Heute groß werden
"Sich den Hut oder die Jacke putzen, kann ich ja noch verstehen" dachte Jeff und schweifte mit einem abwertenden Blick über den Boden des U-Bahnhofes. Es war 18.44 Uhr, die Bahn fuhr im Dreiminuten-Takt. Das Gleis war voll mit wartenden Menschen. Jeffs Augen waren immer noch auf das Schuhwerk der Wartenden gerichtet. Er zählte die Glänzenden und die Matten, die Braunen und die Schwarzen. Fast alle blitzten irgendwie. Jeff kniff die Augen, um ein Gefühl des Erblindens zu simulieren. "Jeder Einzelne trägt 30 bis 60 Kilogramm Menschenfleisch" rechnete er sich vor und schüttelte mit dem Kopf. "Das einzige Kleidungsstück, das noch jeden Tag den Urkontakt zur Mutter Erde pflegt, das drei Zentimeter Sohle zwischen uns und unsere staubigen Vorfahren bringt...und ausgerechnet dieses Stück Leder soll immer sauber und ordentlich sein?" Jeff zischte laut und erregte so kurz die Aufmerksamkeit eines wartenden Mannes, der sich aber in der selben Sekunde wieder seiner Zeitung widmete. "Diese ganzen Anzugträger aus der Teppichetage fahren wieder für drei Stunden zu ihren Frauen bis dann der nächste Tag als Kostenknecht beginnt. Merken die noch was? Und dann diese lächerlichen Schlipse. Es gibt keinen Gegenstand, der einen Menschen mehr vom Mensch sein entfernt, als ein Schlips. Ein nutzloser Strich, der um das sensibelste Körperteil gewickelt ein gefundenes Fressen für jeden unserer Feinde darstellt. Ein bitteres Zeugnis der Unterwerfung des Menschen unter die unsichtbare Hand, die dich von Karrierepunkt A zu Karrierepunkt B bringt und schließlich ins Grab schubst." Nach dem letzten Gedanken fühlte sich Jeff wieder besser. Dennoch schüttelte er auch beim Einsteigen in die Bahn weiter den Kopf. Er griff, wie immer, nach der mittleren Stange im Stehbereich der Bahn und schaute sich um. Er hatte alle Fahrgäste gut im Blick. So mochte er das Bahnfahren.