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Ich denke oft an Natalia
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Die Braut an der Bar hatte mich schon dreimal angelächelt, als ich beschloss, zu ihr hinüber zu gehen. Schließlich ist es der Mann, der das Heft des Handelns in der Hand zu halten hat, - der König der Situation.
Nachdem die Rhythmen der Dancefloormusic mich zu ihr geschoben hatten, blickte ich in ihre dunklen Augen; ihre Augen blickten in die meinen und dann auf den Platz neben ihr. Was für eine Figur sie hatte! Sie hieß Natalia, eine Russin, und blies mir den Rauch in den Nacken, als ich mich umwendete, um für uns zu bestellen. Meine Härchen stellten sich auf, als sie mich berührte. Es sah vielversprechend aus, obwohl wir in diesem Lärm kaum ein Wort wechseln konnten. Vielleicht auch deshalb, bei diesen Küken weiß man ja nie. Ich fasste ihr an den Po.
Frauen wollen das. Frauen wollen den Jäger. Den Typ, der weiß, was zu tun ist. Er soll nicht aus der Höhle nach draußen gehen, um mit dem Säbelzahntiger zu diskutieren, sondern um ihm mit der Keule eins in die Wumpe zu dengeln. Handlungen sind männlich und bei den Bräuten beliebt. Mann muss immer irgendetwas tun, wenn die Weiber feucht bleiben sollen. Was aufbauen und dann wieder kaputt hauen... und dann wieder aufbauen... um es wieder kaputt hauen zu können... nur so war internationale Politik zu erklären: immer in Bewegung bleiben.
Nachdem wir ein wenig geknutscht hatten, gingen wir in Richtung Ausgang.
„Es ist spät“, sagte ich.
„Wir gehen?“, fragte sie. „Zu dir?“
„Erraten!“, sagte ich und nahm sie um die Hüften.
Wir holten an der Garderobe unsere Mäntel und waren schon fast durch die Tür, als sie stoppte.
„Ich habe ganz vergessen“, sagte sie. „Meine Schwester noch drin sein – sie ohne mich nicht kann sein. Du was dagegen, wenn sie kommen mit?“
Ich wusste nicht, was das genau zu bedeuten hatte, aber ich nickte sofort und sie verschwand. Ihre Schwester war ein wenig kleiner und zierlicher, aber ebenfalls attraktiv – und vor allem schweigsam. Sie sprach während der Fahrt in meinem Diesel kein Wort, aber dafür fummelte Natalia an meinen guten Stellen herum. Ich war der König der Situation, kein Zweifel.
In meiner 120-Quadratmeter-Dachgeschoss-Eigentumswohnung angekommen, wollte ich gerade die Öffnung einer guten Flasche Schampus ankündigen, als die beiden Frauen auf russisch einen heftigen Disput begannen. Natalia kam zu mir.
„Es tut mir leid. Olga müssen dringend Freund auf Handy anrufen, - er in Schwierigkeiten und sie nicht wissen, wo er ist“, sagte sie.
Kein Problem, ich gab Olga das Telefon. Hoffentlich kommt der Freund nicht auch noch auf die Idee, hier aufzukreuzen, dachte ich.
Olga telefonierte hastig mit irgendjemand, sprach dann auf russisch mit Natalia und schaute zu mir. Natalia kam wieder auf mich zu und schmiegte sich an.
„Grigor weiß nicht, wohin. Er kann nicht nach Hause, jetzt Olga ihm haben gesagt, du ein guter Mensch. Er hier übernachten können bestimmt.“
Ich hob an, zu erklären, dass es ein ganz netter Abend gewesen sei bislang, mit vielen interessanten Menschen, als es an der Tür klingelte. Olga stürzte sofort hin und öffnete. Es war Grigor. Weit konnte er nicht gewesen sein.
Grigor übersah mich, warf seine zwetschgen-lila Reisetasche in Richtung Schuhschrank und redete hektisch einen russischen Schwall auf die beiden Mädels ein, während ich die Champagnerflasche zurück zum Kühlschrank trug und mir aus der Bar vorläufig den Whisky griff. (Wodka hatte ich nicht im Haus). Nach meinem zweiten Glas klingelte es erneut, und Olga stürzte schon wieder zur Tür, doch ich trat schnell dazwischen. Diesmal wollte ich meine Rolle ein bisschen präsenter gestalten, indem ich die Tür öffnete. Ich war der Hausherr. Drei Männer stießen mich zur Seite und drängten sich ins Wohnzimmer.
Es waren Fjodor und zwei seiner Leibwächter, die Grigor zu Hilfe kamen. Fjodor, der Onkel Grigors, war ein bulliger Mittfünfziger in einem teuren Kaschmirmantel, seine Leibwächter besetzten sofort die Fenster zur Straße und zückten die Kanonen. Fjodor palaverte mit Grigor.
Natalia übersetzte mir, dass 'sie' hinter Grigor her seien, aber Fjodor habe vor zwanzig Minuten Verstärkung angefordert - die Brüder Grigors seien bereits unterwegs hierher. Das war eine gute Nachricht, weil draußen plötzlich Schüsse krachten. Es tue ihr leid, sagte Natalia hastig. Wegen dem blöden Abend. Sie sagte, sie habe Grigor und Olga nur verstecken wollen. Das Feuergefecht nebenan wurde heftiger, die Fensterscheiben zersprangen, und ein Geschoss fegte mir die Whiskyflasche aus der Hand. Einer der Leibwächter war an der Hand getroffen und blutete mir jetzt den teuren Teppich voll. Der andere zog aus einem Koffer ein Maschinengewehr, schraubte es auf ein Stativ und setzte den Gurt ein. Meine Nachbarn hatten sich bei mir letzte Woche über Lärmbelästigung beschwert, als ich Barclay James Harvest gehört hatte - und der Typ da legte jetzt aus meinem Wohnzimmerfenster mit einem Maschinengewehr Sperrfeuer auf die Straße. Grigor lief zu seiner Tasche und griff sich zwei Handgranaten heraus.
Ich sprang hin und rief, ich würde jetzt besser die Polizei holen, aber hatte damit ein ungünstiges Wort ausgesprochen, das Grigor nicht gerne hörte. Während der zweite Leibwächter und Fjodor das Feuer erwiderten (Olga versorgte den Verwundeten), trat Grigor mir wuchtig in die Eier, dass der Schmerz wie eine Silvesterrakete in meinem Kopf explodierte. Ich machte klonk!, kippte zu Boden und begann, die Sekunden zu zählen, bis es nachlassen würde. Mit Vögeln war’s für heute vorbei. Ich robbte ins Bad, um eventuell durch das Fenster zu entkommen. Ich hörte die Projektile durch meine Wohnung pfeifen und meine Einrichtung schrotten: die teuren Bilder, alles Originale, die Designerlampen, kostbare Schränke und Vitrinen – die Russen machten ‚Krieg und Frieden’ in meinen heimatlichen vier Wänden, als führe Tolstoi selbst Regie. Ich öffnete das Badfenster und blickte nach draußen. Danach wusste ich, wer ‚sie’ waren, die hinter Grigor her waren. Es war die Polizei. Fünf Wagen standen auf der Straße herum wie hingewürfelt und ein Dutzend Grünuniformierter hatte sich verschanzt. Mündungsfeuer blitzte. Dann krachte die Eingangstür und spritzte krachend in verschiedene Richtungen weg - wahrscheinlich war sie mit einer Panzerfaust durchschossen worden. Die Druckwelle schleuderte mich gegen den Schuhschrank. Im Flur explodierte eine Rauchgranate. Bei den Nachbarn war ich unten durch bis zum jüngsten Tag. Die Russen feuerten ein paar Mal durch die Rauchschwaden Richtung Treppenhaus und zogen sich dann auf den Küchenbalkon der anderen Hausseite zurück, über den sie auf das Dach entkamen. Immer noch krachten Schüsse. Ich sammelte schnell, ich weiß nicht warum, ihren liegengelassenen Krempel auf und hastete hinterher auf den Balkon; vielleicht wollte ich ihnen nachrufen: „Hey, nehmt das gefälligst auch noch mit!“ - aber zeitgleich drang das Sturmkommando der Polizei ins Wohnzimmer ein. Im Null-komma-nichts war ich umstellt von einem halben Dutzend Polizisten in Kampfkleidung, die ihre Gewehre auf mich richteten. In der rechten Hand ein sowjetisches RPD-200-Schuss-Maschinengewehr, heißgelaufen, und in der linken Grigors Reisetasche mit vierzig Kilogramm Kokain – so stand ich da, in einer Blutpfütze neben dem zerschossenen Fenster: der König der Situation - mit den Sachen, die seine Gäste nach der Audienz bei ihm vergessen hatten.
Leider ebenfalls vergessen hatte die schöne Natalia etwas, nämlich mir ihre Telefonnummer zu geben. Deshalb kann ich ihr nicht mitteilen, wo und wann sie mich besuchen kommen könnte, und es sieht so aus, als würde ich sie nie mehr wieder sehen.
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