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Hotelpool, 110°
Überarbeitung samt alternativem Ende in Beitrag 8.
Im ariden Klima des Mittleren Westens, genauer: im kleinen runden Pool eines billigen Hotels, trieb ein Mann. Sich auf eine Styroporrolle stützend, hielt er seinen Kopf trocken, zudem noch, in der Rechten, eine Dose Bud light. Aber nicht allzu feste, des mittäglichen Klimas wegen.
Der Beton hatte sich aufgeheizt. Grelles Sonnenlicht knallte gegen den nackten Kopf. Niemand war da, der Anstoß daran nehmen konnte, dass dieser Herr sich hier in aller Öffentlichkeit einen zischte. Er sah aus wie vierzig, hatte die Augenlieder auf Halbmast gehängt und glänzte in der Sonne.
Einst hielt er sich für einen guten Fotographen, er dachte an alltägliche Aufnahmen an der Grenze zur Kunst, an der Grenze zum Erfolg, der ausgeblieben war;
alltägliche Bilder von Studenten und Studentinnen, deren morgendliche Wege am Haupteingang irgendeiner Universität zusammenfinden; Knäuelbildung; im Hintergrund städtisches Panorama, vielleicht ein schönes Pflaster...
Supermarktparkplätze, in deren Weite sich ein paar um einen Pickup gruppierte Halbstarke verlieren oder ein Renter...
Ein Ehrenmal, etwas abseits gelegen um alte Grabsteine herum; Grün verbreitet Ruhe, und die Sprenkler oxidieren, eine rundliche Passantin wendet den Kopf leicht ab und holt sich nasse Füße...
Um so etwas wirklich alltäglich hinzukriegen, das Banale zu betonen, dachte er dämmernd:
Dazu bräuchte es, vordergründig, an den Bildrändern, Augenlider; die kleinen Härchen sind noch fein zu erkennen, obschon etwas unscharf; feinste Verästelungen von Arterien und Venen sorgen für farbliche Nuancen. Dann; dermaßen umrahmt: das Motiv, scharf, gestochen, lebendig, alltäglich!
Und, dazu bräuchte es eine Leiche.
Kaum dass der Mann im Pool dies ausgedacht hatte, platzte aus einem der Fenster über ihm wildes Gezeter einer Frau: „Das kannst du nicht machen... perverser Drecksack, elender!... Verpiss dich!“ und dergleichen mehr.
Er erschrak, fühlte sich ertappt; das Gezeter schwoll sehr schnell ab; als er ihm entgegenblinzelte, sah er nur reflektierenden Beton, darin eingelassen geometrische Reihen Fenster, alle zugezogen, auch im ersten Stock: Da war nichts.
Ein merkwürdiges Gefühl bleib. Er wandte den glänzenden Kopf wieder nach vorn, dem Bud auf den Grund zu sehen, und blickte in das große, erstaunte Gesicht eines riesigen, knapp über dem Wasser schwebenden Karpfens. Anders konnte man den Anblick nicht benennen: Flossen, Schuppen, Fischaugen und Barteln: unbestreitbar ein Karpfen, wenn auch etwas schmalgesichtig, und verkitscht; vielleicht eher eine Art Mondfisch?
Nach diesem Augenblick beiderseitigen Erstaunens fuhr der Fisch herum; sein Leib schillerte silbern in der Sonne, die Schwanzflosse schlug umher und – zuck! sprang er zurück in das Wasser des Pools; vom Mann weg, dem somit ein gigantisches Motiv entgangen war.
Dessen war er sich allerdings nicht bewusst; er dachte nur sofort: dich will ich jagen, Fisch! Ließ das Bier los, löste sich vom Styropor und tauchte ein in das träge, mäßig chlorierte Wasser, wurde eins mit dem Ursprung, delphingleich tümmelte er hinterher, den Kopf voraus, die Arme nach hinten angelegt, kräftige, elegante Beinschläge.
Er rammte mit Mordstempo gegen den Beckenrand und ertrank sehr schnell.
Nachdem man ihn fand, wenig grazil und vollkommen unspektakulär im kleinen blauen Pool treibend, rätselte man; fand schließlich keinen Anhaltspunkt für Fremdverschulden, obduzierte ihn, fand wiederum nichts ungewöhnliches – vielleicht eine Art Hitzschlag? – und verbrannte ihn.
Vielleicht war es keine aufregende, dramatische, schillernde Leiche, die man aus dem Hotelpool fischte, aber doch! Es stimmt einen traurig, dass niemand um ihre Geschichte weiß.