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Heute
"Es tut mir leid..."
Doch sie blieb stumm. Ihre Augen verharrten mit einer gewissen Leere auf einem bestimmten Punkt. Sie wirkte gedankenverloren.
"Ich liebe dich...nur dich..."
Sie schwieg beharrlich, mit dem Rücken gegen die flauschige Senkrechte des Sofas gelehnt und starrte weiter regungslos auf diesen ihm nicht bekannten Punkt.
"Sag doch was...oder schau mich wenigstens an!"
Sie war der Inbegriff von Perfektion. Ihr zartblasser Teint wäre im Mittelalter als königlich bezeichnet worden, ihre riesigen Augen erschienen fordernd, beinahe schreiend und ihre Lippen waren lasziv einen kleinen Spalt weit geöffnet.
"Du machst mich wahnsinnig, wenn du nur so vor dich hinstierst!"
Doch das änderte nichts an ihrer Haltung. Eine weiße Bluse umarte ihren wohlgeformten Oberkörper, die dunkelrote Blüte einer Rose war darauf abgezeichnet. Die selbe rote Färbung hatte die Kette, die ihre zarten Glieder um den Hals der Schönen schmiegte.
"Ich habe doch gesagt, dass es mir leid tut. Was willst du noch? Muss ich vor dir auf die Knie gehen?"
Sanft erbebte ihr Körper, als dies tatsächlich geschah. Doch ihre Blicke, sie glitten in müheloser Sturheit an ihm vorbei. Durch das gegenüberliegende Fenster fiel ein Sonnenstrahl und brach in dem Glanze ihrer Augen.
"Soweit hast du mich schon. Ich knie vor dir! Und du? Du sagst kein Wort. Kannst du nicht mehr reden? Wieso bist du so kalt? Liebst du mich nicht mehr? Warum bist du so? Red' mit mir!"
Die Worte erreichten sie nicht. Jetzt nicht mehr. Es kostete sie nicht einmal ein Blinzeln, seinen Schwall von Vorwürfen an sich abprallen zu lassen. Aus der Küche ertönte das Pfeifen des Wasserkochers. Das Geräusch wirkte gespenstisch in der Stille, die sonst nur durch seine Worte gebrochen wurde.
"Dann geh' wenigstens deinen Wasserkocher ausschalten, das Pfeifen macht mich wahnsinnig! Mach' ihn aus, hörst du?"
In ihrer rechten Hand befand sich noch die Gabel, mit der sie gerade nachgeholfen hatte, die Nudeln aus ihrer Verpackung zu holen, um das Mittagessen zuzubereiten. Sie lag jetzt mehr in ihrer Hand, als das die wirklich festgehalten wurde. Der Wasserkocher pfiff weiter penetrant.
"Gut, wie du willst, dann schalte ich ihn halt aus! Madame ist sich ja zu fein dafür!"
Trotz ihrer Schönheit sah sie traurig aus, so allein, wie sie auf dem Sofa saß, als er das Zimmer verließ. Entkräftet hingen ihre Schultern hinab. Mit weit aufgerissenen Lidern starrte sie noch immer auf den selben Punkt.
"Willst du jetzt das Essen machen oder soll ich das auch noch machen?"
Keine Reaktion.
"Darf ich dir etwas sagen?"
Wieder keine Reaktion. Es schien ernster zu sein, als ihre bisherigen Streits.
"Ich will dir nur sagen, dass du mein ein und alles bist, dass ich dich liebe und dass es mir leid tut!"
Mit einem nervtötenden Klirren fiel die Gabel aus ihrer Hand auf den laminierten Boden.
"Du musst mir verzeihen!"
Tränen liefen über seine Wangen, als er sie an sich drückte.
"Lass es uns noch einmal versuchen!"
Stumm fielen die Blätter der Rosenblüte von ihrer Bluse auf seine Oberarme, rannen über die Ellen und legten sich schließlich sanft kitzelnd auf seine Hände. Sie blickte weiter auf die selbe Stelle.
Die Rose auf ihrer Brust...sie war keine Rose. Sie war ein abstraktes Kunstwerk, welches sich aus dem Blut, das aus ihrer aufgeschnittenen Kehle lief, selbst gezeichnet hatte.
"Ich...liebe...di..."
Die letzte Silbe seiner gewimmerten Worte erstickte in Tränen.
Er hatte sie getötet.
Weil sie nicht 'Ich liebe dich' sagen konnte.
Sie konnte nicht 'Ich liebe dich' sagen, weil sie seit dem Erlebnis mit dem unheimlichen Mann, der ihr während ihrem siebten Lebensjahr Bonbons versprach und etwas anderes schenkte, Furcht vor ihren Gefühlen hatte.
Heute...heute wollte sie ihm sagen, dass sie ihn liebt, das all ihre stummen Gesten ihm Liebe bedeuten sollten.
Doch heute konnte er es nicht mehr ertragen, dass sie die Frage 'Liebst du mich?' nie beantwortet hatte.