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Hotelpool, 110°

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06.02.2002
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Hotelpool, 110°

Überarbeitung samt alternativem Ende in Beitrag 8.

Im ariden Klima des Mittleren Westens, genauer: im kleinen runden Pool eines billigen Hotels, trieb ein Mann. Sich auf eine Styroporrolle stützend, hielt er seinen Kopf trocken, zudem noch, in der Rechten, eine Dose Bud light. Aber nicht allzu feste, des mittäglichen Klimas wegen.
Der Beton hatte sich aufgeheizt. Grelles Sonnenlicht knallte gegen den nackten Kopf. Niemand war da, der Anstoß daran nehmen konnte, dass dieser Herr sich hier in aller Öffentlichkeit einen zischte. Er sah aus wie vierzig, hatte die Augenlieder auf Halbmast gehängt und glänzte in der Sonne.
Einst hielt er sich für einen guten Fotographen, er dachte an alltägliche Aufnahmen an der Grenze zur Kunst, an der Grenze zum Erfolg, der ausgeblieben war;
alltägliche Bilder von Studenten und Studentinnen, deren morgendliche Wege am Haupteingang irgendeiner Universität zusammenfinden; Knäuelbildung; im Hintergrund städtisches Panorama, vielleicht ein schönes Pflaster...
Supermarktparkplätze, in deren Weite sich ein paar um einen Pickup gruppierte Halbstarke verlieren oder ein Renter...
Ein Ehrenmal, etwas abseits gelegen um alte Grabsteine herum; Grün verbreitet Ruhe, und die Sprenkler oxidieren, eine rundliche Passantin wendet den Kopf leicht ab und holt sich nasse Füße...
Um so etwas wirklich alltäglich hinzukriegen, das Banale zu betonen, dachte er dämmernd:
Dazu bräuchte es, vordergründig, an den Bildrändern, Augenlider; die kleinen Härchen sind noch fein zu erkennen, obschon etwas unscharf; feinste Verästelungen von Arterien und Venen sorgen für farbliche Nuancen. Dann; dermaßen umrahmt: das Motiv, scharf, gestochen, lebendig, alltäglich!
Und, dazu bräuchte es eine Leiche.
Kaum dass der Mann im Pool dies ausgedacht hatte, platzte aus einem der Fenster über ihm wildes Gezeter einer Frau: „Das kannst du nicht machen... perverser Drecksack, elender!... Verpiss dich!“ und dergleichen mehr.
Er erschrak, fühlte sich ertappt; das Gezeter schwoll sehr schnell ab; als er ihm entgegenblinzelte, sah er nur reflektierenden Beton, darin eingelassen geometrische Reihen Fenster, alle zugezogen, auch im ersten Stock: Da war nichts.
Ein merkwürdiges Gefühl bleib. Er wandte den glänzenden Kopf wieder nach vorn, dem Bud auf den Grund zu sehen, und blickte in das große, erstaunte Gesicht eines riesigen, knapp über dem Wasser schwebenden Karpfens. Anders konnte man den Anblick nicht benennen: Flossen, Schuppen, Fischaugen und Barteln: unbestreitbar ein Karpfen, wenn auch etwas schmalgesichtig, und verkitscht; vielleicht eher eine Art Mondfisch?
Nach diesem Augenblick beiderseitigen Erstaunens fuhr der Fisch herum; sein Leib schillerte silbern in der Sonne, die Schwanzflosse schlug umher und – zuck! sprang er zurück in das Wasser des Pools; vom Mann weg, dem somit ein gigantisches Motiv entgangen war.
Dessen war er sich allerdings nicht bewusst; er dachte nur sofort: dich will ich jagen, Fisch! Ließ das Bier los, löste sich vom Styropor und tauchte ein in das träge, mäßig chlorierte Wasser, wurde eins mit dem Ursprung, delphingleich tümmelte er hinterher, den Kopf voraus, die Arme nach hinten angelegt, kräftige, elegante Beinschläge.
Er rammte mit Mordstempo gegen den Beckenrand und ertrank sehr schnell.

Nachdem man ihn fand, wenig grazil und vollkommen unspektakulär im kleinen blauen Pool treibend, rätselte man; fand schließlich keinen Anhaltspunkt für Fremdverschulden, obduzierte ihn, fand wiederum nichts ungewöhnliches – vielleicht eine Art Hitzschlag? – und verbrannte ihn.
Vielleicht war es keine aufregende, dramatische, schillernde Leiche, die man aus dem Hotelpool fischte, aber doch! Es stimmt einen traurig, dass niemand um ihre Geschichte weiß.

 

Hallo Paranova,

mir haben zwei Dinge gut an Deiner Geschichte gefallen: Erstens die Stimmung, dieses dösen, träumendes, von der Wirklichkeit losgelöstes Nachdenken in flirrender Hitze.
Zweitens: Der Einbruch der äußerst seltsamen Realität, die aber - wie er es sich für seine Bilder wünscht - ganz unspektakulär geschieht.
Hieraus ergibt sich eine gravierende Verhaltensänderung: Der vorher eher resignierende Mann belässt es nicht bei der Erfahrung des Erlebten, nein, er muss zum Jäger werden (vielleicht wie er früher vergeblich nach Bildern gejagt hat) und führt so das ultimative Ende seines Strebens, seinen Tod, herbei.

„Dazu bräuchte es, vordergründig, an den Bildrändern, Augenlider; die kleinen Härchen sind noch fein zu erkennen, obschon etwas unscharf; feinste Verästelungen von Arterien und Venen sorgen für farbliche Nuancen. Dann; dermaßen umrahmt: das Motiv, scharf, gestochen, lebendig, alltäglich!
Und, dazu bräuchte es eine Leiche.“

Das ist eine nette Idee - na, die Leiche bekommt er ja auch, wenn auch in eigener Person, gewissermaßen die absolute Selbsterfüllung seiner Wünsche.

Hier hätte ich inhaltlich gerne eine kleine Information, zur `Abrundung´:
ein Karpfen, wenn auch etwas schmalgesichtig, und verkitscht - worin besteht die Verkitschung?
Ebenso bei der hysterischen Frau: Was ist der Stein des Anstoßes? Selbst in den USA wird man ihn kaum pervers nennen, nur weil er eine Dose Bier in der Öffentlichkeit trinkt.

Änderungsvorschläge:

Aber nicht allzu feste, des mittäglichen Klimas wegen. - Dieser Satz bezieht sich auf `halten´ bei: „hielt er seinen Kopf trocken“. Das `Halten´ im Bezug auf den Kopf hat aber nicht den Sinn von `greifen´, deshalb stimmt der Bezug nicht.

Der Beton hatte sich aufgeheizt- welcher Beton? Bis jetzt wurde noch keiner genannt.

Einst hielt er sich für einen guten Fotographen, er dachte an alltägliche Aufnahmen an der Grenze zur Kunst, an der Grenze zum Erfolg, der ausgeblieben war;
alltägliche Bilder von Studenten und Studentinnen - Zeilenumbruch kontrollieren. Fotograf oder Photograph.

Ein Ehrenmal, etwas abseits gelegen um alte Grabsteine herum - eher umgekehrt?

um alte Grabsteine herum; Grün verbreitet Ruhe, und die Sprenkle oxidieren, eine rundliche Passantin wendet den Kopf leicht ab und holt sich nasse Füße...
Um so etwas - Wiederholung „um“. Sprinkler?

Dazu bräuchte es, vordergründig, an den Bildrändern - im Vordergrund oder „vordergründig als Gegensatz zu `hintergründig´?


als er ihm entgegenblinzelte, sah er nur - kann er ihm „entgegenblinzeln“, wenn es schon vorbei ist?

Er wandte den glänzenden Kopf wieder nach vorn, dem Bud - um dem

Er rammte mit Mordstempo gegen den Beckenrand und ertrank sehr schnell. - Er rammte den Beckenrand mit einem Mordstempo


Vielleicht war es keine aufregende, dramatische, schillernde Leiche, die man aus dem Hotelpool fischte, aber doch! Es stimmt einen traurig, dass niemand um ihre Geschichte weiß. - Eine Leiche wird Schwierigkeiten haben `dramatisch´ zu sein: sie kann auf ein Drama hinweisende Verletzungen haben, etc. aber dennoch: Es stimmt...

Ach ja, beim Titel würde ich schon Fahrenheit angeben.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Paranova,

eine stimmungsvolle kleine unsptektakuläre Geschichte hast du da geschrieben. Natürlich ging es mir so, dass ich darauf lauerte, was denn noch passieren würde, und auch den Tod habe ich dabei vorausgeahnt. Es wäre fast mutig gewesen, deinen Prot am Leben und die Story damit noch unspektakulärer zu lassen. Aber dann wäre der Wunsch des Fotografen nicht in Erfüllung gegangen. Ja, mit den Wünschen sollte man schon aufpassen. ;)
Ein Buchstabendreher ist dir unterlaufen.

Ein merkwürdiges Gefühl bleib.

Lieben Gruß, sim

 

Vielen Dank euch beiden für eure Anmerkungen -
deine, Woltochinon, bedürfen mehr Zeit, als ich momentan leider zur Verfügung habe (Hausarbeit, oh-je-oh-je), aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, vielen Dank!
Übrigens, die schreiende Frau sollte den den Übergang des Prots zum Realitätsverlust markieren - er hört sie zwar, aber als er schaut, stellt er fest: "da war nichts".
Nun, *verlegen räusper*, die Geschichte bedarf noch des Feinschliffs, ich krieg im Moment nichts rechtes hin...
:rolleyes:

Hallo Sim,
auch deine kurze Bemerkung trifft ins Schwarze: ich bin ja ebenfalls kein Freund von "Prot-stirbt-am-Ende"-Lösungen, aber grmpf, es sollte halt so sein- wobei mir ne ordentliche Alternative eingefallen ist, nur fehlt mir momentan die Zeit. Ahnen lässt sich das Ende mit Sicherheit, es gibt ja Andeutungen - das Ehrenmal am Friedhof, das "eins mit dem Ursprung"-werden des Prots.

Vielen Dank erstmal euch beiden und einen schönen Restsonntag!

...para

 

Hallo Paranova,

"da war nichts" kann auch daran liegen, dass sie (feige?) wieder verschwunden ist. Ist nicht eindeutig, an wem das Verschwinden liegt.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hi Para,
schön banal und einfach.
Mir gefällt aber, wie die Stimmung sich wandelt und der Mann doch noch Leben in sich entdeckt. Nun, vielmehr gibt es nicht zu sagen, aber genau das, war ja auch beabsichtigt...glaub ich ;)
Hat mir gefallen.

Schönen Gruß...
morti

 

Hallo Para
Bei solchen alltäglichen Bildern muss der Erfolg ausbleiben ;)

alltägliche Bilder von Studenten und Studentinnen, deren morgendliche Wege am Haupteingang irgendeiner Universität zusammenfinden; Knäuelbildung; im Hintergrund städtisches Panorama, vielleicht ein schönes Pflaster...
Supermarktparkplätze, in deren Weite sich ein paar um einen Pickup gruppierte Halbstarke verlieren oder ein Renter...
Ein Ehrenmal, etwas abseits gelegen um alte Grabsteine herum; Grün verbreitet Ruhe, und die Sprenkler oxidieren, eine rundliche Passantin wendet den Kopf leicht ab und holt sich nasse Füße...
Diese Bilder sollen also seiner Meinung nach den gewünschten Erfolg bringen, wenn er einen Blickwinkel erzwingt?
Dazu bräuchte es, vordergründig, an den Bildrändern, Augenlider; die kleinen Härchen sind noch fein zu erkennen, obschon etwas unscharf; feinste Verästelungen von Arterien und Venen sorgen für farbliche Nuancen. Dann; dermaßen umrahmt: das Motiv, scharf, gestochen, lebendig, alltäglich!
Kurios ist dann der Einfall,
Und, dazu bräuchte es eine Leiche.
Wo es doch tausende von Möglichkeiten gibt, den Rand darzustellen (Meine Tochter hat eine Pokemonkamera und da sind nicht tote Pokemons drin und trotzdem sind sie am Rand zu sehen)
Der aberwitzige Gedanke entsprang wohl auch so einer Art Halbschlaf in dem das Unterbewußtsein ihm wohl aus der Erinnerung heraus eine zeternde Frau beschert, die ja real nicht da ist. Offensichtlich hat der Prot einen Sonnenstich bekommen, was auch kein Wunder ist. Er sieht eine Fata Morgana? Und assoziert sie, als erfolgversprechendes Motiv.
Leider kommt er um, weil er in seinem Übereifer gegen den Beckenrand knallt und ertrinkt.
Er rammte mit Mordstempo gegen den Beckenrand und ertrank sehr schnell.
Nachdem man ihn fand, wenig grazil und vollkommen unspektakulär im kleinen blauen Pool treibend, rätselte man; fand schließlich keinen Anhaltspunkt für Fremdverschulden, obduzierte ihn, fand wiederum nichts ungewöhnliches – vielleicht eine Art Hitzschlag? – und verbrannte ihn.
Der Schluß will mir nicht so recht gefallen, weil unterschwellig der Gedanke transportiert wird, der Tod dieses Protagonisten wäre unspektakulär, weil er nach Nichts ausgesehen hat.
Außerdem ist er unlogisch, denn wenn der Prot sich den Kopf gerammt hat, wird man es sehen. Es wäre also durchaus eine Fremdeinwirkung zu klären gewesen.

Goldene Dame

Nachtrag
Ein Ehrenmal, etwas abseits gelegen um alte Grabsteine herum; Grün verbreitet Ruhe, und die Sprenkler oxidieren, weil Passanten darüber urinieren,
Das hätte Erfolg gebracht ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Im ariden Klima des Mittleren Westens, genauer: im kleinen runden Pool eines billigen Hotels, trieb ein Mann. Sich auf eine Styroporrolle stützend, hielt er seinen Kopf trocken, zudem noch, in der Rechten, eine Dose Bud light. Aber nicht allzu feste, des mittäglichen Klimas wegen.
Der umgebende Beton hatte sich aufgeheizt. Grelles Sonnenlicht knallte gegen den nackten Kopf. Immer und immer wieder. Niemand war da, der Anstoß daran nehmen konnte, dass dieser Herr sich hier in aller Öffentlichkeit einen zischte. Er sah aus wie vierzig, hatte die Augenlieder auf Halbmast gehängt und glänzte in der Sonne.
Einst hielt er sich für einen guten Fotographen, er dachte an alltägliche Aufnahmen an der Grenze zur Kunst, an der Grenze zum Erfolg, der ausgeblieben war:
Alltägliche Bilder von Studenten und Studentinnen, deren morgendliche Wege am Haupteingang irgendeiner Universität zusammenfinden; Knäuelbildung; im Hintergrund städtisches Panorama, vielleicht ein schönes Pflaster; lange Belichtung...
Supermarktparkplätze, in deren Weite sich ein paar um einen Pickup gruppierte Halbstarke verlieren oder ein Rentner; zu überlegen wäre die Verwendung von Schwarz-Weiß...
Ein Ehrenmal, etwas abseits gelegen. Alte Grabsteine herum; Grün verbreitet Ruhe, und die Sprenkler oxidieren, eine rundliche Passantin wendet den Kopf leicht ab und holt sich nasse Füße; wichtig wären hier satte Farben, ausreichend Licht...
Um so etwas wirklich alltäglich hinzukriegen, das Banale zu betonen, dachte er dämmernd, und die Sonne knallte auf ihn herab:
Dazu bräuchte es, vordergründig, an den Bildrändern, Augenlider; die kleinen Härchen sind noch fein zu erkennen, obschon etwas unscharf; feinste Verästelungen von Arterien und Venen sorgen für farbliche Nuancen. Dann; dermaßen umrahmt: das Motiv, scharf, gestochen, lebendig, alltäglich!
Und, dazu bräuchte es eine Leiche.
Kaum dass der Mann im Pool dies ausgedacht hatte, platzte aus einem der Fenster über ihm wildes Gezeter einer Frau: „Das kannst du nicht machen... perverser Drecksack, elender!... Verpiss dich!“ und dergleichen mehr.
Er erschrak, fühlte sich ertappt; das Gezeter schwoll sehr schnell ab; als er ihm entgegenblinzelte, sah er nur reflektierenden Beton, darin eingelassen geometrische Reihen Fenster, alle zugezogen, auch im ersten Stock: Da war nichts.
Ein merkwürdiges Gefühl bleib. Er wandte den glänzenden Kopf wieder nach vorn, dem Bud auf den Grund zu sehen, und blickte in das große, erstaunte Gesicht eines riesigen, knapp über dem Wasser schwebenden Karpfens. Anders konnte man den Anblick nicht benennen: Flossen, Schuppen, Fischaugen und Barteln: unbestreitbar ein Karpfen, wenn auch etwas schmalgesichtig, und verkitscht; vielleicht eher eine Art Mondfisch?
Nach diesem Augenblick beiderseitigen Erstaunens fuhr der Fisch herum; sein Leib schillerte silbern in der Sonne, die Schwanzflosse schlug umher und – zuck! sprang er zurück in das Wasser des Pools; vom Mann weg, dem somit ein gigantisches Motiv entgangen war.
„Ist Ihnen nicht gut?“
Er fuhr herum. Am Beckenrand saß eine Blonde, um die Dreißig. Sie trug einen rosa Bikini, tauchte die Füße ins Wasser und schaute ihn besorgt an.
„Alles in Ordnung?
„Ja“, sagte er langsam. Sollte er den Fisch erwähnen? Er zählte bis drei, überprüfte, ob er noch da war – nichts! und murmelte: „Verdammte Sonne... man riecht sie nicht und man hört sie nicht...“
„Was dagegen, wenn ich reinkomme?“
„Nein, nein. Streit gehabt?“
„Wieso?“
„Nicht so wichtig.“
„Sie sind lustig.“ Ihr Lachen klang gestellt. Er hielt einen Moment inne, füllte dann die Hand mit Chlorwasser und rieb sich damit den Kopf. Von irgendwo kamen Sirenen.
„Sag mal“, fragte er, „... magst du Fotos?“

 

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