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Ich brauche eine Sekretärin
Ich weiß nicht, das wievielte Mal es jetzt schon ist, dass ich abends alleine in einer Bar sitze und warte. Habe ich das zweite Dutzend schon voll? Vermutlich ja. Manchmal ärgert es mich fast ein wenig, dass ich nicht Buch geführt habe, denn so langsam beginnen die Erinnerungen doch etwas zu verschwimmen. Aber erstens hatte ich nun wirklich nicht damit rechnen können, dass ich so erfolgreich sein würde und zweitens gibt es auch Momente, an die ich nicht unbedingt zurückdenken möchte. So wie an den Typen von vergangenem Wochenende. Das war wirklich kein Spaß. Insgesamt bin ich jedoch sehr zufrieden, auch wenn ich immer noch kaum glauben kann, wie einfach das alles ist. Aber attraktive Frauen, die einsam an einer Bar sitzen und sich offenbar langweilen, scheinen für einen gewissen Typ Mann selbsterklärend zu sein.
Die Bar, in der ich heute bin, gehört zu einem eher kleinen, aber durchaus noblen Tagungshotel. Ich habe hier natürlich kein Zimmer gemietet, denn ich möchte mich morgen nicht noch mit so zeitraubenden Dingen wie dem Auschecken aufhalten, sondern einfach nur still und leise meiner Wege gehen, ohne dass jemand groß Notiz von mir nimmt.
Ich vermeide es nach Möglichkeit auch, mich dort aufzuhalten, wo die Gefahr besteht, dass ich Freunde oder Bekannte treffen könnte. Es wäre mehr als unangenehm, wenn mich jemand erkennen würde und es könnte obendrein zu echten Komplikationen führen. Deshalb habe ich meinen Wohnort und die Umgebung in einem Radius von 150 Kilometern zur Tabuzone erklärt, auch wenn ich dadurch schon ein paar sehr verlockende Angebote ablehnen musste. Natürlich kann ich nicht alle Eventualitäten ausschließen und ein gewisses Restrisiko bleibt immer, aber wenn ich den Nervenkitzel nicht lieben würde, wäre ich heute Abend nicht hier.
Es ist jetzt kurz nach 22 Uhr und so langsam füllt sich der Raum.
Schräg gegenüber sitzen vier Männer, etwa von Anfang vierzig bis Ende fünfzig, Typ mittleres Management. Sie tragen alle dunkle, elegante Anzüge und lediglich einer hat sich inzwischen seiner Krawatte entledigt. Der ohne Krawatte sieht schon die ganze Zeit zu mir herüber, mustert mich immer wieder.
Ich überlege, ob ich zum Zeitvertreib ein wenig mit dem Krawattenlosen flirten soll, als er zur Türe herein kommt.
Einsfünfundachtzig groß, volles braunes Haar, ein leicht kantiges Gesicht mit einem kräftigen schön geschwungenen Kinn und dazu noch ein schlanker, athletischer Körper, den er offenbar gut in Szene zu setzen weiß. Er trägt eigentlich nichts besonderes, nur Jeans und ein schwarzes Hemd, aber beides betont seine Figur perfekt.
In meinem Magen beginnt es zu kribbeln. Ich setze mich noch ein wenig aufrechter hin und ziehe unauffällig den Rocksaum ein kleines bisschen höher.
Er lässt seine Blicke durch den Raum schweifen, sucht vermutlich seine Geschäftspartner, mit denen er heute Nachmittag zu einem Meeting verabredet war. Ich halte die Luft an, als er sich in meine Richtung wendet.
Unsere Blicke treffen sich und ich spüre, wie das Adrenalin in meine Adern schießt. Er sieht mich an, sieht mir direkt in die Augen.
Eine Sekunde.
Zwei Sekunden.
Drei Sekunden.
Ich wende den Blick ab, schaue zu Boden, spiele die Verlegene.
Ich zähle bis zwei und sehe wieder auf, den Kopf etwas zur Seite geneigt, den Mund nur eine Winzigkeit geöffnet. Wieder kreuzen sich unsere Blicke. Seine Augenbrauen zucken für einen Moment nach oben und ich weiß, dass ich ihn am Haken habe.
Ich schenke ihm ein Lächeln und streiche eine Haarsträhne hinter mein Ohr, bevor ich mich von ihm abwende, um an meinem Martini zu nippen.
Ich beobachte ihn über den Spiegel hinter der Bar. Er hat seine Geschäftspartner gefunden und setzt sich zu ihnen. Sie unterhalten sich bald sehr angeregt, doch er wirft immer wieder Blicke in meine Richtung. Ich bin ziemlich sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er mir entweder einen Drink bringen lässt oder ganz zufällig zur Bar geht.
Während ich geduldig warte, stelle ich mir schon in Gedanken vor, wie es sich anfühlen wird, wenn er seinen muskulösen Arm um mich legt und mich in sein Hotelzimmer führt. Was ich tun werde, wenn wir in der stillen Dunkelheit ganz alleine sind...
„Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie so einfach anspreche“, seine Stimme klingt ein wenig dunkler, als ich sie mir vorgestellt habe, „aber wenn Sie mich nicht vor den grauenhaften Geschichten meiner Kollegen retten, werde ich hier noch vor Langeweile sterben.“
Jetzt gehört er mir.
Friedlich und schön zugedeckt liegt er in seinem Bett. Seine Hose und sein Hemd hängen ordentlich über der Stuhllehne. Ich sehe mich noch einmal um, vergewissere mich, dass ich nichts vergessen und keine Spuren hinterlassen habe, dann öffne ich die Zimmertüre und schlüpfe lautlos hinaus in den Flur.
Kein Mensch begegnet mir, als ich die Treppen hinunter husche und das Hotel durch die Tiefgarage verlasse. Vier Querstraßen weiter steht mein Auto. Ich sperre die Türen auf und lasse mich auf den Fahrersitz fallen. Jetzt kommt der unangenehme Teil. Der Teil, an den ich mich trotz allem immer noch nicht gewöhnt habe und an den ich mich wohl auch nie gewöhnen werde.
Ich nehme das Telefon aus meiner Handtasche und tippe Gabrieles Telefonnummer ein. Schon nach dem zweiten Läuten wird abgenommen.
„Ja?“
Meine Hände beginnen zu schwitzen. Jetzt müsste ich es eigentlich sagen. Nur ein Satz. Aber welcher? Meine Kollegen formulieren es meistens trocken und geschäftlich, aber das ist auch etwas ganz anderes. Sie töten im Auftrag von knallharten Geschäftsleuten, die sich unbequeme Konkurrenten vom Hals schaffen wollen. Da geht es nur um Macht und Geld und es sind keinerlei Gefühle mit im Spiel. Ich töte im Auftrag von betrogenen Ehefrauen, da geht es ausschließlich um Emotionen.
Ich schließe die Augen und hole tief Luft.
„Er ist tot.“
Wie ich es hasse. Ich brauche eine Sekretärin.