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Ich bin schuld

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18.06.2010
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Ich bin schuld

Mama sagt, sie hasst mich. Mama sagt, ich bin ein Unfall. Sie sagt, ich soll meinen Mund halten und nicht so frech sein. Immer sagt sie so was, aber ich weiß, dass sie mich lieb hat. Alle Mamas haben ihre Kinder lieb. Sie weiß nur nicht, wie sie es mir richtig sagen soll.

Ich sitze gerade in meinem Zimmer und weine. Ich habe keine Ahnung, warum. Manchmal ist das einfach so. Die Mama hat gesagt, dass ich selber schuld bin und das stimmt. Alles, was die Mama sagt stimmt. Weil sie sagt, dass es stimmt. Die Mama lügt nie, weil sie mir das verboten hat. Und das, was man verbietet, tut man nicht selber. Das ist so.

Mein Papa kommt rein. Eigentlich ist er nicht mein Papa, aber die Mama sagt, ich soll ihn so nennen. Ich verstehe das nicht ganz. Der Papa ist immer da. Es ist so wie bei den anderen Kindern. Glaube ich zumindest. Nur er ist eben nicht mein Papa. Ich habe keine Ahnung wie richtige Papas sind, aber ich glaube richtige Papas sind besser. Der Papa ist der Papa von meinem Bruder und bei ihm ist er so ein Papa. So ein richtiger Papa. So einer, der besser ist.
Der Papa schreit mich an, warum ich nicht Hausaufgaben mache und warum ich Mama immer so traurig mache. Und warum ich ihn immer so wütend mache. Der Papa sagt ein Wort, das er mir verboten hat zu sagen und gibt mir eine Ohrfeige. Wenn ich schreie oder weine bekomme ich noch eine. Das ist immer so. Ich bin lieber leise, so wie es sich eben gehört. Ich bedanke mich bei ihm. Er geht raus und ich hole mein Zeug aus der Schultasche. Ich drehe mich noch mal zur Tür um und lege dann meinen Kopf auf mein Heft, weil der Umschlag so kühl ist. Und in meinem Kopf ruckelt alles. Und meine Wange brennt. Und ich hab ein schlechtes Gewissen. Und ich bin schuld. Nur ich. Nur wegen mir ist Mama immer traurig. Ich bin schrecklich. So was wie ich sollte besser tot sein. Die Mama sagt das auch. Und alles, was die Mama sagt stimmt. Wirklich alles.

Der Papa kommt schon wieder ins Zimmer und schaut nach ob ich eh lerne. Aber ich bin eingeschlafen mit dem Kopf am Schreibtisch. Ich kann nicht mehr. Die Mama hat mich heute saugen lassen. Und spülen. Und Fenster putzen. Und so was. Aber die Mama macht eh schon so viel und ich muss ihr helfen. Das ist normal so. So genau weiß ich nicht was die Mama alles macht, aber der Papa sagt die Mama macht so viel. Und ich bin so faul. Ich bin so ein schreckliches Kind. Der Papa schreit wieder. Der Papa zieht mich an den Haaren und schüttelt mich ganz fest. Mein Papa packt mich an den Schultern. Die sind schon ganz blau. Er sagt so viele Wörter. Die Wörter sind alle böse. Ich darf die nicht sagen. Ich soll meine Hausaufgaben machen und nicht schlafen. Ich bin selber schuld an allem. Heute bekomme ich nichts zum Abendessen. Das gehört sich so. Wenn ich nicht das mache was er will, bin ich ja selber schuld. Der Papa geht wieder und ich mache das Heft auf. Aber es geht nicht. Ich verstehe das alles nicht. Ich weine wieder. Ich bin an allem schuld. Die Mama ist schon wieder traurig. Nur weil ich so dumm bin und alles falsch mache. Es wäre das Beste für alle wenn ich weg wäre. Die Mama sagt das ja immer. Und die Mama hat immer Recht.

 

Hallo metamorphose

das ist immer schwierig mit solch Texten, die aus der Perspektive eines Kindes geschrieben werden. Insbesondere bei einer solch heftigen Themenwahl. Erstmal ist es schwierig, die Gedanken des Kindes glaubhaft rüberzubringen, zum anderen den richtigen Wortschatz zu treffen und gleichzeitig mit Anspruch zu schreiben.*
Inhaltlich scheint es für mich die gröste Herqusforderung zu sein, nicht zu sehr ins niedliche und nicht zu sehr ins moralische abzudriften.*
Stellenweise finde ich die Probleme in deinem Text ganz gut gelöst. So bleibst du zb recht konsequent in deiner Erzählstimme und agierst mit einfachem Wortsxhatz, der trotzdem meist treffend ist.*
Größter Kritikpunkt ist diese Überfrachtung mit "weil Mama sagt". Da sticht mir zu heftig der erhobene Zeigefinger nach mir Leser.*
Gewinnen würde der Text ungemein, wenn du der Sinnlichkeit des Kindes mehr Raum geben würdest. Die Sinne sind beim Kind viel feiner ausgeprägt, die Welt stärker darüber wahrgenommen. Insbesondere Farben, Gerüche, aber auch wie sich gewisse Dinge anfühlen. Zb die Kleidung des Ziehvaters, sein Atem; meinetwegen im Kontrast zum Vati des Freundes. Gleiches gilt aber auch für die Mutter.*
Solche Details würden den Text bereichern und dadurch das geschehen erfahrbarer, plastischer werden lassen. In dieser Form ist das noch recht eindimensional.*

Grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo metamorphose,

bei dem Text sträuben sich mir die Haare – weil es solch trostlose Leben tatsächlich gibt. Da bin ich mir leider einhundertprozentig sicher. Hoffnung gleich null!
Dafür müsste eigens eine Rubrik eingerichtet werden: Alltäglicher Horror!
Hallo weltenläufer.
Du hast recht, was die Sinnlichkeit von Kindern angeht. Es kann aber sein, dass dies nur für 'glückliche' Zöglinge gilt. Ein Wesen, welches unter solchen Umständen vegetieren muss, könnte meines Erachtens durchaus nur zu einer eindimensionaler Sichtweise fähig sein – es glaubt ja selbst, was ihm suggeriert wird. Das Menschwerden wird ihm ja von Anfang an verwehrt.
Daher finde ich den Text gelungen. Das Ausweglose kommt in einer Vehemenz zur Geltung, dass mir schaudert. Diese unglücklichen Kinder existieren!

Mit freundlichem Gruß
kinnison

 

Erstmal danke an euch beide für die Kritik!

Hallo weltenläufer,
ich wollte mit dem "weil Mama sagt" ausdrücken wie sehr sich die Worte der Eltern in die Gedanken und in die Denkweise eines Kindes einbrennen. Die Worte der Mutter stehen im Gegensatz zu der Vorstellung des Kindes von einer "normalen Mutter", die ihr Kind lieb hat und sich um es kümmert. Meine Protagonistin hält an dieser Vorstellung fest und weist daraufhin, dass ihre Mutter nur ihre Gefühle nicht richtig zeigen kann.

Ich habe die schlichte/trockene/einfache (wie man es auch nennen mag...) Erzählweise absichtlich gewählt. Das Kind ist diesen groben Umgang gewohnt. Die Schläge des Stiefvaters sind Alltag. Es lässt alles über sich ergehen und wartet einfach nur bis es vorbei ist. Ich denke, die Sinnlichkeit der Kinder, die solch einen Umgang erleben, müssen irgendwann so abgestumpft sein, dass sie nicht mehr auf so etwas achten. Es geht nur noch darum, zu überleben.


Hallo kinninson,
ich habe den Text geschrieben, nachdem ich ein Buch gelesen hatte, das dieses Thema behandelte. Die Geschichte des Buches beruhte auf einer wahren Begebenheit und meine Reaktion war ähnlich wie deine. Es ist wirklich schrecklich, wie manche Eltern mit ihren Kindern umgehen und wie sehr man einen Menschen zerstören kann.

Danke auch für das Lob,
LG
Metamorphose

 

Hi Metamorphose

Deine Geschichte hat mich voll und ganz überzeugt. Sie gefällt mir SEHR gut! Diese Art wie du schreibst, es zieht mich mit hinein. Man möchte dem Kind ausreden so zu denken, es in die Arme nehmen und beschützen. So wie kinnison schreibt, diese Kinder gibt es wirklich, ich lese selbst gerade ein Buch mit ähnlicher Handlung, nur ein bisschen schlimmer!
Meinen Geschmack triffst du auf jeden Fall.
Nur eine Sache

Mein Papa packt mich an den Schultern.
Gehört da nicht auch "der" Papa hin. Oder eher immer MEIN Papa, weil das Kind ja meint, die Mama sagt, sie muss ihn so nennen, und das Kind macht immer das was die Mutter sagt. Verstehst du was ich meine??
Naja, aber das ist wirklich nur ein winziger Verbesserungsvorschlag!
Herzliche Grüße, Celina

 

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