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Hitze im August

Seniors
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02.01.2011
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Anmerkungen zum Text

Alte Version: 17.03.2021 (zu finden im Spoiler in meinem Kommentar vom 26.11.2021)
Neue Version: 26.11.2021 (Neuer Text, Sprache überarbeitet, Mittelteil hart runtergekürzt, neues Ende! :D Eigentlich eine neue Story, nach meinem Empfinden)
Überarbeitung: 10.08.2023 (Kürzungen)

Hitze im August

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann. Einen Nachmittag stand ich mit ihm in der glühenden Hitze im Dachboden des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters: Wir rissen alte Holzschränke ein und bauten verrostete Metallregale auf, die mein Vater von einer der benachbarten Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte.
Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.
Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer. Sicherlich ein Mädchen. Sicherlich Wut auf etwas, das ich nicht greifen konnte. Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt. Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte. Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen. Meine Mutter war sicher gerade zu Hause, im Tomatenbeet; mit geblümter Schürze, Gießkanne, nachdenklichem Gesicht und eine ihrer Philip Morris zwischen den Lippen, wie so oft in jenem Sommer. Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hineinbiss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen. Wie meine Mutter das Gesicht in ihre zarte, blasse Hand legte, die Zigarette zwischen den Fingern, und zu weinen begann. Wie mein Vater sie ansah, erschrocken, überfordert, mit all dem roten Saft am Kinn, und wieder ins Fruchtfleisch biss.

Ich betrat das Büro und sah die beiden Männer dort in Drehstühlen sitzen, mein Vater hinter seinem sperrigen Schreibtisch, und der Mann beim Fotokopierer; beide lächelten und drehten ihre Köpfe zu mir. Der Mann war einen Kopf größer als ich, das blonde, lichte Haar angegraut, sein Gesicht seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie der Himmel, wenn wir aus einem der engen Fenster des Büros meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Da war eine gewissenhafte, ruhige Schwere in seinem Blick. Er trug eine graue Latzhose, hatte Bauchansatz, seine Finger kurz und kräftig. Seine schmalen Lippen wie langgezogene Striche. Das Lächeln, das er im Gesicht trug. Mein Vater und er waren Bekannte: Sie hatten sich in der Kneipe gegenüber kennengelernt. Ich ging durch das Büro, strich mir die langen Haare aus dem Gesicht und streckte dem Mann die Hand entgegen. Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl. Ich erinnere mich, dass der Mann mir lächelnd ins Gesicht blickte, sich zu seinem Werkzeugkasten bückte und scherzte: »Hier drin hab ich Papageien!« Er öffnete die Klappdeckel des Werkzeugkastens, sah mir ins Gesicht und lachte laut dabei.

Wie der Mann hieß, habe ich leider vergessen. Ich könnte meinen Vater anrufen, dort, wo er jetzt wohnt, aber das wäre schwierig. Ich könnte bis zu den Weihnachtsfeiertagen warten, bis ich meinen Vater in meiner alten Stadt treffe, wir uns am Busbahnhof oder vor seinem alten Laden verabreden und irgendwo in eine der umliegenden Kneipen ziehen, drei, vier Bier trinken, und ihn dann nach dem Namen des Mannes fragen. Aber auch das wäre schwierig. Ich weiß nicht, ob er verstehen würde, worauf ich hinaus will.

Im Dachboden räumten der Mann und ich die Lederwaren aus den Regalen. Ich zog mir schon nach fünf Minuten das T-Shirt aus. Die Hitze stand drückend unter dem Dach. Der Geruch des Leders hing schwer und trocken in der Luft, klebte an unseren Händen und Armen. Die Sonne brach grell durch die schlitzartigen, auf Kopfhöhe liegenden Fenster. All der Staub, der umherwirbelte. Mir lief der Schweiß den Rücken und das Gesicht hinunter.
Der Mann lächelte und wischte sich über die Stirn.
»Mal Pause«, sagte er. Er atmete tief ein und aus und fing an, hinauszuschauen, aus dem Fenster. Er fuhr sich durch die Haare und stemmte seine Hand in die Hüfte. Er lächelte, als er hinaus auf die Stadt schaute.
Schließlich zog er sich Handschuhe über, nahm eine Zange aus dem Werkzeugkasten, ging zum hintersten Holzregal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Balken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an. »Ja«, sagte er.
Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Er lächelte mich an und da wuchs in mir das eigenartige Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem echten anderen erwachsenen Mann zu sein. Wir gingen zum nächsten Regal und zogen die Nägel heraus, dann zum übernächsten und so weiter. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter. Da entspannte sich etwas in mir, als ich die Regale hielt und ihm zusah, wie er die Nägel aus dem Holz zog.
»Mal Pause«, sagte er, atmete tief ein und aus und stemmte die Hände in die Hüfte. Sein T-Shirt war am Kragen angeschwitzt, und er nickte mir zu, dann ging er wieder einen Schritt zum Fenster und sah ein paar Sekunden hinaus und schnaufte. Der Himmel strahlte in einer hellblauen Schönheit.
»Alles klar?«, fragte mein Vater. Wir drehten uns um und sahen ihn auf den Treppenstufen stehen, die hinunter zum Büro führten. Mein Vater sah müde aus. Als hätte er seit Tagen nicht richtig geschlafen. Sein Gesicht wirkte ledrig, mit solchen Falten, wie man sie hat, wenn man Papier zerknüllt und danach versucht, es wieder zu glätten.
»Alles super«, sagte der Mann. Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Mein Vater nickte. Er ging die Treppe hinab und holte uns zwei Wasserflaschen. Der Mann und ich nahmen ein paar große Schlücke. Wir trugen noch unsere Handschuhe. Der Schweiß glänzte in seinem Gesicht.
»Jetzt kommt der beste Teil«, sagte er, sah mich an und lächelte. Er stellte die Wasserflasche ab, kniete sich zum Werkzeugkasten und steckte die verschiedenen Teile eines langen Hammers zusammen. Er schnaufte etwas, als er wieder aufstand. Er lief zum hintersten der zehn, elf mannshohen Holzregale. Er bat mich, einen Schritt zurückzugehen, dann inspizierte er mit kritischem Blick die Bretter und die Holzkonstruktion, holte mit dem Hammer aus und schlug auf eines der Bretter. Es krachte und die Hälfte der Mittelbretter fiel aus dem Regal. Der Mann sah mich jetzt an und lächelte stark, und ich stand am anderen Ende des Dachbodens, wischte mir über Stirn und lächelte zurück. Er holte aus, schlug auf ein verbliebenes Brett und auch das donnerte aus dem Gestell. Schließlich lehnte er den Hammer an die Wand. Er stemmte sich mit beiden Händen gegen das Holzregal, schnaufte und drückte. Das komplette Gestell fiel in sich zusammen. Als all das Holz dort auf dem Boden vor uns lag, blickte er mich an, lächelte und begann auf einmal, laut zu lachen. Ich blickte auch ihn an, lächelte, sah all das Holz und begann ebenfalls für einen langen Moment laut zu lachen. Ich dachte an meinen Vater, wie er einen Stock unter uns saß, an seinem Schreibtisch.
»Ist alles okay?«, rief mein Vater von unten hoch.
»Ja«, rief ich zurück.
Der Mann nahm den Hammer von der Wand und hielt ihn mir hin.
»Willst du auch mal?«, fragte er.
»M-hm«, machte ich, stieg über das Holz und nahm den Hammer. Er war so schwer, dass ich ihn mit beiden Händen kaum hochheben konnte. Der Mann stieg ebenfalls über das Holz und zeigte mir am nächsten Regal den Punkt auf einem der Mittelbretter, auf den ich schlagen sollte. Ich atmete tief ein und hob den Hammer mit aller Kraft. Ich schnaufte. Ich zielte, schlug aber daneben, in die Luft. Der Hammer rutschte mir ungeschickt aus den Händen und fiel auf den Boden. Ich drehte mich zu dem Mann. Grelles, orangenes Licht brach durch die Fenster. Die Luft war so dick und voller Staub, als könnte man sie greifen und sich in die Hosentaschen stecken. Mein Gesicht wurde heiß und ich spürte, wie ich errötete.
»Auf«, sagte der Mann. Er lächelte jetzt nicht mehr.Schweißperlen rannen an seiner Stirn und seiner Wange herab. Er nickte mir ernst zu und atmete. »Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Ich hob den Hammer vom Betonboden auf. Meine Arme brannten. Ich sah auf den Punkt des Mittelbrettes, auf den ich einschlagen sollte. Ich atmete tief ein und hörte ein Stockwerk unter mir das Papier durch die Hände meines Vaters rascheln. Ich hörte meinen Vater hüsteln und die Klimaanlage dort surren. Ich holte aus und schlug auf das Regal. Zwei, drei Böden fielen krachend aus dem Gestell. Mein Herz raste. Meine Lungen pumpten. Der Puls an meiner Schläfe pochte. Ich drehte mich um und lächelte. Das Gesicht des Mannes glänzte vor Schweiß, die Haare dunkel vor Nässe. Er nickte und lächelte. Er klopfte mir auf die Schulter.

Am späten Nachmittag hatten wir alle alten Regale eingerissen. Mein Vater stand wieder auf den Treppenstufen, in Sakko und weißem Hemd, mit zwei vollen 1,5-Liter-Flaschen Wasser in den Händen. Vor ihm lag all das Holz. All die eingerissenen Dinge. All die aufgeheizte, drückende Luft. Der Staub, der den Dachboden in einen Nebel hüllte. Wir standen da, schnaufend, verschwitzt, und blickten meinen Vater an. Der Arbeiterstolz, mit den eigenen Händen, mit dem eigenen Körper und der eigenen Kraft Dinge zum Besseren gehoben, geschlagen, getragen und gehämmert zu haben, glühte in mir. Hatte ich mich jemals so zufrieden gefühlt?
Mein Vater stellte die Flaschen ab. Sein Blick wanderte durch den Dachboden. Er sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte und sagte für lange Zeit kein Wort. Er sah uns nicht an. Dann stellte er einen Fuß auf den Bretterhaufen und stakste über das Holz, langsam, wankend und stolpernd, bis er an den Fenstern der Wand stand. Mein Vater blickte durch das Glas, mit dem Gesicht ganz nah an der Scheibe. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dann öffnete er das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.
»Helft mir mal«, sagte er.
Der Mann und ich standen einige Sekunden perplex da, verstanden nicht. Schließlich ging der Bekannte meines Vaters über die Bretter, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter. Danach krabbelte ich über das Holz zum Fenster, trat auf die Hand des Mannes und zog mich ebenfalls durch den Fensterrahmen. Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste. Draußen kamen wir auf einem Flachdach an. Als der Mann etwas Holz zusammengeschoben hatte und sich ebenfalls ächzend durch den Fensterrahmen zwängte, hielten ich und mein Vater ihn von draußen an den Händen und zogen an ihm.
Zu guter Letzt – und das ist das Bild, das mir von jenem Tag am deutlichsten im Gedächtnis blieb – standen wir drei auf dem Dach des Ladens meines Vaters. Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte und meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte. Mein Vater blickte zu dem Einkaufszentrum. Ich sah all die Sorge in seinem Gesicht, all die Müdigkeit. Der Bekannte meines Vaters keuchte neben mir. Als ich zu ihm rüber sah, drehte er den Kopf zu mir und streckte mir lächelnd die Zunge raus. Ich lachte und streckte auch ihm die Zunge raus. Dann blickte er wieder auf die Stadt, in die Ferne; aus der Blaumanntasche zog er eine L&M-Packung, fingerte sich ein Zigarillo heraus und hielt die Schachtel meinem Vater hin.
»Auch eine?«, fragte er. Mein Vater nickte abwesend und zog ein Zigarillo aus der Packung. Der Mann hielt ihm die Flamme seines Feuerzeugs hin, und mein Vater beugte sich hinunter zum Feuer und brachte den Tabak zum Brennen.
Und dann standen wir gemeinsam an jenem Nachmittag auf dem Flachdach über der Stadt. Autos hupten, Busse schoben sich wie dicke, gelbgrüne Insekten durch die Straßen unter uns. Menschenstimmen. Das Kreischen eines Kindes. Die Sonne heiß und brennend, und mein Vater und sein Bekannter standen schweigend und rauchend neben mir auf dem Flachdach. Hinter uns all das Holz. All das Leder, dessen Geruch ich erst zwei Tage später von der Haut bekommen sollte.

Acht oder zehn Wochen später hörte ich wieder von dem Mann, dem Bekannten meines Vaters. Es war schon Herbst, fast Winter. Mein Vater kam abends von seinem Laden, im grauen Wollmantel. Ich hörte ihn die Kühlschranktür öffnen. Dann setzte er sich mit einer Scheibe Brot, einer Salami und einem Weizenbierglas an den Wohnzimmertisch.
»Komm mal«, sagte er. Seine Stimme klang leise und heiser. Der Fernseher lief. Ich stand vom Sofa auf und setzte mich zu ihm. Mein Vater sah mir wortlos in die Augen, einen langen Moment; er biss von der Wurst ab und nahm einen Schluck Bier. Der Schaum hing ihm im Bart. Ich weiß noch, dass ich mich kniend auf den Stuhl gesetzt hatte, die Ellbogen auf dem Küchentisch, das Gesicht abgestützt auf den Händen. Ich lachte, weil mir das alles lustig vorkam. Ich hatte keinen Moment mehr an den Mann gedacht. Er war für mich nichts weiter als ein Erwachsener, der in meinem Leben aufgetaucht und wieder verschwunden war, wie so viele.

Ich erinnere mich, dass mein Vater und ich nach diesem Gespräch die Gasse vor zu unserer Garage gingen. Wortlos. Ich erinnere mich an die kalte Herbstluft, an den Geruch des Verbrannten in ihr. Ich erinnere mich, dass wir in den Ford meines Vaters stiegen, ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben, nachdem wir vom Tisch aufgestanden waren. Als sei das das natürliche nächste Glied in der Kette der Ereignisse. Ich hibbelte im Fußraum des Wagens mit den Beinen und spürte eine Leere und Schwere in mir, die ich kaum ertrug. Ich erinnere mich, dass wir langsam durch unser Viertel fuhren, Straße um Straße. Ich erinnere mich an das orange Licht der Laternen, an den Nieselregen. Niemand von uns beiden sprach ein Wort. Wir fuhren einen kleinen Hügel hinauf und parkten auf dem Kieselsteinplatz neben dem Funkmast. Mein Vater schaltete den Motor ab. Vor uns lag unser Viertel, die Stadt: Lichter, Laternen, Dächer, Hochhäuser, das Krankenhaus. Dunkler Ackerboden am Rand.
Mein Vater griff in die Innentasche seines Mantels, blickte durch die Windschutzscheibe. Er hielt ein Softpack Ernte 23 in Händen, riss das Zellophan ab und hielt es mir hin.
»Ich weiß, dass du es willst«, sagte er und nickte auf die Zigaretten. »Greif zu«, sagte er. »Lieber hier mit mir, als irgendwo sonst.«
Ich griff nach einer Zigarette, legte sie wie eine Hostie in beide Hände und blickte sie an, als hätte ich nie zuvor eine Zigarette gesehen. Aber ich konnte nicht aufhören, an all das Blut zu denken, von dem mein Vater mir erzählt hatte. Dass der Mann in dem Blut gelegen wäre. Dass es beim Reinigen seiner Waffe passierte. Dass er sich ein Loch ins Gesicht geschossen haben soll. Dass er in all dem Blut gelegen war. Dass ihn seine Frau gefunden hätte.
Ich erfuhr, dass der Mann einundsechzig war. Er hatte vor vier Monaten erst wieder geheiratet. Man wusste von seinen Depressionen. Der Arbeitslosigkeit. Mein Vater und er; wenn ich heute an diese Männer denke, dann denke ich an zwei stille, nachdenkliche und höfliche Männer, die sich im Pulk fremder, lauter Menschen nach drei, vier Flaschen Bier in der Stehkneipe gegenüber vom Lederwarengeschäft durch eine Art natürliche Anziehung finden und fortan beisammen bleiben.
In der Dunkelheit des Wagens sah ich den Blick meines Vaters; die müden, abgeschlagen Augen; die Härte und Strenge seines faltigen Gesichtes. Er sah durch die Windschutzscheibe nach draußen, hinunter auf die Stadt, und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass da etwas von ihm abfiel, dass ich etwas Weiches und Verletzliches an seinem Gesicht wahrnahm, das ich so nie zuvor gesehen hatte. Er nahm die Zigarette in den Mund, entflammte das Feuerzeug und zündete den Tabak an. Schließlich drehte sich mein Vaters zu mir, hielt mir die Flamme hin; ich erinnere mich an diesen Moment, an das Feuer, an seinen Mantel, dieses Gesicht; die Dunkelheit, die klamme Luft des Wagens; den Blick, den er mir zuwarf und mein Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem Erwachsen – mit meinem Vater – zu sein.
Ich hielt die Zigarette ungeschickt zwischen Mittel- und Zeigefinger, umschloss den Filter mit meinen Lippen.
»Erstmal paffen«, sagte mein Vater und blickte mich streng an. »In die Backen ziehen, so, nicht einatmen. Ja, so.«
Er ließ sich wieder in den Fahrersitz sinken. Aber selbst in dieser Situation hatte seine Haltung etwas Steifes, sein Rücken durchgestreckt. Dann sagte er: »Ich will, dass du das alles weißt. Ich will, dass du weißt, wie die Welt da draußen ist.« Er sah durch die Windschutzscheibe. »Die Welt ist furchtbar«, sagte er. »Sie ist grauenhaft. Schrecklich.« Er spitzte die Lippen. Dann biss er die Zähne zusammen, ich sah das Anspannen der Muskulatur seines Kiefers. Er aschte in die kleine Klappe unter dem Autoradio und blickte wieder durch die Windschutzscheibe hinaus in die Dunkelheit. »Die Welt ist so furchtbar, dass du es manchmal nicht aushalten wirst. Manche Leute halten es nicht aus.« Er rauchte und zog die Nase hoch. Er drehte sich zu mir und blickte mir ins Gesicht. Ich erinnere mich, wie sehr ich in diesem Moment erschrak. Wie sehr sich in diesem Moment das Bild davon, wer mein Vater wäre, änderte. In seinen Augen standen Tränen, und ich sah die Hilflosigkeit gegenüber all dem Grauen, von dem er sprach. »Ich möchte dir sagen«, sagte er, »dass die Art, wie wir leben, zutiefst krank ist. Die Welt mit ihren eigenartigen Regeln. Manche können das nicht.«
Es war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Er weinte auf eine seltsame Weise. Er begann, sich mit den Fingerspitzen über die Augenbrauen zu streifen. Sein Gesicht verformte sich auf eine Art, dass ich zuerst glaubte, er würde schlagartig totmüde. Er vergoss keine Träne. Sein kleiner Mund japste in einem seltsam hohen Ton nach Luft.
»Aber es gibt auch das Gute«, sagte er. »Es kommt von jedem Einzelnen. Treue. Ehrlichkeit. Mut. Fleiß. Ich glaube nicht an meine Kirche. Aber an meine Werte.«
Er sah mich an, mit gläsernen Augen, und ich hielt die glimmende, rauchende Zigarette in der Hand.
»Wenn du dich an diese Werte hältst, wird dein Leben besser. Jedes Mal, wenn du dich treu, ehrlich, mutig und fleißig verhältst, machst du dein Leben ein Stück besser. Immer, wenn du das nicht schaffst, machst du dein Leben ein Stück schlechter. Das ist das Gesetz dieser Welt«, sagte er. Er blickte in Richtung Wagendach und deutete mit dem Zeigefinger nach oben. »Nur Werte können uns retten«, sagte er. »Ich möchte, dass du dir das merkst. Ich möchte, dass du das niemals vergisst. Das Schlechte der Welt wird dich holen, wenn du das vergisst. Das gebe ich dir schriftlich.«

Wir saßen noch einige Zeit dort oben, im Ford auf dem Kieselsteinplatz des kleinen Hügels, direkt neben dem Antennenmast über unserem Viertel. Meiner Erinnerung nach rauchten wir noch drei oder vier Zigaretten. Über was wir noch sprachen, weiß ich nicht mehr. Vielleicht über die Schule. Oder über seinen Laden. Oder Mama. Dann startete mein Vater den Motor. Mit leuchtender Zigarette im Mund, den Filter zwischen den Zähnen. Seine hochgewachsene Statur. Das rabenschwarze, pomierte Haar. Die feinen, intellektuellen Gesichtszüge. Die rahmenlose Brille. Wir fuhren den Hügel im Dunkeln hinab, ohne Scheinwerfer. Als wir in unser Viertel bogen, blendeten mich die grellen Neonröhren der Straßenlaternen so sehr, dass ich mir die Augen zukniff. Die Häuser, die an uns vorbeizogen, das Licht, das aus ihren Fenstern brach, schienen verändert.
Ich stieg aus dem Wagen. Mein Vater fuhr in das enge Garagenhäuschen. Die Gasse zu unserem Reihenhaus gingen wir nebeneinander, ich mit wackligen Beinen. Das Nikotin hatte mein Gesicht taub gemacht. Es nieselte. Der Geruch des Verbrannten lag in der Luft. Ich erinnere mich an die großen, sicheren Schritte meines Vaters. Das Klacken der Absätze seiner Budapester. Seine Hände in den Wollmanteltaschen. Einen Augenblick blieb ich stehen und glaubte, ich hätte etwas vergessen, im Auto.
Mein Vater blieb stehen und drehte sich zu mir, ein paar Schritte vor mir, auf dem Gehweg. Ich erinnere mich, wie sehr mich dieser Augenblick schockierte. Die Laternen leuchteten das Gesicht meines Vaters auf eine Art aus, wie ich es zuvor nicht wahrgenommen hatte. Für einen Augenblick sah ich die Dinge, wie sie waren.

 
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Moin @zigga,

ich sitze auch gerade an einer Überarbeitung und bin ein großer Fan, sich so zu entwickeln. Keine Frage: Da muss ich kommentieren. :D
Am liebsten würde ich dir sagen, dass deine Überarbeitung für mich funktioniert hat, aber das ist leider nicht der Fall. Werde in meinem Kommentar daher vor allem auf die Stellen eingehen, die für mich nicht funktioniert haben und hoffe, dass es dir weiterhilft.

Ich finde, dass der Fokus nicht mehr so klar ist. In deiner ersten Version war mir die Botschaft deutlicher und ich konnte sie besser nehmen. Meine größten Problemen mit deinem Text lagen jetzt an folgenden Aspekten: Erstens fand ich das mit den Papageien nicht schlüssig und konnte den Dialog des älteren Mannes nicht richtig nachvollziehen; mal spricht er kurz angebunden und dann nutzt er auf einmal das Wort "super", hat für mich nicht richtig funktioniert. Außerdem fand ich den Dialog des Vaters zu klischeehaft und das hat auf mich konstruiert gewirkt. Was genau meine ich mit konstruiert? Ich meine damit, dass ich dabei das Gefühl hatte, etwas den Autor hinter der Geschichte zu spüren: Mein Eindruck war, dass genau dieser Konflikt und dieser Schmerz durch den unverständlichen Selbstmord bei mir als Leser ankommen soll. Das liegt wahrscheinlich auch an den "Werten", die mir zu direkt vermittelt werden. Ansonsten habe ich noch einen weiteren Punkt: Mir hat Tempo gefehlt; manchmal kamen mir die Erinnerungen etwas redundant vor und ich hatte schon dieses nostalgische Gefühl und ich hätte da nicht noch mehr gebraucht.

Auch wenn mein Kommentar sich kritisch liest, möchte ich am Ende (bevor ich in die Details gehe) noch einmal sagen, dass ich es großartig finde, dass du dich so intensiv mit der Überarbeitung befasst hast. Bewundere ich immer und bin überzeugt, dass das entscheidend für die eigene Entwicklung ist. So und jetzt komme ich zum detaillierten Eindruck:

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann. Einen Nachmittag stand ich mit ihm in der glühenden Hitze im Dachboden des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters: Wir rissen alte Holzschränke ein und bauten verrostete Metallregale auf, die mein Vater von einer der benachbarten Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte.
Konnte mich noch gut an deine Story erinnern und bin auch wieder gut reingekommen; ich finde, dass du sehr gut schreibst. Es ist dieses Gefühl entstanden, das ich auch bei Romanen sehr schätze: Ich habe dir als Autor vertraut und bin in die geschilderte Welt eingetaucht. Das ist ein großer Pluspunkt deiner Geschichte.

Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte.
Ich habe diese Stelle mal als Beispiel herauskopiert, weil sie für mich sehr gut gelungen ist und gut deine Schreibkünste zeigt; besonders gut haben mir die Variationen gefallen. Davon würde ich mir gerne eine Scheibe abschneiden, hat mir gut gefallen!

Seine schmalen Lippen, wie langgezogene Striche.
Ich bin über dieses Komma gestolpert. Wenn ich es richtig verstehe, dann ist das hier eine Ellipse: Seine schmalen Lippen {waren} wie langgezogene Striche. Oder?

Ich erinnere mich, dass der Mann mir lächelnd ins Gesicht blickte, sich zu seinem Werkzeugkasten bückte und sagte: »Hier drin hab ich Papageien!« Er öffnete die Klappdeckel des Werkzeugkastens, sah mir ins Gesicht und lachte laut dabei.
Ich habe das mit den Papageien nicht so richtig greifen können und hatte hier statt einer gelungenen Figurenzeichnung eher ein Fragezeichen. Habe ich hier etwas überlesen oder nicht verstanden? Mich würden deine Gedanken dazu interessieren.

Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter.
Hat mir gefallen, wie du hier die Sinne ansprichst.

Dann kamen wir zum übernächsten und überübernächsten, bis wir alle Regal entnagelt hatten.
Kleinigkeit: Regale.

»Alles super«, sagte der Mann.
Hier das mit dem "super"; das hat so gar nicht in mein Bild von ihm gepasst. Ich sehe ihn eher als karg und kurz angebunden und als nicht so verträglich, daher hat mich das super verwirrt. Bin gespannt, wie es da anderen geht.

Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Ich finde, dass das hier zu klischeehaft ist und ich hätte mir an dieser Stelle mehr Präzision gewünscht, weil es mir nicht konkret genug ist. Was genau bedeutet "zu einer bestimmten Zeit des Tages?" Ich bekomme hier kein richtiges Bild und hatte das Gefühl, dass es mehr ein Effekt war, als eine detailgetreue Beobachtung.

Er streckte die Zunge wieder raus, mit geschlossenem Mund, so weit er konnte, Richtung Kinn, mit der Attitüde eines Kindes; seine Zunge war breit, kurz und dunkel; ich erinnere mich, wie ich unwillkürlich losprustete; hatte ich jemals einen Erwachsenen so etwas tun sehen?
Denke, dass du hier einen manisch depressiven Charakter zeichnest, oder? Für mich hat das nicht so richtig funktioniert, weil es mir zu übertrieben war (denke, dass deshalb auch die Papageienstelle für mich nicht funktioniert hat). Es passt für mich nicht so richtig in das Bild, was ich von ihm habe und auch wenn ich weiß, dass das ja bei manischen Figuren oft so ist, kann ich es hier nicht als glaubwürdig wahrnehmen. Warum ist das so? Ich denke, dass es mir zu offensichtlich ist, ich kann mir das nicht selbst erschließen und fühle daher Widerstand.

aber in meiner Erinnerung fiel das Regal mit einer solchen Wucht in sich zusammen, dass der Mann und ich instant erschrocken zusammenzuckten.
Bin über das Wort "instant" gestolpert.

Der Arbeiterstolz, mit den eigenen Händen, mit dem eigenen Körper und der eigenen Kraft Dinge zum Besseren gehoben, geschlagen, getragen und gehämmert zu haben, glühte in mir. Hatte ich mich jemals so zufrieden gefühlt?
Ist das nicht auch ein Klischee? Der Arbeiterstolz, weil ich selbst etwas handwerklich vollbracht habe?

Der Mann und ich standen perplex da. Schließlich stieg der Bekannte meines Vaters über das Holz, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter.
Bin über das "kniete sich" gestolpert, nach meinem Gefühl müsste da noch etwas folgen, also entweder er kniete sich nieder oder er kniete.

Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte und meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte.
Sehr, sehr stark! Da steigt in mir eine Gefühl der Weite auf und ich bin ganz begeistert; finde ich eine gelungene Stelle.

Ich erinnere mich an das orange Licht der Laternen, an den Nieselregen.
Das fand ich auch exzellent, weil es in mir ein Gefühl der Nostalgie und auch Wehmut ausgelöst hat. Starker Satz, in meinen Augen.

Mein Vater griff in die Innentasche seines Mantels, blickte durch die Windschutzscheibe. Er hielt ein Softpack Ernte 23 in Händen, riss das Zellophan ab und hielt es mir hin.
»Ich weiß, dass du es willst«, sagte er und nickte auf die Zigaretten. »Greif zu«, sagte er. »Lieber hier mit mir, als irgendwo sonst.«
Ich griff nach einer Zigarette, legte sie wie eine Hostie in beide Hände und blickte sie an, als hätte ich nie zuvor eine Zigarette gesehen. Aber ich konnte nicht aufhören, an all das Blut zu denken, von dem mein Vater mir erzählt hatte. Dass der Mann in dem Blut gelegen wäre. Dass es beim Reinigen seiner Waffe passierte. Dass er sich ein Loch ins Gesicht geschossen haben soll. Dass er in all dem Blut gelegen war. Dass ihn seine Frau gefunden hätte.
Der Dialog: "Ich weiß, dass du es willst" kam mir etwas merkwürdig vor und hat für mich nicht funktioniert. Der Vater ist doch total geschockt, da hat er doch andere Sorgen, als darüber nachzudenken, dass sich sein Sohn ausprobieren will, oder? Korrigiere mich gerne, wenn du dir das andere gedacht hast.

Er nahm die Zigarette in den Mund, entflammte das Feuerzeug und zündete den Tabak an. Schließlich drehte sich mein Vaters zu mir, hielt mir die Flamme hin; ich erinnere mich an diesen Moment, an das Feuer, an seinen Mantel, dieses Gesicht; die Dunkelheit, die klamme Luft des Wagens; den Blick, den er mir zuwarf und mein Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem Erwachsen – mit meinem Vater – zu sein.
Das wiederum fand ich großartig; konnte mir den Moment vorstellen, was vor allem an diesen Details liegt wie "klamme Luft des Wagens" und ich hatte da sofort ein Bild im Kopf.

Dann sagte er: »Ich will, dass du das alles weißt. Ich will, dass du weißt, wie die Welt da draußen ist.« Er sah durch die Windschutzscheibe. »Die Welt ist furchtbar«, sagte er. »Sie ist grauenhaft. Schrecklich.«
»Manche Leute sind verflucht«, sagte er. »Sie sind zu schwach für das, was da draußen passiert. Die Welt mit ihren eigenartigen Regeln. Ich möchte dir sagen, dass die Art, wie wir leben, zutiefst krank ist. Den meisten fällt das nicht auf. Manche Leute können das nicht.«
»Aber es gibt auch das Gute«, sagte er. »Es kommt von jedem Einzelnen. Treue. Ehrlichkeit. Mut. Fleiß. Ich glaube nicht an meine Kirche. Aber an meine Werte.«
Das ist mir doch zu schwarz-weiß und das meinte ich auch weiter oben; für mich ist das zu sehr an mich als Leser gerichtet. Hätte ich mir subtiler gewünscht.


Lieber @zigga, ich hoffe, dass du mit meinen Anmerkungen etwas anfangen kannst und auch, wenn es etwas kritischer ausgefallen ist, war das Kritik auf hohem Niveau, das möchte ich dich unbedingt wissen lassen. Bin gespannt, wie sich der Text weiter entwickelt und kannst mich da auch gerne wieder taggen.


Beste Grüße
MRG

 

Lieber @zigga,
Ich habe ein paar grundsätzliche Gedanken zu deinem Text, die schon auch wieder Eingriffe bedeuten, Aber Du hast ja gefragt. :D
Mein Vorschlag: Die Rückblenden ins Präsens setzen und klar markieren (kursiv?), die Rahmenhandlung im Perfekt lassen (oder auch ins Präsens) und direkt mit der Handlung einsteigen. Würde dann so aussehen (Das wäre mein erster Satz):

Ich betrat das Büro und sah die beiden Männer dort in Drehstühlen sitzen, mein Vater hinter seinem sperrigen Schreibtisch, und der Mann beim Fotokopierer; beide lächelten und drehten ihre Köpfe zu mir (...) Aber auch das wäre schwierig. Ich weiß nicht, ob er verstehen würde, worauf ich hinaus will.

Im Dachboden räumen der Mann und ich die Lederwaren aus den Regalen. Die Hitze steht drückend unter dem Dach. Der Geruch des Leders hängt schwer und trocken in der Luft, klebt an unseren Händen und Armen. Nach fünf Minuten ziehe ich mir schon das T-Shirt aus. Die Sonne bricht grell durch die schlitzartigen Fenster. All der Staub, der umherwirbelt. Schweiß läuft mir Gesicht, Rücken und Bauch herunter.
Der Mann lächelt und wischt sich über die Stirn.
»Mal Pause«, sagt er. Er atmet tief ein und aus und schaut lächelnd aus dem Fenster. Er fährt sich durch die Haare und stemmt seine Hand in die Hüfte. Sein Blick liegt auf der Stadt.
Er bückt sich, kramt in einer TEDi-Plastiktüte, zieht ein Paar Handschuhe heraus und streift sie über. Er öffnet den Werkzeugkasten und greift sich eine Zange. Schließlich geht er zum hintersten Regal und beginnt, rostige, fingerlange Nägel aus dem Holzbalken zu ziehen ...

Für mich schaffst du dadurch eine Unmittelbarkeit und Nähe, die du mit dem Perfekt an der Stelle nicht erreichst, weil es doch immer wie eine Nacherzählung aus der Ferne klingt, insbesondere, wenn du vorher schon klar machst, dass das alles zwanzig Jahre passé ist, sag ich mal. Im Präsens liest es sich für mich dagegen wie eine lebendige Erinnerung. Dir ging es auch um den Sog des Erzählten, Leser:In bei der Stange zu halten. Vllt. schaffst du zusätzliche Nähe, wenn du statt "der Mann" was anderes schreibst. Du brauchst das Vergessen als Aufhänger am Anfang, aber du könntest was anderes schreiben, bspw.: "Mein Vater nannte ihn Carlos. Den Namen hatte er aus der Kneipe mitgebracht und wir wussten beide, dass der Mann richtig anders hieß. Vater ließ es dabei, auch wenn er seinen Namen wusste, denn als es um die Abrechnung der Arbeit ging, hat er ihn genannt. Für mich blieb er Carlos, den anderen Namen habe ich vergessen." So was, "der Mann" ist reine Projektionsfläche für alles und nix, wenn du ihn belegst mit einem Nick, kommt er näher, finde ich, und du kannst damit spielen.

Die ganze Passage, die du vorne stehen hast, kannst du später in Auszügen bringen (oder einfach weglassen), wenn ich orientiert bin. Wann du ins Perfekt zurück wechselst, musst du ausprobieren, mMn geht das wahrscheinlich hier am Besten:
"Acht oder zehn Wochen später hörte ich wieder von dem Mann, dem Bekannten meines Vaters. Es war schon Herbst, fast Winter ...

Nur so als Möglichkeit, vllt. probierst du es mal aus.

Textiles:

Mein Vater stellte die Flaschen ab. Sein Blick wanderte durch den Dachboden. Er sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte und sagte für lange Zeit kein Wort. Er sah uns nicht an. Dann stellte er einen Fuß auf den Bretterhaufen und stakste über das Holz, langsam, wankend und stolpernd, bis er an den Fenstern der Wand stand. Mein Vater blickte durch das Glas, mit dem Gesicht ganz nah an der Scheibe. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dann öffnete er das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.
»Helft mir mal«, sagte er.
Hammerabsatz! Immer noch. Da schwingt so viel mit, ohne dass es erklärt wird, toll!
Danach krabbelte ich über das Holz zum Fenster, trat auf die Hand des Mannes und zog mich ebenfalls durch den Fensterrahmen. Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste.
Frage: Wenn er als Heranwachsender mit seinem Kopf kaum durchpasst, werden die Männer mit ihren Bäuchen wohl an der Öffnung scheitern, oder?
Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte und meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte.
Das hat mir schon beim ersten Mal so gut gefallen, große Klasse.
Ich hibbelte im Fußraum des Wagens mit den Beinen
Ist mir zu umgangssprachlich, fällt aus dem Duktus, da würde ich neutraler bleiben: Ich wippte mit dem Knie.
und spürte eine Leere und Schwere in mir, die ich kaum ertrug. Ich erinnere mich, dass wir langsam durch unser Viertel fuhren, Straße um Straße. Ich erinnere mich an das orange Licht der Laternen, an den Nieselregen. Niemand von uns beiden sprach ein Wort. Wir fuhren einen kleinen Hügel hinauf und parkten auf dem Kieselsteinplatz neben dem Funkmast. Mein Vater schaltete den Motor ab. Vor uns lag unser Viertel, die Stadt: Lichter, Laternen, Dächer, Hochhäuser, das Krankenhaus. Dunkler Ackerboden am Rand.
sehr schöner neuer Absatz, das Aufgreifen der Rundumsicht, ein magischer Moment. Allerdings würde ich mir diese Aussage überlegen:
Ich lachte, weil mir das alles lustig vorkam. Ich hatte keinen Moment mehr an den Mann gedacht. Er war für mich nichts weiter als ein Erwachsener, der in meinem Leben aufgetaucht und wieder verschwunden war, wie so viele.
MMn widerspricht sich das ein wenig, dass er diese Leere und Schwere spürt und sie wortlos beide mit den Köpfen bei dem Mann sind und er dennoch nichts weiter als einer von vielen Erwachsenen gewesen sein soll, weißt? Das Gegenteil ist doch der Fall:
Der Mann sah mich jetzt an, grinsend wie ein frecher Junge, und ich stand am anderen Ende des Dachbodens, schwitzte und lächelte zurück.
Er hat diese Gemeinsamkeit gespürt, sie stehen auf derselben Erdscholle, arbeiten Hand in Hand, der Ältere gibt den Rhythmus vor. Sie schwitzen und lachen zusammen. Der Junge beobachtet ihn, schaut zu ihm auf:
Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Das ist ein Mensch, der ihn beschäftigt, das ist auch eine Frage der Vorbilder: Welche Art Mann möchte ich einmal sein? Da wird ja auch sortiert, vor allem wegsortiert: So wie Lehrer XY auf keinen Fall, so wie der Bekannte vielleicht schon.
Der Mann lächelte nun nicht mehr. Er atmete tief und schnaufend und nickte mir ernst zu.
»Auf«, sagte er. Schweißperlen rannen seine Stirn und Wangen herab. Sein Gesicht glänzend. Seine Augen weit aufgerissen. Sein Haar dunkel und anliegend vor Nässe.
»Das machst du«, sagte er. »Wo ein Wille ist«, sagte er.
Stark! Feine Charakterzeichnung mit wenig Worten.
dass der Mann und ich instant erschrocken zusammenzuckten.
bitte weg damit, wirkt albern.
Ich hatte unwillkürlich die Bilder des einstürzenden World Trade Centers im Kopf.
würde ich nicht schreiben, solche Vergleiche sind schief und führen gedanklich aus der Geschichte. Ist gar nicht notwendig, ich habe auch so ein starkes Bild im Kopf.
»Heilige Kuh«, sagte er und lachte laut. Sein Lachen hatte etwas Jungenhaftes, Unbeschwertes und Zügelloses.
»Heilige Kuh!«, rief ich und lachte darauf los.
Und den hat er vergessen, weil er so war wie alle anderen? No way!
Ich griff nach einer Zigarette, legte sie eine Hostie in beide Hände und blickte sie an, als hätte ich nie zuvor eine Zigarette gesehen.
Mir zu over the top, die Anbetung der Zigarette als Laib Christi. Ich bin nicht gläubig, aber das würde ich nicht tun.
Dass der Mann in dem Blut gelegen wäre.
"gelegen hatte" würde ich schreiben. Ist ja kein Hörensagen, von dem man nicht so genau weiß, ob es stimmt und das dann im Konjunktiv formuliert, weil man sich nicht sicher ist. Du zählst danach ja die Fakten auf: 61, neue Frau, Depressionen, dann sollte der Rest auch stimmen.
Mein Vater und er; wenn ich heute an diese Männer denke, dann denke ich an zwei stille, nachdenkliche und höfliche Männer, die sich im Pulk fremder, lauter Menschen nach drei, vier Flaschen Bier in der Stehkneipe gegenüber vom Lederwarengeschäft durch eine Art natürliche Anziehung finden und fortan beisammen bleiben.
auch wieder sehr schön, zigga. Für mich ist das ein Hauptmotiv deines Textes, diese natürliche Anziehung, dieses Erspüren der gemeinsamen Wurzeln, Heimat ist dort, wo ich verstanden werde. Der Junge gehört ja auch dazu, er hat diese Momente des Erkennens, mit dem Mann und mit dem Vater. Das würde ich herausstellen, dieses Verständnis ohne viele Worte.
Er sah durch die Windschutzscheibe nach draußen, hinunter auf die Stadt, und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass da etwas von ihm abfiel, dass ich etwas Weiches und Verletzliches an seinem Gesicht wahrnahm, das ich so nie zuvor gesehen hatte. Er nahm die Zigarette in den Mund, entflammte das Feuerzeug und zündete den Tabak an. Schließlich drehte sich mein Vaters zu mir, hielt mir die Flamme hin; ich erinnere mich an diesen Moment, an das Feuer, an seinen Mantel, dieses Gesicht; die Dunkelheit, die klamme Luft des Wagens; den Blick, den er mir zuwarf und mein Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem Erwachsen – mit meinem Vater – zu sein.
da ist die Initiation, die den ganzen Einleitungsabsatz meiner Meinung nach fast überflüssig macht, weil sie das Gefühl genau trifft, diesen Moment dazwischen, den Übergang. Bissl strange: Der Vater, der dem Sohn die Zigarette aufzwingt, als wolle er das Erwachsenwerden forcieren.
Wie sehr sich in diesem Moment das Bild davon, wer mein Vater wäre, änderte.
Auch hier stört mich der Konjunktiv, spricht was gegen: "Wie sehr sich in diesem Moment mein Bild davon, wer mein Vater war, änderte."
»Aber es gibt auch das Gute«, sagte er. »Es kommt von jedem Einzelnen. Treue. Ehrlichkeit. Mut. Fleiß. Ich glaube nicht an meine Kirche. Aber an meine Werte.«
Nee, zigga, hier wird es mir zu moralisch. Das sind Dinge, die ich mir als Leser hinzudenken kann, weil sie sich aus dem Kontext und dem Verhalten, das du vorher so gut beschreibst, ergeben. Dadurch, dass du sie explizit hinschreibst, schwächst du das. Und wenn du das mit Gott in Vergleich setzt:
»Wenn du die Welt machen lässt, wird alles schlecht. Und du gehst unter. Es gibt keinen Gott im Himmel.« Er blickte in Richtung Wagendach und deutete mit dem Zeigefinger nach oben. »Nur Werte können uns retten«, sagte er.
erhebst du diese Werte zu einer quasi göttlichen Maxime. Da steckt für mich eine Überdosis Pathos drin, etwas unangenehm Pastorales, das die feinen Töne killt. Auch hier:
»Nur Werte können uns retten«, sagte er. »Treue, Ehrlichkeit, Mut, Fleiß und Rechtschaffenheit.
Noch dreimal die Wiederholung mit dem Holzhammer und ich verdrehe innerlich die Augen, weil ich mir denke: Okay, hab´s kapiert, Meister, du hast deinen Moralischen, aber jetzt komm mal wieder auf den Teppich! Ein Fremdkörper für mich. Arbeiterstolz kaufe ich noch, das hier nicht. Für mich ist in dem Text das, was nicht oder leise gesagt wird, viel stärker.
Meiner Erinnerung nach rauchten wir noch drei oder vier Zigaretten.
Mal rein praktisch: Mir war nach der ersten Zigarette kotzschlecht und das Nikotin hat mich von den Beinen geholt. Drei oder vier hätte ich beim ersten Mal nicht rauchen können.
Mein Vater blieb stehen und drehte sich zu mir, ein paar Schritte vor mir, auf dem Gehweg. Ich erinnere mich, wie sehr mich dieser Augenblick schockierte. Die Laternen leuchteten das Gesicht meines Vaters auf eine Art aus, wie ich es zuvor nicht wahrgenommen hatte. Für einen Augenblick sah ich die Dinge, wie sie waren.
Der Ausstieg aus dem Text ist wieder schön, da triffst du den Ton wieder. Schockiert heißt: "aufgrund provozierenden Verhaltens in Entrüstung versetzt". Das ist hier zu viel. Würde ich ersetzen durch erschreckte. Insgesamt Sotto voce, lange machst du es sehr gut, gerade gegen Ende weniger Haudrauf, mehr leise Töne mit größerer Reichweite.

Peace, l2f

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja servus Leute! :D

Vielen Dank für eure sehr schnellen Rückmeldungen!

Ich steig direkt ein:

@MRG Dir natürlich vielen Dank fürs schnelle lesen und fixe Kommentieren!

ich sitze auch gerade an einer Überarbeitung
sehr gut! :peitsch:

und bin ein großer Fan, sich so zu entwickeln.
Manchmal denke ich mir: Vielleicht ist das immer wieder Überarbeiten doch keine gute Idee. Ich klebe an ein paar älteren Texten, die ich mir immer wieder anschaue und denke, hier müsste ich noch mal neu aufrollen oder zu Ende schreiben, und manchmal wird das wirklich besser und ist gut, aber am liebsten würde ich auch einfach mal alles bereits Geschriebene wegkloppen, tabula rasa, und einfach mal nach vorne gehen nur mit neuen Texten

Am liebsten würde ich dir sagen, dass deine Überarbeitung für mich funktioniert hat, aber das ist leider nicht der Fall.
Ja shit! :aua:

Ich finde, dass der Fokus nicht mehr so klar ist. In deiner ersten Version war mir die Botschaft deutlicher und ich konnte sie besser nehmen.
Ja, das ist eine gute Rückmeldung, vielen Dank für die Ehrlichkeit. Das ist gut möglich. Du kennst das, wenn man etwas geschrieben hat, steckt man oft so tief drin, dass man es selbst nicht so recht einschätzen kann. Das alte Ende war sehr tellig und darin wurde im Endeffekt tellig gesagt: Der Kollege ist gestorben, die Welt ist nicht so wie ich sie mir als Kind vorgestellt habe. Das wollte ich mit der Vater-Szene ausshowen, aber ja, es kann sein, dass das jetzt nicht mehr so klar ist.

Meine größten Problemen mit deinem Text lagen jetzt an folgenden Aspekten:
Erstens fand ich das mit den Papageien nicht schlüssig
Hierzu: Er macht einen Witz! So war das von mir gedacht. Der Mann redet ja mit einem Kind. Ja, wenn es nicht so rüber gekommen ist, muss ich noch mal überlegen! :D

und konnte den Dialog des älteren Mannes nicht richtig nachvollziehen; mal spricht er kurz angebunden und dann nutzt er auf einmal das Wort "super", hat für mich nicht richtig funktioniert.
Hm ja, das hatte ich nicht kommen sehen! Ich gehe da noch mal durch und überlege

Außerdem fand ich den Dialog des Vaters zu klischeehaft und das hat auf mich konstruiert gewirkt.
Was genau meine ich mit konstruiert? Ich meine damit, dass ich dabei das Gefühl hatte, etwas den Autor hinter der Geschichte zu spüren: Mein Eindruck war, dass genau dieser Konflikt und dieser Schmerz durch den unverständlichen Selbstmord bei mir als Leser ankommen soll.
Scheiße ja ... das stimmt schon! Hatte ich auch nicht auf dem Radar. Zumindest nicht konkret, ich dachte schon, das wird sicherlich wegen Moralin angeklagt, aber irgendwie gefiel mir die Szene so gut und sie wirkte eigentlich ganz echt auf mich ... aber ja, jetzt wo du es sagst, stimmt es schon irgendwo. Konstruiert - hmm ... da habe ich gerade keinen Zugang zu, das fühle ich nicht so sehr, aber das ist auf jeden Fall notiert und vllt sagt ja jemand etwas ähnliches. Manchmal müssen ein paar Wochen oder Monate vergehen, bis ich einen Text mit frischen Augen lesen kann und dann fallen mir solche Anmerkungen von Kommentatoren richtig auf, deswegen nehme ich das schon ernst!
Das liegt wahrscheinlich auch an den "Werten", die mir zu direkt vermittelt werden.
Ja, da hab ich zu sehr drauf gehauen! :D Das werde ich etwas runterfahren. Ich wusste, dass das too much ist. Aber ich war in so einer Laune, dass ich da mal Bock drauf hatte, dass jemand ganz klar seine Werte benennt; sie müssen ja nicht stimmen oder angenommen werden. Im Prinzip wollte ich hier zeigen, wie auch jemand an seinem eigenen Wertesystem auf eine Art untergeht. Der Laden des Vaters wird ja dicht gemacht, er verliert gegen das Einkaufszentrum, obwohl er wohl nach seinen Werten handelt

Mir hat Tempo gefehlt; manchmal kamen mir die Erinnerungen etwas redundant vor und ich hatte schon dieses nostalgische Gefühl und ich hätte da nicht noch mehr gebraucht.
Ja shit, ich dachte, ich hätte da etwas angezogen. Ärgerlich!

Auch wenn mein Kommentar sich kritisch liest, möchte ich am Ende (bevor ich in die Details gehe) noch einmal sagen, dass ich es großartig finde, dass du dich so intensiv mit der Überarbeitung befasst hast. Bewundere ich immer und bin überzeugt, dass das entscheidend für die eigene Entwicklung ist.
Danke dir

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann. Einen Nachmittag stand ich mit ihm in der glühenden Hitze im Dachboden des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters: Wir rissen alte Holzschränke ein und bauten verrostete Metallregale auf, die mein Vater von einer der benachbarten Geschäftsauflösungen aufgekauft hatte.
Konnte mich noch gut an deine Story erinnern und bin auch wieder gut reingekommen; ich finde, dass du sehr gut schreibst. Es ist dieses Gefühl entstanden, das ich auch bei Romanen sehr schätze: Ich habe dir als Autor vertraut und bin in die geschilderte Welt eingetaucht. Das ist ein großer Pluspunkt deiner Geschichte.
Danke für deine Einschätzung. Viele haben sich an dieses pathetische Intro gestört und es war stets ein beliebter Kürzungskandidat, aber ich mag das Intro eigentlich auch, es bringt einen in die richtige Stimmung, mMn

Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte.
Ich habe diese Stelle mal als Beispiel herauskopiert, weil sie für mich sehr gut gelungen ist und gut deine Schreibkünste zeigt; besonders gut haben mir die Variationen gefallen. Davon würde ich mir gerne eine Scheibe abschneiden, hat mir gut gefallen!
Danke!

Seine schmalen Lippen, wie langgezogene Striche.
Ich bin über dieses Komma gestolpert. Wenn ich es richtig verstehe, dann ist das hier eine Ellipse: Seine schmalen Lippen {waren} wie langgezogene Striche. Oder?
Schreibfehler! Wird korrigiert

Ich erinnere mich, dass der Mann mir lächelnd ins Gesicht blickte, sich zu seinem Werkzeugkasten bückte und sagte: »Hier drin hab ich Papageien!« Er öffnete die Klappdeckel des Werkzeugkastens, sah mir ins Gesicht und lachte laut dabei.
Ich habe das mit den Papageien nicht so richtig greifen können und hatte hier statt einer gelungenen Figurenzeichnung eher ein Fragezeichen. Habe ich hier etwas überlesen oder nicht verstanden? Mich würden deine Gedanken dazu interessieren.
Wie bereits erläutert: Das war als Witz des Mannes gemeint! Er redet mit einem Kind und reißt diesen Gag. Aber wenn das nicht klar ist, muss ich etwas daran ändern
Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter.
Hat mir gefallen, wie du hier die Sinne ansprichst.
Super

Dann kamen wir zum übernächsten und überübernächsten, bis wir alle Regal entnagelt hatten.
Kleinigkeit: Regale.
Richtig!

»Alles super«, sagte der Mann.
Hier das mit dem "super"; das hat so gar nicht in mein Bild von ihm gepasst. Ich sehe ihn eher als karg und kurz angebunden und als nicht so verträglich, daher hat mich das super verwirrt. Bin gespannt, wie es da anderen geht.
Ein Punkt, den ich nicht auf dem Schirm hatte. Ich hab an konkrete Handwerker gedacht, die ich aus meiner Kindheit/Jugend gekannt habe und konnte mir das vorstellen; aber ja, ist eine Überlegung wert, ich bin gerade auch nicht mehr sicher

Er hatte eine kräftige, lautstarke Stimme, aber da schwang auch etwas Sanftes mit. Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Ich finde, dass das hier zu klischeehaft ist und ich hätte mir an dieser Stelle mehr Präzision gewünscht, weil es mir nicht konkret genug ist. Was genau bedeutet "zu einer bestimmten Zeit des Tages?" Ich bekomme hier kein richtiges Bild und hatte das Gefühl, dass es mehr ein Effekt war, als eine detailgetreue Beobachtung.
Oh Mann, witzig, MRG, nimm es mir nicht krumm, :D du hast sicherlich deinen alten Kommentar nicht noch mal gelesen, aber ich!, und es ist auf eine Art sehr interessant wie unterschiedlich Leute dann doch einen Text mit zeitlichem Abstand lesen (deine beiden Einschätzungen schließen sich jetzt nicht gegenseitig aus, aber es ist schon interessant - vllt deutet es aber auch auf deine Entwicklung als Autor und Leser hin):
Du schriebst:
Als ob er es gewohnt wäre, seine Stimme zu einer bestimmten Zeit des Tages auf die eine Art zu verwenden, und abends, wenn er seine Katze streichelte oder am Küchentisch fernsah und laut nachdachte, auf die andere.
Hier lese ich eine erste Andeutung, dass es dem Mann nicht so gut geht, dass er möglicherweise psychische Probleme hat.

Er streckte die Zunge wieder raus, mit geschlossenem Mund, so weit er konnte, Richtung Kinn, mit der Attitüde eines Kindes; seine Zunge war breit, kurz und dunkel; ich erinnere mich, wie ich unwillkürlich losprustete; hatte ich jemals einen Erwachsenen so etwas tun sehen?
Denke, dass du hier einen manisch depressiven Charakter zeichnest, oder?
Würde ich gar nicht sagen! Das kann man so lesen, shit, ja. Ich glaube, ich hab die Sache mit den Papageien und dem Zungerausstrecken zu sehr ungeframed hingestellt, sodass man es leicht anders verstehen kann als ich es gemeint habe und die Bilder eine andere, unstimmigere Story bilden.
Ich meinte hier, dass er dem Erzähler die Zunge wie ein frecher Junge rausstreckt, aus Spaß quasi

aber in meiner Erinnerung fiel das Regal mit einer solchen Wucht in sich zusammen, dass der Mann und ich instant erschrocken zusammenzuckten.
Bin über das Wort "instant" gestolpert.
Ja, ich dachte, im Duden steht es nicht, aber ich benutze es, es ist einen Versuch wert! :D

Der Arbeiterstolz, mit den eigenen Händen, mit dem eigenen Körper und der eigenen Kraft Dinge zum Besseren gehoben, geschlagen, getragen und gehämmert zu haben, glühte in mir. Hatte ich mich jemals so zufrieden gefühlt?
Ist das nicht auch ein Klischee? Der Arbeiterstolz, weil ich selbst etwas handwerklich vollbracht habe?
Fuck, ist es das? Ich weiß es nicht. Ich meine, jeder, der das mal gemacht hat, kennt wahrscheinlich das Gefühl. Ich weiß nicht, ob das ein Klischee ist, vielleicht, vielleicht nicht :sick:

Der Mann und ich standen perplex da. Schließlich stieg der Bekannte meines Vaters über das Holz, kniete sich und gab meinem Vater eine Räuberleiter.
Bin über das "kniete sich" gestolpert, nach meinem Gefühl müsste da noch etwas folgen, also entweder er kniete sich nieder oder er kniete.
Gekauft

Mein Vater atmete tief ein und aus, die eine Hand in der Hosentasche, den Blick in die Ferne. Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte und meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte.
Sehr, sehr stark! Da steigt in mir eine Gefühl der Weite auf und ich bin ganz begeistert; finde ich eine gelungene Stelle.
Super danke

Ich erinnere mich an das orange Licht der Laternen, an den Nieselregen.
Das fand ich auch exzellent, weil es in mir ein Gefühl der Nostalgie und auch Wehmut ausgelöst hat. Starker Satz, in meinen Augen.
Nice

Mein Vater griff in die Innentasche seines Mantels, blickte durch die Windschutzscheibe. Er hielt ein Softpack Ernte 23 in Händen, riss das Zellophan ab und hielt es mir hin.
»Ich weiß, dass du es willst«, sagte er und nickte auf die Zigaretten. »Greif zu«, sagte er. »Lieber hier mit mir, als irgendwo sonst.«
Ich griff nach einer Zigarette, legte sie wie eine Hostie in beide Hände und blickte sie an, als hätte ich nie zuvor eine Zigarette gesehen. Aber ich konnte nicht aufhören, an all das Blut zu denken, von dem mein Vater mir erzählt hatte. Dass der Mann in dem Blut gelegen wäre. Dass es beim Reinigen seiner Waffe passierte. Dass er sich ein Loch ins Gesicht geschossen haben soll. Dass er in all dem Blut gelegen war. Dass ihn seine Frau gefunden hätte.

Erweitern ...
Der Dialog: "Ich weiß, dass du es willst" kam mir etwas merkwürdig vor und hat für mich nicht funktioniert. Der Vater ist doch total geschockt, da hat er doch andere Sorgen, als darüber nachzudenken, dass sich sein Sohn ausprobieren will, oder? Korrigiere mich gerne, wenn du dir das andere gedacht hast.
Ja, vllt hast du Recht. Ich hatte einen "Drogen-Teil" des Prots drin, aus dem ergab sich dieser Teil mit dem Vater organischer. Jetzt kann es so wirken, wie es für dich gewirkt hat. Der Vater hat einen leichten Umgang mit Tabak.
Der Hintergrund/die Vorgeschichte des Prots wird im Intro kurz angedeutet:
Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer. (...) Sicherlich Zigaretten und erste Räusche, die ersten, angewiderten Schlücke Alkohol, gefolgt vom ersten, göttlichen Loslösen von der Welt.
Aber ja, vllt ist das zu wenig

Er nahm die Zigarette in den Mund, entflammte das Feuerzeug und zündete den Tabak an. Schließlich drehte sich mein Vaters zu mir, hielt mir die Flamme hin; ich erinnere mich an diesen Moment, an das Feuer, an seinen Mantel, dieses Gesicht; die Dunkelheit, die klamme Luft des Wagens; den Blick, den er mir zuwarf und mein Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem Erwachsen – mit meinem Vater – zu sein.
Das wiederum fand ich großartig; konnte mir den Moment vorstellen, was vor allem an diesen Details liegt wie "klamme Luft des Wagens" und ich hatte da sofort ein Bild im Kopf.
Super danke

Dann sagte er: »Ich will, dass du das alles weißt. Ich will, dass du weißt, wie die Welt da draußen ist.« Er sah durch die Windschutzscheibe. »Die Welt ist furchtbar«, sagte er. »Sie ist grauenhaft. Schrecklich.«

zigga schrieb:


»Manche Leute sind verflucht«, sagte er. »Sie sind zu schwach für das, was da draußen passiert. Die Welt mit ihren eigenartigen Regeln. Ich möchte dir sagen, dass die Art, wie wir leben, zutiefst krank ist. Den meisten fällt das nicht auf. Manche Leute können das nicht.«

zigga schrieb:


»Aber es gibt auch das Gute«, sagte er. »Es kommt von jedem Einzelnen. Treue. Ehrlichkeit. Mut. Fleiß. Ich glaube nicht an meine Kirche. Aber an meine Werte.«
Das ist mir doch zu schwarz-weiß und das meinte ich auch weiter oben; für mich ist das zu sehr an mich als Leser gerichtet. Hätte ich mir subtiler gewünscht.
Ok Danke für die Einschätzung, MRG. Ich verstehe das und kann es nachvollziehen. V.a. bei dem Moralin, das er aufzählt. Das macht er ja gleich dreimal aktuell. Ich kann verstehen, dass das zu viel ist und es ist irgendwo auch mein Gefühl. Ich brauche da etwas Abstand, um das klar einschätzen zu können! Im Augenblick mag ich den Dialog mit dem Vater eigentlich. Aber es kann sein, dass ich mich irre, und wenn das dein Lesegefühl ist, ist das viel wert.

Lieber @zigga, ich hoffe, dass du mit meinen Anmerkungen etwas anfangen kannst und auch, wenn es etwas kritischer ausgefallen ist, war das Kritik auf hohem Niveau, das möchte ich dich unbedingt wissen lassen.
Alles gut und ich danke dir noch mal für die ehrliche Einschätzung, wenn sie kritisch sein muss, muss sie kritisch sein, lieber MRG, du machst alles richtig!

Viele Grüße
zigga

 

Hallihallo,

dein Text hat mich sehr bewegt. Es sind wunderschöne Sätze und Bilder darin, deine Art zu beschreiben ist ziemlich gut.

Es ist fast zwanzig Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Mann. Einen Nachmittag stand ich mit ihm in der glühenden Hitze im Dachboden des Lederwaren-Geschäftes meines Vaters:
Ein guter erster Satz, der mich als Leser in die Geschichte zieht. Bei dem Dachboden bin ich mir etwas unsicher, ob es nicht auf dem Dachboden heißen sollte.
Ich erinnere mich an ein Gefühl, unsterblich zu sein; vom Tod, von der Endlichkeit aller Dinge zu wissen, aber die Kindlichkeit zu besitzen, nicht daran zu glauben – als sei das eine Religion, die man verlassen könnte. Ich erinnere mich an meinen tiefen Glauben an die Architektur und die Sinnhaftigkeit der Welt der Erwachsenen.
Auch da hier konnte ich gut nachvollziehen und ich bin jetzt, nein ich schreibe es nicht.
sagte;
Oh, etwas ganz seltenes:D Ein Semikolon.
war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen. Dreizehn Jahre alt sein und glauben, die Welt würde einem gehören. Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. Ich weiß nicht mehr genau, was sonst noch in mir umherging, in jenem Sommer.
Auch hier: Super beschrieben.

Wie bereits geschrieben, dein Text hat mich sehr bewegt und ich möchte jetzt nicht noch mehr dazu schreiben.

 

Moin @zigga,

finde ich ja einen sehr interessanten Punkt :D

Oh Mann, witzig, MRG, nimm es mir nicht krumm, :D du hast sicherlich deinen alten Kommentar nicht noch mal gelesen, aber ich!, und es ist auf eine Art sehr interessant wie unterschiedlich Leute dann doch einen Text mit zeitlichem Abstand lesen (deine beiden Einschätzungen schließen sich jetzt nicht gegenseitig aus, aber es ist schon interessant - vllt deutet es aber auch auf deine Entwicklung als Autor und Leser hin):
Du schriebst:
Möglicherweise hat das auch viel damit zu tun, dass ich mich momentan intensiv mit Klischees befasse und das stärker hinterfrage. Ansonsten sehe ich das durchaus, als ein positives Zeichen, wäre ja schlimm, wenn ich immer noch die gleiche Meinung und Einschätzung wie vor einem halben Jahr hätte.

Beste Grüße und schönen Adventssonntag
MRG

 

Lieber @linktofink,

erstmal Dankeschön fürs erneute Lesen und Kommentieren!

Ich habe ein paar grundsätzliche Gedanken zu deinem Text, die schon auch wieder Eingriffe bedeuten, Aber Du hast ja gefragt. :D
Ich wollte es so! :D

Mein Vorschlag: Die Rückblenden ins Präsens setzen und klar markieren (kursiv?), die Rahmenhandlung im Perfekt lassen (oder auch ins Präsens) und direkt mit der Handlung einsteigen. Würde dann so aussehen (Das wäre mein erster Satz):
Ja, der Vorschlag ist legitim. Ich hänge nur noch zu sehr am ersten Block, am "Intro". Mich bestärkt immer, wenn Kommentatoren das auch so mögen wie ich.


Im Dachboden räumen der Mann und ich die Lederwaren aus den Regalen. Die Hitze steht drückend unter dem Dach. Der Geruch des Leders hängt schwer und trocken in der Luft, klebt an unseren Händen und Armen. Nach fünf Minuten ziehe ich mir schon das T-Shirt aus. Die Sonne bricht grell durch die schlitzartigen Fenster. All der Staub, der umherwirbelt. Schweiß läuft mir Gesicht, Rücken und Bauch herunter.
Der Mann lächelt und wischt sich über die Stirn.
»Mal Pause«, sagt er. Er atmet tief ein und aus und schaut lächelnd aus dem Fenster. Er fährt sich durch die Haare und stemmt seine Hand in die Hüfte. Sein Blick liegt auf der Stadt.
Er bückt sich, kramt in einer TEDi-Plastiktüte, zieht ein Paar Handschuhe heraus und streift sie über. Er öffnet den Werkzeugkasten und greift sich eine Zange. Schließlich geht er zum hintersten Regal und beginnt, rostige, fingerlange Nägel aus dem Holzbalken zu ziehen ...
Den Teil ins Präsens setzen ist auch eine sehr gute Idee, versteh mich nicht falsch. Für mich fühlt sich das auch unmittelbarer an. Ich finde das wirklich sehr gut gemacht, wie du das vorschlägst. Ich probiere das mal testweise. Ich hatte das schon mal probiert, und da ist es mir nicht gelungen, weil ich das Gefühl hatte, dass durch die Unmittelbarkeit auch von der Perspektive her sich etwas ändern müsste, und das wäre dann ein komplett neuer Text gewesen, der mir auch auszuschreiben nicht gelungen ist.
Also ich werde das mal probieren. Ich sehe hier allerdings ein wenig eine paradoxe Wirkung, die womöglich eintreten kann. Und zwar, dass der Text durch das Switchen ins Präsens, wodurch er eigentlich Unmittelbarkeit evozieren möchte, genau das Gegenteil hervorbringen könnte. Einfach, weil man als Leser den "Trick" natürlich sehr stark mitbekommt und man auch gedanklich switchen muss. Als Leser mag ich solche Switches nicht gerne. Ich mag das eher, wenn es aus einem Guss ist, sprachlich wie zeitlich, jeder Switch schüttelt mich da aus dem Text.
Das ist natürlich nur der Fall, wenn der Text Präsens sowie Perfekt beinhaltet. Wenn ich nur Präsens wählen würde und es nicht in Kursiv schreiben würde, würde dieser paradoxe Nachteil entfallen.

Vllt. schaffst du zusätzliche Nähe, wenn du statt "der Mann" was anderes schreibst.
Starker Punkt. Das werd ich so machen.

Du brauchst das Vergessen als Aufhänger am Anfang, aber du könntest was anderes schreiben, bspw.: "Mein Vater nannte ihn Carlos. Den Namen hatte er aus der Kneipe mitgebracht und wir wussten beide, dass der Mann richtig anders hieß. Vater ließ es dabei, auch wenn er seinen Namen wusste, denn als es um die Abrechnung der Arbeit ging, hat er ihn genannt. Für mich blieb er Carlos, den anderen Namen habe ich vergessen." So was, "der Mann" ist reine Projektionsfläche für alles und nix, wenn du ihn belegst mit einem Nick, kommt er näher, finde ich, und du kannst damit spielen.
Richtig geil, das Spielchen mit Namenvergessen geht mir auch auf den Senkel an der Stelle, merke ich gerade. Werde ich so umsetzen.

Mein Vater stellte die Flaschen ab. Sein Blick wanderte durch den Dachboden. Er sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte und sagte für lange Zeit kein Wort. Er sah uns nicht an. Dann stellte er einen Fuß auf den Bretterhaufen und stakste über das Holz, langsam, wankend und stolpernd, bis er an den Fenstern der Wand stand. Mein Vater blickte durch das Glas, mit dem Gesicht ganz nah an der Scheibe. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dann öffnete er das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.
»Helft mir mal«, sagte er.

Erweitern ...
Hammerabsatz! Immer noch. Da schwingt so viel mit, ohne dass es erklärt wird, toll!
Danke!

Danach krabbelte ich über das Holz zum Fenster, trat auf die Hand des Mannes und zog mich ebenfalls durch den Fensterrahmen. Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste.
Frage: Wenn er als Heranwachsender mit seinem Kopf kaum durchpasst, werden die Männer mit ihren Bäuchen wohl an der Öffnung scheitern, oder?
Legitime Frage
Was ich mir mal abgewöhnen muss, ist, solche Stellen in Texten zu haben, von denen ich eigentlich weiß, dass sie problematisch sind, aber von denen ich aus irgendeinem Grund denke, das wird keiner merken. Das ist so saudumm :aua: Genauso hier.

Die Weite des blauen Himmels über uns. Keine einzige Wolke. Der Himmel strahlte so, dass es einem in den Augen schmerzte. Vor uns lag die Stadt: Die hohe, gotische Kirche war nur einen Steinwurf entfernt, genauso wie zwei, drei Bürogebäude, ein paar Wohnhäuser, der Busbahnhof und einige der bereits geschlossenen Läden mit ihren abgeklebten Schaufenstern; und dann, vielleicht einen weiteren Steinwurf entfernt, der Rohbau des neuen, großen Einkaufszentrums, der schon damals all die umliegenden Gebäude überragte und meinen Vater schließlich in den Ruin treiben sollte.

Erweitern ...
Das hat mir schon beim ersten Mal so gut gefallen, große Klasse.
Danke dir, link


Ich lachte, weil mir das alles lustig vorkam. Ich hatte keinen Moment mehr an den Mann gedacht. Er war für mich nichts weiter als ein Erwachsener, der in meinem Leben aufgetaucht und wieder verschwunden war, wie so viele.
MMn widerspricht sich das ein wenig, dass er diese Leere und Schwere spürt und sie wortlos beide mit den Köpfen bei dem Mann sind und er dennoch nichts weiter als einer von vielen Erwachsenen gewesen sein soll, weißt? Das Gegenteil ist doch der Fall:
Das ist ein Mensch, der ihn beschäftigt, das ist auch eine Frage der Vorbilder: Welche Art Mann möchte ich einmal sein? Da wird ja auch sortiert, vor allem wegsortiert: So wie Lehrer XY auf keinen Fall, so wie der Bekannte vielleicht schon.
Hast du voll Recht, link.

dass der Mann und ich instant erschrocken zusammenzuckten.
bitte weg damit, wirkt albern.
:D

Ich hatte unwillkürlich die Bilder des einstürzenden World Trade Centers im Kopf.
würde ich nicht schreiben, solche Vergleiche sind schief und führen gedanklich aus der Geschichte. Ist gar nicht notwendig, ich habe auch so ein starkes Bild im Kopf.
Ja, danke für den Hinweis

Dass der Mann in dem Blut gelegen wäre.
"gelegen hatte" würde ich schreiben. Ist ja kein Hörensagen, von dem man nicht so genau weiß, ob es stimmt und das dann im Konjunktiv formuliert, weil man sich nicht sicher ist. Du zählst danach ja die Fakten auf: 61, neue Frau, Depressionen, dann sollte der Rest auch stimmen.
Ich hatte das Wäre, weil ich in dem Augenblick zeigen wollte, dass der Prot es noch nicht richti glauben kann. Weiß aber auch nicht, ob das so stimmig ist.

Mein Vater und er; wenn ich heute an diese Männer denke, dann denke ich an zwei stille, nachdenkliche und höfliche Männer, die sich im Pulk fremder, lauter Menschen nach drei, vier Flaschen Bier in der Stehkneipe gegenüber vom Lederwarengeschäft durch eine Art natürliche Anziehung finden und fortan beisammen bleiben.
auch wieder sehr schön, zigga. Für mich ist das ein Hauptmotiv deines Textes, diese natürliche Anziehung, dieses Erspüren der gemeinsamen Wurzeln, Heimat ist dort, wo ich verstanden werde. Der Junge gehört ja auch dazu, er hat diese Momente des Erkennens, mit dem Mann und mit dem Vater. Das würde ich herausstellen, dieses Verständnis ohne viele Worte.
super, danke

Er sah durch die Windschutzscheibe nach draußen, hinunter auf die Stadt, und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass da etwas von ihm abfiel, dass ich etwas Weiches und Verletzliches an seinem Gesicht wahrnahm, das ich so nie zuvor gesehen hatte. Er nahm die Zigarette in den Mund, entflammte das Feuerzeug und zündete den Tabak an. Schließlich drehte sich mein Vaters zu mir, hielt mir die Flamme hin; ich erinnere mich an diesen Moment, an das Feuer, an seinen Mantel, dieses Gesicht; die Dunkelheit, die klamme Luft des Wagens; den Blick, den er mir zuwarf und mein Gefühl, Teil einer Verbindung auf Augenhöhe mit einem Erwachsen – mit meinem Vater – zu sein.

Erweitern ...
da ist die Initiation, die den ganzen Einleitungsabsatz meiner Meinung nach fast überflüssig macht, weil sie das Gefühl genau trifft, diesen Moment dazwischen, den Übergang. Bissl strange: Der Vater, der dem Sohn die Zigarette aufzwingt, als wolle er das Erwachsenwerden forcieren.
Ja, ist ein Punkt. Zigarette: Ja, das kommt ein wenig abrupt in der Version, weil der Drogen-Teil gekickt wurde. In der Einleitung steht kurz, dass der Prot sich mit Zigaretten und Alkohol abgegeben hat bereits vor der Zeit, aber kann man natürlich nicht verlangen, dass das ein Leser so lange im Gedächtnis behält

Wie sehr sich in diesem Moment das Bild davon, wer mein Vater wäre, änderte.
Auch hier stört mich der Konjunktiv, spricht was gegen: "Wie sehr sich in diesem Moment mein Bild davon, wer mein Vater war, änderte."
Gekauft

»Aber es gibt auch das Gute«, sagte er. »Es kommt von jedem Einzelnen. Treue. Ehrlichkeit. Mut. Fleiß. Ich glaube nicht an meine Kirche. Aber an meine Werte.«
Nee, zigga, hier wird es mir zu moralisch. Das sind Dinge, die ich mir als Leser hinzudenken kann, weil sie sich aus dem Kontext und dem Verhalten, das du vorher so gut beschreibst, ergeben. Dadurch, dass du sie explizit hinschreibst, schwächst du das. Und wenn du das mit Gott in Vergleich setzt:

zigga schrieb:


»Wenn du die Welt machen lässt, wird alles schlecht. Und du gehst unter. Es gibt keinen Gott im Himmel.« Er blickte in Richtung Wagendach und deutete mit dem Zeigefinger nach oben. »Nur Werte können uns retten«, sagte er.
erhebst du diese Werte zu einer quasi göttlichen Maxime. Da steckt für mich eine Überdosis Pathos drin, etwas unangenehm Pastorales, das die feinen Töne killt. Auch hier:

zigga schrieb:


»Nur Werte können uns retten«, sagte er. »Treue, Ehrlichkeit, Mut, Fleiß und Rechtschaffenheit.
Noch dreimal die Wiederholung mit dem Holzhammer und ich verdrehe innerlich die Augen, weil ich mir denke: Okay, hab´s kapiert, Meister, du hast deinen Moralischen, aber jetzt komm mal wieder auf den Teppich! Ein Fremdkörper für mich. Arbeiterstolz kaufe ich noch, das hier nicht. Für mich ist in dem Text das, was nicht oder leise gesagt wird, viel stärker.
:D Ja, ich wusste, dass das als Moralin angeprangert werden wird, was ja auch eine sehr legitime Leseweise ist. Ich fahre das womöglich etwas runter. Mir gefiel das beim Schreiben ganz gut und jetzt immer noch. Im Endeffekt ist das ja eine Figur, die ihren moralischen Kodex einer anderen erklärt, kein Text oder Erzähler des Textes, der an den Leser appelliert. Das wäre dann wirkliches Moralin-predigen-Niveau. Ich fand den Twist, dass der Vater praktisch mit seinen Werten, an die er sich klammert, untergeht, ganz interessant - man bekommt ja mit, dass er letztendlich gegen das Einkaufszentrum verliert. Weiß aber auch nicht, ob das so gut gemacht ist vom Text her, weil es ja bei den Lesern nicht so funktioniert hat. Ich schaue mal, aber danke für den Hinweis jedenfalls!

Meiner Erinnerung nach rauchten wir noch drei oder vier Zigaretten.
Mal rein praktisch: Mir war nach der ersten Zigarette kotzschlecht und das Nikotin hat mich von den Beinen geholt. Drei oder vier hätte ich beim ersten Mal nicht rauchen können.
Hier kommt meine Ausrede: Er pafft ja! :D Und es ist ja - meiner Lesweise des Textes - nicht die erste Zigarette. Aber so wie du es liest, ist das auf jeden Fall legitim und da liegt ein Problem im Text, das sehe ich

Mein Vater blieb stehen und drehte sich zu mir, ein paar Schritte vor mir, auf dem Gehweg. Ich erinnere mich, wie sehr mich dieser Augenblick schockierte. Die Laternen leuchteten das Gesicht meines Vaters auf eine Art aus, wie ich es zuvor nicht wahrgenommen hatte. Für einen Augenblick sah ich die Dinge, wie sie waren.
Der Ausstieg aus dem Text ist wieder schön, da triffst du den Ton wieder. Schockiert heißt: "aufgrund provozierenden Verhaltens in Entrüstung versetzt". Das ist hier zu viel. Würde ich ersetzen durch erschreckte. Insgesamt Sotto voce, lange machst du es sehr gut, gerade gegen Ende weniger Haudrauf, mehr leise Töne mit größerer Reichweite.
Auch ein guter Punkt. Dass der Ausstieg schön ist! Nein, Spaß. :D Schockiert ist wohl tatsächlich ein wenig deplatziert - werde ich denke ich ändern!

Viele Dank dir noch mal, link2fink, ich konnte viel mitnehmen!


@Silverhawk

dein Text hat mich sehr bewegt. Es sind wunderschöne Sätze und Bilder darin, deine Art zu beschreiben ist ziemlich gut.
Wie bereits geschrieben, dein Text hat mich sehr bewegt und ich möchte jetzt nicht noch mehr dazu schreiben.
Danke dir für das große Kompliment und fürs Lesen und Kommentarschreiben. Freut mich natürlich sehr, wenn sich Leser melden, denen die Story so gut gefallen hat wie dir!


Viele Grüße
zigga

 

Ich möchte dir sagen, dass die Art, wie wir leben, zutiefst krank ist.

Wie wahr,

lieber zigga,

und in Verbindung des jugendlichen Alters des Erzählers will mir die Geschichte wie ein Initiationsritus, dem Eintritt in die Welt der Erwachsenen erscheinen (der in der römischen Kirche m. E. in der Kommunion viel zu früh angesetzt wird und in den ev. Kirchen mit ca. 14 Jahren nahezu dem der Naturvölker entspricht – das Wahlrecht wird der uralten Tradition demnächst entgegenkommen, freilich würde ich da eine Art „Konfirmationsunterricht“ von wenigstens zwo Jahren gleich mit erzwingen wollen).

Weil mir in den 90ern bei einem Besuch in Norden (Ostfriesland) zum ersten Mal der sterbende Einzelhandel bewusst wurde (was kurz darauf auch im Pott losging) würde ich die Zeitenwende als Zeitraum der Erzählung ansehen (was ja dann mit der 20-Jahre-Rückschau passt.

Aber was mir sofort auffällt, ist die dauerhafte Zusammenlegung des Possessivpronomens „mein“ mit dem Status „Vater“, was ich vllt. schon krankhafte Sorge ansehe, den Vater zu verlieren …

Hier sinkstu ein bisschen arg in den Konjunktiefen ein

Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde.
Dabei zieht das aktuelle Wissen doch das Fühlen in die Gegenwart und das vermeintliche „wissen“ schreit doch förmlich nach Konj. II (das „funktionierte“ ist ja schon identisch mit dem Konj. II, blieben „man wüsste“ und „abstoßend wäre“

..., nicht daran zu glauben – als sei* das eine Religion, die man verlassen könnte.
* wäre

Hier passiert etwas, was schon fast an ein Wortspiel erinnern muss

; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen*.
*trügen

Ausgerechnet, wo’s gelingt, kannstu sogar auf den Konj. verzichten und den Indikativ gefahrlos verwenden

Aber auch das wäre* schwierig. Ich weiß nicht, ob er verstehen würde**, worauf ich hinaus will.
*war, ** ob er verstanden hat

Als all das Holz dort auf dem Boden lag, blickte mich der Mann an und begann auf einmal laut zu lachen. Ich blickte auch ihn an, lächelte, sah all das Holz und begann ebenfalls für einen langen Moment laut zu lachen.
Da verleitet die Wortstellung „blickt auch ihn an“ zur Annahme, da wäre noch ein Mensch, den er auch ansehen könnte. Den Effekt, dass er nur eben den einen Mann anschaut, sicherstu mit „ich blickte ihn auch an“

Hier

Wie er einen Stock unter uns saß, …
vllt. besser, das „Stockwerk“ auszuschreiben

Ich weiß nicht mehr, wie es geschah, aber in meiner Erinnerung fiel das Regal mit einer solchen Wucht in sich zusammen, dass der Mann und ich instant* erschrocken zusammenzuckten.
* instant bedeutet an sich „von bestimmten, meist zu einem pulverförmigen Extrakt verarbeiteten Lebensmitteln) sofort löslich, ohne Vorbereitung, nur durch Hinzufügen einer Flüssigkeit in kürzester Zeit zum Genuss bereit“ (lt. DWDS, instant – Schreibung, Definition, Bedeutung, Beispiele | DWDS)

Hier ist mir die Kommasetzung ein Geheimnis

Der Mann hielt sich die Hand hustend vor den Mund, mit zusammengekniffenen Augen.
...
Mein Vater kam abends von seinem Laden, im grauen Wollmantel.
vllt. auch die abgegrenzten Satzteile nach vorne verlegen, "Der Mann mit den zusammengekniffenen ...", der "Wollmantel" hinter den Abend ...
Ich weiß noch, dass ich mich kniend auf den Stuhl gesetzt hatte, die Ellbogen auf dem Küchentisch,…
wie geht das?
Vllt. knietestu auf der Sitzfläche wahrscheinlich mit der Lehne vorm Bauch …?

Niemand von uns beiden sprach ein Wort.
Niemand ist an sich ein namenloser Mensch (also den Namen kennt man halt nicht). „Keiner“ ist da besser angesagt

Dass der Mann in dem Blut gelegen wäre.
Ungewöhnliche, vllt. landschaftliche Formulierung? Jo, bestätigt sich gleich
Dass er in all dem Blut gelegen war.

Wie sehr sich in diesem Moment das Bild davon, wer mein Vater wäre, änderte.
Warum die schwache Klammer?
„Änderte“ vors erste Komma und eines eingespart!

Ähnlich hier

Einen Augenblick blieb ich stehen und glaubte, ich hätte etwas vergessen, im Auto.
„Wie sehr sich in diesem Moment das Bild davon änderte, wer mein Vater wäre."
und
"Einen Augenblick blieb ich stehen und glaubte, ich hätte etwas im Auto vergessen.“

Gern gelesen
& schönen Restsonntag wünscht der

Friedel

 

Hey @zigga

vielen Dank fürs Anstupsen und sorry, dass es etwas gedauert hat. Leider ist im Büro grad die Hölle los.

Hab die neue Version eben gelesen und am Ende hatte ich Gänsehaut. Auch diese Version ist sehr detailreich, dicht und atmosphärisch. Ich hab durchgängig Kopfkino, Du weckst Nähe zu den Protagonisten und ich fühle mit.

Hier meine Leseeindrücke:

Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.

Die Doppelung ist mir aufgefallen.

Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen.

Das hat mich gerührt. Ein 13-jähriger, der sich plötzlich nicht mehr als Kind fühlt. Dieses Zwischending zwischen Kind und Erwachsenem.

Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. I

Die Doppelungen sind mir aufgefallen.

Die Gedanken des Jungen sind glaubwürdig und für mich nachvollziehbar.

Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hineinbiss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.

Sehr schöner Absatz. Hat mir sehr gut gefallen.

Wie meine Mutter das Gesicht in ihre zarte, blasse Hand legte, die Zigarette zwischen den Fingern, und zu weinen begann. Wie mein Vater sie ansah, erschrocken, überfordert, mit all dem roten Saft am Kinn, und wieder ins Fruchtfleisch biss.

Und auch diese Stelle hat mich berührt.

Der Mann war einen Kopf größer als ich, das blonde, lichte Haar angegraut, sein Gesicht seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie der Himmel, wenn wir aus einem der engen Fenster des Büros meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Da war eine gewissenhafte, ruhige Schwere in seinem Blick. Er trug eine graue Latzhose

Für mich würde es die vielen Adjektive nicht benötigen. Und die Doppelungen auch nicht.

Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl. Ich erinnere mich, dass der Mann mir lächelnd ins Gesicht blickte, sich zu seinem Werkzeugkasten bückte und sagte: »Hier drin hab ich Papageien!« Er öffnete die Klappdeckel des Werkzeugkastens, sah mir ins Gesicht und lachte laut dabei.

Hier hab ich gestutzt. Das mit den Papageien hab ich nicht verstanden.

Wie der Mann hieß, habe ich leider vergessen. Ich könnte meinen Vater anrufen, dort, wo er jetzt wohnt, aber das wäre schwierig.

Warum wäre es schwierig, ihn anzurufen?

Aber auch das wäre schwierig. Ich weiß nicht, ob er verstehen würde, worauf ich hinaus will.

Ich versteh nach wie vor nicht, warum es schwierig wäre.

Ich betrat das Büro und sah die beiden Männer dort in Drehstühlen sitzen, mein Vater hinter seinem sperrigen Schreibtisch, und der Mann beim Fotokopierer; beide lächelten und drehten ihre Köpfe zu mir.

Der Wechsel zwischen Vergangenheit hat mich etwas verwirrt. Da hab ich erst nen Moment gebraucht, um reinzukommen.

»Mal Pause«, sagte er. Er atmete tief ein und aus und schaute lächelnd aus dem Fenster. Er fuhr sich durch die Haare und stemmte seine Hand in die Hüfte. Sein Blick lag auf der Stadt.
Er bückte sich, kramte in einer TEDi-Plastiktüte, zog ein Paar Handschuhe heraus und streifte sie sich über. Er öffnete den Werkzeugkasten und griff sich eine Zange. Schließlich ging er zum hintersten Regal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Holzbalken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte, und mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an. »Ja«, sagte er. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter.

Zu viele Sätze, die gleich beginnen. Das gibt dem Text etwas Hölzernes. Ich würde mir ein wenig Abwechslung wünschen.

Wir drehten uns um und sahen ihn auf den Treppenstufen stehen, die hinunter zum Büro führten. Mein Vater sah müde aus.

Doppelung.

Das Gesicht des Mannes war klatschnass geschwitzt.

Du erwähnst immer und immer wieder, wie die beiden schwitzen. Mir persönlich ist das teilweise too much. Als würdest Du immer wieder mit dem Hammer drauf stoßen würden. Das braucht es gar nicht. Wenn Du das ein/ zweimal erwähnst ist das klar und auch während dem Verlauf hat man das Bild klar vor Augen.

»Jetzt kommt der beste Teil«, sagte er, sah zu mir und lächelte mich mit seinem breiten, strichförmigen Mund an.

Breit und zugleich strichförmig - das beißt sich für mich.

Er ging zum hintersten der elf mannshohen Holzregale. Er bat mich, einen Schritt zurückzutreten.

Würde die beiden Sätze verbinden.

Wir atmeten einen Moment, schwitzten.

Hier schon wieder :D

Ich drehte mich zu dem Mann. Hitze stieg unmittelbar in meinen Kopf und ich spürte, wie ich errötete. Grelles, orangenes Licht brach durch die Fenster. Die Luft war so dick und voller Staub, als könnte man sie greifen und sich in die Hosentaschen stecken.

Sehr schöne Stelle. Hat mir super gefallen.

»Auf«, sagte er. Schweißperlen rannen seine Stirn und Wangen herab. Sein Gesicht glänzend. Seine Augen weit aufgerissen. Sein Haar dunkel und anliegend vor Nässe.

Und auch hier gehst Du wieder sehr ins Detail, was die Schwitzerei angeht.

Ich bückte mich und nahm den Hammer am Griff. Meine Arme brannten. Ich sah auf den Bereich des Holzes, auf den ich einschlagen sollte. Ich atmete tief ein. Ich dachte an meinen Vater. Wie er einen Stock unter uns saß, an seinem Schreibtisch. Ich hörte meinen Vater hüsteln und die Klimaanlage dort surren. Ich hörte das Papier durch seine Hände rascheln. Ich holte aus, mit aller Kraft, und schlug auf das Holz. Ich weiß nicht mehr, wie es geschah, aber in meiner Erinnerung fiel das Regal mit einer solchen Wucht in sich zusammen, dass der Mann und ich instant erschrocken zusammenzuckten.

Viel zu viel Sätze, die gleich beginnen. Machst Du das absichtlich? Ich würde das mehr verbinden, damit es sich flüssiger liest.

z.B. Ich bückte mich und nahm den Hammer am Griff. Meine Arme brannten. Während ich auf den Bereich des Holzes sah, auf den ich einschlagen sollte, atmete ich tief ein und dachte an meinen Vater. Wie er einen Stock unter uns saß, an seinem Schreibtisch. Hörte ihn hüsteln und die Klimaanlage dort surren, hörte das Papier durch seine Hände rascheln. Ich holte aus, mit aller Kraft und schlug auf das Holz. Was dann geschah, weiß ich nicht mehr, aber in ...

»Mal Pause«, sagte er lächelnd und hustend. Er sagte: »Die Papageien brauchen ihren Mittag.«
Mein Herz klopfte.

Auch hier versteh ich das mit den Papageien nicht.

Mein Vater stellte die Flaschen ab. Sein Blick wanderte durch den Dachboden. Er sah erschöpft aus; als ob auch in ihm Dinge zusammengefallen wären. Er nickte und sagte für lange Zeit kein Wort. Er sah uns nicht an. Dann stellte er einen Fuß auf den Bretterhaufen und stakste über das Holz, langsam, wankend und stolpernd, bis er an den Fenstern der Wand stand. Mein Vater blickte durch das Glas, mit dem Gesicht ganz nah an der Scheibe. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dann öffnete er das Fenster, drehte sich zu uns und lächelte verkrampft.

Auch hier zu viele Sätze, die gleich beginnen.

Ich sah all die Sorge in seinem Gesicht, all die Müdigkeit. Der Bekannte meines Vaters keuchte neben mir. Als ich zu ihm rüber sah, drehte er den Kopf zu mir und streckte mir lächelnd die Zunge raus.

Doppelung.

Und dann standen wir gemeinsam an jenem Nachmittag auf dem Flachdach über der Stadt. Autos hupten, Busse schoben sich wie dicke, gelbgrüne Insekten durch die Straßen unter uns. Menschenstimmen. Das Kreischen eines Kindes. Die Sonne heiß und brennend, und mein Vater und sein Bekannter standen schweigend und rauchend neben mir auf dem Flachdach. Hinter uns all das Holz. All das Leder, dessen Geruch ich erst zwei Tage später von der Haut bekommen sollte

Sehr schöner Absatz. Toll beschrieben!

Ich lachte, weil mir das alles lustig vorkam. Ich hatte keinen Moment mehr an den Mann gedacht. Er war für mich nichts weiter als ein Erwachsener, der in meinem Leben aufgetaucht und wieder verschwunden war, wie so viele.

Würde die ersten beiden Sätze verbinden.

Ich erinnere mich, dass mein Vater und ich nach diesem Gespräch die Gasse vor zu unserer Garage gingen. Wortlos. Ich erinnere mich an die kalte Herbstluft, an den Geruch des Verbrannten in ihr. Ich erinnere mich, dass wir in den Ford meines Vaters stiegen, ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben, nachdem wir vom Tisch aufgestanden waren. Als sei das das natürliche nächste Glied in der Kette der Ereignisse. Ich hibbelte im Fußraum des Wagens mit den Beinen und spürte eine Leere und Schwere in mir, die ich kaum ertrug. Ich erinnere mich, dass wir langsam durch unser Viertel fuhren, Straße um Straße. Ich erinnere mich an das orange Licht der Laternen, an den Nieselregen.

Würde das nicht ständig wiederholen. Das braucht es gar nicht.
Würde das einfach verbinden, dann liest es sich flüssiger.

z.B. Ich erinnere mich, dass mein Vater und ich nach diesem Gespräch die Gasse vor zu unserer Garage gingen. Wortlos. An die kalte Herbstluft, an den Geruch des Verbrannten in ihr. Daran, dass wir in den Ford ...

Dann sagte er: »Ich will, dass du das alles weißt. Ich will, dass du weißt, wie die Welt da draußen ist.« Er sah durch die Windschutzscheibe. »Die Welt ist furchtbar«, sagte er. »Sie ist grauenhaft. Schrecklich.«

Heftiger Moment! Echt krass. Kennt man so gar nicht von Eltern. Dass sie einem auf die Wahrheit hinweisen. Meist versuchen sie, zu beschützen, schön zu reden, bis man dann irgendwann von selbst drauf kommt.

»Aber es gibt auch das Gute«, sagte er. »Es kommt von jedem Einzelnen. Treue. Ehrlichkeit. Mut. Fleiß. Ich glaube nicht an meine Kirche. Aber an meine Werte.«
Er sah mich an, mit gläsernen Augen, und ich hielt die glimmende, rauchende Zigarette in der Hand.

Und hier schwenkt er ein wenig um, erwähnt auch das Gute. Das finde ich sehr wichtig.

Ich stieg aus dem Wagen. Mein Vater fuhr in das enge Garagenhäuschen. Die Gasse zu unserem Reihenhaus gingen wir nebeneinander, ich mit wackligen Beinen. Das Nikotin hatte mein Gesicht taub gemacht. Es nieselte. Der Geruch des Verbrannten lag in der Luft. Ich erinnere mich an die großen, sicheren Schritte meines Vaters. Das Klacken der Absätze seiner Budapester. Seine Hände in den Wollmanteltaschen. Einen Augenblick blieb ich stehen und glaubte, ich hätte etwas vergessen, im Auto.
Mein Vater blieb stehen und drehte sich zu mir, ein paar Schritte vor mir, auf dem Gehweg. Ich erinnere mich, wie sehr mich dieser Augenblick schockierte. Die Laternen leuchteten das Gesicht meines Vaters auf eine Art aus, wie ich es zuvor nicht wahrgenommen hatte. Für einen Augenblick sah ich die Dinge, wie sie waren.

Den Schluss fand ich klasse. Hat mich sehr berührt und ich hatte Gänsehaut.

Ganz liebe Grüße und einen schönen Abend,
Silvita

 

@Henry K. @Friedrichard @Silvita,

verzeiht, dass ich so spät auf eure Rückmeldungen antworte. Es hat nichts mit euren Kommentaren oder euch als Personen zu tun - ich habe mich sehr über eure Anregungen und Rückmeldungen gefreut und sie gleich nach dem Einstellen gelesen - zum Antworten komme ich aus dummen Gründen erst jetzt. Mea culpa.

@Henry K.
Danke dir fürs erneute Lesen und Kommentieren.

Ich weiss nicht, ob es am zweiten Lesen lag, aber ich fand den Dachbodenteil beim ersten Lesen (von Version 1?) lebendiger.
Ah, schade! Ich lasse den Text gerade etwas liegen und wenn ich wieder Abstand zu ihm gewonnen habe, lese ich das noch mal mit frischen Augen und schaue, ob ich den Dachbodenteil auch unlebendiger fand. Danke jedenfalls für die Rückmeldung.

Insgesamt war mein Eindruck schon damals - und ist es jetzt wieder -, dass die Story für mich auf dem Dach nach der getanen Arbeit enden sollte. Warum? So wird daraus eine runde Sache, eine eingerahmte Szene aus einem Leben mit ein wenig einordnendem Beiwerk. Ein Mann taucht einmal unvermittelt auf, macht starken Eindruck und tritt wieder ab.
Hm ja, für mich ist das dann zu knapp. Ich würde mich als Leser fragen. So what? Ja, das ist nicht meine Lieblingsstory und ich weiß nicht, ob ich sie jemandem Fremden außerhalb von hier zeigen würde, weil ich auch unzufrieden bin. Ich schaue mal, ob ich mich noch mal dran setze.

Dass mit dem Selbstmord finde ich too much, vor allem, da der Mann immer noch anonym bleibt, obwohl sich an seinem Schicksal jetzt gleich ein ganzer Coming-of-Age-Vater-Sohn-Schlüsselmoment aufhängt und der Erzähler sich sogar an das orangene Licht und den Nieselregen erinnern kann. Aber der Name des Mannes ist ihm entfallen?
Ja, verstehe ich. Wahrscheinlich erschien mir das A schlüssig, weil ich mir selbst extremst schlecht Namen merken kann und da irgendeine Art Behinderung habe (nicht ernst gemeint, aber ich hab es schon zustande gebracht den Namen von Leuten, die vor mir stehen und die ich seit Jahren kenne, wenn ich ihn brauche einfach nicht abrufbar zu haben.)
B: Ja, Nieselregel, Licht, da ist der Autor hinter den Tasten natürlich durchgebrannt! :D
Aber ja, legitime Kritik. Ist notiert.

Ich finde auch den Absatz unplausibel, dass der Erzähler den Vater nicht nach dem Namen fragen kann. "Wie hieß noch mal der Mann, mit dem ich damals die Regale im Laden abgerissen habe und der sich danach umgebracht hat?" Warum sollte man das erst nach vier Bier fragen können bzw. selbst dann nicht?
Ja, ich verstehe, dass das so im Text rüberkommen kann. Wenn ich mich an eine Überarbeitung setze, gehe ich das noch mal an und lese das mit frischen Augen um zu sehen, was ich machen kann.
Ich hatte beim Schreiben das Gefühl, dass es sehr schwierig sein kann, nach Leuten zu fragen, die sich umgebracht haben. Ein Freund meines Vaters hat sich vor ein paar Jahren erschossen, ich kannte ihn auch, und wenn ich mir heute vorstelle, ich würde meinen Vater noch mal nach ihn fragen, aus heiterem Himmel, aber vielleicht ist das auch der Person meines Vaters geschuldet, wäre das schwierig. Ich habe ganz narzisstisch die Vaterfigur hier natürlich irgendwie teilweise mit meinem Vater gleichgesetzt, wenn auch fiktionalisiert, und Leute, denen es schwer fällt, über emotionale Themen zu sprechen bzw. die nicht der Typ dafür sind, auf solche Dinge anzusprechen, fällt erfahrungsgemäß etwas schwerer. Und geht lockerer nach ein paar Bier. So meinte ich das. Aber wenn es im Text nicht rübergekommen ist, ist es ein Problem des Textes. Ich möchte natürlich nicht im Nachtrag meinen Text erklären müssen, das muss die Story schon selbst für sich schaffen.

Dass die Story sich nach der Ladenszene noch weiter zieht, es mal um Klebstoffschnüffeln ging, jetzt auch noch um Räusche und erste Zigaretten ist für mich also symptomatisch. In meinen Augen willst du hier viel zu viel unterbringen, was die Story überlädt.
Kann ich nachvollziehen. Danke für die Rückmeldung. Ich sehe das auch manchmal so wie du, an anderen Tagen, wenn ich mir den Text anschaue, passt es für mich gut. Ich bin da wie immer unschlüssig und weiß nicht genau, was mir nun gut gefällt und was nicht.

Dass der Junge auf eine Art Sonderling trifft, das erste Mal für Geld körperlich arbeitet und noch dazu seinen Vater aus einer neuen, distanzierteren Perspektive betrachtet als ein Kind, ist für mich schon mehr als genug Aussage.
Das stimmt! Irgendwo scheint die Konstruktion des Autors auch durch. Aber bis zu einem gewissen Grad stört mich das als Leser bzw. Autor nicht. Also, soweit der Leser dem Glauben schenkt und nicht den Autor durchschimmern sehen würde. Weiß nicht, what is right?

Das ist natürlich nur meine Meinung: Version 1 bis zum Dach fand ich richtig stark - alles Weitere schwächt die Story für mich sehr ab.
Alright! Danke für den Leseeindruck. Es ist natürlich auch schwierig, allen Lesegeschmäckern gerecht zu werden.

Ebenfalls too much ist mir stellenweise die, ich nenne es mal: "literarische Aufladung". Ich weiss, dass viele Leser hier genau diese Szenen feiern (werden), aber zum Beispiel die Schilderung des Tomatenessens oder dann auch die Szene im Auto, das hat für mich Anklänge von "Kitsch". Ich weiß, das ist ein hartes Urteil, aber das Wort trifft es für mich: Ich persönlich denke da beim Lesen "Aha, hier soll so und so erzählt werden, wie bei der und der Literatur."
Jetzt kann man sagen, es geht ja darum, literarisch zu werden, und beim Zitieren von Stilen ist ja nichts dabei, und ich sagte ja schon, dass viele Leser genau das suchen und goutieren, aber ich stolpere über Stellen, wo der Saft von besonders prallen Tomaten das Kinn runterläuft, während die Mutter danebensitzt und weint. Oder dass der Vater die Zigarette wie eine Hostie in die Hände des Sohnes legt. Ich persönlich würde hier drosseln und weniger dick auftragen, aber auch das ist natürlich nur mein subjektives Feedback
Haha. Ja, ich kann's verstehen. Ja, es ist einfach verdammt schwierig in Texten/Prosa den richtigen Ton und die richtige Dosis zu finden. Ich denke, egal, wie du's machst - irgendwen wirst du ausschließen und irgendwen einschließen. Aber ja, danke für die Rückmeldung. Ich kenne das aus Prosa von anderen, auch publizierten Autoren, wo ich mir denke: Jemine, da will der Autor jetzt aber wirklich AUTOR sein. :D Ich muss sagen, das mit den Tomaten hier gefällt mir irgendwie, das Bild, für mich ist das gerade nicht over the top, aber ja, das kann man auf jeden Fall so lesen!

Insgesamt habe ich wie gesagt vor allem den Dachbodenteil gern gelesen, wahrscheinlich auch, weil ich hier eine Menge persönlicher Erinnerungen an ähnliche Momente habe.
Cool! Das freut mich. Ja, das ist so ein Geschichte, wo man natürlich jede Menge eigene Erinnerungen reinpackt, manche ungefiltert, manche fiktionalisiert. Wenn das dann auf Resonanz bei jemand anderem trifft, freut das natürlich.

Danke fürs Kommentieren, Lesen und Zeitnehmen, Henry!


@Friedrichard

Vielen Dank auch dir fürs Lesen, Zeitnehmen und Kommentieren!

Ich möchte dir sagen, dass die Art, wie wir leben, zutiefst krank ist.

Wie wahr,

lieber zigga,


und in Verbindung des jugendlichen Alters des Erzählers will mir die Geschichte wie ein Initiationsritus, dem Eintritt in die Welt der Erwachsenen erscheinen

Schön, dass du es so liest - das hatte ich mir auch beim Schreiben gedacht.

Weil mir in den 90ern bei einem Besuch in Norden (Ostfriesland) zum ersten Mal der sterbende Einzelhandel bewusst wurde (was kurz darauf auch im Pott losging) würde ich die Zeitenwende als Zeitraum der Erzählung ansehen (was ja dann mit der 20-Jahre-Rückschau passt.
Das hatte ich mir auch so gedacht!

Aber was mir sofort auffällt, ist die dauerhafte Zusammenlegung des Possessivpronomens „mein“ mit dem Status „Vater“, was ich vllt. schon krankhafte Sorge ansehe, den Vater zu verlieren …
Scharfe Beobachtung! Finde die Deutung sehr gut, auch wenn ich mir das natürlich selbst nicht gedacht hab beim Schreiben. Aber es passt in den Tenor der Story.

Die Verbesserungsvorschläge kaufe ich alle! Danke dir wie immer sehr für dein messerscharfes Auge und dem Flusenlesen, das ist viel wert ...

Bis bald, Friedrichard!


Liebe @Silvita

Danke auch dir vielmals fürs erneute Lesen und Rückmelden - es hat mich sehr gefreut!

vielen Dank fürs Anstupsen und sorry, dass es etwas gedauert hat.
Ebenfalls sorry für meine überdurchschnittliche Latenzzeit! :D

Hab die neue Version eben gelesen und am Ende hatte ich Gänsehaut. Auch diese Version ist sehr detailreich, dicht und atmosphärisch. Ich hab durchgängig Kopfkino, Du weckst Nähe zu den Protagonisten und ich fühle mit.
Ach schön! Das freut mich!

zigga schrieb:


Die kleine Betontreppe hinunter, im Büro unter dem Dachboden, saß mein Vater: auf seinem Drehstuhl, die Hände auf dem Schreibtisch. Im Sakko mit schwarzer Krawatte. Sorge in seinem Gesicht, wie immer in jenen Jahren. Seine nervöse, steife Körperhaltung, selbst wenn er unbemerkt dort saß und Blätter sortierte: der Rücken gerade.

Die Doppelung ist mir aufgefallen.
Wird ausgebessert

zigga schrieb:


Es war mein erster August, in dem ich kein Kind mehr war, und ich hatte das Kind, das ich einst verkörperte, schon fast vergessen.

Das hat mich gerührt. Ein 13-jähriger, der sich plötzlich nicht mehr als Kind fühlt. Dieses Zwischending zwischen Kind und Erwachsenem.
Schön! Freut mich, dass es so gelesen wird von dir, wie ich es meinte

zigga schrieb:


Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, zu glauben, man wisse nun um die Geheimnisse der Welt – wie sie funktionierte, was gut und richtig, falsch und abstoßend sei; was die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten würde. Das Gefühl, hinter den Vorhang geblickt zu haben, aber trotzdem noch außen vor zu sein. I

Die Doppelungen sind mir aufgefallen.
Wird ebenfalls geändert

Die Gedanken des Jungen sind glaubwürdig und für mich nachvollziehbar.
Schön!

zigga schrieb:


Ich erinnere mich an große, kohlschwarze Kräuterboxen am Gartenzaun. Wie prall und geschmacklos die Tomaten in jenem Sommer waren; wie mein Vater am Esstisch saß und in eine hineinbiss, wie der Saft ihm bis zum Kinn lief und er »großartig« und »phänomenal« sagte; wie wir alle aus dem Weidenkorb rote, pralle Tomaten nahmen, als griffen wir nach den Geschwülsten, die wir bereits in uns trugen.

Sehr schöner Absatz. Hat mir sehr gut gefallen.
Freut mich ebenso

zigga schrieb:


Der Mann war einen Kopf größer als ich, das blonde, lichte Haar angegraut, sein Gesicht seltsam gedrungen; die Augen so grau und hellblau wie der Himmel, wenn wir aus einem der engen Fenster des Büros meines Vaters hinaus auf die Stadt schauten. Da war eine gewissenhafte, ruhige Schwere in seinem Blick. Er trug eine graue Latzhose

Für mich würde es die vielen Adjektive nicht benötigen. Und die Doppelungen auch nicht.
Gekauft

zigga schrieb:


Sein Werkzeugkasten stand neben dem Drehstuhl. Ich erinnere mich, dass der Mann mir lächelnd ins Gesicht blickte, sich zu seinem Werkzeugkasten bückte und sagte: »Hier drin hab ich Papageien!« Er öffnete die Klappdeckel des Werkzeugkastens, sah mir ins Gesicht und lachte laut dabei.

Hier hab ich gestutzt. Das mit den Papageien hab ich nicht verstanden.
Ah, hab es jetzt nachgebessert. Der Mann soll einfach nur einen Scherz machen. Ich hab jetzt "sagte" durch "scherzte" ausgetauscht, in der Hoffnung, man versteht es

zigga schrieb:


Wie der Mann hieß, habe ich leider vergessen. Ich könnte meinen Vater anrufen, dort, wo er jetzt wohnt, aber das wäre schwierig.

Warum wäre es schwierig, ihn anzurufen?
Ja, das ist ungesagt, du hast recht. Hab mir dabei etwas gedacht, aber ja, die Frage kann man sich stellen beim Lesen

zigga schrieb:


Aber auch das wäre schwierig. Ich weiß nicht, ob er verstehen würde, worauf ich hinaus will.

Ich versteh nach wie vor nicht, warum es schwierig wäre.
Ebenso hier

zigga schrieb:


Ich betrat das Büro und sah die beiden Männer dort in Drehstühlen sitzen, mein Vater hinter seinem sperrigen Schreibtisch, und der Mann beim Fotokopierer; beide lächelten und drehten ihre Köpfe zu mir.

Der Wechsel zwischen Vergangenheit hat mich etwas verwirrt. Da hab ich erst nen Moment gebraucht, um reinzukommen.
Ok, danke für die Rückmeldung, ist notiert

zigga schrieb:


»Mal Pause«, sagte er. Er atmete tief ein und aus und schaute lächelnd aus dem Fenster. Er fuhr sich durch die Haare und stemmte seine Hand in die Hüfte. Sein Blick lag auf der Stadt.
Er bückte sich, kramte in einer TEDi-Plastiktüte, zog ein Paar Handschuhe heraus und streifte sie sich über. Er öffnete den Werkzeugkasten und griff sich eine Zange. Schließlich ging er zum hintersten Regal und begann, rostige, fingerlange Nägel aus dem Holzbalken zu ziehen. Er bat mich, mir Handschuhe überzuziehen und das Regal festzuhalten, an dem er zog. Ich erinnere mich, wie er schwitzte, und mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an. »Ja«, sagte er. Ich erinnere mich an sein Ächzen, an die Hitze, den Geruch des Holzes und an das Knarzen der Bretter.

Erweitern ...

Zu viele Sätze, die gleich beginnen. Das gibt dem Text etwas Hölzernes. Ich würde mir ein wenig Abwechslung wünschen.
Ebenso hier

zigga schrieb:


Das Gesicht des Mannes war klatschnass geschwitzt.

Du erwähnst immer und immer wieder, wie die beiden schwitzen. Mir persönlich ist das teilweise too much. Als würdest Du immer wieder mit dem Hammer drauf stoßen würden. Das braucht es gar nicht. Wenn Du das ein/ zweimal erwähnst ist das klar und auch während dem Verlauf hat man das Bild klar vor Augen.
Du hast recht.

zigga schrieb:


»Jetzt kommt der beste Teil«, sagte er, sah zu mir und lächelte mich mit seinem breiten, strichförmigen Mund an.

Breit und zugleich strichförmig - das beißt sich für mich.

zigga schrieb:


Er ging zum hintersten der elf mannshohen Holzregale. Er bat mich, einen Schritt zurückzutreten.

Würde die beiden Sätze verbinden.
Ebenso hier

zigga schrieb:


Ich drehte mich zu dem Mann. Hitze stieg unmittelbar in meinen Kopf und ich spürte, wie ich errötete. Grelles, orangenes Licht brach durch die Fenster. Die Luft war so dick und voller Staub, als könnte man sie greifen und sich in die Hosentaschen stecken.

Sehr schöne Stelle. Hat mir super gefallen.
Super

Ich mache mich noch mal an die Satzanfänge und Wiederholungen, da hast du auf jeden Fall recht.

zigga schrieb:


Dann sagte er: »Ich will, dass du das alles weißt. Ich will, dass du weißt, wie die Welt da draußen ist.« Er sah durch die Windschutzscheibe. »Die Welt ist furchtbar«, sagte er. »Sie ist grauenhaft. Schrecklich.«

Heftiger Moment! Echt krass. Kennt man so gar nicht von Eltern. Dass sie einem auf die Wahrheit hinweisen. Meist versuchen sie, zu beschützen, schön zu reden, bis man dann irgendwann von selbst drauf kommt.
Ja, das sehe ich auch so

zigga schrieb:


Ich stieg aus dem Wagen. Mein Vater fuhr in das enge Garagenhäuschen. Die Gasse zu unserem Reihenhaus gingen wir nebeneinander, ich mit wackligen Beinen. Das Nikotin hatte mein Gesicht taub gemacht. Es nieselte. Der Geruch des Verbrannten lag in der Luft. Ich erinnere mich an die großen, sicheren Schritte meines Vaters. Das Klacken der Absätze seiner Budapester. Seine Hände in den Wollmanteltaschen. Einen Augenblick blieb ich stehen und glaubte, ich hätte etwas vergessen, im Auto.
Mein Vater blieb stehen und drehte sich zu mir, ein paar Schritte vor mir, auf dem Gehweg. Ich erinnere mich, wie sehr mich dieser Augenblick schockierte. Die Laternen leuchteten das Gesicht meines Vaters auf eine Art aus, wie ich es zuvor nicht wahrgenommen hatte. Für einen Augenblick sah ich die Dinge, wie sie waren.

Erweitern ...

Den Schluss fand ich klasse. Hat mich sehr berührt und ich hatte Gänsehaut.
Das freut mich!

Viele Grüße
zigga

 

Hey @zigga,

jetzt komme ich endlich mal dazu, meinen Senf dazuzugeben.
Der Text wirkt jetzt insgesamt runder auf mich, fokussierter. Der Junge wird Stück für Stück mit der Realität konfrontiert, und zum Schluss hat er diesen lichten Moment, in dem er das verinnerlicht, dass die Welt eben nicht nach ideellen Grundwerten funktioniert, eben nicht anständig ist, und das bringt ihm das Erwachsenwerden einen Schritt näher. Soweit meine Interpretation.

war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Er weinte auf eine seltsame Weise. Er begann, sich mit den Fingerspitzen über die Augenbrauen zu streifen. Sein Gesicht verformte sich auf eine Art, dass ich zuerst glaubte, er würde schlagartig totmüde. Er vergoss keine Träne. Sein kleiner Mund japste in einem seltsam hohen Ton nach Luft.
Das ist ein sehr schöner Absatz, finde ich.


Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an. »Ja«, sagte er.
Ich erinnere mich, wie er schwitzte.
Ist das so gewollt, dass er sich zweimal daran erinnert, wie der Mann schwitzt? Ich finde das zweite Schwitzen entbehrlich. Überhaupt wird sehr viel geschwitzt in deinem Text. :)


Sein Blick wanderte durch den Dachboden
Das klingt irgendwie komisch in meinen Ohren. Vielleicht eher: durch den Raum?


Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste
Das ist für mich nicht stimmig, denn der Vater ist ja problemlos rausgekommen, und der viel schmalere Sohn quetscht sich gerade mal so durch.


und streckte mir lächelnd die Zunge raus
Geht das?

Mir fällt auf, dass du den Mann jetzt viel detaillierter zeigst in seinem Handeln. Das gefällt mir sehr, weil dadurch die Tragik bei dem, was danach kommt, besser herauskommt.

Halt dich von Leuten fern, die nicht treu, ehrlich, mutig oder fleißig sind
Obwohl das löbliche Werte sind, ist die Einstellung des Vaters dazu ziemlich radikal. Müsste sich der Sohn daran halten, müsste er sich von so ziemlich jedem Menschen fernhalten. Aber ich verstehe den Vater auch. Sein bester Freund ist gestorben, auch noch durch Selbstmord, und er war für den Vater wahrscheinlich der lebende Beweis dafür, dass es solche Menschen gibt, und wie wichtig das für ihn war. Und auch der Sohn hat ja in Gegenwart des Mannes zum ersten Mal gespürt, dass er von einem erwachsenen Mann auf Augenhöhe behandelt wird, da gibt es keine Machtspielchen, kein Augenrollen, als der Junge kein handwerkliches Geschick beweist. Wenn das den Charakter des Mannes zeigt und nicht nur eine Momentaufnahme ist, verstehe ich, wie wertvoll er für den Vater war und warum er an der Welt zugrunde gegangen ist. Ich finde diese ganze Szene wirklich tragisch und zeitgleich zeigt sie die Verbundenheit zwischen ihnen.
Überhaupt gefällt mir der melancholische Ton der gesamten Geschichte sehr und ich hoffe, dem Jungen sind noch ein paar weitere Jahre voller Idealismus beschert, bevor es dann ans Eingemachte geht.

Liebe Grüße von Chai

 

@Chai

Gleich zwei Antworten auf zwei Rückmeldungen zu zwei Storys heute Abend! :D

Vielen herzlichen Dank dir auch an dieser Stelle fürs (erneute) Lesen und Rückmelden. Das hat mich sehr gefreut.

jetzt komme ich endlich mal dazu, meinen Senf dazuzugeben.
Yeah!

Der Text wirkt jetzt insgesamt runder auf mich, fokussierter.
Cool, das freut mich! :)

Der Junge wird Stück für Stück mit der Realität konfrontiert, und zum Schluss hat er diesen lichten Moment, in dem er das verinnerlicht, dass die Welt eben nicht nach ideellen Grundwerten funktioniert, eben nicht anständig ist, und das bringt ihm das Erwachsenwerden einen Schritt näher. Soweit meine Interpretation.
Super, das freut mich sehr, dass du das so liest. So war es intendiert.

war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Er weinte auf eine seltsame Weise. Er begann, sich mit den Fingerspitzen über die Augenbrauen zu streifen. Sein Gesicht verformte sich auf eine Art, dass ich zuerst glaubte, er würde schlagartig totmüde. Er vergoss keine Träne. Sein kleiner Mund japste in einem seltsam hohen Ton nach Luft.
Das ist ein sehr schöner Absatz, finde ich.
Das freut mich, vielen Dank

Ich erinnere mich, wie er schwitzte. Mit welcher Ruhe er die Nägel aus dem Holz zog. Er lächelte mich an. »Ja«, sagte er.
Ich erinnere mich, wie er schwitzte.
Ist das so gewollt, dass er sich zweimal daran erinnert, wie der Mann schwitzt? Ich finde das zweite Schwitzen entbehrlich. Überhaupt wird sehr viel geschwitzt in deinem Text.
Ja, haha. Es ist auch ein wenig komisch. Ich hab den Text nach wirklich langer Zeit überarbeitet und als ich ihn jetzt ein paar Wochen später zum x-ten Mal gelesen hab, ist mir das viele Schwitzen auch auf eine andere Weise aufgefallen. Irgendwie hat das eine sexuelle Komponente, vielleicht sehe ich das gerade nur komisch, die mir davor nicht wirklich aufgefallen ist. Ja, jetzt nicht aus dem Grund, aber das Schwitzen werde ich hier auch noch weiter runterkürzen, du hast absolut recht. Es ist - zu meiner Verteidigung - mir tatsächlich in der Fassung jetzt erst aufgefallen, als du mich noch mal drauf hingewiesen hast. Dass ich mir dachte: Verdammt, hier wird echt zu viel geschwitzt. Sag ich, nicht dass es wie Faulheit rüberkommt. Das haben nämlich auch schon vor einiger Zeit einige Leute angemerkt.

Sein Blick wanderte durch den Dachboden
Das klingt irgendwie komisch in meinen Ohren. Vielleicht eher: durch den Raum?
Du hast recht

Er war so eng, dass ich kaum mit dem Kopf durchpasste
Das ist für mich nicht stimmig, denn der Vater ist ja problemlos rausgekommen, und der viel schmalere Sohn quetscht sich gerade mal so durch.
Ja, auch hier

und streckte mir lächelnd die Zunge raus
Geht das?
Guter Punkt. Ich hab das gerade an meinem Spiegel versucht. Es ist wirklich nicht einfach. Ich schaue mal, wie ich das umdeichsle

Mir fällt auf, dass du den Mann jetzt viel detaillierter zeigst in seinem Handeln. Das gefällt mir sehr, weil dadurch die Tragik bei dem, was danach kommt, besser herauskommt.
Super, danke

Halt dich von Leuten fern, die nicht treu, ehrlich, mutig oder fleißig sind
Obwohl das löbliche Werte sind, ist die Einstellung des Vaters dazu ziemlich radikal. Müsste sich der Sohn daran halten, müsste er sich von so ziemlich jedem Menschen fernhalten. Aber ich verstehe den Vater auch. Sein bester Freund ist gestorben, auch noch durch Selbstmord, und er war für den Vater wahrscheinlich der lebende Beweis dafür, dass es solche Menschen gibt, und wie wichtig das für ihn war. Und auch der Sohn hat ja in Gegenwart des Mannes zum ersten Mal gespürt, dass er von einem erwachsenen Mann auf Augenhöhe behandelt wird, da gibt es keine Machtspielchen, kein Augenrollen, als der Junge kein handwerkliches Geschick beweist. Wenn das den Charakter des Mannes zeigt und nicht nur eine Momentaufnahme ist, verstehe ich, wie wertvoll er für den Vater war und warum er an der Welt zugrunde gegangen ist. Ich finde diese ganze Szene wirklich tragisch und zeitgleich zeigt sie die Verbundenheit zwischen ihnen.
Ja, hier war mir klar, dass das irgendwie heikel ist, das so auszuschreiben. Niemand kann diese Werte zu hundert Prozent, wie vom Vater gefordert, einhalten. Auch nicht von den Lesern natürlich. Wenn man dann eine solche Äußerung liest (bezogen auf die Tugenden), kann einen das zum Augenrollen bringen oder man versteht das irgendwo als einen Angriff auf sich selbst, denke und dachte ich (beim Schreiben).
Deswegen freut es mich, dass du die Dimension des Vaters so gelesen und gesehen hast. Dass das aus einem Augenblick heraus entsteht, diese Aussage, dass der Vater sich hier an irgendetwas klammert auch. Freut mich, Chai.

Danke nochmals und bis bald!

Beste Grüße
zigga

 

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