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Hubert
Ein nervenzerfetzendes Piepen zerreißt die friedliche Idylle. Jeder Ton prügelt auf meine Synapsen ein und trampelt auf meinen Neuronen herum. Ich öffne ein verkrustetes Auge und versuche desorientiert, die Lärmquelle zu lokalisieren. Ich orte sie auf dem Nachttisch in Gestalt des Weckers, den ich mit einem gezielten (weil schon tausendfach geprobten) Wurf einer Pizzaschachtel, mit der ich offensichtlich übernachtet habe, zum Schweigen bringe.
Doch o Graus - es plärrt noch immer! Ich öffne das andere Auge und entdecke mein Handy, das in höchsten Tönen versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Ich greife mir die Höllenmaschine und lese auf dem Display "Hubert". Hubert. Ich hasse Hubert. Hubert ist eine Person aus meinem Bekanntenkreis, die sich mit erstaunlicher Hartnäckigkeit einbildet, mit mir befreundet zu sein. Ich hingegen lege zumeist Wert auf halbwegs intelligente Gesellschaft und meide Evolutionsbremsen, die es sogar fertig bringen, über ein schnurloses Telephon zu stolpern. Verzweifelt versuche ich, das lärmende Etwas unter meinem Kopfkissen zu ersticken, bis es tatsächlich Ruhe gibt.
Ich sinke zurück in mein Bett und überlege mir, womit ich diesen Anruf verdient haben könnte. Weit komme ich nicht, denn es klingelt schon wieder ohrenbetäubend. Entnervt hebe ich ab und brülle zornig in den Hörer:
"Scheiße, wo brennts denn!"
Meine Mutter erklärt mir höflich, dass sie wohl später nochmal anrufen würde und legt auf.
Gute Güte, für die Aktion wird der Haussegen für Wochen schief hängen. Mal wieder. Mit der Motivation eines Fließbandarbeiters schäle ich mich aus den Laken und schleppe mich ins Badezimmer. Ich grüße den mir fremden Mann im Spiegel, starte drei erfolglose Versuche, mich zu rasieren, entschließe mich, das resultierende Blutbad später aufzuwischen und widme mich stattdessen meiner Blase.
Nach vollbrachter Tat schlappe ich zurück in mein Zimmer, greife den Haufen Socken, schmeiße ihn an die Wand und wähle das Paar aus, das nicht daran kleben bleibt. Ich streife mir eine grässliche Kombination aus Cargo-Hose und Hawaii-Hemd über (Freunde bezeichnen es höflich als optische Umweltverschmutzung) und erstarre, als das Telephon erneut klingelt. "Hubert" lese ich zu meinem Missvergnügen. Ich hebe ab:
"Ja, hallo. Ähh... Eine große Pizza Salami, dazu ne Coke. Light."
"Was... ?"
"Ja, ist da nicht die Pizza Hotline?" Ich trete lustlos zwei leere Bierflaschen unter mein Sofa.
"Ähm, nein... hör mal..."
"Oh sorry, dann habe ich mich wohl verwählt. Tschüss."
Ich lege genüsslich auf, schalte meine Stereoanlage an und warte. Es klingelt erneut. Ich hebe ab, platziere das Handy direkt vor einem Lautsprecher und gehe in die Küche. Ich mache mir einen Kaffee und durchwühle den Kühlschrank auf der Suche nach etwas, das noch keine Gelegenheit hatte, Haare zu entwickeln. Ein Frischkäse, der seinen Namen seit wohl drei Monaten nicht mehr verdient, beißt mir in den Finger und flüchtet hinter ein finster dreinblickendes Omelett. Ich entscheide mich dafür, das Frühstück ausfallen zu lassen, schließe die Tür und zünde mir einen Jointstummel an, den ich im übervollen Aschenbecher entdeckt habe. Zum Glück gibts ja noch den Kaffee, denke ich mir, und wende mich der Tasse zu. Der Kaffee, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben, stellt sich als eher solide Substanz und keineswegs als Flüssigkeit heraus. Als ich den Löffel versuche zu entnehmen, ploppt ein tassenförmiger Kaffeeblock mit heraus. Ich seufze und nehme einen Bissen, während ich einen missbilligenden Blick über meine Wohnung schweifen lasse. Nach einer Party wie der gestrigen erinnert sie mich immer an den berühmten REM Song "It's the end of the world as we know it". Die Welt endet recht häufig seit ein paar Wochen.
Ich laufe zu meinem Aquarium und angle eine Bierflasche heraus, die offensichtlich leider nicht leer war. Mal wieder hatten meine beiden Goldfische wohl zuerst verdammt viel Spaß, wurden im Laufe des Abends rüppelvoll und hatten anscheinend gegen Ende hin eine Prügelei. Der eine Fisch mit dem Veilchen kotzt und ich schmeiße zwei Aspirin ins Wasser.
Trotz meines grässlichen Katers entschließe ich mich dennoch, bei der Arbeit aufzuschlagen. Mit der Hoffnung, dass die kleinen Bastarde ihre Hausaufgaben gemacht haben, greife ich mir die Aktentasche und bereite mich darauf vor, mein kleines privates Armageddon gegen eine neue Apokalypse einzutauschen - die 6c in Latein.