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Ich, Homo Hartziensis

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25.08.2003
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Ich, Homo Hartziensis

Nach fünf Monaten Hartz trat das ein, was ich von Anfang an erwartet hatte: ich konnte die Stromrechnung nicht mehr bezahlen und sie drehten mir den Saft ab. Was an und für sich nicht dramatisch war, warme Mahlzeiten konnte ich mir sowieso nicht mehr leisten, also brauchte ich auch keinen Herd zum kochen.
Anfangs fiel es mir schwer, ohne Fernseher und Radio zu leben und dadurch keinerlei Informationen über die Außenwelt zu haben; irgendwann aber empfand ich diesen Zustand völliger Isolation als sehr angenehm und befreiend. Ich hatte ja noch meine Bücher, die ich des Nachts bei Kerzenschein las. Die Kerzen ließ ich im Supermarkt mitgehen, wenn ich mir mein Müsli besorgte. Ich ernährte mich ausschließlich von Müsli, Kartoffeln und Leitungswasser, ich lernte, mit weniger als 20 Euro im Monat auszukommen, wobei die teuerste Investition die Milch für das Müsli war. Davon brauchte ich drei Liter pro Woche. Als selbst das zu viel wurde, streckte ich die Milch mit Wasser. Ab und zu steckte ich ein paar Eier in die Jackentaschen.

Als es Sommer wurde und ich erste Mangelerscheinungen und erheblichen Gewichtsverlust feststellte, pflückte ich Löwenzahn und Klee, den ich mit ein wenig Zitronensaft zu einem halbwegs erträglichen Salat anrichtete.
Wenn ich Hunger nach Fleisch verspürte, sammelte ich ein paar fette Nacktschnecken und kochte sie mit einem kleinen Campingkocher, wobei die Anschaffung einer Gaskartusche mächtig den Geldbeutel belastete.

Zur Körperpflege benutze ich Kernseife, drei Stück für 56 Cent. Shampoo brauchte ich nicht, aus praktischen Gründen schnitt ich mir die Haare selbst, so kurz wie nur möglich.

Im Sommer beschloß ich, meine Wohnung aufzugeben.
Zunächst wohnte ich in einem Pappkarton unter der Isarbrücke in der Reichenbachstraße. Von dort vertrieb mich aber die Polizei, also verzog ich mich tiefer in die Isarauen. Ich baute mir ein kleines Hausboot, das ich in einem versteckten Seitenarm der Isar versteckte.

Als es kälter wurde, hob ich im Wald eine Grube aus und bezog mein erstes, eigenes Erdloch, in dem sogar ein metallenes Bettgestell und ein kleiner Holzofen Platz fanden, die ich auf dem Sperrmüll gefunden hatte. Bei Hugendubel klaute ich mir ein paar Bücher über das Überleben in der Natur. Ich war überrascht, was die heimische Pflanzenwelt alles zu bieten hatte.
Ich begann, Fallen zu bauen. Einfache Konstruktionen: Schlagfallen, Steinfallen und Fallnetze, die mir manchmal einen Hasen oder eine Ratte bescherten.

Nach drei Jahren war mein Bart siebzig Zentimeter lang, die Haare waren mir bis zum Arsch gewachsen. Meine einzige Hose bestand nur noch aus Flicken, meine Zähne fielen aus.

Nach fünf Jahren hatte ich es satt. Ich hatte das dringende Bedürfnis, wieder einmal in einem schönen, weichen Bett zu schlafen und die Segnungen der Zivilisation zu genießen. Ich machte mich selbständig und gründete eine Unternehmensberatung.
„Um Kosten zu sparen, sollten sie ein Drittel ihrer Belegschaft entlassen“, pflegte ich meine Kunden zu sagen. Mehr muß man als Unternehmensberater auch nicht wissen.
„Das macht dann 1300 Euro Tagesgage plus Spesen und Anfahrtskosten, nich wahr.“
Es war leicht verdientes Geld. Ich hatte es zu etwas gebracht.


:D

 

Guten Abend Inorbit
Eine lustige Satire hast du da geschrieben. Die wenigen Fehler habe ich "aufgelistet". Du hast gut beschrieben, wie es ihm so nach und nach schlechter geht. Aber war das nicht alles ein wenig zu dramatisch? Aber ich glaub so ein wenig überspitzt müssen Satiren sein. Flüssig zu lesen.
Gute Idee mit passender Ausführung. :thumbsup:
Aber was für einen Job macht er da nachher? Muss ja ein ganz leichter sein.
Aber das ist ja auch so eher Verarschemäßig.
Also ich finde sie gut :D

ich konnte die Stromrechnung nicht mehr bezahlen und sie drehten mir den Saft ab.
-Ich...

Was an und für sich nicht dramatisch war, warme Mahlzeiten konnte ich mir sowieso nicht mehr leisten, also brauchte ich auch keinen Herd zum kochen.
-ich würde eher "denn warme Mahlzeiten..." schreiben
-...zum Kochen

„Um Kosten zu sparen, sollten sie ein Drittel ihrer Belegschaft entlassen“, pflegte ich meine Kunden zu sagen.
-...pflegte ich meinen Kunden...

Freundliche Grüße
Leana

 

Hi - gute Story, das Ende vielleicht zu schnell und theoretisch (das passiert mir auch manchmal). Aber insgesamt gut.

 
Zuletzt bearbeitet:

Oehm ja, Wahnsinnsgeschichte. Irgendwie lieblos runtergerotzt. Uebertrieben? Ja, total. Ich denke, bevor man über ein politisches Thema eine Satire schreiben will, sollte man sich erstmal ordentlich mit ihr auseinandersetzen. Ich empfehle da die gemeine Tageszeitung (laeßt sich leichter in Treppenhäusern klauen, als bei den Nachbarn den Strom anzuzapfen, um der gutrecherchierten Berichterstattung á la RtL und Pro7 zu froenen). Zum Nachtisch empfehle ich dann die Titanik, für die armen Hartz-geschaedigten Ossis den Eulenspiegel, weil billiger und mehr Bilder.

Pan

 

Pandora schrieb:
Uebertrieben? Ja, total. Ich denke, bevor man über ein politisches Thema eine Satire schreiben will, sollte man sich erstmal ordentlich mit ihr auseinandersetzen

Eben überhaupt nicht übertrieben genug! Wir sind schliesslich im bereich Satire. Da kann man gar nicht genug übertrieben und bösartig agieren. Wenn die Hauptperson der Geschichte, angefangen hätte kleine Kinder aus dem Kindergarten einzufangen und zu verspeisen, weil die Wälder von den anderen Arbeitslosen schon abgegrast sind, dann wäre das richtige Satire gewesen. :cool:

Und übigens, die geschichte ist näher an der realität als ihr es wahrhaben wollt. Wenn ALG 2 empfänger sich ein oder zweimal nicht beim arbeitsamt melden, vergessen bewerbungen zu schreiben oder, aus welchen gründen auch immer, einer "vermittelten" arbeit fernbleiben, droht ALG 2 kürzung. Dies kann bis zum völligen Einbehalt des Geldes gehen. Scha da sitzt man schneller auf der Strasse als man denkt.

 

Erst ein mal ein Vorwort zu mir.
Inorbit du hast die mehr oder weniger große Ehre mein sozusagen ersten Beitrag zu empfangen. Ich hoffe du fühlst dich wenigstens ein bisschen geehrt. Nun ja war heute halt die erst Geschichte die mir unter die Finger geraten ist. :D

Nun dazu:

Alles in allem find ich die Geschichte nicht schlecht. Flüssig zu lesen, usw.

Auf die kleinen Fehler wurdest du ja schon informiert.

Nur leider (doch das ist jetzt natürlich sehr subjektiv) find ich das Thema zur Zeit schon wieder viel zu sehr ausgemerkelt. (wo wir grad bei Politik sind ausge-"merkel"-t :thumbsup: *hihi*). Sozusagen viel zu oft und viel zu viel zu sehen oder zu lesen. Den zu viele Witze, Satire usw. nerven mit der Zeit.
Aber wie gesagt jedem gehts da anders.

Wünsche noch nen schönen Feierabend (ich hab ja schon :D )

Weiter so gefällt mir

Tschau JtheP

 

Hallo inorbit!

Bis gegen Ende hat mich Deine Beschreibung sehr an einen menschen erinnert, den ich vor über 30 Jahren kennengelernt habe. Er lebte im Wald in einem Erdloch und wovon er sich ernährte, lasse ich lieber weg. Nacktschnecken kann man übrigens nicht essen - wenn Du sie kochst, bleibt kaum etwas übrig und das schmeckt grauenhaft.
Unser Rasputin - so hieß er wegen seiner gewaltigen Haarpracht - ging rückwärts durch die Straßen, weil er dann besser die weggeworfenen Zigarettenstummel sehen und aufsammeln konnte Einmal im jahr kam er ins Pfarrhaus um eine Bibel zu schnorren. Das dünne Paper war nämlich hervorragend für seine Zigaretten geeignet.

Soweit also ist Deine Satire durchaus real. Satirisch wäre jetzt der Sprung zum Unternehmensberater. Aber wie schafft er das nach fünf Jahren, wenn er doch schon nach drei Jahren völlig abgerissen und zahnlos war? Das Ende ist mir auch für eine Satire zu absurd und unwahrscheinlich. Wenn der gute Mensch jetzt Aussteigerberater geworden wäre (Wie baue ich mein eigenes Erdloch?) und von seinen Kunden das vorletzte Hemd kassiert hätte ...

Lieben Gruß

Jo

 

Werte/r Lithium,

ich möchte dich ganz dezent auf einen weiteren Auspekt der Satire hinweisen: die Ironie. Na, klingelts? ;)

 

Hallo Inorbit,

die Thematik ist gut gewählt, auch die überzogenen Konsequenzen der Harz- Gesetze sind passend dargestellt. Mich stört allerdings, dass Deine satirische Perspektive nicht wechselt, es geht dauernd um Mangelernährung und armseliges Wohnen. (Der Prot. könnte z.B. seine Lebensumstände pseudophilosophisch schönreden).
Der Schluss ist dann wieder besser, man könnte tatsächlich glauben, der genannte „Ideenreichtum“ genügt für eine Unternehmensberatung.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo, Inorbit!

Noch nicht zu spät für ein "Willkommen auf KG.de!", oder? ;)

Deine Geschichte gefällt mir leider nicht so besonders. Auf mich wirkt sie eher wie ein Notizzettel für eine Geschichte, was umso ärgerlicher ist, als die Grundidee an sich recht nett ist.

Leider ist die Ausführung sehr lieblos und bietet für mich wenig Lesespaß - eine langweilige Aufzählung von Dingen, die plötzlich jemand tut, weil er arbeitslos ist und kein Geld hat. Es gibt keine Spannungs- oder Überraschungmomente, auch der Prot selber bleibt als Figur sehr blass. Insgesamt fehlt es dem Text also arg an Substanz.

Besonders mißlungen finde ich den Schluss, weil er m.E. als Pointe nur eher schlecht als recht funktioniert. Satire kann/muss überspitzt sein, aber bitte nicht unlogisch/unglaubwürdig, d.h. sie sollte innerhalb des gewählten Überspitzungslevels dennoch in sich schlüssig und folgerichtig bleiben. Denn abgesehen davon, dass die Pointe sehr platt rüberkommt ist u.a. die Frage, die ich mir automatisch stelle: Wenn es so einfach ist, selbst in Rübezahloutfit mit Bart bis zu den Fußkrallen innerhalb von drei Tagen Unternehmensberater zu werden, was hält den Prot dann davon ab, dass sofort zu tun, statt erst mal Insekten im Wald zu essen???

Mehr Fleisch bekäme die Story u.a. durch einen ausgefeilterten Protagonisten mit einem echten, einmaligen Charakter, der dann auch erkennbar Einfluß auf sein Verhalten nimmt, sowie einen tatsächlichen Erzählfluß mit Wendungen und Überraschungen (z.B. sollte sich der "Abstieg" in den Wald nicht so banal abspielen - und welch satirisches Potential steckt z.B. in einer Szene, in der ein ehemaliger IT-Consultant oder so versucht, einen Fisch mit bloßen Händen zu fangen oder Heuschrecken zu braten?). Und dann am Schluß etwas weniger plumpes, evtl. den bereits hier erwähnten Vorschlag als "Hartz-Opfer-Consultant" o.ä., auch das dann nachvollziehbar erzählt.

Im momentanen Zustand ist der Text in meinen Augen leider so dünn, dass ich mich schon etwas unwohl dabei fühle, ihn als richtige Geschichte zu betrachten! Vielleicht setzt Du Dich einfach noch mal dran und gibst ein bisserl mehr "Butter bei die Fische"? ;)

Gruß,
Horni

 

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