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Himmel und Hölle
Himmel und Hölle
Im Himmel
Sie hatten den Abend bei ihr zu Hause verbracht. Simone wohnte noch bei ihren Eltern in einem schön eingerichteten Reihenhaus in einer familienfreundlichen, bürgerlichen Vorstadtsiedlung. Es war Freitag Abend. Ihre Eltern waren wie üblich am Wochenende aus, so dass sie das Haus für sich allein hatten. Beide hatten zuerst gemeinsam italienisch gekocht, bei gedämmten Licht gegessen und dazu Rotwein getrunken. Es war sehr romantisch gewesen, sie hatten sehr zärtliche Gefühle füreinander gehabt und sich sehr nahe gefühlt. Dann waren sie beide in ihrem Zimmer gegangen, hatten Cat Stevens aufgelegt und sich ins Bett gekuschelt. Simones Zimmer war noch unverkennbar ein Mädchenzimmer aufgrund der Wahl der Möbel, der paar Stofftierchen, die herumlagen und des Bettbezugs. Marcel fühlte sich aber dennoch wohl. Er fand es nicht zu kitschig und nicht zu mädchenhaft eingerichtet. Simones Bett liebte er, da sie dort schon einige zärtliche Stunden gemeinsam verbracht hatten.
So war es auch heute Abend. Nun lagen sie da, nackt, ihr Kopf auf seiner Brust. Er streichelte sie.
Nachdem sie so längere Zeit schweigend den Augenblick, die Nähe des anderen genießend nebeneinander lagen, begann er, den Blick nach oben zur Decke gerichtet, nachdenklich zu sprechen:
„Wenn ich morgen sterben müsste, würde es mir nichts ausmachen. Diese Nacht ist so wundervoll, der Höhepunkt meines Lebens, nicht mehr steigerungsfähig. Ich fühle mich wie im Himmel! Dies wäre das ideale Ende meines Lebens!“
Sie hob ihren Kopf und schaute ihn überrascht an: „Aber das ist doch erst der Anfang von uns beiden“, entgegnete sie heftig. „Unsere gemeinsame Zukunft beginnt doch erst gerade! Du machst mir Angst. Du darfst so etwas nicht sagen! Ich will Dich nicht verlieren und noch lange mit Dir zusammenbleiben.“
„Du brauchst keine Angst zu haben, sagte er beruhigend. „Ich möchte ja gar nicht sterben, sondern noch lange mit Dir zusammen bleiben. Aber jeder muss einmal sterben, vielleicht schon morgen. Und morgen wäre für mich ein guter Tag, wenn ich sowieso irgendwann mal sterben muss. Und wenn ich dann tot wäre, wäre ich noch immer bei Dir, zwar ohne Körper, aber ich wäre nicht weg. Ich wäre sozusagen in einem anderen Aggregatszustand, aber immer noch bei Dir“, erklärte er.
Sie bettete wieder ihren Kopf auf seine Brust, sie entspannte sich: „Das hört sich aber jetzt sehr nach Chemie an. Wenn... Nein, ich habe keine Lust, über den Tod und solche Dinge zu reden. Bleib einfach bei mir, genieße den Augenblick. Ich genieße Dich, Deine Nähe. Komm küss mich, streichel mich, schlaf mit mir“, flüsterte sie ihm schwer atmend zu.
Er küsste sie, liebkoste sie, schlief mit ihr, langsam, zärtlich, hingebungsvoll. Ihre Getrenntheit löste sich dabei endgültig auf, sie wurden eins.
In der Hölle
Simone war am Abend zuvor auf einer Party gewesen. Allein, ohne ihn. Sie hatte das so gewollt, bestand regelrecht darauf. Er hatte zwar ein ungutes Gefühl dabei gehabt, aber hatte es dann doch ok gefunden, da er ihr ihren Freiraum nicht beschneiden wollte.
Nun hatte sie sich aber den ganzen Tag nicht gemeldet, was sehr ungewöhnlich war. Normalerweise hätte sie ihn schon längst angerufen, um ihm vom letzten Abend zu erzählen und um sich mit ihm zu verabreden. Es war jetzt schon gegen Abend, draußen war es schon dunkel, da entschloss er sich endlich, bei ihr anzurufen:
„Hi, wie geht’s Dir? Wie war die Party gestern? Hat sie Dir gefallen? Ich hab Dich schon vermisst!“
Sie antwortete zögernd mit leiser Stimme: „Hi,....Was soll ich sagen? Ich hatte was mit einem anderen! Ich...“
„Was?“ rief er überrascht aus, „ Wieso denn das? Mit wem denn?“
„Mit M.. Du kennst ihn, glaube ich, auch. Ich hatte etwas viel getrunken, dann haben wir zusammen getanzt und uns dann geküsst“, sagte sie unsicher.
„Naja, das ist zwar nicht gerade toll, aber so schlimm hört sich das jetzt auch nicht an.“, antwortete er, schon etwas erleichtert.
„Ja aber es ist doch etwas komplizierter“, entgegnete sie, „ich habe mich, glaube ich, in ihn verliebt. Ich bin gerade ziemlich verwirrt. Ich weiß nicht, ob ich Dich noch liebe!“
„Aber das wird sich doch wieder geben?“, fragte er verunsichert.
„Ich weiß es nicht, wirklich nicht“, gab sie zur Antwort.
„Ok, dann fahr ich jetzt noch zu Dir, und wir reden in Ruhe darüber“, entgegnete er und legte den Hörer auf.
Also fuhr er mit seinem Auto, einem alten BMW, noch zu ihr hin. Es war ein kalter, dunkler Oktoberabend. Die Straßen waren fast leer. Das kalte Licht der Laternen fiel auf den Asphalt. Vereinzelt kamen Marcel Autos entgegen und blendeten ihn. Die meisten Leute waren, wie Sonntagabends üblich, zuhause bei ihren Familien. Er nicht! Er war allein in der Dunkelheit unterwegs, zu seiner Freundin, um zu retten, was noch zu retten war. Ein sehr beklemmendes Gefühl stieg in ihm auf und machte sich breit. „Sie war also nicht nur fremdgegangen, sondern sie hat sich auch noch in ihn verliebt. Verdammt, ich will sie nicht verlieren, ich lieb sie so, ich werde alles tun, um sie zu halten, werde ihr alles verzeihen“, dachte er verzweifelt.
Er kam ganz zerknirscht bei ihr zu Hause an. Sie gingen in ihr, ach ihm so vertrautes Zimmer. Das Zimmer, in dem sie solch schöne Stunden verbracht hatten. Jetzt war es ihm fremd. Es wirkte so kalt. Alles schien ihm fremd, auch das Bett, auf das sie sich jetzt setzten. Er sah sie erwartungsvoll an. Aber auch sie war ihm schon irgendwie fremd geworden. Der ganze Abend wirkte auf ihn wie ein schlechter Film. Sie wich seinem Blick aus, schaute zum Boden und begann zu sprechen:
„Ich hab mich in M. verliebt, und ich liebe Dich nicht mehr. Ich kann mit Dir so nicht mehr zusammen sein. Ich weiß auch nicht, aber meine Gefühle für Dich sind wie weggeblasen. Es tut mir leid. Es geht nicht mehr.“
Er schaute sie verzweifelt an: „Aber das kann doch nicht sein. Wegen solch einer kurzen Affäre gleich alles zu beenden. Wir lieben uns doch. Du bist doch alles für mich“, sagte er, den Tränen nahe. Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab. „Das gibt’s doch nicht“, sprach er weiter. „Zwischen uns war doch alles in Ordnung! Verlass mich nicht. Ich lieb Dich so. Das kannst Du doch nicht machen. Bitte, denk noch mal darüber nach“, flehte er sie an.
„Es tut mir leid“, entgegnete sie. Ihr Blick war immer noch gesenkt. Sie fühlte sich unsicher und schuldig. „Aber momentan geht es nicht anders. Vielleicht ändern sich meine Gefühle für Dich wieder.“ Sie selbst glaubte aber nicht daran. Sie wollte es ihm etwas leichter machen, ihm das Ende der Beziehung etwas schonender unterbreiten.
So ging es noch ein bisschen hin und her. Aber an diesem Abend war nichts mehr zu machen. So fuhr Marcel frustriert und wie unter Schock wieder nach Hause. Er nahm die Umwelt dabei überhaupt nicht mehr wahr.
Sie hatten die darauffolgenden Tage und Wochen noch miteinander telefoniert, sich getroffen, darüber gesprochen, er hatte mehrmals bitterlich geweint, aber es änderte sich nichts mehr. Ihre Beziehung war zu Ende. Die Liebe seines Lebens hatte ihn an diesem Abend endgültig verlassen.
Als Marcel dies schließlich eingesehen hatte, mied er ihre Nähe, weil er merkte, dass ihre Gegenwart ihn nur noch mehr quälte, und eh alles hoffnungslos war.
Simone begann sofort ihre neue Beziehung, die zu Marcels Genugtuung aber nicht lange hielt und sie ganz schön leiden ließ. Es war aber nur ein schwacher Trost, aber er fand es nur gerecht. Jedoch tröstete es ihn nicht. Er wollte sterben, aus Verzweiflung. Seine Welt war aus den Fugen geraten. In den ersten Wochen nach der Trennung dachte er die ersten Stunden des Tages immer nur daran, dass sie ihn verlassen hatte, dass er allein war. Zu dieser Zeit hatte er jeden Morgen nach dem Aufwachen als erstes den Gedanken, dass es aus war, dass sie ihn verlassen hatte.
Erst nach und nach ließ der Kummer nach. Aber noch zwei Jahre später dachte er fast täglich an sie. Etwa ein Jahr nach der Trennung lernte er ein neues Mädchen kennen und verliebte sich in sie. Damit war dann sein Liebeskummer wenigstens wieder weg. Aber sein Leben hatte sich verändert. Er fühlte sich einsamer, trauriger. Irgendetwas war in ihm gestorben, abgestorben, vielleicht aber auch nur sehr tief vergraben und zugeschüttet. Die Freude des damaligen Lebens mit Simone, die romantischen Gefühle, die Vertrautheit, die Nähe waren auf lange Zeit dahin. Es dauerte Jahre, bis er sich einer Frau wieder so öffnen, so hingeben konnte, wie er es bei ihr getan hatte, bis er es wieder wagte, verletzlich und angreifbar zu sein.