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Herrn Mozarts Besuch

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14.10.2001
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Herrn Mozarts Besuch

Mozarts Besuch

Es war schon sehr spät. Mühsam richtete sich die alte Frau in ihrem Sessel auf. Jede Bewegung schmerzte. Es wurde wieder Zeit, das Medikament einzunehmen. Stöhnend humpelte sie zum Schlafzimmer hinüber. Ein Glück, daß Guido ihr kürzlich dieses starke Schmerzmittel beschafft hatte!
Als sie ins Schlafzimmer trat, erstarrte sie. In ihrem Bett lagen zwei völlig fremde Kinder. Sie schliefen friedlich und wachten auch nicht auf, als die alte Frau sie ansprach.
Völlig verwirrt hinkte sie ins Wohnzimmer zurück. Aber auch in ihrem Sessel saß jetzt jemand. Es war ein alter Mann mit weißem Haar, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Am Fenster standen mehrere Personen, die sich angeregt unterhielten. Das Sofa war ebenfalls voll besetzt, und es kamen immer mehr Leute zur Tür herein.
"Wer sind Sie?“ fragte die alte Frau angstvoll, aber niemand hörte sie.
"Was tun Sie hier?" fragte sie , aber niemand antwortete ihr.
Sie kämpfte sich durch die Menge und zwängte sich auf den Flur, aber auch dort und in der Küche drängten sich Menschen, die die alte Frau nicht zu bemerken schienen.
Auf einmal kam es ihr so vor, als ob in ihrem eigenen Haus kein Platz mehr für sie wäre. Oder war es gar nicht mehr ihr Haus? Alles erschien ihr auf einmal so fremd, so unwirklich.
In dem Raum, in dem die Kinder schliefen, war es inzwischen auch eng geworden. Dort standen viele Menschen starr und schweigend herum. Vorsichtig, um die Kinder nicht aufzuwecken, setzte sie sich auf das Bett.
Ihr Blick fiel auf das Telefon, das auf dem Nachttisch stand. Ja, sie wollte ihren Neffen anrufen. Vielleicht konnte er all diese Fremden wegschicken.
Mit bebenden Fingern wählte sie seine Nummer. Er meldete sich sofort.
"Guido, komm schnell, hier sind Leute!" stieß sie hervor.
"Was für Leute?" fragte Guido verwundert.
"Ich weiß es nicht!" jammerte sie. "Sie geben mir keine Antwort."
Guido versprach, sofort loszufahren. Inzwischen war es schon ein Uhr geworden. Oder galt die Uhrzeit auf dem Wecker nicht mehr? Konnte ihr Neffe überhaupt noch zu ihr finden in diese merkwürdige Welt, in der sie sich plötzlich befand?
Sie wartete. Plötzlich ging die Schlafzimmertür einen Spalt breit auf. Sie öffnete sich weiter, ganz leise, ganz langsam. Die alte Frau begann zu zittern. Die Tür öffnete sich noch ein Stückchen, und herein kam - Mozart! Sie erkannte ihn sofort an seinem altmodischen Gewand aus Brokat und seinem weiß gepuderten Zopf.
"Sie sind Herr Mozart", flüsterte die alte Frau ehrfurchtsvoll. "Ich liebe Ihre Musik über alles!"
Herr Mozart verneigte sich huldvoll und setzte sich neben sie auf das Bett, ohne Rücksicht auf die schlafenden Kinder zu nehmen.
"Ich weiß, Gnädigste, daß Ihr mich verehrt", antwortete er höflich. "Deshalb bin ich auch zu Euch gekommen, um Euch zu warnen."
Erschrocken sah die alte Frau ihn an.
"Ihr habt einen Neffen und einen Enkel", erklärte Herr Mozart. "Euer Neffe ist ein guter Mensch. Er besucht Euch oft und hilft Euch, wenn Ihr Schmerzen habt."
Die alte Frau nickte zustimmend. Herr Mozart hatte recht. Guido war wirklich rührend besorgt um sie.
"Euer Enkel aber," fuhr Herr Mozart fort, "ist böse und schlecht. Er kümmert sich gar nicht um Euch."
"Er lebt ja auch im Ausland", wandte die alte Frau ein.
Aber Herr Mozart ließ sich nicht beirren. "Er ist zurückgekommen", sagte er, "und er will Euch und Euren Neffen umbringen. Er hat es auf Euer Vermögen abgesehen. Ihr wisst ja: wenn Euer Neffe tot ist, dann ist er Alleinerbe."
Entsetzt starrte die alte Frau Herrn Mozart an. Und plötzlich fiel ihr Blick auf die hässliche schwarze Pistole, die er in der Hand hielt.
"Hier", sagte Herr Mozart und hielt ihr die Waffe hin, "Ihr seid in Lebensgefahr. Wenn Euer teuflischer Enkel Euch besucht, dann zögert nicht und schießt sofort! Schießt so lange auf ihn, bis er tot ist!"
Verloren und unglücklich saß die alte Frau neben Herrn Mozart auf dem Bett. Irgendwann mußte sie dann doch eingeschlafen sein, denn als sie wieder zu sich kam, war Herr Mozart verschwunden.
Aber all die fremden Leute, die waren noch da. Zwei Männer standen an ihrem Bett, die ihr irgendwie bekannt vorkamen. Der eine wollte sie gerade am Arm fassen. Entsetzt schrie sie auf und begann, heftig um sich zu schlagen.
"Jetzt ist sie wohl endgültig übergeschnappt", flüsterte der Mann. Er sah ein bisschen wie Guido aus.
"Wir müssen den Arzt rufen", sagte der andere. Jetzt erkannte sie ihn. Es war ihr Enkel.
In diesem Augenblick fiel ihr alles wieder ein. Ihr Enkel wollte sie ja töten! Herr Mozart hatte sie gewarnt. Herr Mozart hatte ihr auch die Waffe gegeben. Wo war sie nur? Aufgeregt tastete sie danach.
"Suchst du etwas?" fragte der Mann, der wie Guido aussah.
Plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Das war ja gar nicht Guido, gar kein Mensch, der da an ihrem Bett stand, sondern ein Dämon mit rotglühenden Augen und einem Mund wie ein schwarzes Loch! Es war der Teufel, der leibhaftige Teufel! Er beugte sich gerade über sie. Sein heißer Atem streifte ihr Gesicht. Er sprach zu ihr in einer kehligen Sprache, die sie nicht verstand.
In diesem Augenblick berührte ihre Hand etwas Glattes, Hartes, Kaltes. Hastig zog sie die Pistole unter dem Kopfkissen hervor und schoss auf ihn. Der Teufel - oder war es doch Guido? - schrie heiser auf und fiel vornüber aufs Bett. Sie schoss weiter, so lange, bis er sich nicht mehr rührte.
Erst einige Tage später hatte die alte Frau alles vollständig begriffen. Es war eine häufig auftretende Nebenwirkung des starken Schmerzmittels, das Guido ihr besorgt hatte, dass es Halluzinationen verursachte. Als Krankenpfleger wusste Guido das genau, und darauf hatte er spekuliert. Zunächst war seine Rechnung auch aufgegangen. Die Fremden in der Wohnung, die Kinder in ihrem Bett, all das hatte sie sich nur eingebildet.
Herrn Mozarts Besuch war jedoch kein reines Zerrbild ihres Geistes gewesen. In Guidos Wagen hatte man später eine weiß gepuderte Perücke und einen Gehrock aus Brokat gefunden. Auch die Waffe, mit der sie geschossen hatte, war echt.
Nur in einem Punkt war Guidos Plan fehlgeschlagen: dass die alte Frau ihn für den Teufel gehalten hatte. Und so wurde nicht der Enkel erschossen, sondern er selbst.

 

Hallo Jakobe!

Schon wieder ne Geschichte von dir.
Wann schreibst du die denn alle(ich habe noch mehr von dir gesehen)?
Also ich fand die andere Geschichte anfänglich spannender, doch in der Geschichte hier ist der Schluss dafür umso besser.
War sehr interessant!

Maurizius

Übrigens: Solltest du mal die Lust verspühren eine Geschichte von mir zu lesen, dann guck mal unter das Todbringende Schachbrett nach...

 

Hallo, Maurizius!
Die Geschichten habe ich alle hier liegen. Ich schreibe mit Unterbrechungen schon seit einigen Jahren.
Das todbringende Schachbrett werde ich mir jetzt durchlesen.
Gruß!
Jakobe

 

Eine tolle Geschichte und eine super Idee.
Ich habe nur zwei Anmerkungen:
Ich habe es so verstanden, daß die alte Frau die Haluzinationen hatte, bevor sie das Schlafzimmer betrat. Da hatte sie die Tabletten doch noch nicht genommen.
Meine zweite Anmerkung ist wohl eher eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Ich find es gut, wenn die Aufklärung einer Handlung mit in die Geschichte einfließt.
Mich stört, wenn eine spannende Erzählung mit einem sachlichen Bericht endet.
Nicht böse sein.
Die Geschichte ist wirklich lesenswert.
:)

 

Hallo Jakobe!
Ich habe deine Geschichte gelesen und fand sie alles in allem sehr unterhaltsam!
Zum Beispiel fand ich die Idee sehr gut!
Auch, dass du den eigentlich verhassten Enkel dann nicht zum Bösewicht hast abgestempelt!
Aber,(Dieses Böse, böse Wort)

Er hat es auf Euer Vermögen abgesehen. Ihr wisst ja: wenn Euer Neffe tot ist, dann ist er Alleinerbe."
Diese Motiv zum Beispiel, finde ich mittlerweile zu sehr abgegriffen. es stimmt zwar, dass die meisten Morde immer noch aus Habgier geschehen. Aber in so einer Geschichte, die sehr durch deine Phantasie besticht, ist dieses Motiv etwas zu banal!

Das war ja gar nicht Guido, gar kein Mensch, der da an ihrem Bett stand, sondern ein Dämon mit rotglühenden Augen und einem Mund wie ein schwarzes Loch! Es war der Teufel, der leibhaftige Teufel! Er beugte sich gerade über sie. Sein heißer Atem streifte ihr Gesicht. Er sprach zu ihr in einer kehligen Sprache, die sie nicht verstand.
Diese Scene schliest meiner Meinung nach, genau das ein, was ich gerade erwähnte!
Diese erkennen des Teufel in einem mann, ist doch wohl schon sehr abgegriffen.
und einen Denkfehler hab ich auch entdeckt!

Es war eine häufig auftretende Nebenwirkung des starken Schmerzmittels, das Guido ihr besorgt hatte, dass es Halluzinationen verursachte. Als Krankenpfleger wusste Guido das genau, und darauf hatte er spekuliert. Zunächst war seine Rechnung auch aufgegangen.

Auch wenn der Neffe Krankenpfleger ist, wie kann er erahnen, dass diese nebenwirkungen auftreten. Und wenn sie schon häufiger aufgetreten sind, warum war dan die alte Frau überrascht soviele Menschen in ihrer Wohnung zu sehen?
Gut! Sie hat zwar ihren neffen aus Angst angerufen, doch erklärt das nicht alles!
ich glaube kaum, das wen jemand einen mord plant, sich auf etwas eigentlich nicht planbares verlässt!
Und ausserdem, wenn der Neffe schon Krankenpfleger war und sämtliche nebenwirkungen des Präperates kannte, warum hatte er dann keine Ahnung, wie seine Tante reagieren würde. Schlieslich war er es doch, der ihr die Waffe gegeben hat und dann beugt er sich auch noch zu ihr ans Bett!

Also um ehrlich zu sein, haben mir diese Überlegungen, den Gefallen an deiner Geschichte etwas genommen!

 

An Hennaboindl

Mit deiner Kritik an dem Denkfehler hast du in gewisser Weise recht. Es kommt zwar bei dem Plan des Neffen nicht unbedingt auf die Art der Halluzination an, und dass die Tante nichts über die Nebenwirkungen weiss, ist auch nicht ungewöhnlich bei alten Leuten, aber diese Schwachpunkte werde ich trotzdem demnächst "ausbügeln". Vielen Dank für deine Kritik!

 

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