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Ich fühl mich wie ausgekotzt!

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10.07.2008
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Ich fühl mich wie ausgekotzt!

Es wird dunkel um mich herum. Geschubst, gedrängt, geschoben, gezerrt und gestoßen bahne ich mir mit tausenden gleich und ähnlich Gesinnten meinen Weg durch die tiefschwarze, hässliche, enge und stinkende Röhre umgeben von einem dunkelgrünen Brei. Es geht abwärts. Steil. Relativ steil. Das glaube ich zumindest. Es könnte genauso gut schräg aufwärts gehen. Ich habe einen Orientierungssinn wie ein Kühlschrank…ohne Licht.
Abrupt endet die Röhre in einem riesigen viergeteilten Raum, in welchem sich nochmal tausende und abertausende meiner Artgenossen befinden. Sie werden von einer Seite des Raumes auf die andere geworfen, schnellen hin und her, hoch und runter, im Kreis herum oder unkontrolliert querfeldein. Dabei geben sie glucksende, manchmal knurrende Laute von sich, die im Zusammenklang von unglaublicher Dissonanz strotzen. Da werde ich von diesem ungeordneten Strom erfasst und mitgeschleudert, wobei ich ungewollt in diesen überaus hässlich grässlichen Gesang mit einstimme.
Wenige, jedoch unbeschreibliche Stunden später beginnt wieder ein Geschubse, Gedränge, Geschiebe, Gezerre und Gestoße und wir bewegen uns gezwungen zurück in die schwarze Röhre, umgeben von dunkelgrünem Brei, der diesmal jedoch dünnflüssiger als vorher ist. Ob es nun auf- oder abwärts geht, hängt vom Wahrheitsgehalt meiner vorherigen Aussage ab. Jedenfalls ging es zurück und folglich in die entgegengesetzte Richtung. Wir gelangen in einen Raum, dessen Wände sich bewegen, sodass das Geschüttele von Neuem und intensiver den je beginnt.
Ich will raus!
Mit aller Kraft arbeite ich mich zur nächsten Außenwand. Tatsächlich erreiche ich sie und entdecke, dass sich ein Spalt der Länge nach durch die Wände zieht. Ich mache mich klein und versuche den Raum durch diesen engen Fluchtweg zu verlassen, schaffe es unverhofft durch einen Schubs meines nächsten Nachbarn.
Ich falle in die Freiheit, werde aber mitten in der Luft grausam von einem Haar festgehalten und hänge zwischen Himmel und Erde. Gestärkt von der frischen Luft und dem Licht zwinge ich mich zu Höchstleistungen und kämpfe mich frei, um weiter zu fallen und an einem Grashalm hängen zu bleiben.
Endlich frei!
Ich blinzle in die Sonne, schaue hinauf in das Gesicht einer wiederkäuenden Kuh, aus deren Maul hin und wieder Speicheltropfen wie ich herunterfallen.

 

Hallo Sascha,

herzlich willkommen mit Deinem Einstand bei kurzgeschichten.de. Ich lese sie mit dem Wochenende im Rücken, den ersten Arbeitsvormittag hinter mir - der Titel deiner Kurzgeschichte spricht mich spontan an, wenn auch auf eine raue Art, die mich spätestens ab Mittwoch einen Bogen um diese Geschichte machen lassen würde. "Nur weiterlesen, wenn Bukowski und Co. zu deinen Lieblingen gehören" hätte als Überschrift ähnlich funktioniert.

Was mir gefiel, war die Doppelbödigkeit des Textes, der nicht nur zusehends ins Surreale abrutscht, sondern über weite Strecken die normale Erfahrung des Alltags - gerade des Montagmorgens - suggeriert. Lange war ich gedanklich beim Weg zur und von der Arbeit und fand die Bilder, die du gewählt hast, mehr oder weniger passend. Nur die Stellen mit dem Brei fand ich ein bisschen arg, aber selbst die kann ich als Bild für die Masse der schlaftrunkenen Pendler in der U-Bahn am Morgen noch irgendwie nachvollziehen.

Irgendwann wird dann klar, worum es geht. Das ist schon fast eine Art Pointe, wenn auch deutlich wird, dass du den Text wesentlich weniger als Gesellschaftskritik angelegt hast, als ich als Leser dort hinein interpretierte. Ein gelungener Kunstgriff.

Ein paar Kleinigkeiten:

Geschubst, gedrängt, geschoben, gezerrt und gestoßen bahne ich mir mit tausenden gleich und ähnlich Gesinnten meinen Weg durch die tiefschwarze, hässliche, enge und stinkende Röhre umgeben von einem dunkelgrünen Brei.
Der Satz strotzt nur so vor Partizipien und Adjektiven. So vielen davon, dass ich nach zwei Dritteln bereits abgeschaltet habe und den "dunkelgrünen Brei" kaum noch wahrnahm. Generell ist es immer ein guter Tipp, solche Adjektive nur sparsam und wohlpointiert einzusetzen. Erstens machen sie den Text schwerer lesbar und zweitens verblasst ihre Wirkung in der Häufung. Zumal du im weiteren Verlauf der Story ja diesen Stil auch nicht weiter gepflegt hast.

Ich habe einen Orientierungssinn wie ein Kühlschrank…ohne Licht.
Erinnerte mich irgendwie an Tom Waits' "And the owner is just a mental midget
with the I.Q. of a fencepost". Während der erste Teil "Orientierungssinn wie ein Kühlschrank" noch durchgehen könnte, macht das "...ohne Licht" nun überhaupt keinen Sinn mehr. Hätte denn ein Kühlschrank mit Licht mehr Orientierungssinn?

...umgeben von dunkelgrünem Brei, der diesmal jedoch dünnflüssiger als vorher ist. Ob es nun auf- oder abwärts geht, hängt vom Wahrheitsgehalt meiner vorherigen Aussage ab. Jedenfalls ging es zurück und folglich in die entgegengesetzte Richtung. Wir gelangen in einen Raum...
Mit dem Satz "Ob es nun auf- oder abwärts geht..." brichst du mit der Erzählstruktur deines Textes, wendest dich direkt an den Leser. Und haust damit nicht nur ihn, sonder dich gleich mit aus dem Erzählfluss. Denn während du bisher im Präsenz schreibst, verhedderst du dich plötzlich im Präteritum, das da nichts zu suchen hat.

So viel erst einmal. Herzliche Grüße,
Ennka

 

Hallo Sascha,

anders als Ennka kam ich nicht auf die Idee, dass sich die Situation in einer U-Bahn oder Ähnlichem abspielt, mir war klar, worum es geht, wenn ich es richtig verstanden habe. Der Text ist atmosphärisch dicht, wie das so schön heißt, und hat mir gefallen, bis auf die Anhäufung von Adjektiven, aber ansonsten schön. Danke!

Lg, catlucy

 

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