Hummel
Ich kam abends mit dem Fahrrad nach Hause. Es war schon spät. 23 Uhr. Ich trug mein Fahrrad wie immer die Treppen herunter und stellte es im Keller an seinen üblichen Platz, abgeschlossen. Als ich wieder hinaustrat, bemerkte ich die zwei abgestellten Räder. Sie standen dort schon sehr lange dämlich rum, bestimmt ein halbes Jahr. Sie regten mich öfters auf, da sie den schmalen Weg, der zum Fahrradkeller führte, ein wenig versperrten. Ich kam zwar immer daran vorbei, auch wenn die Autofahrer meist eng nebeneinander zu parken meinten. Schluss jetzt. Ein für alle Mal. Ich hob die Räder beide etwas an und lehnte sie so dicht wie nur eben möglich gegen die Hauswand. Ihre Reifen waren längst platt. Plötzlich hörte ich dieses Geräusch. Es schien von der Straßenlaterne zu kommen, keine fünf Meter von mir aus gesehen rechts. Zuerst schien es, als ob die Laterne selbst dieses Geräusch von sich gab. Wie ein kurzes Aufflackern. Doch in Wirklichkeit war es mehr so ein Brummen. Ich blickte hoch und wollte für einen Moment meinen Augen nicht trauen. Eine Hummel. Dicker und lauter als man sich eine Hummel vorstellt. Selbst Kinder würden sie nicht mal so dick malen. Direkt unter dem leuchtend gelben Laternenschirm brummte dieses dickliche Geschöpf, was das Zeug hielt. Ja, die Hummel brummte um ihr Leben. Sie war vor ein, vielleicht zwei Sekunden in Gefangenschaft geraten. Einem intelligent gespannten Spinnennetz zum Opfer gefallen. Zur Freude der Urheberin, die jetzt in ihrem Zuhause sichtbar wurde. Ein gewaltiges Ungetüm von einer Spinne. Direkt unter der Laterne hatte sie ihr Reich. Flink kam sie Richtung Hummel gestiefelt. Schwarz, groß und nicht schön anzusehen. So ein Happen wird ihr doch nicht zweimal aufgetischt. Der reicht für die ganze Woche. Schnell, jetzt bloß keine Zeit verlieren. Sie wickelte die Hummel sofort grob ein. Doch bei dieser Hummel tat sich die Spinne sichtlich schwer. Was ein Akt, die Mumifizierung. Denn noch nie war eine Hummel so dick und schwer, baumelnd im Netz. Die Giftspritze blieb vorerst auch aus, machte die Hummel noch einen sportlichen Eindruck. Doch so wild sie auch hin und her tänzelte, sie klebte fest und konnte sich nicht befreien. Für einen Moment blickte kurz auf mein Handy und hörte Leute gegenüber aus dem Haus kommen. Dann schaute ich wieder gefesselt hoch zu dem illustren Schauspiel. Währenddessen spann ich kurz den Gedanken, das Treiben mit dem Handy festzuhalten, warf diesen aber wieder weg. Die arme Hummel, ihr Leben ist um. Bei ihrer Größe konnte man sicher sein, dass sie ein schönes, langes Hummelleben hinter sich hatte. Trotzdem kein dankbarer Tod. Von der fiesen Spinne verschrottet zu werden, in verschiedene Einzelteile zerlegt. Der Gedanke, etwas ins Netz zu werfen, überkam mich jäh, kurz bevor es zu geschehen drohte. Einen Stein oder einen Stock. Die Hummel irgendwie retten. Doch auch diese Idee verschwand aus meinem Kopf. Schlechter Wurfwinkel zum Einen und die Tatsache, es geschehen zu lassen. Fressen und gefressen werden. So ist es nun mal. Mittlerweile bin ich drinnen und trauere der schönen Hummel hinterher. Wäre ich doch mal sofort den Laternenmast hochgeklettert und hätte sie befreit. Das hätte alles schnell gehen müssen. Bevor die Spinne den Sack zugemacht hätte. Hätte, hätte, Fahrradkette.