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Himmelfahrts Kommando
„Haben Sie sich schon entschieden?“, fragte ich.
„Ich dachte an den Neuen, wie heißt er denn gleich?“ sagte der Graf, nachdem er sich eine Bloody Mary gemixt hatte. „Auch eine?“
„Nein danke. Wir haben ziemlich viel Neue in letzter Zeit rekrutiert“, antwortete ich ruhig.
„Na, der Dingsda aus... na Sie wissen schon.“
Wie immer sehr präzise, der Chef. War bestimmt nicht die erste Bloody Mary heute.
„Ehrlich gesagt, nein. Wenn Sie noch einen klitzekleinen Hinweis hätten.“
„Na, der mit der Hakennase, der lange Lulatsch, na, wie heißt der denn?“
„Himmelfahrt?“, fragte ich entsetzt.
„Ja, genau den meine ich. Ist doch eine gute Gelegenheit für ihn“, sagte Graf Dracula und goss sich noch ein Glas ein.
„Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.“
„Was haben Sie gegen ihn? Doch nicht, weil er Jude ist?“
„Nein, das ist es nicht. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl, Himmelfahrt dieses Kommando zu übertragen.“
„Na kommen Sie, nur raus damit“, sagte der Graf. Jovial wie immer.
„Könnte ich jetzt vielleicht doch eine Bloody Mary haben?“, fragte ich.
„Also, diesen Himmelfahrt haben wir vor zwei Wochen rekrutiert“, sagte ich, nachdem ich das Glas geleert hatte. „Und er ernährt sich seitdem ausschließlich von Blutorangen!“
„Koscher, das muss man ihm lassen“, murmelte der Graf. Dann lauter: „Das kommt noch. Man muss auch so einem eine Chance geben.“
„Aber gleich eine Blutbank?“
„Warum nicht? Irgendwann muss er es sowieso lernen.“
„Und wer soll ihn begleiten?“
Der Graf bedachte mich mit einem scheelen Blick. „Ich dachte an Boris. Und vielleicht noch dieser Deutsche, der uns letztens in der Eifel so gute Dienste geleistet hat?“
„Siegfried? Dieser verblödete Nazi?“
„Wissen Sie was, am besten Sie gehen mit. Dann kann ja nichts schiefgehen“, antwortete der Graf und mixte sich eine weitere Bloody Mary.
Das hatte ich nun davon. Zwei Nächte später standen wir zu dritt in einem unbeleuchteten Hauseingang. Boris hatten wir unterwegs verloren. Er hatte Durst bekommen, sich einen langhaarigen Typen geschnappt und zu spät gemerkt, dass er an einen Fixer geraten war. Nun lag er im Delirium. Mit etwas Glück würde er vor Sonnenaufgang wach werden. Mir war das egal. Ich hatte meine eigenen Probleme. Eines davon war Himmelfahrt.
„Und, wie geht’s weiter“, fragte ich. „Du hast das Gebäude doch die letzten Nächte ausgespäht.“
„Mmmh“, antwortete Himmelfahrt. „Ich weiß nicht. Hat jemand einen Vorschlag?“
Fängt ja gut an, dachte ich.
„Wir klingeln, knüppeln den Wachmann nieder, packen so viele Päckchen wie möglich in unsere Rucksäcke und verschwinden wieder“, sagte Siegfried.
Toller Plan, wäre ich wahrscheinlich nie drauf gekommen.
Laut sagte ich: „Und wenn der Wachmann nicht aufmachen will? Wir sehen ja nicht sehr Vertrauen erweckend aus. Du mit Deinen Springerstiefeln, Himmelfahrt blass wie der Tod und dann noch unsere Beißerchen...“
„Eben, uns kann doch keiner“, gröhlte Siegfried.
Wer war nur auf die Idee gekommen, einen Deutschen zu rekrutieren?
„Wir schauen mal, wo wir einsteigen können. Alles weitere wird sich zeigen“, schlug ich vor.
Nach kurzem Suchen fanden wir ein Seitenfenster. Nicht mal vergittert. Keine fünf Minuten später standen wir in einer Art Lagerraum. Überall Kisten. Ich bekam eine Gänsehaut. Mein Magen rebellierte. Irgendetwas war hier faul. Ich drückte den Lichtschalter. Angewidert wich ich zurück. An den Wänden hingen Dutzende von Kruzifixen. Auf einer Kiste lag ein Rosenkranz. Was in den Kisten war, wollte ich gar nicht wissen. Ich hastete zur Tür und aus dem Raum hinaus. Nach Luft schnappend blieb ich in dem dunklen Flur stehen. Siegfried stürzte hinter mir her und stolperte über eine Kiste. Flaschen gingen zu Bruch und der Gestank nach Weihwasser nahm mir den Atem. Siegfried kroch noch ein paar Meter und reiherte sich dann die Seele aus dem Leib.
„Was habt ihr denn?“ fragte Himmelfahrt.
„Wo sind wir hier?“ fragte ich.
„In einem Krankenhaus“, antwortete er.
„In welchem Krankenhaus?“
„Die Zuflucht der Jungfrau Maria“, antwortete Himmelfahrt.
„Bist du bescheuert?“ japste Siegfried. „Fischfresser. Mir wird schon schlecht, wenn ich ein Andreaskreuz sehe.“
„Was ist daran so schlimm?“ fragte Himmelfahrt.
„Anfänger“, keuchte Siegfried.
„Wo sind die Blutkonserven?“ fragte ich.
„Im Keller“, sagte Himmelfahrt eifrig.
„Dann lass uns die Dinger holen, und nix wie weg.“
Kaum hatte ich das gesagt, bemerkte ich einen Lichtschein.
„Der Nachtwächter. Pech. Für ihn.“ Siegfried hatte den Lichtschein ebenfalls gesehen. Ein Schnauzbart mit Taschenlampe bog um die Ecke. Mit geöffnetem Maul stürzte Siegfried ihm entgegen. Ganz schön zäh, diese Deutschen, dachte ich. Die Fangzähne schimmerten im flackernden Licht der Taschenlampe, schon näherten sie sich dem Hals des Nachtwächters, doch plötzlich zuckte Siegfried zurück.
„Bääh, Knoblauch“, brüllte er und gab dem Schnauzbart eine Ohrfeige, dass der gegen die Wand knallte und zusammensackte.
„Lass ihn liegen, der ist bedient“, sagte ich. Wir machten uns auf den Weg in den Keller und räumten soviel Blutkonserven wie möglich in die mitgebrachten Rucksäcke.
„Nix wie raus hier“, sagte ich schließlich.
„Wer hat hier eigentlich das Kommando?“ fragte Himmelfahrt.
„Seltsamerweise du. Dennoch sollten wir machen, dass wir hier wegkommen.“
„Was soll denn jetzt noch schief gehen?“
Beschrei es nicht, dachte ich und stürmte die Treppen rauf.
Vor dem Krankenhaus wandten wir uns nach links, dorthin, wo wir den Skoda abgestellt hatten. Doch kaum waren wir losgelaufen, stoppte uns eine raue Stimme: „Gehört ihnen der Skoda?“
Wir drehten uns um und sahen einen Polizisten.
„Siggi! Kümmer dich um ihn!“ Langsam dämmerte mir, warum wir den Deutschen in unseren Reihen aufgenommen hatten.
Siegfried ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten und stürmte genau in dem Moment auf den Polizisten zu, als dieser mit einem Holzbleistift auf den Wagen zeigte. Dummerweise konnte Siegfried nicht mehr abbremsen und bekam den Bleistift in sein Herz gerammt. Siegfried zuckte, Siegfried schrie, es zischte und dampfte und den Rest wollte ich gar nicht mehr sehen. Ich griff nach dem Rucksack und sprintete zu dem Skoda. Himmelfahrt hinter mir her. Wir rasten los. Der Bulle war vermutlich viel zu schockiert, um auch nur an eine Verfolgung zu denken. Wir jagten aus der Stadt und dann auf einsamen Landstraßen quer durch die Karpaten. Plötzlich fing der Wagen an zu ruckeln. Ein Blick auf die Benzinuhr und mir war klar, dass wir es nicht mehr bis zum Schloss schaffen würden. Ich lenkte den Skoda an den Straßenrand und hielt an.
Himmelfahrt schaute mich mit großen Augen an.
Ich stieg aus, öffnete den Kofferraum und hob den Reservekanister hoch. Leer. Hätte ich drauf wetten können. Himmelfahrt war inzwischen ebenfalls ausgestiegen.
„Geh und such eine Tankstelle“, sagte ich und drückte ihm den Reservekanister in die Hand. Er nickte nur und trabte los.
Das war vor etwas mehr als einer Stunde gewesen. Bald wird die Sonne aufgehen. Ich habe es mir im Kofferraum des Skoda bequem gemacht. Tankstellen sind in den Karpaten rar gesät. Neben mir liegen einige Blutkonserven und durch die Ritzen kommt genügend Luft. Wenn ich Glück habe, kommt niemand auf die Idee, den Kofferraum vor Anbruch der Nacht zu öffnen. Wenn ich Pech habe, hat Himmelfahrt eine Tankstelle gefunden.