Ich, Homo Hartziensis
Nach fünf Monaten Hartz trat das ein, was ich von Anfang an erwartet hatte: ich konnte die Stromrechnung nicht mehr bezahlen und sie drehten mir den Saft ab. Was an und für sich nicht dramatisch war, warme Mahlzeiten konnte ich mir sowieso nicht mehr leisten, also brauchte ich auch keinen Herd zum kochen.
Anfangs fiel es mir schwer, ohne Fernseher und Radio zu leben und dadurch keinerlei Informationen über die Außenwelt zu haben; irgendwann aber empfand ich diesen Zustand völliger Isolation als sehr angenehm und befreiend. Ich hatte ja noch meine Bücher, die ich des Nachts bei Kerzenschein las. Die Kerzen ließ ich im Supermarkt mitgehen, wenn ich mir mein Müsli besorgte. Ich ernährte mich ausschließlich von Müsli, Kartoffeln und Leitungswasser, ich lernte, mit weniger als 20 Euro im Monat auszukommen, wobei die teuerste Investition die Milch für das Müsli war. Davon brauchte ich drei Liter pro Woche. Als selbst das zu viel wurde, streckte ich die Milch mit Wasser. Ab und zu steckte ich ein paar Eier in die Jackentaschen.
Als es Sommer wurde und ich erste Mangelerscheinungen und erheblichen Gewichtsverlust feststellte, pflückte ich Löwenzahn und Klee, den ich mit ein wenig Zitronensaft zu einem halbwegs erträglichen Salat anrichtete.
Wenn ich Hunger nach Fleisch verspürte, sammelte ich ein paar fette Nacktschnecken und kochte sie mit einem kleinen Campingkocher, wobei die Anschaffung einer Gaskartusche mächtig den Geldbeutel belastete.
Zur Körperpflege benutze ich Kernseife, drei Stück für 56 Cent. Shampoo brauchte ich nicht, aus praktischen Gründen schnitt ich mir die Haare selbst, so kurz wie nur möglich.
Im Sommer beschloß ich, meine Wohnung aufzugeben.
Zunächst wohnte ich in einem Pappkarton unter der Isarbrücke in der Reichenbachstraße. Von dort vertrieb mich aber die Polizei, also verzog ich mich tiefer in die Isarauen. Ich baute mir ein kleines Hausboot, das ich in einem versteckten Seitenarm der Isar versteckte.
Als es kälter wurde, hob ich im Wald eine Grube aus und bezog mein erstes, eigenes Erdloch, in dem sogar ein metallenes Bettgestell und ein kleiner Holzofen Platz fanden, die ich auf dem Sperrmüll gefunden hatte. Bei Hugendubel klaute ich mir ein paar Bücher über das Überleben in der Natur. Ich war überrascht, was die heimische Pflanzenwelt alles zu bieten hatte.
Ich begann, Fallen zu bauen. Einfache Konstruktionen: Schlagfallen, Steinfallen und Fallnetze, die mir manchmal einen Hasen oder eine Ratte bescherten.
Nach drei Jahren war mein Bart siebzig Zentimeter lang, die Haare waren mir bis zum Arsch gewachsen. Meine einzige Hose bestand nur noch aus Flicken, meine Zähne fielen aus.
Nach fünf Jahren hatte ich es satt. Ich hatte das dringende Bedürfnis, wieder einmal in einem schönen, weichen Bett zu schlafen und die Segnungen der Zivilisation zu genießen. Ich machte mich selbständig und gründete eine Unternehmensberatung.
„Um Kosten zu sparen, sollten sie ein Drittel ihrer Belegschaft entlassen“, pflegte ich meine Kunden zu sagen. Mehr muß man als Unternehmensberater auch nicht wissen.
„Das macht dann 1300 Euro Tagesgage plus Spesen und Anfahrtskosten, nich wahr.“
Es war leicht verdientes Geld. Ich hatte es zu etwas gebracht.