Herzrasen
Mittwoch, 25.04.2007
Schweißgebadet wache ich auf. Mein Herz klopft wie verrückt. Alles ist noch so frisch, so klar. Wie eine offene Wunde.
Es ist dunkel. Nacht. Es ist meine Straße die nach Hause führt. Nur die Laternen erhellen den Gehweg in dieser Nacht. Ich gehe ein paar Schritte weiter, entferne mich von der Party, entferne mich von meinem Zuhause zu dem ich eigentlich gehen will. Die Laternen enden hier. Nur die Pracht des vollen Mondes erhellt meine Umgebung noch. Wieso drehe ich mich nicht um und gehe einfach zurück, nach Hause? Will ich den anderen von der Party nicht begegnen?
Ich gehe bis zum Ende des Gehweges. Ich schau gen Mond. Er wirkt wirklich größer in dieser Nacht. Ich schaue nach links. Ich entscheide mich für diesen Weg. Es ist ein kleiner Umweg, aber genau richtig für mich. Für diese Situation. Für dieses Jetzt.
Er kann mich nicht gesehen haben, das ist unmöglich.
Ich schaue nach rechts. Ich sehe ein junges Paar wie es sich gerade in diesem Moment Arm in Arm zu küssen beginnt. Verlegen schaue ich sofort wieder nach links. Ja, dies ist der Weg den ich gehen will. Ich hole mein Handy raus. Eine neue SMS.
»Hey was geht ab? Samy, mal sehen ob sich das einrichten lässt. Diesmal wird es aber nicht so enden.«
Was meint er mit »diesmal wird es aber nicht so enden«? Wie kommt er auf Samy? Ich habe doch nichts davon erzählt dass ich zu seinem Auftritt gehen will?! Ich drehe mich um, senke meinen Kopf. Ich beginne nachzudenken. Was habe ich in meiner letzten SMS geschrieben? Ich gehe durch meinen Postausgang und suche seinen Namen. Dirk. Nur noch ein Knopfdruck entfernt um das Rätsel zu lösen.
»HEY! WAS GUCKST DU UNS AN?«
Was? Ich klappe mein Handy zu und lasse es in meine Hosentasche verschwinden. Ich drehe mich um. Ein junges Mädchen und ein Typ auf einem Fahrrad kommen auf mich zu. Es ist Lena. Und ihr Freund. Sie waren beide auf der Party. Lena geht nur langsam weiter. Vielleicht ist sie verlegen? Sie taucht in dunklen Schatten ein, scheint darin zu verschmelzen. Der Freund kommt mit ungeheurer Geschwindigkeit auf mich zugerast. Er sieht anders aus. Es ist nicht der Freund den wir vorgestellt bekommen haben. Er sieht ganz anders aus.
»Was spionierst du uns hinterher? Was gibt es da zu gucken?«
Jetzt lehnt er am Gartenzaun mit seinem Fahrrad. Langsam tritt Lena daneben. Wut überkommt mich. Ich kann sie gerade noch bändigen. Ich greife mir seine Brust, packe ihn an seinem Pullover und ziehe ihn zu mich her.
»Du weißt schon, wenn ich ein Türke wär hätte ich dir schon längst eine reingehauen?!«
Ehrfurcht und leichtes Zittern dominieren nun seine so selbstsichere Körpersprache. Ein Hauch von Respekt ist in seinen Augen zu sehen.
»Hey ich wollte nur wissen warum du uns so anguckst?!« Ich und angucken? Keines Blickes habe ich euch gewürdigt. Er kann mich nicht gesehen haben, das ist unmöglich. »Alles easy.« »Alles easy?«, frage ich. »Alles easy.« Langsam lockere ich meine Hand und bin verwundert über diesen schnellen Gemütsumschwung. »Kein Thema«, sage ich und lasse meine Hand langsam gen Boden senken. Kann ja mal vorkommen, höre ich aus meinem Kopf.
Ich drehe mich wieder um und hole mein Handy heraus. Ich spüre wie er mich jetzt mit seinen Blicken und Gedanken durchlöchert, regelrecht aufspießt, wie Bogenschützen die mit ihren Pfeilen mein Fleisch durchbohren. Ich gehe weiter, setze meinen Irrweg fohrt. Vergessen wo ich eigentlich lang gehen wollte. Mein Kopf ist wirr. Was wollte ich noch einmal nachschlagen? Ich bin fast 200m von den beiden entfernt. Ich sehe sie in meinem inneren Auge, wie sie langsam von der Dunkelheit eingenommen werden und mich nur noch als Schatten wahrnehmen.
»HEY! WARTE NOCH MAL KURZ!«, schreit der Typ.
Meine Beine fangen zu rennen an. Wieso ich renne, frage ich mich während meine Beine wie Flügel über den Boden schlagen und mich in windeseile über den Gehweg nach Hause tragen. Es sind nur noch weitere 200m. Doch ich komme keinen Schritt voran. Nur langsam, als hätte jemand den Boden geteert. Mein Atem ist noch gleichmäßig, nur mein Puls etwas erhöht. Ich sehe mich selbst in tiefe Schatten eintauchen, die Gelegenheit mich zu verstecken. Doch warum tuhe ich das? Ich habe niemanden etwas getan, kein Grund mich zu verstecken.
Ich habe kein Bock. Das ist es. Eine lächerliche Ausrede. Ich will nur noch nach Hause und habe keine Lust noch mal mit dem Typen zu diskutieren. Deswegen renne ich. Weg von den Leuten. Geradezu absurd.
Ich sehe den Zaun eines Reihenhauses. Mit einem gekonnten Hechtsprung fliege ich über den Zaun. Mein Glück dass hier keine Hecke steht, von der ich überzeugt war, dass sie hier sonst immer stünde. Ich lande auf einer Schieflage, die mich 2m herunterrutschen lässt. Es ist stockdunkel. Kein Grund mir Sorgen zu machen. Er kann mich nicht gesehen haben, das ist unmöglich. Trotzdem gehe ich geduckt weiter. Ich sehe ein Auto im Garten. Ungewöhnlich, doch einige Nachbarn scheinen das hier zu machen. Nun, eigentlich ist es nur ein Nachbar der das macht. Aber jetzt ein zweiter. Ein neuer Modetrend? Ich höre gedämpfte Schritte näher kommen, dazu Fahrradspeichen die immer lauter werden und die Luft zerschneiden.
»Ich habe doch GPS«, höre ich in seinen Gedanken. »Er hat bestimmt sein Handy noch dabei.« Sofort zücke ich mein Handy aus der Tasche. Klappe es auf und Presse es gegen meine Brust um das Licht zu verstecken. Ich presse meinen Daumen auf die Lautsprecher um die Tastentöne zu dämpfen. Es klappt. Es schaltet sich aus. Diesmal kann ich seinen Schatten regelrecht spüren. Ich weiß dass er in den Garten schaut, mir direkt in meine Augen. Aber er selbst will es nicht wahrhaben. Er sieht nichts als vollkommene Schwärze.
Der Mond leuchtet nun kraftvoller, gibt meinem Feind einen Vorteil. Ich habe keine andere Wahl. Ich trete neben das Auto und gehe in Liegestützposition. Leicht schaue ich nach rechts und quetsche mich unter das Auto. Ich halte meinen Atem an. Ich sehe nun zwei Beine die langsam, nur 30cm vor meiner Nase von link nach rechts gehen. Sie sind klein und dünn, sie müssen einer weiblichen Person gehören. Danach sehe ich ein Reifen, dann einen zweiten. Das bekannte Geräusch des Zahnrades lässt mir eine Gänsehaut aufkommen. Mein Puls erhöht sich drastisch. Mein Herz pumpt wie verrückt. Sie sind weg. Warte. Warte noch eine Sekunde. Wie von Geisterhand sehe ich ihre Schuhe. Nun ein ganzes Bein. Langsam tritt sie von rechts ins Bild. Sie bleibt direkt vor mir stehen. Als könnte sie mich mit ihrem Blicken durchlöchern. Mein Blutdruck erreicht seine maximale Grenze. Mein Herzschlag dominiert mein ganzes Nervenspektrum. Ich schwitze kaum. Mein Mund steht offen. Selbst in meinem Mund spüre ich mein Herz wie wild pumpen, als wolle es meiner Brust entfliehen. »Er muss hier irgendwo sein«, höre ich. Ich wage nicht meine Augen zu schließen. Mit starrem Blick verfolge ich die Szene, nur einen Ausschnitt davon. Nur die Beine, die ich sehe, die mir zeigen in welche Richtung die Probanden gehen.
Langsam entfernen sie sich. Gehen nach links. Treten wieder aus meinem Bild. Ich wage nicht mich zu bewegen. Ich verharre noch einige Sekunden in meiner Position. Einige Meter entfernt sehe ich zwei Beine und zwei Reifen die Straße weiter folgend. Ich schließe meine Augen und wache auf.