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...Ich habe sie doch geliebt
...ich habe sie doch geliebt.
Es war eine Eichentür ohne Fenster oder Glaseinlass. Man konnte nicht hindurch in das Innere sehen.
Ich war überrascht, wie schwer sie war und rannte dagegen als ich sie öffnen wollte. Er sah das. In seinem unsicheren Stand breitete sich ein unförmiges, aber ehrliches Lachen auf seinem seltsamen Gesicht aus. Sein Mund war unnatürlich verformt. Er gluckste laut. Er klatschte. So gut er konnte. Die verkrampften Finger schlugen aufeinander. Ein Ton war dabei nicht zu hören. Er holte drei, viermal aus, mit dem ganzen Arm, und klatschte.
Es schüttelte ihn richtig. Anscheinend war er darüber, dass ich unsanft gegen die Tür gelaufen war und sie nicht hatte öffnen können, höchst amüsiert. Ich hatte Angst dass er umfällt. „Fall mir nicht um“, sagt ich tonlos, jedoch um ein lächeln bemüht. „Ich brauch dich doch ganz gesund. Ich will doch nicht das du dir was tust.“. Auf einmal wurde er ganz ruhig, lies seine Arme hängen, ganz unnatürlich verdreht und verkrampft, wie ich sie niemals hätte hängen lassen können. Er schien beleidigt.
„Ich hab dich ausgelacht. Weil du die Tür nicht aufmachen kannst. He!“ Er triumphierte die Situation wieder. Ich hing an der Tür und hielt mich am Türgriff fest.
Wenn er sprach spuckte er dabei. Oder Speichel lief aus seinen Mundwinkeln. Manchmal auch ununterbrochen. Sein Begleiter musste den Speichel immer abwischen, dass er sich sein Hemd nicht vollsabberte. Aber eigentlich war das unvermeidlich. Es war unvermeidlich. Unvermeidlich.
Ich drückte die Tür auf, hielt sie ihm offen. Ich stand im Rahmen. Meine eine Hand hielt noch immer den Türgriff, mein andere hielt ich ihm hin. „Kommst du?“. Aber er kam nicht. Er zögerte noch. „Christie will mich in so einen dunklen Raum tun. Aber Alfons gefällt das nicht. Alfons mag nicht das Dunkle.“ Er nannte mich immer Christie. Ich wusste nicht warum. Aber ich beließ es dabei.
„Aber Christie ist doch dein Freund. Wenn Christie bei dir ist musst du keine Angst haben. Christie beschützt dich.“
Fahles Licht der Straßenlaternen fiel über sein Gesicht und warf Schatten, die es noch entstellter wirken ließen. Aber er lachte. Sie lachen immer.
„Komm“ und er kam. Er legte seine Hand, seine verkrampften Finger in meine Hand. Seine Finger waren kalt. Sein Schritt war unsicher, das Laufen quälte ihn. Auch wenn man den Schmerz, den er sicher hatte, seinem Gesicht nicht entnehmen konnte. Mein Griff gab ihm Sicherheit.
Wir gingen hinein. Die Tür fiel hinter uns zu. Sehr laut.
Die Bar war schlecht besucht. Der Barkeeper war unrasiert, trug ein weißes Unterhemd. Er rauchte an einem Zigarrenstummel während er mit einem dreckigen Tuch an einem Glas herumfummelte.
Wir setzten uns an einen Tisch in einer Ecke. An der Theke saßen vier lange Gesichter, über ein Glas Bier gebeugt. An einem anderen Tisch saßen drei dieser knapp angezogenen Mädchen.
Der Barkeeper kam zum Tisch, er beäugte ihn kritisch. „Was darf’s denn sein?“, er sah gelangweilt aus. „2 Flaschen vom stärksten Whiskey, Rum, Wodka, Schnaps, was auch immer, und… wann machen sie zu?“ Diese Frage überraschte ihn. Er zog eine Augenbraue hoch und sah mich schief an. Alfons wippte vor und zurück. „Hält der das auch aus? Um 2 mach ich spätestens zu.“ Dann ging er weg.
Die Weiber schielten ständig zu mir und Alfons herüber, dann sahen sie sich an, ihre Rigos umklammernd, und prusteten los. Wie armselig. Er bekam von all dem nichts mit. Warum sitzen die überhaupt hier? Was suchen drei dieser dummen Partygängerinnen, die nur auf Aufmerksamkeit aus sind, in so einer Spelunke? Wunderte mich sowieso, dass es hier Rigo gab.
Der Barkeeper kam mit zwei Flaschen JD und zwei Gläsern. JD. Das Stärkste was da ist. Egal. Er knallte alles ziemlich genervt auf den Tisch an dem ich mit Alfons saß. „Ich kassier gleich ab. Macht 60 Piepen.“
60. Da wäre ich billiger weg gekommen wenn ich das Zeug so gekauft hätte. Aber was spielte Geld jetzt noch für eine Rolle. „Hier.“ Ich gab ihm die 60, er grunzte und ging weg, wieder hinter seine Theke.
„Was ist das Christie? Es hat eine schöne Farbe.“ „Das ist Whiskey, für dich und mich. Mein Lieblingsgetränk. Schmeckt sehr gut. Willst du es probieren?“ Er nickte heftig, was auch sonst, und ich schenkte ihm ein. Ich machte das Glas ordentlich voll. Er griff mit beiden Händen danach. Eine alleine war zu verkrampft und störrisch. Aber auch so hatte er noch größte Mühe es an den Mund zu bekommen. Er trank an dem Glas als wäre Saft darin. Er verzog nicht sein Gesicht und fing nicht an zu husten. Er trank typisch wie ein Kleinkind und machte Pausen zum Luft holen, aber er trank das ganze Glas ohne abzusetzen. „Kann ich noch haben?“
Das war ja einfacher als ich gedacht hatte. „Gerne, aber mach langsam, ich hab’ nur zwei Flaschen, einverstanden?“ Er nickte wieder heftig, ich schenkte nach und er trank.
Es war 10 Minuten vor Mitternacht. Ich saß mit ihm seit knapp 2 Stunden hier. Die zweite Flasche war schon halb leer. So wie er das Zeug trank würde man nicht vermuten dass es Whiskey war. Dem Alkohol war das egal, er wirkte. Außerdem hatte er noch nie vorher etwas Alkoholhaltiges getrunken, jetzt war es schon fast eine Flasche. Seine Aussprache, Mimik und Bewegungen waren so zerrissen und unnatürlich wie immer. Aber er starrte unentwegt zu diesen Weibern, die zu meinem Erstaunen immer noch hier waren und Alfons nach 2 Stunden immer noch amüsant fanden. Was ihnen nicht auffiel, war, dass sie durch die dekadente Extrovertierung ihrer Reize nur die Blicke von Alfons auf sich zogen, über den sie sich lustig machten.
„Sie sind schön, nicht?“ Ein langes, lautes „Waaas?“ kam aus seinem Mund. „Ich meine die Frauen. Sie sind schön.“ „Warum?“ „Nun, wir sind Männer, oder? Du nicht?“ Ich zwinkerte ihm zu und er grinste. „Und Männer finden Frauen nun mal schön. Man findet eine schön und verliebt sich in sie.“ Sein unförmiger Mund grinste immer mehr. Es sagte etwas. „Und, und dann hat man eine, he, eine Freundin.“ Er musste lachen. Ich quälte mich zu einem Lachen. Höllenqual. „Ja, dann hat man eine Freundin.“ Mir wurde übel. Nicht von dem Alkohol. Die Bilder kamen wieder.
„Was macht man mit einer Freundin?“ Urplötzlich schien er wieder ernst. Er starrte mich an. Ich schaute in den Whiskey. Die Worte liefen aus meinem Mund wie schleimiges, verfaultes Blut. Ich wusste nicht was ich sagte. „Man liebt sich. Man kennt sich noch nicht lange, aber man weiß dass der andere die Erfüllung des eigenen Lebens ist. Sie ist die, die man gesucht hat, nach der man sich verzehrt hat. Sie ist vollendet. Das was ich immer gesucht habe. Sie war doch erst siebzehn… und dann…“ Eine Träne war in den Whiskey getropft und hinterließ ihre Kreise. Aber er hatte mir nicht zugehört. Ich hatte ihn gelangweilt. „Gell, man macht Liebe, he.“ Ich hatte meine Augen immer noch geschlossen, ich konnte ihn nicht ansehen. Meine Finger verkrampften sich um das Glas. „Ja.“ „Hast du eine Freundin?“ Dieser verdammte Heuchler. Dieser scheiß Krüppel. Warum? „Nein. Ich hatte eine Freundin. Aber jemand hat mit ihr Liebe gemacht und sie wollte es nicht. Jetzt ist sie …“ Ich darf es nicht aussprechen. Es interessiert ihn eh nicht. Er trank wieder. „Ich habe auch schon einmal Liebe gemacht.“
Meine Lippen formten die Worte „Ich weiß.“, aber ich weiß nicht ob ich sie auch laut aussprach. „Es war schön.“
Das Glas zersprang zwischen meinen Händen. Die Glassplitter bohrten sich tief in meine rechte Hand. Das Blut verbreitet sich erstaunlich schnell auf dem Tisch. Tränen, jetzt häufiger, vermischten sich damit. Ich griff nach der Flasche und umklammerte sie anstelle des Glases. Die Splitter bohrten sich noch tiefer in meine Hand. Man konnte sie in meinem Fleisch bersten hören. Er bemerkte es nicht. Er war wie im Rausch. „Aber ihr hat es nicht gefallen. Sie hat geweint und geschrieen.“
„Sei Still.“ Er erschrak. Diesen Satz hatte er nicht erwartet. „Wir gehen jetzt. Los, wir gehen.“ Meine Stimme war zu kalt um sich ihr zu widersetzen. „Geh zur Tür. Ich komme.“
Er stand auf. Das Stehen und das Laufen quälten ihn. Er schob sich langsam zur Tür. Es sollte wehtun. Ich wollte dass er hinfällt. Um Hilfe fleht. Dieses Stück Dreck. Ich trank den Rest der Flasche und stand auf.
Draußen war es kalt und dunkel. Das fahle Licht der Straßenlaternen wirkte grotesk. Wir gingen los. Ich stütze ihn nicht.
Ihr braunes Haar. Bis über die Schultern. Die Finger ihrer rechten Hand spielen damit. Es kräuselt sich um ihren Zeigefinger. Sie ist an die Wand gelehnt. Sie schaut auf ihre Schuhe. Sie träg ihre dunkelblauen Jeans, [...]sorry dass ich das hier zensieren muss, aber ich hab meine Gründe Sie ist Alles. Ich strecke ihre Hand nach ihrer aus. Ihre Augen funkeln mich aus tiefer, heilender, einladender Unergründlichkeit heraus an. Ich will ihre Hand berühren.
Das Licht verschwindet. Wie in einem Strudel. Nichts als kalte, todbringende Dunkelheit.
Ihr Haar. Durchnässt. Verkrustet von Schlamm. Ihre Jacke weg. Ihr T-Shirt zerrissen. Sie trägt keine Hosen mehr. Ihre Unterhose hängt in den Kniekehlen. Ihre Augen glänzen nicht mehr. Das Linke Auge ist geschwollen. Ihre Nase blutverkrustet. Ihre Zähne dunkelrot vom Blut. Ihre zarten Lippen zerbissen. Ihre Hände verkrampft, die Fingernägel tief in die Handflächen gebohrt. Ihre zarte Haut zerkratzt, dreckverschmiert. Der Hals blutunterlaufen.
Die Hand von irgendjemand liegt auf meiner Schulter. Ich stoße sie weg. Mitleidige Worte umschwirren mich. Ich kenne niemanden mehr. Ich will nicht dass sich irgendjemand anmaßt mit mir zu sprechen. Mich zu trösten.
Ob sie das sei, fragt mich jemand. Ob ich sie jetzt identifizieren würde.
Ich habe sie geliebt. Sie war erst siebzehn. Ich habe sie doch geliebt.
Meine Finger verkrampfen sich um den Griff der Klinge.
Fauliges Wasser bahnt sich seinen Weg durch Müll, den Rinnstein entlang, bevor es in die Dunkelheit der Kanalisation stürzt.