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Heute retten wir...

Seniors
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19.01.2004
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Heute retten wir...

Dienstag.
Über der Landsbucker Allee bläut ein klarer Sommerhimmel, als Rentner Erwin Kalles kleinen Lebensmittelladen an der Ecke betritt.

»Moin Erwin.«
»Moin Kalle.«
»Wo hast'n deine bessere Hälfte gelassen?«
»Erna is in der Apotheke drüben bei Schmidtlers.«
»Wird doch wohl nich krank sein? Bei dem schönen Wetter!«
»Nee nee, keene Angst, Kalle. Is nur wegen die hungernden Kinder in der Saharara-Zone.«
»Wegen was?«
»Na, die Kinder drüben in Afrika. Mensch, ditt kennst'e doch, Kalle!«
»Und? Kapier ich nich. Wat hat dis denn mit der Apotheke vom Schmidtler zu tun?«
»Na, wegen dem Fernsehbericht von gestern Abend!«
»Wat fürn Fernsehbericht? Gestern kam doch Fußball auf ZDF.«
»Aber meine Frau wollte doch diesen Fernsehbericht kiecken.«
»Na und?«
»Nix: na und! Da haben se gesagt, dass in der Sahala-Zone täglich zehntausend Menschen verhungern! Und über einen Millionen Kühe und Ziegen und so. «
»Warum essen die dann nicht die Kühe und Ziegen? Ich meene, die sind doch eh tot.«
»Keene Ahnung, Kalle. Aber die haben da och nischt zu trinken, haben se im Bericht gesagt. Und außerdem sind die da unten alle bazillenverseucht. Haben die Scheißerei und wat wees ich noch alles.«
»Schlimm schlimm!«
»Ja, genau. Und deswegen hat meine Erna gesagt: wir müssen wat unternehmen! Sie meint, jetzt wo der Willi ausm Haus is, haben wir sowieso genug Zeit und nischt weiter vor. Und deswegen sind wir gleich heute früh rumgefahren und haben angefangen, was dagegen zu tun.«
»Und was wollta dagegen tun, Erwin?«
»Na, zuerst warn wa natürlich auf der Bank und haben wat gespendet. Dat is gut, hat Erna gesagt, weil dann der Willi die Quittung von der Steuer absetzen kann.«
»Is klar.«
»Und jetzt sind meine Frau und ich unterwegs, um de nötigen Besorgungen zu machen. Erna klappert alle Apotheken ab und kauft Vitamin C, Kamilletinktur und Magenbalsam und n Haufen so Zeug, was gesund ist für de Afrikaner. Und ich soll den Rest holen.«
»Was willste denn haben, Erwin?«
»Na, Konserven und so. Wat hastn da? Suppen wärn gut. Muss aber ohne Rind sein. Da fällt mir ein, wie viel Mineralwasser hastn hier, Kalle?«
»Fünfzehn Kästen hinten im Lager. Is aber nur Medium!«
»Egal. Erna sagt, ich soll alles koofen. Die sollen sich halt da unten nich so anstellen.«
»Genau.«
»Kannste mir de Kästen schon mal rausstellen lassen, Kalle? Ich hab nich soviel Zeit.«
»Wieso'n?«
»Na, de Erna sagt, dass wir noch die zwanzig Briefe an de Kinder schreiben müssen.«
»Wat für Briefe? Ich dachte euer Willi wohnt draußen in Schmelle. Und wieso denn zwanzig?«
»Na, wegen de afrikanischen Patenkinder! In der Bank lagen so Broschüren rum. Erna hat jede mitgenommen, die da war, und gleich ma angerufen und uns überall eintragen lassen.«
»Meine Güte, zwanzigfache Vaterschaft! Und das in deinem Alter, Erwin.«
»War och erstaunt.«
»Na jut, Erwin. Dis mit de Kästen geht klar. Musste dir von hinten vom Lager abholen. Und de Konserven pack ich dir och noch ruff.«
»Allet klar, Kalle. Denn bis morgen dann.«
»Gut. Bis morgen, Erwin.«

***

Mittwoch.
Kleine Wattewölkchen treiben gemütlich über die Landsbrucker Allee hinweg. Rentner Erwin ist mal wieder zu seinem Kumpel Kalle unterwegs.

»Moin Erwin.«
»Moin Kalle.«
»Und? Wat machen deine hungernden Kinder in Afrika?«
»Keene Ahnung. Negerkinder waren gestern. Heute retten wir die Wale!«

 

Hi Hagen!

Mein erster Kritik-Ausflug in Satire, also nicht zuviel erwarten. ;)
Ich gehe mal davon aus, dass du diese ganze Spendensache kritisch beäugt hast. Das war mE nach gut verpackt (alte-Menschen-mäßig gesehen).

Und wieso denn zwanzig?«
»Na, wegen de afrikanischen Patenkinder! In der Bank lagen so Broschüren rum. Erna hat jede mitgenommen, die da war, und gleich ma angerufen und uns überall eintragen lassen.«
»Meine Güte, zwanzigfache Vaterschaft! Und das in deinem Alter, Erwin.«
»War och erstaunt.«
Hehe

Sollte das der Berliner bzw. Brandenburger Dialekt sein? Da würde ich dann noch mal überarbeiten.

Mir hats gefallen

Gruß

 
Zuletzt bearbeitet:

Hy Flashybaby (<-das sieht jetzt aber irgendwie nach "Flaschenbaby" aus :hmm:, soll aber amerikanisch cool rüberkommen) :D

Mein erster Kritik-Ausflug in Satire
Passt ja: mein erster als Autor :)

diese ganze Spendensache kritisch beäugt hast
Das und der ganze Aktionismus, der die Menschen bei sowas immer wie eine 24h-Grippe befällt :) Aber gut, dass es rübergekommen is.

Sollte das der Berliner bzw. Brandenburger Dialekt sein? Da würde ich dann noch mal überarbeiten.
Jupp die entschärfte Unterere-Mittelschicht-Version. Abändern? In welche Richtung?
Noch stärker, dann versteht's doch keiner mehr süd-westlich der Spree :)
Aber ohne Dialekt sind mir die Prots einfach zu intelektuell.

Mir hats gefallen
Das ist die Hauptsache :D

Danke und gruß
Hagen

 

Hi Hagen,

hat mir gut gefallen, wie du diese "Inflation der Not" rübergebracht hast.
Heute sind "Negerkinder" in, morgen die Wale.

Man will irgendwo helfen, weiß aber nicht, wo anzufangen. :shy:

Stimmt mich sehr nachdenklich der Text, obwohl er ja eigentlich lustig ist. So sollten Satiren sein.

Also, gelungener erster Ausflug. :)

Gruß

MisterSeaman

 

Jupp die entschärfte Unterere-Mittelschicht-Version. Abändern? In welche Richtung?
Na auf jeden Fall solltest du ick anstatt ich schreiben. Alle Vorsilben mit ge- könnten (wenigstens ab und zu) durch je- ersetzt werden; jesagt, jekooft.
Oder lass einfach den Getränketypen total berlinern, als Ausgleich sozusagen. Da könntste denn ooch noch n paar wa einbauen, wa? Ick meene dit dürfte ja keen Problem darstellen, wa? Natürlich immer in Grenzen halten, sonst wird das noch nach Mundart verschoben, hehe.

Ansonsten sind noch einige kleinere Fehler drin.

an de Kinder schreiben müssen
Naja, das war jetzt der einzige den ich gefunden habe. Da hattest du ja vorher noch ein ? hinterstehen, hast wohl das n mitwegrationalisiert, was?

Gruß

 

@alle bisherigen Kommentatoren
Schön, dass mein Erstlingstext hier bisher ganz gut ankommt. Das gibt mir Kraft für meine weitere satirische Zukunft.


@Mr Seaman

hat mir gut gefallen, wie du diese "Inflation der Not" rübergebracht hast.
Und mir, dass du es richtig verstanden hast :D

So sollten Satiren sein.
Deshalb hab ichs ja auch so geschrieben ;)

Also, gelungener erster Ausflug.
Habt Dank edler Reisender :D

@Prozac
Wir auf in den brandenburger Landen sprechen genau so ein verwaschenes Berliner Hochdeutsch. Ob ichs noch änder, überleg ich mir ;)


@kraM

die geschichte war insgesamt ganz lustig,
Das hoffte ich
und am ende sogar noch einkleiner ..ich sag mal gag...zu nachdenken
Jupp

der der geschichte einen tieferen sinn gibt
Jupp

sowas finde ich nich schlecht muss sagen
Dito

vor allem liest es sich schnell
Jupp

schließlich sind es kurzgeschichten
Jupp

:D:D:D
Danke für das Lob


gruß
Hagen

 
Zuletzt bearbeitet:

»Wat fürn Fernsehbericht? Gestern kam doch Fußball auf ZDF.«
Das Volk der Dichter und Denker.

»Warum essen die dann nicht die Kühe und Ziegen? Ich meene, die sind doch eh tot.«
»Keene Ahnung, Kalle. Aber die haben da och nischt zu trinken, haben se im Bericht gesagt. Und außerdem sind die da unten alle bazillenverseucht. Haben die Scheißerei und wat wees ich noch alles.«
»Schlimm schlimm!«
lol - Erst beim Stichwort "Scheißerei" reicht die Phantasie aus, um Mitgefühl auszulösen.


»Fünfzehn Kästen hinten im Lager. Is aber nur Medium!«
»Egal. Erna sagt, ich soll alles koofen. Die sollen sich halt da unten nich so anstellen.«
»Genau.«
:thumbsup:

Jou, oben die Stellen, die mir am besten gefielen - ein sehr lebendiger Dialog, dem Volk aufs Maul geschaut - also gute Satire im Polt'schen Sinn.

Dennoch eine Kritik:

»Keene Ahnung. Negerkinder waren gestern. Heute retten wir die Wale!«
Der Satz "ist es irgendwie nicht" als Abschluss; ich kann dir nicht genau sagen wieso, aber er erscheint mir nicht punktgenau oder auch nicht stimmig zum Rest; vielleicht ist das "Negerkinder" zu hart; vielleicht sollten die Kinder gar nicht mehr explizit vorkommen? In der Art: "Weiß nicht, wir müssen ja seit gestern die Wale retten und da ham wir einfach nicht mehr die Zeit für die vielen Afrikaner". In der Richtung wärs nicht so hart, sondern eben völlig beliebig.
Die Saharara-Zone ist aber gewollt, oder?

 

@FlicFlac

Das Volk der Dichter und Denker.
... wie es leibt und lebt :D

also gute Satire im Polt'schen Sinn.
Da gibts nen Begriff für? :eek: Da werd ich mir mal von dem Herrn(Frau?) irgendwas anschauen müssen. Mir gefällt sowas ;)

aber er erscheint mir nicht punktgenau oder auch nicht stimmig zum Rest; vielleicht ist das "Negerkinder" zu hart;
Ne find ich nicht. Sicherlich kommt das "Neger" ziemlich plötzlich und auch sehr hart. Aber das ist genau die Stelle, wo laut Lakitas Definition, dem Leser das Lachen im Hals stecken bleibt. Der Prot entlarvt dort sich und seine halbseidenen Ambitionen.


ein Dank von meiner Stelle an deine Stelle :D
Gruß
Hagen

 

Gerhard

Da gibts nen Begriff für? Da werd ich mir mal von dem Herrn(Frau?) irgendwas anschauen müssen. Mir gefällt sowas.

Ja, besorg dir seine kurzen Szenen; z. B. "Da schau her" (Gerhard Polt); dem Volk aufs Maul geschaut - der Mann musste nicht mehr viel hinzu dichten...

 

Hallo Hagen,

deine Geschichte gefiel mir sehr gut bis zu den ***, danach sackte sie für mich ab.
Das war irgendwie zu plump.

Da ich Berlin nur als Besucherin kenne, halte ich mich bei den Dialekt-Diskussionen diskret zurück; verstehen würde ich als Süddeutsche aber schon noch eine Ecke mehr ;) unterschätz' uns mal nicht...

Gute Idee, diesen Kurzzeitspendenwahn zu thematisieren: Gelungen, finde ich, bis eben auf das Ende...

Liebe Grüße
bernadette

 

Moin!

Das Ende resp. den letzten Satz würde ich genau so lassen. Das ist genau jene Art von krassem Zynismus, der leider nur noch von der Wirklichkeit selbst regelmäßig übertroffen wird. Und in diesem Fall hebt er für mein Empfinden den Text vom Blabla-Niveau in die bissigeren Regionen. Der Satz traut sich was, bringt auf den Punkt, und das gefällt mir. So wie auch der Text an sich. Hab's gern gelesen! ;)

Gruß,
Horni

 

@Bernadette und Horni

Danke für das Lob. Schön, wenn's euch gefallen hat :) (auch wenn sich in diesen Satz unbedingt noch ein "nur" mit einschleichen will)

Bei dem Punkt mit den "Negerkindern" verweise ich auf Hornis Antwort und zitiere mich frecherweise noch mal selbst:

Sicherlich kommt das "Neger" ziemlich plötzlich und auch sehr hart. Aber das ist genau die Stelle, wo laut Lakitas Definition, dem Leser das Lachen im Hals stecken bleibt. Der Prot entlarvt dort sich und seine halbseidenen Ambitionen.
:D


Grüße
Hagen

 

Hi Hagen,

nachdem ich die Geschichte einen Tag später nochmal las, änder' ich meine Meinung dahingehend, dass der Schluss doch eigentlich genau passend ist.

Beim ersten Lesen habe ich mir (zu realistisch, wie ich meist bin) einfach diese ganzen Berge von organisierten Sachen vorgestellt (wo stellen die die nu alle hin? :D) und dann diese Antwort von Erwin...
Aber Satire soll ja nicht harmonisch enden; von daher mein Sinneswandel.

Lieber Gruß
berna

 

cool! endlich mal eine Geschichte die nur aus einem dialog besteht welche mir gefällt

 

@frido

Ja, gefällt mir auch der Dialogstil.
Ich sollte mich vielleicht nochmal an ner Satire versuchen. Vielleicht irgendwas über Fleischesser oder so

Grüße
Hagen

 

Hallo Hagen,

die Geschichte und die Pointe ist dir meiner Meinung nach gelungen. Fand die Satire klasse. Du bringst es zynisch genau auf den Punkt. Gefällt mir wirklich gut.

Was mir nicht so gefallen hat war der Dialekt. Dadurch liest sich die Geschichte mMn sehr schwer. Hätte es einfache Umgangssprache nicht auch getan? Oder wolltest du durch den Dialekt irgend etwas im Speziellen erreichen?

Die Überschrift ist auch sehr passen gewählt... Nur mal so...

Also weiter so..

viele Grüße
neukerchemer

 

Also alles in allem finde ich die Geschichte, das sage ich wirklich selten, einfach nur genial, schön knapp und richtig zum Weglachen. Klasse! :)

"Heute retten wir die Wale"... super Pointe!

Liebe Grüße,
Sebastian

PS: Sorry, dass der Kommentar nicht sonderlich konstruktiv ist, aber Lob tut sicher auch gut ;)

 

Hi

@neukerchemer

Fand die Satire klasse
Danke
Hätte es einfache Umgangssprache nicht auch getan?
Nein, die wirkte mir einfach viel zu intellektuell. Ich wollte es ein wenig volksnäher.


@sebastian

einfach nur genial
Ebenfalls ein "danke" an dich.
Sorry, dass der Kommentar nicht sonderlich konstruktiv ist, aber Lob tut sicher auch gut
Das tut es :) Aber wärst du so nett und löschst die Pointe wieder aus deinem Posting. Manche Leser(Ja ich gestehe! Ich mach das auch) haben die schlechte Angewohnheit und lesen die Kommentare vor den Stories. Danke


Liebe Grüße
Hagen

 

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