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Hypnose
Sie hielt ihre stechende Wange. `Schmerztabletten müssten helfen` durchdrang eine innere Stimme ihren Kopf. Schnell eilte sie ins Bad, durchsuchte ihren Medizinschrank... aber nichts, nicht eine Tablette konnte sie finden. Poch, poch schmerzte ihr Zahn und dieses erbarmungslose kleine schwarze Männchen, mit dem kleinen Hammer klopfte unerbittlich weiter.
" Eine Packung Pfeil Zahnschmerztabletten bitte", murmelte Vivien.
" Sechs Euro zwanzig bitte", verlangte die stämmige Apothekerin, während sie ihre Brille mit dem Mittelfinger ihrer rechten Hand zurück auf die Nase schob, " Achtzig Cent zurück. Tschüß und gute Besserung."
Mit gesenktem Kopf, die Schultern eingefallen, schlurfte sie zurück nach Hause, um sich ein Glas Wasser zu holen und eine dieser Tabletten zu nehmen. Gleich würde es ihr besser gehen. Gleich würde der Schmerz nachlassen und alles wäre wieder gut.
Desinteressiert schaltete sie den Fernseher ein, nur so als angenehme Geräuschkulisse, die die unerträgliche Ruhe in ihrer Wohnung verdrängte und sie vielleicht auch etwas von ihren Schmerzen ablenkte.
Kurzzeitig hatte sie auch in der Küche gestanden, um sich etwas zu Essen zu machen. Trotz der Tablette hatte ihr Zahn immer noch gepocht, weshalb sie auch keinen Bissen runter bekam. Warum half das Schmerzmittel nicht? Sollte sie noch schnell rüber zum Zahnarzt rennen? Ihre Angst sausen lassen, um dann die Erleichterung zu spüren, wenn der Schmerz nach ließ. Es war eine herrliche Vorstellung und doch so schwer umzusetzen, denn Panik machte sich in ihr breit, bei dem bloßen Gedanken an den Bohrer, dieses summende Geräusch, welches sich in ihrem Kopf breit machte. Nein, bis zum nächsten Tag wollte sie noch warten, wenn es dann nicht besser wäre, würde sie gehen.
Die Nacht war furchtbar. Kein Auge hatte sie zu getan, die Pillen waren alle, ohne das auch nur eine gewirkt hatte. Vorsichtig schaute Vivien in den Spiegel, um ihre geschwollene Wange zu begutachten. Gut, kein Jammern würde nun mehr helfen. Keine Ausrede, dass sie Angst vor dem Zahnarzt hatte. Nein, denn jetzt zählte nur noch, den Zahn behandeln zu lassen. Zitternd putzte sie ihre Kauleiste, wobei das bei den Schmerzen eine fast nicht zu bewerkstelligende Aufgabe war, während ihr Tränen über`s Gesicht kullerten, die die Angst zum Ausdruck brachten, die sie verspürte bei dem Gedanken an die kommenden Stunden.
Kaum im Stande etwas zu sagen überreichte sie der Schwester an der Anmeldung ihre Chipkarte, um dann wie in Trance im Wartezimmer Platz zu nehmen. Das Geräusch des Bohrers hämmerte durch die geschlossene Tür vom Behandlungs- ins Wartezimmer. Unerbittlich kündigte es den Wartenden an, dass sie gleich an der Reihe waren von ihm gequält zu werden. Jeder ohne Ausnahme. Vivien beobachtete die anderen Leute, die auf einigen der Stühle im Warteraum saßen. Einige wirkten gelassen, einige ängstlich, manche lasen eine Zeitschrift, deren Datum schon seit einigen Wochen abgelaufen war, aber niemand schien so viel Angst wie Vivien zu haben.
" Meier Vivien bitte", ertönte eine blechernde Stimme durch den Lautsprecher.
Nur mühselig trugen ihre zitternden Beine sie ins Behandlungszimmer, den Bohrer sofort im Blickwinkel. Sie wollte raus hier, weg von all den Dingen die ihr gleich noch mehr Schmerzen bringen sollten, aber es war wohl zu spät, denn sie wurde schon auf den Stuhl gedrückt, auf dem ihr nun ein Sabberlätzchen umgebunden wurde. Langsam öffnete sie ihren Mund, nachdem sie gesagt hatte, wo sie Schmerzen hatte und nun fuchtelte die Ärztin mit irgendeinem Ding an ihren Zähnen herum, um der Schwester zu sagen welche alle kariös waren, als sie an das schmerzende Wrack kam, was Vivien zusammen zucken ließ.
" Ah ja, der ist es also. Der muss raus", erwähnte die Ärztin, während ihre Augen voller Vorfreude blitzten, " Ich geb dir erst mal`ne Spritze."
Tief bohrte sich die kleine dünne Nadel in Vivien`s Zahnfleisch, zwei - drei mal, dann hatte sie es geschafft. Gleich würde die Spritze helfen, dann raus mit dem Zahn und dann wäre es geschafft. Keine Schmerzen mehr, was für ein schöner Gedanke. Immer wieder biss sie sich vorsichtig auf die Zunge, um festzustellen, dass die Betäubung anfing zu wirken.
Der Geschmack ihres Blutes ließ sie würgen. Die Ärztin hantierte noch immer in ihrem Mund herum. Es knackte fürchterlich, von den Schmerzen ganz zu schweigen. Wie viele Wurzeln hatte so ein Zahn denn? Vivien kam es vor, als wären es unendlich viele, während ihr die Tränen über`s Gesicht kullerten und sie immer tiefer in diesem Stuhl versank.
Schluchzend trottete sie wieder zur Apotheke, den Zettel mit dem Rezept darauf in der Hand. `Hypnose` hatte die Ärztin zu ihr gesagt, `wäre genau das richtige, um deine Angst vor mir zu nehmen und die Schmerzen zu hemmen, wenn wir den anderen Zahn ziehen. Überleg` es dir mal.`
Vivien war keiner dieser Menschen, die an so etwas glaubten und doch war sie angetan von der Vorstellung, keine Angst und keine Schmerzen mehr zu haben, wenn der unsagbar gefährliche Bohrer in ihrem Mund herum wütete.
" Gut dann wollen wir uns mal bekannt machen. Ich bin Herr Knoll."
" Ich bin Vivien Meier", ihre Stimme erklang in voller Erwartung auf das was da wohl gleich mit ihr geschehen würde.
Herr Knoll, welcher der Hypnotiseur war, fragte sie nach einigen Dingen in ihrem Leben, was sie gern mal sehen oder erleben würde. Auch erklärte er ihr, dass sie einige Sitzungen bräuchte,um in tiefe Hypnose verfallen zu können. Mut machte ihr, als er ihr von Operationen erzählte, die ohne Betäubung, nur mit Hilfe der Hypnose statt gefunden hatten.
Vivien saß vor dem Bildschirm des Computers. Starrte auf ein Bild, welches das Meer, Palmen, Delfine, Strand und die Sonne zeigte. Sie sollte es sich gut einprägen, denn Herr Knoll wollte sie gleich an dieses Meer führen.
Bequem lag Vivien auf dem Sessel und starrte an die Decke, an der ein kleiner gelber Punkt zu sehen war.
" Deine Beine werden schwer. Deine Arme werden schwer. Du merkst wie die Wärme ein wohliges Gefühl in die Magengegend bringt."
Völlig regungslos zählte sie nun, von null beginnend bis sie nur noch ein müdes " einundfünfzig " über die Lippen brachte und ihr die Augen zu fielen.
" Du gehst jetzt die steinernde Treppe hinauf, zu dem Tor und öffnest es", hörte sie die Stimme von Herr Knoll, " Langsam betrittst du den warmen Sand und fühlst ihn unter deinen Füßen. Siehst du das Meer? Langsam gehst du auf das Meer zu."
Vivien tat was ihr gesagt wurde und sie hatte das unbeschreibliche Gefühl den Sand zwischen ihren Zehen zu spüren. Das Wasser umsäuselte ihre Füße und weit hinten am Horizont erblickte sie Delfine, wie sie lustig über das Wasser sprangen, um dann wieder in das kühle Nass zu tauchten.
Überwältigt von den ganzen Erlebnissen ging sie nach Hause. Lange dachte sie noch an das Meer, fast so als wäre sie gerade aus dem Urlaub gekommen, nur dass der Sonnenbrand fehlte. Als hätte sie eine Woche durchgeschlafen, so hatte sie sich gefühlt, nachdem sie aus der Hypnose erwacht war. Alles war so fazinierend echt und doch so unwirklich. Sie hatte versucht sich zu bewegen, die Augen aufzumachen, aber es ging nicht, so lange es der Hypnotiseur nicht gesagt hatte. Wahrscheinlich war es eine gute Idee gewesen, diese mystische Zeremonie der Hypnose zu testen, denn so ein Erlebnis hatte sie noch nie und würde sie wohl auch nie wieder haben, dessen war sie sich sicher.
Mit gemischten Gefühlen saß Vivien wieder im Wartezimmer. Das Geräusch des Bohrers dröhnte durch die Tür des Behandlungszimmers, aber es störte sie nicht. Sie dachte an den Trancezustand in den sie gleich versetzt werden würde und sie erwartete ihn, wie ein Süchtiger seinen nächsten Schuss. Würde das alles auch so klappen, wie es ihr versprochen wurde? Würde sie wirklich keine Schmerzen haben? Ihr Herz raste. Ihr Magen grummelte. Ihre Gedanken kreisten um ihren Zahn, die Betäubingsspritze und die Hypnose. Gleich würde sie wieder am Strand spazieren gehen, den Sand unter ihren Füßen spüren, die Sonne auf ihrer Haut, die sie unter die hohe Palme in den Schatten flüchten ließ, um von dort den Delfinen zu sehen zu können.
Vorsichtig und doch voller Selbstbewusstsein ging sie in das Behandlungszimmer. Die Ärztin war noch nicht da, nur der Hypnotiseur, dessen warme Stimme sie begrüßte. Vivien legte sich auf den Stuhl, sah wie Herr Knoll einen Zettel mit der Aufschrift `Hypnose` von aussen an die Tür hängte, um dann leise die ruhige Musik anzustellen.
Gebannt lauschte sie seiner Stimme, zählte wieder von eins bis fünfzig, um dann in ihre Urlaubswelt einzutauchen.
Sie hörte, wie die Ärztin den Raum betrat. Etwas Unruhe machte sich in ihr breit, bevor sie sich noch tiefer an den Strand zurück zog.
" Jetzt machst du ganz langsam deinen Mund auf", hörte sie weit entfernt die Stimme des Hypnotiseurs und sie tat es.
Sie spürte die Zange, die an ihrem Zahn würgte, schmeckte das Blut, hörte das Knacken der Wurzeln und doch war alles so weit entfernt.
" Gleich hast du es geschafft." Wie erlösend diese Worte klangen.
Tränen der Erleichterung rannen an ihren Wangen hinunter, während Herr Knoll sie in die Realität zurück holte.
Sie hatte es geschafft, ganz ohne Schmerzen. Ja Hypnose war schon eine tolle Erfindung der Menschheit, und der Gang zum Zahnarzt von nun an eher ein kleines Urlaubserlebnis.