Heuschrecken, Barsche, Gnus, Bären, und meine Schwester.
Heuschrecken, Barsche, Gnus, Bären, und meine Schwester.
Solchen Menschen begegnet man bei uns nur auf dem Rummel, ungesunde, bleiche, pickelige Gesichter, die einen aus leeren Augen anstarren, offne Münder, Jeans Fritz Mode, fürchterlich, wirklich fürchterlich. Kein Style.
Das Meer ist nicht weit entfernt, mit der Bahn fünfzehn Minuten vielleicht, aber vergleicht man es mit dem Atlantik ist es ein Witz. Wattenmeer, kannst von Glück sagen wenn du es erwischst, ist nur alle sechs Stunden zu sehen, und Wattwürmer sind wirklich unglaublich aufregend, das kannst du mir glauben.
Ich habe mir gestern eine Flasche Rotwein in die Birne geschraubt, alleine! Ich werde hier noch zur Alkoholikerin, verflixt, du weißt ich haben das Zeug nie besonders gemocht, aber hier, alleine in dieser riesigen Wohnung, in dieser fremden, beklemmenden Stadt in der ich doch niemanden kenne…man hat ja letzten Endes nur sich selbst, und ich war noch nie gut darin, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Aber genug jetzt davon.
Ich bin wütend, ich bin so wütend, ich könnte alles kurz und klein schlagen. Dieser Anwalt, du weißt schon, Herr Tawa, ein zudringlicher Kerl. Bereits am ersten Arbeitstag hat er mich zum Essen eingeladen, ich konnte einfach nicht nein sagen. Man weiß ja nie, vielleicht sind die hiesigen Eingeborenen einfach so gestrickt?
Wir waren bei einem Italiener, der eigentlich aus Sri Lanka kam, und dessen Pizza Mare nicht annähernd so gut schmeckte, wie die in unserem verehrten Inferno in Hannover, diese unsere hässliche Kanibalenstadt an der Peine.
Oh, ich vermisse das Inferno, und die Zivilisation, aber noch vielmehr vermisse ich dich. Nun, ich hab es kurz gemacht, etwas von einem dringenden Termin gefaselt, und bin gegangen.
Sei es drum, vor ein paar Tagen nahm er mich mit zu einem Termin mit einem Mandanten im Nachbardorf, und auf dem Weg dahin, macht er plötzlich einen Umweg. Ich will ihnen etwas zeigen, hat er gesagt. Ehrlich meine rechte Hand war die ganze Zeit in der Manteltasche, und umklammerte das Tränengas. Plötzlich hielten wir, und er zeigte mir sein Haus, wirklich entzückend, aber was soll der Mist? Ich fühlte mich so…so genötigt. Ich bin nicht mal aus dem Wagen gestiegen. Während des Gesprächs mit dem Mandanten, hab ich dann gemerkt, wie nutzlos meine Anwesenheit war, und zum Überfluss wollte mir Herr Tawa auf der Rückfahrt das Meer zeigen, wie er sagte. Ich dachte, ich spinne; Ich sitze in seinem Ungetüm neben ihm, presse meine Lippen aufeinander, verschränke demonstrativ die Arme, sehe aus dem Fenster, und er fragt mich noch, ob er mir das Meer zeigen darf. Nein, habe ich diesmal abgelehnt, ich hab eine Verabredung, und muss wieder nach Hause, weil mein Freund kommt, hab ich gesagt, und den Rest der Fahrt betont geschwiegen. Ich sehe dich schon lachen. Aha, wirst du sagen, deinen Freund wolltest du also treffen? Du hast doch seit einer Ewigkeit, keinen dieser behaarten Affen mehr im Bett gehabt, geschweige denn einen festen Freund. Recht hast du. Seit einer Ewigkeit, seit einem Jahr…lassen wir das…aber was sollte ich tun?
Ob ich jetzt noch übernommen werde, nach den zwei Monaten Arbeit, die er nicht mal finanziert, weiß ich offen gesagt nicht, aber es ist mir gleich.
Nein, ist es natürlich nicht. Als könnte ich dich anlügen. Niemand kennt mich besser als du.
Du weißt genau, wie lange ich arbeitslos war. Ich hab nicht all die Jahre studiert, um als Messehostess oder Kellnerin zu enden, und es tut einfach wieder gut regelmäßig zu arbeiten. Ja, ich weiß du hältst nicht besonders viel von geregelter Arbeit, aber für mich ist das nichts. Arbeit, diese Arbeit als Anwältin bedeutet mir fast alles, auch wenn ich sie in der Kanzlei Wut&Tawa, selbst wenn ich sie in der Hölle verrichten müsste.
Ich sitze neben Herrn Tawa, der heute auffallend einsilbig ist, auf dem Beifahrersitz, seines S Klasse Mercedes, den er silbernen Blitz nennt. Wie originell, nicht? Ich muss dir ein wenig von ihm erzählen. Herr Tawa ist Mitte vierzig, stolzer Träger einer glänzenden Pläte, die von einem braun gefärbten Haarkranz umflort wird, und er trägt fast immer einen hellbraunen
Kordanzug. Auch wenn er einige Defizite im Bereich der sozialen Emphatie aufzuweisen hat, kann man ihn handwerklich solide nennen. Er ist durchaus attraktiv, gut in Schuss würde man sagen, oder gut im Saft, oder fit im Schritt, allerdings nicht mein Fall. Er ist so mehr der Allianz Versicherungs-Typ, du verstehst? Zwinker, zwinker, nichts für mich, ich möchte Löwendompteur werden, du verstehst, zwinker. Aber jetzt das Allerbeste, Tärää: Herr Tawa trägt einen Ehering. Jetzt wirst du fragen, was ist daran besonderes? Die verheirateten Wahnsinnigen, erkennst du an ihren Ringen, völlig normal, nicht?
Ich sag es dir. Gestern hat mir Frau Lippinski, die Renogehilfin von Herrn Tawa, einiges aus dem Leben des Herrn Tawa verraten.
Sie hat gesagt, ganz im Vertrauen natürlich, dass Herr Tawa, vor einem Jahr eine blutjunge, attraktive Frau geheiratet hat. Sie hat ihn überredet mit ihr ein Haus an der Nordsee – besagte Bleibe – zu bauen. Als ihr Domizil fertig war, und seine Frau ein kleines Mädchen gebar, trennte sie sich von ihm, erhielt das Sorgerecht für ihre Tochter, und brannte vor zwei Monaten – jetzt kommt der Hammer – mit seinem Kanzleipartner Dr. Wut nach Mittelamerika durch. Dennoch trägt er den Ehering weiter. Hübsche Geschichte, nicht?
Sei es drum, wir sind auf dem Weg zu einer Mandantin, ich erkläre es dir. Ihr Name spielt keine Rolle. Sie ist Mitte dreißig, und wurde in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie in Hamburg Eppendorf zwangsweise eingewiesen. Du musst dazu wissen, dass man nur zwangsweise eingewiesen wird, wenn eine Gefahr für dritte oder einem selbst ausgeht. Unsere Klientin behauptet nun, dass man sie nur aufgrund eines Missverständnisses eingesperrt hat, dass sie ein rein physisches Leiden hat, welches man mit einem psychischen verwechselt. Es geht also darum ihre Einweisung zu hinterfragen, und sie eventuell heraus zu boxen.
Weißt du noch, als wir Großmutter in der Türkei in der Geschlossenen besucht haben, die Schreie aus den Zimmern, der schlurfende Gang der Menschen, die deprimierenden Zimmer, die gekrümmten, sabbernden Personen? Sie hat uns nicht wieder erkannt, du erinnerst dich sicher noch. Ich habe Angst, Schwester, ich fürchte mich vor diesem Ort.
Wir fahren durch ein bewachtes Eisentor, wo man unsere Papiere eingehend kontrolliert, fahren weiter durch eine anmutige Baumallee, und parken auf dem staubigen Kiesparkplatz vor dem Schlossähnlichen Gebäude.
Ich atme tief durch, und auch Herr Tawa sieht heute mächtig nervös aus. Kommen sie, lassen sie es uns hinter uns bringen, hat er gesagt. Im Eingangsbereich, werden wir erneut gründlich überprüft, gefilzt, und dann einen trostlosen, weiß gestrichenen Flur entlang geführt. Wir betreten einen schlichten Raum, mit vergitterten Fenstern, einem Tisch und drei Stühlen auf Lamynahtboden. An der Wand, neben der Tür, steht ein Bewacher, ein Mensch wie ein Stier, was mich nicht gerade beruhigt. Aus der Ferne hört man ein herzzerreißendes Wimmern.
Wieso starrt der mich so an? Am liebsten würde ich gleich weglaufen, nur raus hier, raus, raus, raus. Aber ich bin Profi, ich kann die Situation beherrschen, geht schon Schwester, ich reiß mich zusammen.
Nach einigen stillen Minuten, während derer Herr Tawa seine Akten zu dem Fall ordnet, und der Stier lieblos in der Nase popelt, öffnet sich die Tür, und die Frau wird hineingeführt. Ich muss ehrlich sagen, ich habe etwas anderes erwartet. Die Frau ist ordentlich gekleidet und frisiert, hat einen entschlossenen Gang drauf, schüttelt uns fest die Hand, kaut lässig ein Kaugummi, und sagt: Kommen wir zur Sache! Sie wollen gegen die Zwangseinweisung vorgehen? fragt Herr Tawa. Ich erinnere mich nicht daran, sie angerufen zu haben, antwortet die kleine Frau. Wir haben doch erst vor zwei Tagen miteinander telefoniert, entgegnet Herr Tawa, und sie haben sich an unsere Kanzlei gewandt. Sie müssten sich doch… Nun? Die Frau antwortet nicht.
Jetzt will ich dir über ihre zweite, neben dem schlechten Gedächtnis, Auffälligkeit berichten. Sie trägt eine wirklich gigantische Schweißerbrille auf der Nase, und über dieser noch zusätzlich eine Sonnenbrille, mit einem goldenen Gestell.
Es ist ein organisches Leiden, meine Augen, verstehen sie? Ein organisches Leiden, verdammt, keiner will mir glauben. Meine Augen, sie brennen, ach sie brennen und glühen, sehen sie das denn nicht? Und die wollen mir hier einreden, dass ich verrückt bin, meine Herren noch mal. Plötzlich, fasst sie mir an die Schulter und flüstert: Die sind böse hier. Passen sie auf, dass sie nicht in deren Fänge geraten. Mir wird heiß und kalt, und mir sträuben sich die Nackenhaare, bei ihrer Berührung. Der Gedanke hier gefangen zu sein, eingesperrt zu sein, der Willkür von fremden Menschen ausgeliefert zu sein, bringt mich einen Moment aus dem Ruder, und ich reiße meinen Arm ein wenig taktlos, und unwirsch weg. Wir versprechen ihr, dass wir uns um ihren Fall kümmern, und dass sie von uns hört. Ich werde mich um ihren Fall kümmern, ruft ihr Herr Tawa zum Abschied hinter her. Als die Frau hinaus geführt wird, dreht sie sich nach mir um, und fragt; Haben sie ihr Handy dabei? Dann ist sie draußen.
Mein Handy habe ich im Wagen gelassen, denn überall wurde uns gesagt, dass das Mitführen eines Handys in den geschlossenen Teil der Psychiatrie strengstens verboten ist. Als wir wieder vor der Tür im Flur stehen, beugt sich Herr Tawa zu mir hinunter, und flüstert mir ins Ohr. Sie haben es nicht dabei, nicht? Also ich verstecke meines immer in der Unterhose, wenn ich hier hin muss. Stellen sie sich vor... Er grinst, als er das sagt. Und ich weiß genau was er meint. Wenn man mit einem Teil seiner selbst in diese Maschinerie gerät, die einen langsam in sich hinein zieht, und aus der es kein Entrinnen gibt, und du kannst keine Hilfe rufen. Stell dir vor...
Es kommt noch schlimmer. Jetzt wird Herr Tawa von dem zuständigen Arzt, zu einem Gespräch gebeten. Bleiben sie ruhig sitzen, Fräulein, hatte der Arzt gesagt, es geht ganz schnell, also blieb ich allein im Gesellschaftsraum. Neben mir sitzt eine steinalte Frau und schnarcht. Mir gegenüber sitzt ein Mann dessen Alter ich aufgrund seines Bartes nicht einschätzen kann. Er trägt einen Trainingsanzug von Bayern München, und neben sich steht ein Kasten Claustaler Alkoholfrei. Während er mich anstarrt, öffnet er eine Flasche mit seinen gelben Zähnen. Dann führt er sich die Flasche tief in den Hals, und lässt das Bier in einem Zug die Speiseröhre hinunter gluckern. Wie ein Pelikan, der seinen Kopf in die Höhe streckt um sich den Fisch den er gerade gefangen hat in den Hals gleiten zu lassen. Ich bin erstaunt. Plötzlich, sieht an er die Decke hinauf und schreit: Mama! Ich sehe mich um, aber kein Pfleger ist in Sicht. Unterdessen ruft der Mann immer lauter nach seiner Mutter. Langsam wird mir unwohl. Wo bleiben denn Herr Tawa, und dieser merkwürdige Arzt, der mich so altbacken Fräulein genannt hat?
Jetzt schweigt der Pelikan wieder, und ist in sich zusammengesackt. Ich stehe auf, und wandere im Zimmer umher. Jetzt eine Zigarette, mein Gott, ein Königreich für eine Zigarette. Unerwartet beginnt die alte Frau zu jammern, nur kurz, und das Jammern verwandelt sich rasch in ein röchelndes, asthmatisches Luft holen. Das Röcheln klingt immer mehr nach dem Grunzen eines Gnus im aussichtslosen Überlebenskampf gegen einen Alligator, und wird zunehmend lauter. Hallo rufe ich die leeren Flure entlang. Hallo, ist hier jemand? Die alte Frau hat einen Herzinfarkt, oder so etwas. Hilfe, rufe ich, ist denn hier niemand? Hiiilfe! Hallöle?
Meine Rufe, verhallen in den Fluren, und nirgends ist ein Mensch zu sehen. Was sind denn das für Verhältnisse? frage ich mich, renne zu der alten Frau, und versuche sie zu beruhigen. Keine Angst, sage ich, machen sie sich keine Sorgen, es wird sicher jemand kommen, und ihnen helfen. Hiiilfe! Da packt mich die Alte plötzlich mit einer Hand am Arm, mit einer Stärke die ich dieser lebenden Gnuleiche nicht zugetraut hätte, und schüttelt mich durch, während ihre triefenden Augen durch mich hindurch zu starren scheinen. Ich beginne zu schwitzen, und ich versuche mich loszureißen, habe aber Angst, ihr dabei weh zu tun. Ich kann hören, wie schnelle Schritte näher kommen, und rufe, kommen sie schnell, bitte helfen sie mir. Plötzlich stehen zwei Bären von Pfleger rechts und links von mir. Was machen sie da mit der armen, alten Frau? fragt mich der Bär mit der Narbe an der Nase und löst den Griff der Alten, der sich ruckzuck und ohne Widerstand lockert und mich freigibt. Was heißt denn hier, was machen sie mit der alten Frau? Was macht die mit mir, muss es da wohl heißen. Ich kaue an meinen Fingernägeln, und denke: wie lange habe ich das nicht mehr gemacht?
Wer sind sie denn eigentlich, fragt der Bär ohne Narbe, aber mit einer Glatze. Fuck, rufe ich, und ordne meine Kleidung, während mir vor Zorn und Hilflosigkeit die Tränen in die Augen schießen. Kein Grund zu fluchen, sagt der Glatzenbär in seiner weißen Pflegerkleidung. Also, wer sind sie, und was machen sie hier? fragt er wieder.
Ich hatte hier einen Termin mit einer Mandantin. Mein Partner ist gerade in einem Gespräch, mit einem ihrer scheiß Chefärzte, ihr geht mir so langsam auf den Zeiger. Ich verliere allmählich die Kontrolle, und mein Mund ist trocken. Haben sie ein Glas Wasser? frage ich.
Soso, sie sind Anwältin, verstehe ich das richtig? Ich denke, spinnt denn der? Geben sie mir was zu trinken, sage ich, und allmählich überschlägt sich meine Stimme. Mein Gott, in was für Situationen gerate ich hier immer wieder?
Kein Grund laut zu werden, sagt der Glatzenbär, und fasst mir an den Ellenbogen. Ich reiße mich los. Nanana, sagt der Narbenbär, jetzt aber nicht gewalttätig werden, gute Frau. Jetzt packen mich beide Bären an den Ellenbogen. Kommen sie einfach mit uns, und alles wird gut, Frau Anwältin.
Ich reiße mich erneut aus ihrem Griff. Die vier Jahre Karatekurs haben einiges hinterlassen, und ich kann mich fast aus jedem Griff befreien, wenn ich will. Beruhigen sie sich, sagt der Glatzenbär, dann wird alles wieder in Ordnung kommen. Kommt mir nicht zu nahe, schreie ich, bleibt mir bloß vom Leib. Ich nehme einen Stuhl und halte sie damit auf Distanz. Einer der beiden spricht in ein Funkgerät: Zentrale, haben hier auf der Eins einen Typ Rot, brauchen Unterstützung.
Narbenbär greift mich an, aber ich fasse seine Rechte Hand, ziehe ihn zu mir, drehe seinen Arm nach Außen, und verpasse ihm mit meinem Ellenbogen einen Schlag auf das Schlüsselbein. Er sackt zusammen, und ich gehe in Abwehrstellung. Hören sie, sage ich zu Glatzenbär, ich will nur raus hier, nur einfach raus, nach Hause und zu meiner Arbeit. Rufen sie Herrn Tawa aus, und er wird alles bestätigen. Schlampe, knurrt, Glatzenbär, jetzt bist du fällig. In diesem Augenblick, stürmt ein ganzes Rudel von Bären in das Zimmer, und überwältigt mich. Ich spüre eine Injektion im Arm. Lasst mich los, rufe ich, lasst mich…los. Ich schlafe ein.
Meine Augenlider sind schwer wie Blei, genauso meine Arme und Beine. Ich träume, denke ich, und irgendwie fühle ich eine gewisse Heiterkeit in mir aufkommen. Ich öffne die Augen zu kleinen Schlitzen, aber meine Umgebung ist nur unscharf zu erkennen. Einen blöderen Traum, denke ich mir, kann es nicht geben. Wenn schon, dann doch bitte gestochen scharf, und in Technicolor, oder? Ich schließe wieder die Augen, und fühle mich wohl. Muss wohl noch etwas dauern, bis der Wecker klingelt. Ich fühle mich wie damals, als ich klein war und dieses Fieber hatte, und als meine Eltern mich ganz fest in eine Decke gewickelt hatten, in der ich mich sicher und aufgehoben fühlte. Ich falle wieder in einen Schlaf, und sehe mich kämpfen, in einem Karateanzug gegen Bären, die ebenfalls in weißen Anzügen stecken, jedoch nicht in Karateanzügen. Ich lächele, und gebe mich dem Traum hin. Ich öffne die Augen, und bin einen Moment verwirrt. Das ist nicht mein Zimmer. In meinem Zimmer hängt keine Leuchtstoffröhre an der Decke, die Fenster sind nicht vergittert, die Wände nicht gepolstert, und ich stecke wirklich niemals in einer Zwangsjacke. Jetzt kommt die Erinnerung wieder, und mich packt das schiere Entsetzen. Ich schreie, ich kreische, ich zerre an der Zwangsjacke, aber das einzige was passiert ist, dass ich aus dem Bett falle, und nun auf dem Bauch, auf dem Boden liege. Ich krieche wie eine Schlange zur Tür, und schlage immer wieder meinen Kopf gegen die Polster.
Nicht weinen, denke ich, bloß nicht weinen jetzt. Du musst einen klaren Kopf behalten. Jetzt mehr denn je. Außer dem Sirren der Leuchtstoffröhre ist kein Laut zu hören. Ich bin allein mit meinen Gedanken. Ich werde wütend. Ich mach euch alle, schießt es mir durch den Kopf.
Wenn ich hier raus bin, ziehe ich euch alle zur Rechenschaft, das wäre doch gelacht. Ich stelle euch alle an die Wand. Die Hausleitung, die Bären, und Herrn Tawa. Ich stehe nun über dem Gesetz, ihr habt es nicht anders gewollt.
Den Rest der Stunden – Tage? – liege ich auf dem Bauch vor der Tür und brüte über meine Rachegedanken. Dann, ich habe längst das Zeitgefühl verloren, höre ich Schritte, und die Tür öffnet sich nach Innen, wobei sie mich am Kopf trifft.
Ich kann nicht hochsehen, aber an der Stimme erkenne ich ihn wieder: Der Glatzenbär steht vor mir, und macht keinerlei Anstallten mir hoch zu helfen.
Na, wen haben wir denn da?
Hören sie, sage ich, ich möchte einen Arzt sprechen, das ganze ist ein Missverständnis. Als erstes möchte ich sie bitten, mich von dieser Jacke zu befreien.
Helmut liegt mit einem gebrochenem Schlüsselbein im Krankenhaus, antwortet der Glatzenbär, Helmut ist mein bester Freund. Ich will jetzt einen Arzt sprechen, nun machen sie schon, sonst klage ich sie kaputt, ich mach dich fertig Alter, mit dir ist es vorbei, wenn ich erstmal mit dir durch bin, verstehst du? Du Wichser, lass mich frei. Glatzenbär wendet, ohne ein weiteres Wort, und die Geräusche des abschließenden Schlüssels sind das letzte, was ich von ihm höre. Auf dem Bauch schlafe ich ein. Als ich später wach werde, liege ich wieder im Bett, und nichts hat sich an meinem Zustand verändert. Verstehst du? Ich muss an den Grafen von Monte Christo denken, den gleichnamigen Helden aus Alexander Dumas weltberühmtem Abenteuerroman, welches ich mit sechzehn verschlungen habe. In diesem Moment öffnet sich die Tür und zwei Ärzte betreten den Raum.
Sie stellen sich neben dem Bett auf. Die Frau, die aussieht wie eine Heuschrecke, spricht zu dem Mann der wiederum das Gesicht eines Barsches aufzuweisen hat. Dr. Teber, wieso haben wir keine Akte über diese Frau? Ich muss mich schon sehr wundern, wie hier die Geschäfte laufen. Das muss sich ändern. Aber nun, dafür bin ich ja jetzt da, nicht? Ich kann mir das auch nicht erklären, Dr. Dinkal, antwortet der Barsch. Sie reden, als wäre ich gar nicht im Raum.
Hallo, sage ich, Hallo, hier bin ich. Bitte rufen sie Herrn Anwalt Tawa aus Heide an. Ich bin seine Partnerin, und das Ganze ist nur eine schlimme Geschichte, eine Verwechslung, ich meine ein Missverständnis…bitte…
Sie sehen von oben herab auf mich hinunter. Ihre Gesichter sind voller Mitleid.
Wir verstehen sie ja, sagt die Heuschrecke. Aber sie müssen jetzt kooperieren, klar? Ein wenig mitarbeiten, dann geht es ihnen bald besser, o.k.?
Mir geht es bestens, sage ich, bestens, verstehen sie? Gelegentlich zwickt es mir im Rücken, aber das ist schon alles. Ein klitzekleines Rückenleiden, nicht der Rede wert, und kein Grund mich hier einzusperren. Was sie hier mit mir anstellen, wird sie ihre Zulassung kosten, das verspreche ich ihnen, und jetzt holen sie Herrn Tawa herbei. Der Barsch wendet sich zur Heuschrecke. Kooperativ kann man das nicht nennen, sagt er. Nein, wirklich nicht, antwortet die Heuschrecke, während sie sich bereits abwenden. Ich höre noch den Barsch sagen: Wir sollten uns über die Medikation unterhalten, und ihr gewalttätiges Verhalten dabei berücksichtigen, was sagen sie? Bestens!
In den folgenden Tagen, immer wieder dasselbe Spiel. Glatzenbär, betritt den Raum, füttert mich, und hilft mir bei den anderen Bedürfnissen.
Dabei sagt er kein einziges Wort, während ich jeden Trick erprobe, um ihn zu einer Reaktion zu bewegen. Kein Erfolg, er schweigt wie das Grab des Propheten. Dann, eines Tages – ich weiß wirklich nicht welches Datum wir haben, wie spät es ist, wie lange ich schon hier liege – öffnet sich die Tür. Herr Tawa steht vor meinem Bett. Ich schluchze, ich weine bitterliche Tränen der Gefangenschaft. Herr Tawa, sage ich, mein lieber Herr Tawa, endlich sind sie da. Bitte klären sie die Leute auf. Helfen sie mir, befreien sie mich. Herr Tawa setzt sich zu mir ans Bett, und umarmt meinen Larvenartigen verpackten Körper. Ach, sie ist nicht wiedergekommen, sie ist einfach nicht wiedergekommen. Jetzt liegen sie bestimmt irgendwo auf den Seychellen am Strand und geben ihre Körper der Sonne hin. Ich brauche einen Moment um zu realisieren, wovon Herr Tawa redet. Seine Frau, verflucht, er redet nur von seiner Ex. Aber sehen sie, da der Ring, sagt er. Ich werde ihn immer weiter tragen, bis sie wieder zurückkommt, bis alles wieder so wird wie Früher, und das sich daran nie wieder etwas ändert. Er sieht mich fragend an. Sicher, sage ich, alles wird wie früher, Herr Tawa, aber bitte helfen sie mir hinaus. Plötzlich lässt er meinen Körper wieder auf das Bett fallen. Ihr seit alle gleich, zischt er, und zittert am ganzen Körper. Von seiner Glatze perlt Schweiß. Immer denkt ihr nur an euch selbst. Was mit den anderen wird interessiert euch nicht. Ihr seid alles Schlangen. Oho, falsche Schlangen seid ihr, kreischt er plötzlich, oho, mich kann man nicht täuschen. Aber Herr Tawa, beruhigen sie sich doch, so beruhigen sie sich doch, rufe ich ihm zu. Herr Tawa nimmt sich zusammen, richtet seine Kleidung und sein Haar, gibt ein Zeichen das er hinaus will, und sagt: Ich werde mich um ihren Fall kümmern. Und wie ich mich um ihren Fall kümmern werde.
Sie hören von mir, sagt er, und wiederholt damit, was er auch der Frau mit der Schweißerbrille gegenüber gesagt hatte, geht und lässt mich in meiner Verzweiflung zurück. Schwester, wenn du mich hören könntest, du würdest den Laden in die Luft sprengen, nicht? Du würdest mich befreien, für mich würdest du die Sonne stillhalten, und das Eis der Arktis schmelzen, das würdest du für mich tun. Ich weiß es.
Später betreten wieder die Heuschrecke und der Barsch meine Zelle. Sie reden über mich, aber nicht mit mir. Mit wem redet diese Frau eigentlich immer? fragt der Barsch. Ist ihnen das denn jetzt erst aufgefallen, Herr Dr., antwortet die Heuschrecke. Selbstgespräche, Echolallie, Gewaltausbrüche, Wahnvorstellungen… Sie redet mit ihrer Schwester. Im Gegensatz zu ihnen war ich in der Zwischenzeit nicht untätig. Ich weiß jetzt ihren Namen und ihre Herkunft. Sie hatte eine ältere Schwester, aber die ist bei der Geburt gestorben. Das arme Ding. Sie wissen worauf das hindeutet? Der Barsch nickt, wobei er bei der Bemerkung mit der Untätigkeit etwas rot im Gesicht wurde. Ich weiß, sagt er und blickt mich mitleidig von Oben herab an.
Sie gehen, Schwester, sie gehen, aber das macht gar nichts. Ich fühle mich jetzt wohl. Jemand kümmert sich um mich, und in den letzten Tagen sind wir uns näher gekommen. Du und ich, Schwester, du und ich, wir sind uns jetzt ganz nah…