparaten, denen aber von den Polizisten verboten war, die Schule zu betreten. Und sogar ein Hubschrauber flog ganz tief über der Schule. Aber als sie das Schulgebäude betrat, war es mit der Ablenkung vorbei. Die Uhr zeigte Zwanzig vor Acht. In genau Zehn Minuten( und nicht eine Minute später, da war sich Anni ganz sicher) würde der Sachkundeunterricht beginnen.
Als es klingelte, saß Anni schon auf ihrem Platz. Vielleicht konnte sie ja vor dem Elternabend noch einen guten Eindruck machen, dachte sie sich. Sie hatte sich fest vorgenommen, den ganzen Unterricht aufzupassen und nicht einmal aus dem Fenster zu sehen. Aber es vergingen noch mindestens fünf Minuten bis sich die Tür öffnete und herein kam auch nicht Herr Sonka, sondern ein Lehrer dessen Namen sie nicht kannte.
"Guten morgen Kinder! Ist das hier die Klasse 3b? Ja? Sehr gut. Frau Grobe hat ja schon gestern Abend die meisten Eltern angerufen und ihnen mitgeteilt, dass Herr Sonka krank geschrieben wurde und niemand weiß, wie lange er nicht da sein kann. Deswegen werde ich...."
"Herr Sonka krank geschrieben?", dachte sich Anni, " Das ist ja wunderbar!" Nicht nur, dass sie deswegen eine ganz lange keinen Unterricht bei ihm haben würde. Nein, auch beim Elternabend würde er nicht dabei seien können. Und hatte Frau Grobe vielleicht nur deswegen gestern Abend angerufen, um ihren Eltern von Herr Sonkas Krankheit zu erzählen. Anni war in Ihrem ganzen Leben noch nie so glücklich. Alles schien sich zum Guten zu wenden. Nur warum ihr Vater mit ihr reden wollte, dass war ihr noch nicht klar.
Nach dem Unterricht strahlte Anni noch immer über das ganze Gesicht. Auch viele andere Kinder waren glücklich, weil sie hofften, dass die ein oder andere Unterrichtsstunde ausfallen könnte. Nur Isabell sah sehr unglücklich aus.
"Was ist denn los Isa, du freust dich ja gar nicht." fragte Anni.
"Ich hatte gestern viel Ärger zuhause", antwortete Isa, "und überhaupt verstehe ich nicht, warum Herr Sonka krank geschrieben ist. Gestern Nachmittag ging es ihm noch sehr gut. Er war sehr glücklich und hat viel gelacht."
"Woher weißt du das? Hast du ihn in der Stadt gesehen?" fragte Anni mit einem verwundertem Gesichtsausdruck.
"Nein, Herr Sonka gibt mir doch immer nachmittags Nachhilfe in Sachkunde, ist dir denn gar nicht aufgefallen, dass ich die ganze Woche nicht mit dem Schulbus nach Hause gefahren bin?"
"Oh ich dachte, du wärst von deiner Mutter abgeholt worden" log Anni. Es war ihr peinlich, dass sie wegen ihrer Wut auf Herrn Sonka so wenig Zeit für ihre Freundin gehabt hatte.
" Am Dienstag war er mit mir im Wald und hat mir alle Bäume in der Natur gezeigt. Er hat mich sogar zu seinen Lieblingsplatz im Wald gebracht. Es war eine ganz tolle Lichtung mir schönem weichen Gras. Da haben wir Fangen gespielt und wenn ich nicht schnell genug weggelaufen bin, hat er mich am ganzen Körper durchgekitzelt. Und gestern haben wir bei ihm zuhause gelernt. Er hat gesagt, dass ich so gut in Sachkunde bin, dass er mir schon Sachkunde für die Großen beibringen kann!"
Sie strahlte vor Stolz über das ganze Gesicht. Anni war überrascht, dass Herr Sonka so lieb und lustig sein konnte. Warum war er bloß immer so gemein zu ihr. " Auf seinem Computer hat er mir sogar ein Video gezeigt, dass eigentlich nur die Großen sehen dürfen und mir gesagt, dass ich es niemanden erzählen darf, damit er mir weiter Nachhilfe geben kann. In dem Video haben sich alle nackig gemacht und eine Party gefeiert." Sie fing an zu lachen.
"Aber als ich Nach Hause gekommen bin, waren meine Eltern total sauer. Sie wussten nicht, wo ich gewesen bin und haben sich Sorgen gemacht. Als ich erzählt habe, dass ich zur Nachhilfe bei Herr Sonka war und was er mir alles beigebracht hat, war mein Vater noch wütender und Mama hat angefangen zu weinen. Ich habe ihnen gesagt, dass er ganz lieb zu mir war und mir beim Lernen geholfen hat, dass wir gespielt haben und dass er mir sogar Küsschen gegeben hat, damit sie nicht böse auf ihn sind, aber es hat nichts geholfen. Papa ist dann telefonieren gegangen und hat sich sehr böse angehört und Mama hat mir verboten, weiter zu Herr Sonkas Nachhilfe zu gehen. Und jetzt darf ich nicht mehr raus zum Spielen und muss direkt nach der Schule nach Hause kommen, wenn meine Mama mich nicht abholen kann."
"Ja ich darf auch nicht mehr draußen spielen, ich habe Hausarrest", sagte Anni. Aber jetzt wo Isabell auch Hausarrest hatte, war auch das gar nicht mehr so schlimm. Mit wem sollte sie denn spielen, wenn Isabell doch eh nicht rauskommen durfte? Sie hatte auch nicht mehr so viel Angst vor ihrem Vater und das Gespräch mit ihm war gar nicht so schlimm wie sie dachte. Sie hatte ihm gleich am Anfang alles erzählt, aber ihr Vater meinte, was Herr Sonka sagt, sei gar nicht wichtig. Dabei sagte er böse Wörter, für die sie ganz bestimmt auf ihr Zimmer geschickt worden wäre. Ihre Eltern waren jetzt gar nicht mehr sauer und verbrachten viel Zeit mit ihr. Hausarrest hatte sie zwar trotzdem noch, aber das war Anni alles egal. Hauptsache, sie hatte nicht mehr bei Herrn Sonka Sachkunde.